Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Dritter Denkfehler: Es gibt keinen inneren Zusammenhang zwischen der Jagdsteuer und den Beiträgen der Jäger für den Natur- und Artenschutz. Niemand käme auf die Idee, Ärzte mit der Begründung von der Einkommensteuer zu befreien, sie hätten einen hohen Nutzen für die Allgemeinheit.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist aber arg konstruiert! – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wir Sozialdemokraten haben Vertrauen in die Vernunft der kommunalen Selbstverwaltung. Die Kreistage nehmen ihr Recht vernünftig und mit Augenmaß wahr.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das stimmt!)

Das gilt nicht nur bei der Jagdsteuer. Viele von uns haben in den Kreistagen für die Abschaffung der Jagdsteuer gestimmt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ausset zung!)

Wir sehen aber keinen Grund, den Kreistagen Vorschriften zu machen. Solche Vorschriften könnten das Land übrigens auch Geld kosten; denn selbstverständlich müsste man prüfen, ob das Land einen Ausgleich leisten muss. Wer Konnexität und Verlässlichkeit gegenüber den Kommunen ernst nimmt, darf das nicht ignorieren.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: 150 000 €!)

Mit der Wahl Ihrer Antragsüberschrift – „Auslaufmodell Jagd steuer“ – haben Sie bereits die Prognose für die weitere Ent wicklung abgegeben. Sie rechnen damit, dass sich die verblie benen fünf die Jagdsteuer erhebenden Kreise der Mehrheit an schließen. Deshalb macht es keinen Sinn, ein Gesetz zu be schließen. Denn auf etwas, was schon am Boden liegt, muss man gar nicht mehr schießen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aber bergen!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatssekretär Hofelich das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Alle, die mich kennen, wissen, dass mir der Satz, den ich jetzt sage, schwerfällt – doch ich bringe kaum mehr zusätzliche Argu mente in dieser jetzigen Debatte zusammen –: Es ist sehr viel gesagt und eigentlich alles gesagt.

Ich darf für uns in der Landesregierung nur noch festhalten, was für uns die grundlegenden Linien sind, die uns dazu be wegen, eine andere Haltung einzunehmen als die FDP/DVPFraktion, die ja die Abschaffung der Jagdsteuer hier erreichen will. Es ist klar, dass die kommunale Selbstverwaltung so, wie sie gewachsen ist und wir sie kennen, auch historisch – schön, dass Sie einen Ausflug gemacht haben, Herr Dr. Bullinger –, mit ihrem generellen Steuerfindungsrecht für die Gemeinden und mit dieser einzigen Steuer bei den Landkreisen, der Jagd steuer, für uns ein hohes Gut ist. Wir sind nicht der Meinung, dass wir an dieser Stelle eingreifen sollten. Auch Zahlen – in diesem Fall die Zahl 5; die Zahl der Kreise, wo es, Stand heu te, noch praktiziert wird – relativieren dies nicht. Es steht dem Land nicht zu, den Kreisen diese Steuerquelle zu verschlie ßen. Das ist unsere Haltung.

Es ist allein Sache der Kreise, auch zu prüfen, ob die Einnah men aus der Jagdsteuer einen angemessenen Beitrag zur Fi nanzierung der Kreishaushalte leisten. Insofern war es etwas viel Vorwegannahme, Herr Dr. Bullinger, was Sie da gemacht haben.

Es sind auch nur die Kreise, die beurteilen können, in wel chem Verhältnis das zu erwartende Steueraufkommen zum Verwaltungsaufwand steht. Auch da haben Sie keine andere Position belegen können. Sie allein können also auch beurtei len, ob sich die Erhebung der Jagdsteuer für sie rechnet. Sie machen von ihrer Finanzautonomie Gebrauch. Damit ist klar, dass für uns keinerlei Veranlassung besteht, den Gestaltungs spielraum einzugrenzen oder einzuschränken.

