Alle tun das Möglichste, um dieser großen und stetig anwach senden Zahl gerecht zu werden. Aber wir können das nicht auf die Schnelle in den geordneten Strukturen tun, die wir sonst in Baden-Württemberg gewohnt sind. Das kann nie mand. Deshalb geht es jetzt um eines: dass man sich der Mög lichkeiten bedient, die da sind, dass man Aufnahmekapazitä ten schafft und gleichzeitig Strukturen aufbaut – die wir nicht mehr vorgefunden haben –: solche Strukturen in Europa, in Deutschland, aber natürlich auch in Baden-Württemberg, die dieser großen Herausforderung gerecht werden.
Da sind wir gut unterwegs, und da brauchen wir keinen Ver gleich zu scheuen. Deshalb sagen wir: Wir sind sicher, dass wir das schaffen, mit Zuversicht und Realismus. Zu dieser Zu versicht gehört, dass Baden-Württemberg ein wirtschaftlich starkes Land ist, und die wirtschaftliche Stärke Baden-Würt tembergs ist ungebrochen.
Zu dieser Zuversicht gehört aber auch, dass es zu unseren Grundwerten gehört, dass wir Menschen, die vor Verfolgung, Bürgerkrieg oder Krieg Schutz und Zuflucht bei uns suchen, diesen Schutz und diese Zuflucht gewähren, wie wir es auch in der gemeinsamen Resolution feststellen. Dieses Grundrecht auf Asyl ist für uns nicht verhandelbar. Wenn wir in der Flüchtlingsfrage zusammenfinden sollen, dann muss dieses Grundrecht gelten – ohne Wenn und Aber.
Dieses Bekenntnis müssen wir auch von der gesamten CDU einfordern. Denn gerade aus den Reihen der CDU-Bundes tagsabgeordneten und der CDU-Landtagsfraktion in BadenWürttemberg werden Forderungen laut, das Grundrecht zu re lativieren. Es wird der Eindruck erweckt, als könne man un sere Probleme dadurch lösen, dass man einen Deckel auf das Grundrecht machte nach dem Motto: „So viel geht, und mehr nicht.“
Dem treten wir entschieden entgegen – nicht nur, weil es in unserer Verfassung steht, sondern weil die Geschichte unse res Landes uns verpflichtet, Menschen, die Zuflucht und Schutz suchen, diesen Schutz und diese Zuflucht zu gewäh ren,
die Geschichte unserer eigenen Partei, weil viele die Schre cken des Dritten Reiches nur überstanden haben, weil sie Schutz und Zuflucht in anderen Ländern gefunden haben, aber auch die schreckliche Erinnerung, dass viele dieses Asyl nicht gefunden haben und dann der Verfolgung durch die Nazischer gen anheimgefallen sind. Deshalb gehört das Grundrecht auf Asyl zu den unverhandelbaren Werten unserer Verfassung und unserer Gesellschaft.
Den Rechtsaußenparteien ist das schnurz. Diese sind eh in ih rer dumpfen Art gegen Ausländer und gegen Fremde. Deshalb ist es unser aller Auftrag, nicht durch unbedachte oder gar ge zielte Formulierungen fremdenfeindliche Vorurteile zu bedie nen.
Ich muss Sie noch einmal ansprechen, Herr Kollege Wolf. Wer wie Sie formuliert: „Es gibt Menschen, die an unseren Wohl stand wollen“, der spaltet in Einheimische und Flüchtlinge, der unterstellt, dass unser Wohlstand durch den Zugang von Flüchtlingen gefährdet ist.
Das Gegenteil ist der Fall. Die Erfahrung aus allen Zuwande rungen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft reicher und unsere wirt schaftliche Entwicklung besser geworden sind. Das beginnt mit der Zuwanderung der Heimatvertriebenen und der Flücht linge nach dem Zweiten Weltkrieg. Das geht weiter mit der Zuwanderung der damals so genannten Gastarbeiter. Es geht weiter mit der auch derzeitigen Zuwanderung vieler Menschen aus Ländern der Europäischen Union, und es wird auch nicht anders sein, wenn die Menschen, die heute Zuflucht bei uns suchen, bei uns heimisch geworden sind. Das ist ein Gewinn für unser Land – nicht sofort, aber es ist auf Dauer ein Ge winn für unser Land und gefährdet in keinem Fall unseren Wohlstand.
