Diese Fehlanreize sind zu benennen – nicht unbedingt in die sem Antragstext, aber in dieser Debatte. Es war bereits die Re de vom Taschengeld, das auch ausweislich einer Aussage des serbischen Ministerpräsidenten Fehlanreize setzt. Deshalb ist es notwendig, dieses Taschengeld durch Sachleistungen zu er setzen. Das gilt nicht grundsätzlich für alle Flüchtlinge. Die jenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben und die auf die Kommunen verteilt werden, sollen es erhalten. Es sollte aber für die Dauer des Verfahrens in den Erstaufnahmestellen bis möglicherweise zu einer raschen Abschiebung ersetzt werden.
Dasselbe gilt für die Gesundheitskarte. Die FDP – die Freien Demokraten – bekennt sich eindeutig dazu, dass etwa ein po litisch Verfolgter oder ein Flüchtling aus dem Irak, der gern nach einem beschleunigten Verfahren in die baden-württem bergischen Kommunen integriert wird, in den Genuss der Ge sundheitskarte kommen soll, aber nicht in den Landeserstauf nahmestellen diejenigen, die als Wirtschaftsflüchtlinge dort hin kommen und nach unserem Willen maximal drei Monate dort verbleiben. Das wäre ein Fehlanreiz, ein falscher Anreiz, ein sogenannter Pull-Faktor.
In diesen Landeserstaufnahmestellen ist es notwendig, Sani tätsstellen einzurichten, in denen diejenigen, die gesundheit liche Probleme haben, dann behandelt werden. Das ist im Üb rigen die Forderung der Kassenärztlichen Vereinigung. Es ist nicht sinnvoll, bereits an dieser Stelle die Gesundheitskarte auszugeben.
Ein Letztes, Herr Ministerpräsident: Ich rate ausdrücklich da von ab, die Themen Gesundheitskarte und „Sichere Herkunfts länder“ miteinander zu verquicken.
Sie waren ja nach dem Motto zu verstehen: „Wir machen ei nen Tauschhandel: Ich stimme der Einstufung von Albanien, dem Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsländer zu, und im Gegenzug bekomme ich die Gesundheitskarte.“
(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Da haben Sie etwas falsch verstanden! – Zuruf von der Regierungsbank: Das ist doch Quatsch!)
Ich sage Ihnen sehr eindeutig, Herr Ministerpräsident: Das ist ein außerordentlich seltsames Rechtsstaatsverständnis. Ich halte das bei einem Ministerpräsidenten, bei einem Regie rungschef sogar für ein bedenkliches Rechtsstaatsverständnis. Entweder ein Land ist ein sicheres Herkunftsland, dann muss man dem auch zustimmen, oder es gibt politische Verfolgung, dann kann man nicht zustimmen. Das kann doch nicht von ei ner Gesundheitskarte abhängen, meine Damen und Herren.
All das sind Fragen, auf die die Menschen in diesem Land – und auch dieses Hohe Haus – Antworten vom Regierungschef möchten, und zwar nicht erst nächste Woche, sondern schon heute. Wir wollen wissen, was Ihre Positionen sind, mit wel chen Positionen Sie nächste Woche in Berlin in die Verhand lungen gehen. Bekennen Sie heute Farbe, Herr Ministerprä sident!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Baden-Württemberg war das erste Land, das aufgrund der Bedeutung und Brisanz dieses Themas bereits im letzten Jahr unter der Leitung des Ministerpräsidenten einen Flüchtlingsgipfel abhielt. Das war bereits im letzten Jahr.
bei dem erneut ein umfangreicher Maßnahmenkatalog nicht nur verabschiedet, sondern umgesetzt wurde, u. a. die sofor tige Einrichtung eines Lenkungs- und Krisenstabs. Das war ebenfalls im Juli, noch bevor die Krise im Juli im Bund an kam.
Als die Kanzlerin Anfang September beschloss, in Ungarn ge strandete Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen, waren wir, die Länder, zwar nicht informiert, aber – da wir vorbereitet waren –
auch wegen des unermüdlichen Einsatzes aller, die an dieser Lenkungsgruppe unter der Leitung des Ministerialdirektors Dr. Hammann mitwirken, und des operativen Krisenstabs un ter der Leitung des Landesbranddirektors Hermann Schröder, dem ich hier auch an dieser Stelle sehr herzlich danken will.
Wir hatten bereits beim zweiten Flüchtlingsgipfel beschlos sen, die Zahl der Erstaufnahmeplätze bis Ende 2016 auf 20 000 zu erhöhen. Wir haben diese Summe bereits erreicht – mehr noch, wir haben sie sogar übertroffen.
