Protokoll der Sitzung vom 16.07.2015

Martin Schulz hat gestern gesagt:

Vielleicht war das Referendum in Griechenland ein Ap pell zur rechten Zeit.

Die Menschen wollten, so Schulz, mehrheitlich in der Euro zone bleiben.

Aber sie wollen eine andere EU.

(Vereinzelt Lachen bei der CDU – Zuruf der Abg. Jut ta Schiller CDU)

An dieser Diskussion sollten wir uns in Baden-Württemberg beteiligen, und wir sollten auch darüber nachdenken, was wir von Baden-Württemberg aus konkret tun können. Dazu möch te ich in der zweiten Runde einige Vorschläge machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Herr Abg. Müller, bit te.

Frau Kollegin, darf ich fragen, ob sich das, was Sie jetzt gesagt haben, in Übereinstimmung mit den Aussagen Ihres Parteivorsitzenden und Bundeswirt schaftsministers befindet? Wenn ja, inwiefern, und, wenn nein, wie erklären Sie sich das?

Bevor ich meine Reden hier schreibe, rufe ich nicht meinen Parteivorsitzenden an. – Viel leicht genügt Ihnen das als Antwort.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Volker Schebesta CDU: Der Minister Friedrich kommt ja noch! Der kann das dann klar sehen!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Professor Dr. Reinhart das Wort.

Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und Kollegen! Bei den Ausführungen der Kol legin war ich eben erinnert an das Lied von Pippi Lang strumpf: Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, ich denke, wir führen heute wirk lich eine Debatte, die zu Recht aktuell ist. Denn morgen ent scheidet der Deutsche Bundestag in einer Sondersitzung zu diesem Thema.

Ich denke, wir müssen das Thema „Unsere Zukunft liegt in einem gestärkten Europa“ um die Fragestellung ergänzen: Wie stärken wir in Zukunft Europa, und zwar so, dass wieder Ver trauen, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz entstehen? Darüber muss man sicherlich diskutieren.

Es wird nicht auf dem Weg gehen, den Sie, Frau Kollegin, ge rade geschildert haben. Ich glaube, das Leben beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Darum geht es im Moment.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

In diesen Tagen lesen wir Überschriften wie: „Die Zukunft der Eurozone ist gefährdet“, „Merkels schwerste Nacht“, „Griechenland zwangsgerettet“, „Die Griechen erhalten Hil fe, die sie nicht wollen, die Deutschen zahlen Milliarden, die sie nicht haben“ – so die „Berliner Zeitung“ – oder: „Grie chendrama noch lange nicht zu Ende“.

In aktuellen ARD-Umfragen und auch in Umfragen von for sa sehen wir heute, dass sogar 75 % der Anhänger der Grünen Frau Merkel bescheinigen, richtig verhandelt zu haben. 70 % der Deutschen halten das harte Verhandeln der Bundesregie rung – wozu übrigens Herr Gabriel und die SPD auch gehö ren – mit klaren Bedingungen für richtig.

Meine Damen und Herren, wenn wir Europa stärken wollen, müssen wir auch die Bürger hier im Land mitnehmen. Des halb sind in diesen Tagen Äußerungen von Vertretern der Grü nen wie „Der herzlose, herrische und hässliche Deutsche hat wieder ein Gesicht, und das ist das von Schäuble“ untragbar und inakzeptabel. Das ist unsäglich.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Gui do Wolf CDU: Widerwärtig! – Abg. Volker Schebes ta CDU: Da kann man sich nachher davon distanzie ren! – Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Ich gehe fest davon aus, dass sich die Regierung – auch der Ministerpräsident – hiervon distanziert und hierfür entschul digt. Ich finde, das gehört sich. Denn der deutsche Finanzmi nister hat in Übereinstimmung mit der Kanzlerin, mit dem Bundeswirtschaftsminister für die deutsche Bundesregierung gehandelt, und er hat richtig verhandelt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Was ist mit Herrn Strobl?)

Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, dass wir die Sache realistisch sehen müssen. Denn mit solcher Kraft meierei wird Europa nicht gestärkt, sondern eher gespalten.

Herr Tsipras und seine Koalition aus Links- und Rechtspopu listen haben mit ihrem Kurs im letzten halben Jahr eine zu tiefst nationalistische Politik betrieben.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Meine Damen und Herren, damit sind die Probleme gerade im letzten halben Jahr vertieft und nicht gelöst worden. Das ist doch das Problem, über das wir heute reden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Problem von Griechenland in der Eurozone liegt in der mangelnden Konvergenz der Volkswirtschaften.

Meine Damen und Herren, uns allen ist Europa ein Herzens anliegen. Der Kompromiss vom Sonntag – sollte er wirksam werden – ist aber ohnehin nicht ökonomisch zu rechtfertigen – dies ist in den heutigen Veröffentlichungen von Clemens Fuest und anderen zu lesen –, er wäre – wenn überhaupt – nur noch politisch zu rechtfertigen unter dem Aspekt, dass es um geostrategischen Zusammenhalt, deutsch-französische Freund schaft und vieles mehr, was einen hohen Wert darstellt, geht.

Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Haller-Haid, Sie können doch nicht sagen, dass gar der jetzige Kompromiss vorschlag bezüglich der Rentenreform, Mehrwertsteuererhö hung, des Privatisierungsfonds etc. alles nichts bringt. Schuld sind aus deren Sicht nur die anderen. Schuld sind sozusagen alle Kompromisse, alle Beschlüsse, aber es gibt keine Lö sungswege in der eigenen Volkswirtschaft.

Es gibt doch genügend, die es erfolgreich vorgemacht haben. Deshalb ist nur der Weg richtig, dass man sagt: Hilfe nur ge gen Reformen.

Wissenschaftler haben gestern zu Recht betont: „Wenn Grie chenland Nein sagt, dann ist das Demokratie.“ Sie haben es eben auch gesagt. „Wenn aber Nordeuropa darauf besteht, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, sondern an Reform auflagen gebunden werden muss, dann handelt es sich um ei nen Staatsstreich oder Terrorismus.“ Diese Logik ist nicht nachvollziehbar, meine Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wie wir wissen, sind mittlerweile zwei Hilfspakete verpufft. Natürlich gibt es nur Hilfe gegen Auflagen. In Griechenland hat eine Volksabstimmung stattgefunden. Natürlich muss man beim dritten Paket einmal fragen: Ist dies der richtige Weg, der wirklich hilft? Oder brauchen wir dann nicht irgendwann ein viertes, fünftes oder sechstes Paket? Zu Recht wird betont – auch heute –, dass der Tourismus der größte Umsatzträger ist. Deshalb war auch der Vorschlag des Bundesfinanzminis ters, Griechenland vorüberübergehend ohne Euro eine neue Chance zu geben, nicht von der Hand zu weisen. Vielmehr müssen wir doch darüber diskutieren, wie die griechische Volkswirtwirtschaft wieder wettbewerbsfähig werden, wieder vorankommen, wieder Einnahmen generieren kann, dass dort neue Wettbewerbsvorteile entstehen können.

Das größte Problem liegt aber darin, dass wieder Vertrauen aufgebaut werden muss. Robert Bosch hat gesagt: „Vertrau en verloren, alles verloren.“ Im Moment ist Vertrauen verlo ren gegangen. Das muss wiederhergestellt werden. 81 % der Menschen bezweifeln heute – lesen Sie die Umfrage in den „Stuttgarter Nachrichten“ –, dass Athen die Reformen um setzt.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Die Herausforderung ist doch: Wird das, was jetzt vorgeschla gen wurde, überhaupt machbar sein? Wir wollen keine Trans ferunion. Im Moment sind wir aber auf dem Weg zu einer Transferunion.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Wir lehnen eine Transferunion ab, genauso wie wir Eurobonds ablehnen. Das ist nicht in Maastricht vereinbart worden.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wird aber morgen beschlossen!)

Deshalb will ich hier heute glasklar sagen: Wir wollen kein Fass ohne Boden haben.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört, dass man sich an Spielregeln hält. Europa, sein großer Ruf, die große Geschichte Europas ist die der Rechts gemeinschaft – die Herrschaft des Rechts. Das ist das große Vertrauen, das Europa immer hatte und hat. Das heißt, man muss sich an Regeln halten.

Meine Damen und Herren, was sollen eigentlich Länder sa gen wie Finnland, die Niederlande, Österreich, Lettland, Est land, die Slowakei, Slowenien? Frau Kollegin, diese haben die gleiche Meinung vertreten wie die Bundesrepublik Deutsch land. Die Vertreterin der finnischen Regierung hat gesagt – Zi tat –:

Die ganze Diskussion um die Hilfe kommt mir derzeit so vor, dass jemand eine große Party ausrichtet, Champag ner und Austern bestellt, aber andere sollen die Feier be zahlen.

Das kommt von der Regierungsvertreterin aus Finnland. Das kommt nicht von uns. Auch diese Stimmen müssen wir doch in der jetzigen Diskussion ernst nehmen.

Meine Damen und Herren, dass Bedingungen für Hilfe gegen Reformen gestellt werden, gehört dazu. 81 % der Deutschen sagen: „Die Haltung der Bundesregierung und der Kanzlerin ist richtig.“ Das können wir doch nicht ignorieren und sagen: Wir malen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Wir müssen viel mehr von der Realität ausgehen.

Wir haben doch erlebt, dass es Irland, Portugal und Spanien mittlerweile alle geschafft haben, den Rettungsschirm wieder zu verlassen. Das heißt, die Kritiker der Austeritätspolitik wol len in Wahrheit eine weitere Ausgabenpolitik, und zwar auf Pump, nach dem Motto: Man verspricht eine Diät, bei der man abnimmt, wenn man mehr isst. So wurde das von Ökonomen zitiert. Das geht eben nicht. Die Realität sieht hier anders aus.

Nehmen Sie Lettland, das es auch geschafft hat. Dort wurde im letzten Jahr die Arbeitslosenquote halbiert und das Brutto