Wir Grünen sind in dieser Woche in Griechenland gewesen und haben auch mit dem Antikorruptionsminister gesprochen. Wären Sie vor Ort gewesen, wären Sie vielleicht besser infor miert.
Europas größter Solarpark, „Helios“, wurde auf Eis gelegt, weil die Krise da war. Die Investitionen, die dringend nötig sind, müssen nun sofort in Gang gesetzt werden. Als wir letz tes Jahr – es wurde schon erwähnt – mit dem Europaausschuss eine Solarfirma besuchten, wurde deutlich, dass hier wenig Good Governance von der Vorgängerregierung festzustellen war, weil die Förderungen und die Rahmenbedingungen der Solarkraft über mehrere Monate rückwirkend verändert wur den, sodass die Solarbranche dann dort am Boden lag.
Wir brauchen gerade diese Investitionen, damit das Land wie der zu Wertschöpfungskreisläufen kommt, die vor Ort Wert schöpfung bringen.
Ich halte auch den Vorschlag des Sachverständigenrats, einen Schuldentilgungsfonds einzurichten, weiterhin für angebracht und diskutierenswert. Wenn die Eurozone die Pläne zu einer Fiskalunion weiterentwickelt, besteht auch hier ein weiteres Potenzial, um die Schuldentragfähigkeit aller Euroländer zu verbessern. Es sollen nämlich alle Euroländer von niedrigen Zinsen profitieren und nicht nur Deutschland.
Lassen Sie uns jene Politik verstärken, die verlässlich und be rechenbar die humanitäre und wirtschaftliche Situation in Griechenland verbessern hilft. Lassen Sie uns diese Krise aber auch nutzen, um den europäischen Einigungsprozess auf ei ne konstruktive Bahn zu lenken – ohne Torpedos von rechts außen.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Reinhart, Sie haben zu Recht gesagt: Das, was der Bundestag morgen vermutlich beschließt, ist politisch zu rechtfertigen, aber nicht ökonomisch. Mir stellt sich allerdings die Frage, ob es dauer
haft politisch tragfähig ist, Entscheidungen über ökonomische Fragen politisch zu beantworten, die im ökonomischen Sinn falsch beantwortet sind. Das ist die grundsätzliche Frage.
Ich habe von dieser Stelle aus häufig Bundesfinanzminister Schäuble, beispielsweise im Zusammenhang mit der Erb schaftsteuer, kritisiert. Ich will ihn jetzt von dieser Stelle aus einmal deutlich loben, auch vor dem Hintergrund all dessen, was die letzten Tage über ihm ausgeschüttet wurde. Trotzdem hat er am heutigen Tag wieder den Mut besessen, im Grunde das Richtige, das Vernünftige zu sagen. Und das Richtige und das Vernünftige ist: Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone muss weiterhin gedacht werden, weil möglicher weise nur über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro zone die griechischen Probleme gelöst werden können und die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wiederhergestellt werden kann.
Herr Kollege Reinhart, Sie haben Clemens Fuest zitiert. Cle mens Fuest hat noch einiges Weitere gesagt. Er hat gesagt: Im Grunde wird jetzt genau die Transferunion realisiert, die wir nicht wollten. Wenn morgen der Deutsche Bundestag das be schließt, was am Wochenende verhandelt wurde, sind wir in der Transferunion, obwohl wir immer sagten: Wir wollen das nicht. Zur Ehrlichkeit würde gehören – so Clemens Fuest –, dass man das der Bevölkerung deutlich macht, indem man beispielsweise den Solidaritätszuschlag erhöht, um das zu fi nanzieren, was man jetzt als Rettungspaket nach Griechen land schickt.
Vor diesem Hintergrund – wenn das dann deutlich wird – muss man tatsächlich darüber diskutieren, ob Wolfgang Schäuble nicht recht hat, wenn er sagt: Griechenland braucht im Grun de einen Schuldenschnitt. Das ist aber ohne den „Grexit“ nicht möglich.
Man muss sich auch die Frage stellen, wie Griechenland über haupt wieder wettbewerbsfähig werden kann. Es sind ernst hafte Zweifel angebracht, ob Griechenland innerhalb der Eu rozone seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen kann oder überhaupt erst gewinnen kann.