Als ich Ministerin wurde, gab es in Baden-Württemberg nur eine einzige Erstaufnahmestelle, und zwar in Karlsruhe, mit einer Kapazität von 900 Plätzen. Belegt war diese Erstaufnah mestelle mit 600 Menschen.
Wir haben jetzt bereits über 28 000 Flüchtlinge in zwei Dut zend Einrichtungen. Die Zahlen haben wir verdreißigfacht.
Es ist aber kein Grund, stolz darauf zu sein, dass weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Das ist wahrlich kein Grund für Euphorie.
Anfang dieses Jahres gingen wir in Deutschland noch von 200 000 ankommenden Flüchtlingen aus. Die Zahl wurde auf 450 000 Flüchtlinge nach oben korrigiert. Mittlerweile spre chen Bundespolitiker von einer Million Flüchtlinge.
Die einen stellen sich angesichts dieser Dimension die Frage: „Schaffen wir das?“ Andere fragen sich aber offenbar auch: „Wollen wir das?“ Mit steigenden Flüchtlingszahlen wächst leider auch die Ablehnung von Flüchtlingen; das ist ein trau riger Fakt. Bundesweit gab es laut der Amadeu Antonio Stif tung über 317 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, davon 50 Brandanschläge. In Baden-Württemberg zählt das Landeskri minalamt rund 30 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, davon zwei bestätigte Brandanschläge. Es gab mehr Brandanschlä ge, aber die Ermittlungen dazu laufen noch.
Man kann die Asylpolitik des Bundes oder auch des Landes kritisieren. Aber Brandstiftung ist und bleibt eine gemeinge fährliche Straftat. Diese Straftaten werden von demokrati
schen Parteien, aber erst recht vom Rechtsstaat nicht gedul det; sie werden geahndet. Zumindest in diesem Punkt sind wir uns einig.
(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und des Abg. Andreas Glück FDP/ DVP)
Einig sind wir uns auch darin, dass wir schnellere und effek tivere Verfahren brauchen. Wir hatten mit den kommunalen Landesverbänden bereits verabredet, dass wir nur noch Flücht linge in die Kommunen schicken, die eine Bleibeperspektive haben. Dazu ist ein weiterer massiver Ausbau von Erstaufnah meplätzen nötig. Bereits im letzten Jahr hatte ich gefordert, dass uns der Bund leerstehende und geeignete Kasernen über lässt. Das tut der Bund jetzt auch. Die Kasernen werden uns mietzinsfrei zur Verfügung gestellt. Der Bund hat mittlerwei le auch die Übernahme der Ertüchtigung angeboten. Dieses Angebot müssen und wollen wir annehmen.
In Anbetracht des täglich hohen Zugangs von Flüchtlingen – derzeit etwa 1 000 in Baden-Württemberg – können wir nicht auf kosten- und zeitintensive Neubauten warten, sondern müs sen alle leerstehenden und geeigneten Kasernen und Gebäu de nutzen.
Nochmals zur Erinnerung: In diesem Jahr kamen bereits 521 000 Flüchtlinge nach Deutschland. Allein im September waren es über 107 000 Flüchtlinge. Allein Baden-Württem berg hat im September bislang über 18 000 Flüchtlinge auf nehmen müssen.
Als Drehkreuz für die Bundesländer im Südwesten ist daher der Mannheimer Bahnhof vorgesehen. Von dort aus werden die aus München ankommenden Flüchtlinge auf die Erstauf nahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland verteilt.
Nachdem der Gemeinderat in Heidelberg zugestimmt hat, werden die zentralen und ersten Verfahrensschritte im PatrickHenry-Village gebündelt – übrigens in enger Abstimmung mit dem Gemeinderat. Ziel ist es, in 40 sogenannten Verfahrens straßen die Registrierung, ED-Behandlung und Gesundheits untersuchung möglichst innerhalb von zehn Tagen abzuschlie ßen. Wir führen bereits Testläufe durch; es läuft derzeit gut.
Auf diese Weise gewinnen wir Synergien – vor allem, wenn wir dort den Einsatz von Personal und Equipment intensivie ren. Trotzdem werden wir in jedem Regierungsbezirk in min destens einer weiteren Erstaufnahmeeinrichtung sämtliche Technik und auch Personal vorhalten.
Diese LEAs sollen sich insbesondere um die Direktzugänge kümmern. Wer sich direkt in Meßstetten meldet, wird natür lich nicht extra nach Heidelberg geschickt.