Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Ich glaube auch nicht, dass wir über das gestrige Ergebnis be sonders erfreut sein können, wenn ein Land wie Polen nach Aussage der Partner erklärt: „Na ja, wir nehmen gnädigerwei

se 9 000 Flüchtlinge auf“ – ein Land wie Polen! – und die pol nische Regierung dann nur noch von 4 500 Flüchtlingen spricht. Eines geht nicht, meine Damen und Herren – das sa ge ich sehr deutlich in Richtung Große Koalition und Berlin –: Man kann nicht den Bürgern auf der einen Seite – im Zusam menhang mit Griechenland etwa – erklären: „Der deutsche Steuerzahler ist hier gefordert; da braucht es europäische So lidarität“, während auf der anderen Seite in der Flüchtlings frage die europäischen Partner diese europäische Solidarität verweigern. Das passt nicht zusammen. So wird Europa schei tern.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich glaube auch nicht, dass es angesichts dieser Herausforde rungen haltbar sein wird, diese Mindestlohnregelungen so auf rechtzuerhalten, wie die Große Koalition sie beschlossen hat. Nicht irgendjemand aus der FDP/DVP, auch nicht der Wirt schaftsflügel der CDU, sondern Andrea Nahles selbst hat in der vergangenen Woche erklärt, sie halte nur etwa 10 % der Flüchtlinge für ausbildungsfähig und für unmittelbar in den Arbeitsmarkt integrierbar. Da muss man die Frage stellen, was daraus folgt.

(Zuruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE)

Meine Damen und Herren, daraus folgt, dass wir auch an die ser Stelle weitere Flexibilisierungen des allgemeinen und flä chendeckenden Mindestlohns brauchen. Sonst werden wir vor diesem Problem auch angesichts der Herausforderung der In tegration in den Arbeitsmarkt kapitulieren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Es genügt nicht, am heutigen Tag hier das Signal zu setzen, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge Schutz genie ßen. Vielmehr will die Bevölkerung auch wissen, was mit den Wirtschaftsflüchtlingen passiert.

Deshalb müssen wir eine ganze Reihe von weiteren Proble men benennen. Dazu gehört auch das Thema Rechtsstaat. Wie soll Integration funktionieren? Manche sagen: „Deutschland muss sich angesichts dieser Zuwanderung ändern.“ Deutsch land wird sich sicher bis zu einem gewissen Punkt ändern. Ich sage aber in aller Deutlichkeit: Auch die Flüchtlinge werden sich ändern müssen, um sich hier zu integrieren. Uns interes siert nicht, woran jemand glaubt oder wie sich jemand klei det. Unsere Gesetze und der Geist des Grundgesetzes müssen aber beachtet werden. Das wird eine Bringschuld sein, die die Flüchtlinge zu begleichen haben. Auch das muss deutlich be nannt werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Wir können nicht jeden aufnehmen, der in Deutschland ein besseres Leben sucht. Vom Institut der deutschen Wirtschaft gibt es beispielsweise den Hinweis darauf, dass das durch schnittliche Tageseinkommen im Kosovo bei 1,55 € liegt. Wenn ich das mit dem vergleiche, was hierzulande als Ta schengeld für die Asylbewerber angeboten wird, dann wird deutlich, dass wir dieses System überdenken müssen.

Das betrifft dann auch Leute etwa aus dem Kosovo, wo es kei ne politische Verfolgung gibt, oder aus Albanien. Der serbi

sche Ministerpräsident hat in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, dass es falsch ist, den Menschen diesen Anreiz in Deutschland zu bieten. Sie fehlen als Arbeitskräfte in Ser bien, und in Deutschland warten sie auf die Abschiebung. Das ist eine völlig verfehlte Entwicklung.

Deshalb müssen wir ein deutliches Signal setzen, dass das Asylrecht die falsche Pforte ist, an der sie in Deutschland Schlange stehen. Das heißt aber nicht, dass wir für solche Menschen nicht die Möglichkeit schaffen sollten, Zugang zu unserem Arbeitsmarkt zu finden.

Auch ich kenne die Beispiele von den Handwerksbetrieben, in denen solche Menschen integriert sind und arbeiten und vom Chef oder von der Chefin des Handwerksbetriebs als un verzichtbar angesehen werden. Wenn sie möglicherweise ab geschoben werden, kann der Arbeitsplatz nicht wieder besetzt werden. Das ist volkswirtschaftlich unsinnig. Für diese Men schen müssen wir eine Möglichkeit des Zugangs in unseren Arbeitsmarkt schaffen – aber nicht über das Asylrecht,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

sondern durch ein modernes Zuwanderungsgesetz.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Ich glaube auch nicht, dass wir arbeitsmarktpolitische Prob leme – etwa im Bereich der Pflege – in unserem Land ohne ein Zuwanderungsgesetz lösen können. Ich will auch nicht, dass am Ende Roboter die alten Menschen pflegen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Stimmt!)