Dann höre ich ständig „Austeritätspolitik“. So ein Unsinn. Das ist wirklich Unsinn. Es gibt mittlerweile Hilfspakete in einem Volumen von etwa 300 Milliarden €, außerdem Bankenhilfen durch die EZB in einem Volumen von aktuell 90 Milliarden € und jetzt ein aktuelles Rettungspaket, das vermutlich morgen im Bundestag auf den Weg gebracht wird, in einer Größen ordnung von 86 Milliarden €. Wenn man das einmal addiert, sind wir bei einer halben Billion Euro, etwa 500 Milliarden € an gesamten Rettungsmaßnahmen für Griechenland in den zu rückliegenden fünf Jahren. Da sprechen manche von „Ka puttsparen“. Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren: So möchte ich auch einmal kaputtgespart werden wie das, was da behauptet wird.
In einem gebe ich Ihnen allerdings recht, Frau Haller-Haid: Die Mehrwertsteuererhöhung, die in diesem angeblichen Ret
tungspaket angelegt ist, ist mit Sicherheit keine Maßnahme, die dazu geeignet ist, die Wettbewerbsfähigkeit von Griechen land zu steigern. Wenn wir jetzt mit Steuererhöhungen kom men – die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 13 auf 23 % –, ist es gerade für einen so wichtigen Wirtschaftszweig wie den Tourismus eben kein Beitrag
zur Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes. Deshalb sage ich Ih nen voraus: Das, was jetzt hier betrieben wird, ändert über haupt nichts an den Strukturproblemen in Griechenland. Das ist im Grunde eine fortgesetzte Konkursverschleppung. Man kauft sich Zeit, wahrscheinlich zwei bis drei Jahre, und dann sind wir wieder an genau der gleichen Stelle – und dann wird über ein viertes Rettungspaket diskutiert. Die Probleme in Griechenland werden auf diese Art und Weise nicht kleiner. Es werden weiter Strukturen konserviert, es wird Zeit gekauft, es werden Banken gestützt, es wird eine Regierungspolitik ge stützt, die in die Sackgasse führt. Das hilft in keiner Art und Weise weiter.
Im Übrigen wird gegen europäisches Recht verstoßen. Die Rettungspolitik der vergangenen Jahre war richtig. Es war richtig, die entsprechenden Brandmauern zu bauen, beispiels weise den ESM. Aber diese Brandmauern waren rechtlich klar definiert. Was ausgeschlossen war, war die Rettung maroder Banken. Was ausgeschlossen war, war eben die direkte Trans ferunion, es sei denn, dass der Euro bzw. die Eurozone insge samt gefährdet ist. Aber das ist sie ja nach der eigenen Defi nition der Bundeskanzlerin nicht. Die Bundeskanzlerin hat in der vergangenen Woche mehrfach erklärt, die Griechenland krise gefährde die Eurozone als Ganze nicht. Nach ihrer eige nen Definition dürfte es jetzt keine Hilfen aus dem ESM ge ben. Aber genau das ist beschlossen worden, meine Damen und Herren. Die eigene Rechtsordnung, die man sich gibt, wird mit diesen Beschlüssen missachtet. Deshalb halte ich die se Beschlüsse auch für falsch. Damit verspielt die Eurozone weiter Glaubwürdigkeit.
Meine Damen und Herren, aus unserer Sicht führt kein Weg daran vorbei, sich die Frage zu stellen, ob es tatsächlich Sinn macht, mit immer neuen Rettungspaketen das Geld des Steu erzahlers zu verbrennen, oder ob nicht ein anderer Weg der bessere wäre.
Ich will entlang dem, was manche Ökonomen – Clemens Fuest wurde genannt, aber auch andere wären zu nennen – in den letzten Tagen geäußert haben, fünf Punkte nennen, die aus unserer Sicht den besseren Weg darstellen.
Es wäre der bessere Weg, wie Wolfgang Schäuble es vorge schlagen hat, Griechenland zunächst einmal – zumindest für einen bestimmten Zeitraum – außerhalb der Eurozone seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen zu lassen. Das wäre nach der Auslegung von Artikel 352 des EU-Vertrags mög lich.
Notwendig wäre dann auch eine neue Währung in Verbindung mit einem Schuldenschnitt. Man müsste eben auch die Ehr lichkeit aufbringen, zu sagen: Da ist Geld verloren. Dieses
Geld werden wir sowieso nie wieder sehen. Es würde natür lich auch die Möglichkeit bestehen, über einen längeren Zeit raum die Verluste für die Staatshaushalte zu strecken.