Zum Ende will ich nur noch wenige Sätze sagen. Man muss auch ein bisschen staatspolitisch aufpassen – Herr Kollege Storz hat es gerade gemacht –, wenn man immer aufrechnet. Es wurde ja gesagt: „Die Jäger tun so viel; wir sollten lieber bei anderen Steuern erheben.“ Es entspricht nicht dem Wesen von Steuern, dass sie gegen etwas anderes aufgerechnet wer den. Vielmehr geht es darum, dass man hier hochhält, dass ei ne staatspolitische Aufgabe, nämlich dass Steuern erhoben werden können, eine Säule ist. Die andere Säule ist die, dass sich Menschen bürgerschaftlich engagieren. Wir haben auch viele Möglichkeiten, das zu honorieren und zu würdigen, üb rigens vor allem auch nicht monetär zu würdigen. Denn letzt lich ist dies der höhere Respekt, den man zollen kann.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Mit mise rablen Jagdgesetzen honorieren wir es! – Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Aber nicht aufrechnen. – Der ständige Vorwurf hinsichtlich der Bürokratie, der an dieser Stelle auch nicht belegt ist, hilft auch nicht viel weiter. Ich meine, dass er mitunter sehr pau schal erhoben wird.

Im Ergebnis besteht schlicht kein Bedarf, § 10 Absatz 2 des baden-württembergischen Kommunalabgabengesetzes zu streichen. Für uns steht damit fest: Die Entscheidung, ob ei

ne Jagdsteuer erhoben wird, ist auch weiterhin in das Ermes sen der Stadt- und Landkreise zu stellen. Es gibt genügend Beispiele, wie dies auch bewusst geschehen ist. Dagegen gibt es keine Einwände. Lassen Sie uns deswegen bei der jetzigen Praxis bleiben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU)

Meine Damen und Her ren, es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/6729 vor beratend an den Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbrau cherschutz und federführend an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft zu überweisen. – Es erhebt sich kein Wider spruch. Dann ist das so beschlossen und Punkt 4 der Tages ordnung beendet.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Würt temberg – Drucksache 15/7134

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Minister Andreas Stoch.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Eltern erwarten zu Recht, dass ihre Kinder in der Schule ihren jewei ligen Stärken, Schwächen und Entwicklungspotenzialen ent sprechend intensiv gefördert werden. Je besser Lehrerinnen und Lehrer auf die Begabungen der jungen Menschen, der Schülerinnen und Schüler, eingehen können, desto besser wird deren Bildungsbiografie verlaufen. Allein dieses Kriterium ist das Maß aller Dinge unserer Bildungspolitik.

Unsere Landesregierung steht für ein Bildungssystem, das den Bildungserfolg jedes einzelnen jungen Menschen in den Mit telpunkt stellen möchte – nicht nur deshalb, weil wir es uns angesichts des demografischen Wandels schlicht nicht mehr leisten können, dass auch nur eine einzige Schülerin oder ein einziger Schüler sein Potenzial nicht vollständig entfalten kann. In erster Linie ist es eine Frage der Chancengerechtig keit, dass wir den jungen Menschen in unserem Land zu dem für sie bestmöglichen Bildungsabschluss verhelfen möchten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es dürfte aber auch unstreitig sein: Wenn sich Gesellschaft verändert, verändert sich auch Schule. Und wenn sich Schule verändert, dann müs sen sich auch die pädagogischen Konzepte und Unterrichts formen den veränderten Ausgangsbedingungen anpassen, um die jeweiligen Lernvoraussetzungen, Vorerfahrungen, Stärken und Schwächen der Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu erfassen und dort auch mit gezielter individueller Förderung ansetzen zu können.

Seit 2011 haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmen ergrif fen, um diesen Wandel in der pädagogischen Arbeit zu unter

stützen. Neben der erfolgreichen Einführung der Gemein schaftsschule zählen dazu etwa auch die Bereitstellung zusätz licher Lehrerwochenstunden für individuelle Fördermaßnah men an verschiedenen Schularten oder auch das aktuelle Kon zept zur Weiterentwicklung der Realschule.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gute Bildungspoli tik ist dabei immer eine Abwägung zwischen der Fortsetzung des Bewährten und der möglichst effektiven, aber auch not wendigen Weiterentwicklung. Dass die Realschule zweifellos eine bewährte und erfolgreiche Schulart war und ist,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Und es auch bleiben soll!)

das steht doch völlig außer Zweifel.

Dennoch muss sich auch die Realschule weiterentwickeln, um auf die sich verändernden Herausforderungen reagieren zu können und damit auch ihre Qualität bewahren zu können.