Vielmehr haben wir hier erheblichen Bedarf. Deshalb müssen wir über ein Zuwanderungsgesetz die Möglichkeit für Zuwan derung für diejenigen schaffen, die in ihrem Land von Armut bedroht sind und bereit sind, in Deutschland zu arbeiten und sich dort in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wo wir sie brau chen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Klar ist aber: Das Asylrecht ist für diese Menschen der fal sche Weg. Deshalb ist es richtig, darüber zu diskutieren, wie wir Fehlanreize beseitigen können. Deshalb ist es auch rich tig, das Signal in diese Länder auszusenden: „Kommt nicht über das Asylrecht, sondern wenn ihr kommen wollt, dann schaut, wo ihr in unserem Arbeitsmarkt richtig und gut auf gehoben seid.“

Diese Position wird nicht allein von der FDP vertreten, son dern auch von anderen Parteien. Das Thema „Fehlanreize und sichere Herkunftsländer“ ist auch nicht allein bei CDU und FDP angesiedelt.

Frau Kollegin Sitzmann, Sie haben vorhin erneut eingefor dert, man solle doch beweisen, dass die Einstufung als siche re Herkunftsländer etwas bringt. Ich kann darauf verweisen, dass am vergangenen Freitag eine Studie eines Wirtschaftsin stituts veröffentlicht wurde, die deutlich nachgewiesen hat, dass sich der Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Serbien, Bos

nien-Herzegowina und Mazedonien, also aus den Ländern, die vom Bundesrat unter Mitwirkung des Ministerpräsiden ten im vergangenen Jahr als sichere Herkunftsländer einge stuft wurden, im Vergleich zu anderen Ländern deutlich ver langsamt hat. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass es durch aus etwas bringt, solche Länder als sichere Herkunftsländer einzustufen.

Deshalb kann man Sie nur dazu auffordern, das mit den wei teren Westbalkanländern, mit Albanien, dem Kosovo und Montenegro, möglichst rasch nachzuholen und die Fehlanrei ze zu bekämpfen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das ist im Übrigen die Beschlusslage – schöne Grüße an die SPD-Fraktion – der Großen Koalition in Berlin. Die Große Koalition hat unter Mitwirkung der SPD beschlossen, dies vortragen zu wollen.

Den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen darf ich viel leicht vortragen, wie ein prominenter Parteifreund von Ihnen dazu steht,

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das habe ich gele sen!)

nämlich der Oberbürgermeister von Tübingen.

(Oh-Rufe)

Ich zitiere die „taz“ – bekanntlich nicht gerade ein Parteior gan von CDU und FDP – vom 21. September 2015 mit Er laubnis des Präsidenten:

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Wir sind eine gro ße Partei!)

... wenn dieses Jahr wirklich zwanzigmal mehr Flüchtlin ge zu uns kommen als noch 2010, sind wir gezwungen, zu unterscheiden zwischen denen, die vor Krieg fliehen und um ihr Leben fürchten, und denen, die bei uns ein besse res Leben suchen. Wir können die Asylstandards nicht halten.

Das ist eine völlig vernünftige Position, die auch von der SPD auf Bundesebene geteilt wird.

Ich darf weiter zitieren:

Jetzt müssen wir uns... eingestehen, dass auch die deut sche Gesellschaft an eine Belastungsgrenze kommt. Des halb brauchen wir schnellere Verfahren, den Abbau fal scher Anreize und eine klare Priorität für Kriegsflüchtlin ge.

Darauf die Frage der „taz“:

Mehr sichere Herkunftsländer – ja oder nein?

Antwort Palmer:

Eindeutig ja.... Wir können es uns nicht leisten, vierzig Prozent der Asylplätze mit Menschen vom Balkan zu be legen, wenn Hunderttausende Kriegsflüchtlinge... kom men.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren. Deshalb habe ich mich schon darüber gewundert, dass Sie nicht bereit waren, genau diese Forderung in unseren ge meinsamen Antrag aufzunehmen.

Wir wollen dieses Signal gegen Gewalt und für ein weltoffe nes Baden-Württemberg aber nicht daran scheitern lassen. Wir wollen Ihnen aber schon die Gelegenheit geben, dass Sie – die Grünen – zur Position von Herrn Palmer und Sie – die SPDFraktion – zur Position der schwarz-roten Bundesregierung an diesem Tag in diesem Haus Stellung beziehen.

Deshalb werden wir im Anschluss an die Abstimmung über den Antrag in einer weiteren Abstimmung, und zwar einer na mentlichen Abstimmung, darüber abstimmen lassen,

... dass es eines entschlossenen und tatkräftigen Handelns bedarf, um die aktuellen Herausforderungen der Flücht lingspolitik zu meistern und die Demokratie und den Rechtsstaat zu verteidigen. Die Vermeidung von Fehlan reizen im hiesigen Asylsystem und die Benennung weite rer sicherer Herkunftsstaaten sind deshalb notwendige Maßnahmen, die das Land Baden-Württemberg mittra gen muss.

Meine Damen und Herren, ich bin sehr gespannt auf das Ab stimmungsverhalten der SPD-Fraktion und der Fraktion GRÜ NE.

Diese Fehlanreize sind zu benennen – nicht unbedingt in die sem Antragstext, aber in dieser Debatte. Es war bereits die Re de vom Taschengeld, das auch ausweislich einer Aussage des serbischen Ministerpräsidenten Fehlanreize setzt. Deshalb ist es notwendig, dieses Taschengeld durch Sachleistungen zu er setzen. Das gilt nicht grundsätzlich für alle Flüchtlinge. Die jenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben und die auf die Kommunen verteilt werden, sollen es erhalten. Es sollte aber für die Dauer des Verfahrens in den Erstaufnahmestellen bis möglicherweise zu einer raschen Abschiebung ersetzt werden.