Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Nehmen Sie Lettland, das es auch geschafft hat. Dort wurde im letzten Jahr die Arbeitslosenquote halbiert und das Brutto

inlandsprodukt um 2,3 % gesteigert. All das zeigt, dass ein solcher Reformkurs dort auch richtig war.

Meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir eine Insol venzordnung für Staaten. Das haben wir übrigens schon 2010 gefordert. Der Bundestag hat dies seinerzeit mit allen Partei en verabschiedet. Es ist nur bis heute nicht umgesetzt. Das ZEW z. B. hat aber recht, wenn diese Forderung in diesen Ta gen wieder gestellt wird. Denn wir brauchen Lösungen. An sonsten kann die Währungsunion bei solchen Krisen nicht funktionieren. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wenn einige Länder zu Gläubigern der anderen werden und ihnen in die Politik immer mehr hineinreden, dann – da haben Sie völlig recht – bewegen wir uns auf das Scheitern des Euro zu und nicht auf das Zusammenwachsen.

Deshalb müssen wir über Lösungen diskutieren, wie Grie chenland in Zukunft Chancen haben kann, wie wir die Situa tion dort verbessern. Deshalb, meine Damen und Herren, wird es darum gehen, dass wir über Griechenland unter dem As pekt der Möglichkeiten und Chancen diskutieren und nicht unter dem Aspekt der Ablehnung von Hilfen und Kompromis sen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Frey.

Herr Präsident, sehr verehrte Kol leginnen und Kollegen! Herr Reinhart, wer die Wirklichkeit so definiert, dass nur schwarz und weiß möglich sind, der trifft falsche Entscheidungen in der Politik. Das war gerade ein Bei trag zu Schwarz-Weiß-Denken. Wenn Sie nämlich Lettland und Griechenland miteinander vergleichen, vergleichen Sie Äpfel mit Birnen

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ökono misch ist es ein bisschen ähnlich!)

und kommen zu falschen Ergebnissen in Ihrer Analyse und damit auch zu falschen Therapievorschlägen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Was ist denn Ihre Theorie?)

Sie haben doch festgestellt, dass, als Frau Merkel endlich ei ne Lösung und ein Einvernehmen mit allen hatte, die verba len Torpedos aus den eigenen Reihen der CDU kamen. Es wurde versucht, hier Lösungen zu verhindern. Letztendlich haben wir es Herrn Renzi und Herrn Hollande zu verdanken, dass sie mit Frau Merkel zusammengestanden sind und eine Lösung, einen Kompromiss gefunden haben, für den es zwar berechtigte Kritik geben kann, aber in dieser schwierigen Si tuation war wahrscheinlich nichts anderes möglich. Dass dann aus Ihren eigenen Reihen Torpedos kommen, um diese Lö sung zu konterkarieren, das fällt auf Sie und auf Ihre Koaliti on zurück.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich denke, wir sollten heute Morgen erleichtert sein, dass das griechische Parlament gestern diese Entscheidung getroffen hat, auch wenn, wie gesagt, Bedenken gerechtfertigt sind. Nun

muss morgen auch der Bundestag zustimmen und in einem zweiten Schritt das Verhandlungsergebnis anerkennen.

Mittlerweile wissen alle, glaube ich, dass es nicht um ein Land geht, das 2 % der Wirtschaftskraft der gesamten Eurozone aus macht, sondern es geht um die Zukunft eines gemeinsamen Friedensprojekts, nämlich der Europäischen Union, und es geht um die Verhinderung einer humanitären Katastrophe in Griechenland.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dieses Projekt Europäische Union hat viele positive Entwick lungen in Europa gebracht, die sozial und wirtschaftlich be achtlich sind. Mit dem Vertrag von Lissabon haben wir uns Grundwerte gegeben wie z. B. Antidiskriminierung und Soli darität; andererseits haben wir aber auch Verträge geschlos sen, an die sich alle halten müssen. Da haben Sie natürlich recht.

Auf dieser Basis wurde nun am 13. Juli versucht, einen Kom promiss zu finden. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass der europäische Integrationsprozess nicht umkehrbar ist. Aber der 13. Juli 2015 stellt auch den Beginn eines langen Prozesses dar. Wir haben diese Krise längst nicht überwunden.

Wer in der internationalen Zusammenarbeit tätig ist, weiß, wie schwer es ist, Kompromisse zu finden, und wie leicht es ist, diese Kompromisse wieder zu Fall zu bringen. Deshalb spie len auch die Begleittöne bei diesen Verhandlungen, besonders die Begleittöne danach, eine wichtige Rolle. Ich halte es wirk lich für eine unerträgliche Entgleisung, wenn Ihr Fast-Spit zenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg den Griechen als „nervig“ bezeichnet. „Der Grieche nervt“, so Thomas Strobl.