Die Entwicklungsprozesse in unserer Gesellschaft stellen un ser Bildungssystem in sehr vielen Bereichen vor große Her ausforderungen. Der demografische Wandel sorgt seit vielen Jahren für sinkende Schülerzahlen. Dies betrifft nicht nur die Haupt- und Werkrealschulen – diese allerdings in ganz star kem Maß. Wenn Sie sich die Schülerzahlen der letzten Jahre anschauen, so sehen Sie, dass auch die Realschulen nach dem Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ins gesamt zurückgehende Schülerzahlen erfahren.

In den Klassenzimmern spiegelt sich aber auch die Vielfalt unserer Gesellschaft wider. Auch ein geändertes Schulwahl verhalten in den letzten 20, 30 oder 40 Jahren sorgt seit Jahr zehnten für eine Verschiebung der Schülerströme in Richtung höherer Bildungsabschlüsse. So wechselten 1975 beispiels weise noch knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs an eine Hauptschule. 2009, also noch vor der Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung, fiel dieser Wert erstmals unter die 25-%-Marke. Aktuell liegt der Wert bei unter 10 %.

Insbesondere die Realschulen stehen momentan vor der Her ausforderung einer immer heterogeneren Schülerschaft. Zum aktuellen Schuljahr – dies nur als Beleg – hatten 56 % der Schülerinnen und Schüler in den fünften Klassen der Real schulen eine Empfehlung für diese Schulart, immerhin 21 % hatten eine Empfehlung für das Gymnasium,

(Abg. Georg Wacker CDU: Das ist positiv!)

und gut 23 % kamen mit einer Empfehlung für die Haupt- und Werkrealschule.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir an den Re alschulen im Land das Thema Vielfalt, das Thema Heteroge nität bereits heute haben, dürfte daher unstrittig sein. Mit un serem Weiterentwicklungskonzept möchten wir insbesonde re die Lehrerinnen und Lehrer an den Realschulen dabei un terstützen, mit diesen Herausforderungen besser umgehen zu können und damit ihrer anspruchsvollen Aufgabe auch künf tig gerecht werden zu können.

Die Gesetzesänderung soll die Voraussetzung dafür schaffen, dass Schülerinnen und Schüler an den Realschulen verstärkt

gemäß ihrer individuellen Leistungs- und Lernentwicklung binnendifferenziert unterrichtet und gefördert werden können. Der Gesetzentwurf, über den wir heute diskutieren, sieht des halb u. a. vor, dass Schülerinnen und Schüler auch auf unter schiedlichen Niveaustufen unterrichtet werden können und neben dem Realschulabschluss alternativ auch den Haupt schulabschluss an der Realschule erwerben können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieses Konzept eigentlich ein sehr lebensnahes Konzept ist, sehen Sie schon daran, dass auch bisher schon der Hauptschulabschluss für Realschüler eine Option sein konnte, allerdings nur in Form der Schulfremdenprüfung, also für diejenigen Schüler, die Ge fahr liefen, nach Nichtversetzung am Ende von Klasse 9 oh ne Abschluss die Schule verlassen zu müssen. Deswegen ist der Hauptschulabschluss an Realschulen letztlich nur eine Weiterentwicklung der bisherigen Systematik.

Es freut mich an dieser Stelle ganz besonders, dass die Real schulen selbst – vertreten durch die Arbeitsgemeinschaft der Realschulrektoren – deutlich gemacht haben: „Wir brauchen auch diesen Abschluss an unserer Schule, um den Schülern in ihrer Unterschiedlichkeit gerecht werden zu können und um diese Schüler nicht an eine andere Schulart abgeben zu müs sen, sondern sie auf ihrem Niveau an ihrer Schule erfolgreich zu einem Bildungsabschluss führen zu können.“

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Die Realschulen erhalten nun die Möglichkeit, auch denjeni gen Kindern und Jugendlichen ein Angebot zu machen, die nicht, noch nicht oder nicht durchgängig auf dem mittleren Niveau lernen können. Dadurch steigern wir nicht nur die At traktivität der Realschulen. Wir leisten damit auch einen Bei trag dazu, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, den von ihnen gewünschten Schulabschluss in erreichbarer Nähe zu erwerben.