Der nächste Schritt wäre natürlich, humanitäre und struktu relle Hilfen zu leisten. Niemand will Griechenland aus der EU, aus Europa herautreiben. Völlig klar ist, egal, ob es jetzt beschlossen wird oder nicht: Griechenland ist ein Hilfskandi dat für viele Jahre. Aber es wäre ehrlicher, dann eben die not wendigen humanitären Hilfen und strukturellen Hilfen in ei ner Situation zu leisten, in der Griechenland, die griechische Wirtschaft auch die Chance bekäme, die Wettbewerbsfähig keit zurückzugewinnen, was in der derzeitigen Konstruktion eben nicht der Fall ist.
Dann bräuchten wir auch die Festschreibung des Endes von Staatsfinanzierungen durch die EZB. Eine Fortsetzung ist der falsche Weg und führt dauerhaft zu einer Festschreibung die ser Niedrigzinspolitik, die die EZB macht.
Der fünfte Punkt – Kollege Reinhart hat es auch schon er wähnt –: Man müsste die Schaffung einer Insolvenzordnung für EU-Staaten, vor allem für Währungsunionsstaaten, fest schreiben. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren: Wenn diese Insolvenzordnung für Eurozonenstaaten festge schrieben wäre, würde sie auf Griechenland selbstverständ lich zutreffen. Das wäre dann auch der richtige Weg – nicht nur für die EU, sondern auch für Griechenland selbst.
Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit dem Verhand lungsergebnis von Montagmorgen ist der Weg zu einem drit ten Programm vorgezeichnet. Heute Nacht hat das griechische Parlament vier der Vorbedingungen, die vereinbart wurden, um Verhandlungen über ein drittes Paket aufzunehmen, erfüllt und umgesetzt. Wir sind noch nicht beim dritten Paket, son dern es geht jetzt erst darum, Verhandlungen über ein drittes Paket oder Programm aufzunehmen.
Am Freitag wird der Bundestag genau darüber abstimmen, nämlich der Bundesregierung ein Mandat für die Verhandlung eines solchen dritten Programms zu geben. Gleichzeitig wird um eine Zwischenfinanzierung gerungen, damit der Staats bankrott Griechenlands nicht eintritt, bis das dritte Programm auf den Weg gebracht wird. Der Bundesrat wird sich dann im Rahmen eines Europakammerverfahrens mit dem dritten Pro gramm beschäftigen und Stellung nehmen, wenn dieses vor liegt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den letzten zwei Wochen hat Europa in den Abgrund geblickt, in den Abgrund, dass die Unumkehrbarkeit der europäischen Vereinigung zer bricht. Das Selbstverständnis, dass die gemeinsame Währung als weitestgehendes Projekt der Einheit Europas nicht schei tern darf, hat schweren Schaden genommen.
Wie konnte es so weit kommen? Es konnte so weit kommen, weil aufgrund einer tiefen Staats- und Gesellschaftskrise in Griechenland und auch aufgrund erfolgloser erster und zwei ter Programme eine populistisch-nationalistische Regierung gewählt wurde, die in den Verhandlungen gespielt hat und das Vertrauen verspielt hat.
Mit dem abenteuerlichen Referendum hat man die Bevölke rung, aber auch die Verhandlungspartner darüber getäuscht, was eigentlich auf dem Tisch liegt.
Deswegen ist man sogar so weit gegangen, dass man einen Staatsbankrott riskiert hat, um an den Schuldenschnitt zu kom men, den man unbedingt wollte. Diese Strategie bezahlen die Menschen in Griechenland teuer mit geschlossenen Banken, mit einer Zuspitzung der ohnehin schon schlimmen sozialen Krise, die nicht von dieser Regierung verursacht wurde, aber die noch einmal verschärft wurde, und mit einem vollständi gen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft.
Wenn man das eigene Volk in Geiselhaft nimmt, um für nati onalen Egoismus zu streiten, und eben nicht, um Hilfe zu be kommen, sondern recht behalten zu wollen, dann hat das, um es ganz deutlich zu sagen, weder mit sozialer noch demokra tischer Politik etwas zu tun.
Es war eine durch und durch nationalistische und populisti sche Verhandlungsstrategie, die auch verhindert hat, rechtzei tig europäische Lösungen zu schaffen. Auch die Politik der Regierung Tsipras war gegen europäische Gemeinsamkeit ge richtet.
Solidarität beruht natürlich auf Gegenseitigkeit. Aber die Stra tegie der Regierung Tsipras hat – zumindest bis Sonntagnacht – darauf gesetzt, nationalistische Egoismen durchzusetzen, und nicht darauf, europäische Lösungen zu ermöglichen.