(Abg. Willi Stächele CDU: Harmlos!)

Das lässt jeden Respekt gegenüber den Griechen vermissen. Was sollen denn die 70 000 Griechen, die in Baden-Württem berg leben, denken und fühlen, wenn sie hier so diskriminiert werden?

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Und wenn der konservative Abgeordnete der EVP im Euro paparlament alle Abgeordneten, die während der sachlich und ruhig vorgetragenen Rede von Herrn Tsipras im Europaparla ment applaudieren, als Extremisten Europas beschimpft,

(Abg. Matthias Pröfrock CDU: Ja, weil sie es sind!)

dann zeigt das doch ganz deutlich: Es geht gar nicht darum, eine Lösung für Europa oder für Griechenland zu finden, son dern es geht darum, den „Grexit“ herbeizureden, herbeizufüh ren. Da sind wir weit weg von unseren Werten wie Solidari tät und Nichtdiskriminierung, die wir alle gemeinsam 2009 in Lissabon unterschrieben haben. Diese Art der Verhandlungs führung der Bundesregierung kann man kritisieren. Dies be stätigt auch, dass man hier an die Grenzen dessen gegangen ist, was Solidarität und Nichtdiskriminierung betrifft. Aber mit unseren europäischen Werten sollten wir nicht spielen, weil wir sie nämlich bei solchen Spielen verlieren können.

Warum führt die verfehlte Rettungspolitik nun zu sozialen Un ruhen, wie Sie sie heute Nacht vielleicht im Fernsehen gese

hen haben? Weil bei den Menschen in Griechenland von dem Geld, das wir ihnen geschickt haben, nichts angekommen ist. Nur etwa ein Zehntel der bereitgestellten Summe ging in den Staatshaushalt. 90 % dienten dazu, Zinsen zu zahlen, Altschul den abzulösen, die griechischen Banken zu rekapitalisieren,

(Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

die durch den Schuldenschnitt einen Großteil ihres Eigenka pitals verloren hatten.

(Abg. Matthias Pröfrock CDU: Wohin ist denn das Eigenkapital gegangen?)

Das zeigt, dass Ihre reine Austeritätspolitik, Herr Pröfrock, versagt hat.

(Abg. Matthias Pröfrock CDU: Wo ist denn das Ei genkapital hin?)

Wir brauchen in Griechenland Wachstum und Investitionen und keine Fortsetzung dieser Austeritätspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Die häufig gestellte Frage, was die deutsche Griechenlandhil fe die Deutschen gekostet hat, ist relativ einfach zu beantwor ten: bisher nichts. Deutschland hat bisher nur Bürgschaften in Höhe von 54 Milliarden € gewährt.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Und jetzt?)

Teuer wird es aber erst, wenn wir Griechenland fallen lassen und die Kredite nicht mehr bedient werden können. Bis dahin verdient der Bundesfinanzminister sogar noch daran.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Seit 2010 steckte er in seinen Haushalt 360 Millionen € an Zinszahlungen aus Athen. Deutsche Konzerne wie Siemens oder HOCHTIEF haben über Jahre gute Geschäfte mit den günstigen Krediten gemacht.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Ja!)

Das hat in Deutschland viele Arbeitsplätze geschaffen und er halten. Bloß blieb die Wertschöpfung in Griechenland dabei überschaubar.

Die von Schäuble zu verantwortende Austeritätspolitik hat nun ihr Übriges dazu getan. Deshalb muss auch Deutschland in der Europäischen Union Verantwortung für diese Situation übernehmen.

(Abg. Werner Raab CDU: Das machen wir doch schon lange Zeit!)

Eine langfristige Lösung muss deshalb drei Punkte beinhal ten: Es müssen erstens ernsthafte Reformen auch im Verwal tungsaufbau

(Zuruf von der CDU)

hören Sie zu, dann lernen Sie noch etwas –,

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Da überschätzen Sie sich jetzt aber!)

zweitens ein Investitionsprogramm und drittens eine Erleich terung des griechischen Schuldendienstes in Angriff genom men werden.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist schon eine spannende Debatte!)

Der IWF hat richtig erkannt, dass Zins- und Tilgungszahlun gen gestreckt oder erlassen werden müssen. Aber auch Athen muss seine Schuldentragfähigkeit erhöhen. Maßnahmen zur Erhöhung der Schuldentragfähigkeit müssen beim Militär haushalt, aber auch bei den Superreichen in Griechenland an setzen. Die griechische Regierung muss im Zuge einer Um schuldung ihre Vermögenden besteuern und Steuerbetrüger auch zur Kasse bitten.

Wir Grünen sind in dieser Woche in Griechenland gewesen und haben auch mit dem Antikorruptionsminister gesprochen. Wären Sie vor Ort gewesen, wären Sie vielleicht besser infor miert.