Wenn Sie darüber hinaus formulieren, dass Menschen auch nach Deutschland kommen auf der Suche nach einem moder nen Schlaraffenland, dann bedient das natürlich Vorurteile, dass Flüchtlinge zu uns kommen, um sich auf unsere Kosten in einem Schlaraffenlandleben auszuruhen. Auch hier ist das Gegenteil der Fall. Alles, was wir wahrnehmen und hören, ist, dass diese Menschen hier arbeiten wollen, dass sie ihren Bei trag leisten wollen, dass sie von ihrer eigenen Arbeitskraft le ben wollen und eben nicht alimentiert und versorgt werden wollen.
Das gilt für die Bürgerkriegsflüchtlinge; es gilt allerdings auch für die Balkanflüchtlinge. Ich erinnere nur daran, dass dieje nigen, die damals, in den Neunzigerjahren, zu uns gekommen sind und dann hierbleiben durften, sich eingelebt haben und ihren wertvollen Beitrag leisten. Martin Rivoir und ich waren in Ulm bei einem Handwerksbetrieb – Kaminbau und Abgas reinigung –, und die Chefin hat sich vehement für ihre bosni schen Mitarbeiter ausgesprochen. Sie hat gesagt, wenn mal ir gendjemand kommt und sagt, sie solle keine Bosnier schicken, dann fährt sie dem über den Mund, weil das ganz, ganz wert volle Mitarbeiter sind, ohne die sie den Betrieb nicht wirklich aufrechterhalten könnte. Jedes Mal, wenn die Landschafts gärtner ihren Parlamentarischen Abend haben, kommt der Chef der Landesinnung und sagt, wie dankbar er sei und wie wertvoll sein kosovarischer Mitarbeiter sei, der einen eigen ständigen Teilbetrieb führt und ohne den er das gar nicht ma chen könnte. Also sollten wir nicht so tun, als wollten diese Menschen nicht bei uns arbeiten, sondern nur auf unsere Kos ten leben; denn das stimmt einfach nicht.
Wir gehen also mit Zuversicht an die Arbeit, aber auch mit Realismus. Dieser Realismus sagt uns, dass wir alle Anstren gungen unternehmen müssen, die stetig steigende Flüchtlings zahl zu verringern.
Das ist ein europäisches Thema; es ist eine europäische Ver antwortung, Flüchtlinge an der Schengengrenze anständig un terzubringen, sie zu erfassen und sie dann gerecht in Europa zu verteilen.
Der gestrige Beschluss der Innenministerkonferenz der euro päischen Staaten ist ein erster Schritt, sich zu verständigen und sich auf einen Verteilmechanismus zu einigen, dem na türlich noch weitere Schritte folgen müssen. Deutschland, Eu ropa und die internationale Gemeinschaft müssen einen wirk samen Beitrag in den Nachbarstaaten Syriens leisten, damit die Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon und in Libyen ein erträgliches Leben führen können. Dazu gehören die Schul bildung der Kinder, die Krankenversorgung und eine ange messene Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat, dem Oberbürgermeister und allen Bürgern der Stadt Aalen bedanken, dass sie das Thema „Beschulung der syrischen Kinder“ in ihrer Partnerstadt und dort in der Regi on voranbringen wollen. Ich bin auch dankbar, dass wir uns in einem interfraktionellen Antrag verständigt haben, im Nachtrag einen Beitrag dazu zu leisten, dass dies wirksam möglich wird. Das ist jetzt nicht etwas, was die Welt komplett verändert, aber wir leisten damit einen Beitrag als Zeichen da für, dass die internationale Gemeinschaft aufgerufen ist, end lich der Verantwortung in den Nachbarstaaten Syriens stärker gerecht zu werden.
Und wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abläu fe in der Bundesrepublik straffen. Der Bund muss die Erstun terbringung und die Erfassung an den Grenzen gewährleisten. Wir brauchen schnellere Verfahren,
damit wir das Ziel, diejenigen in die Fläche zu verteilen, die auf Dauer hierbleiben können, und dann alles zu tun, sie schnell zu integrieren, umsetzen können und damit wir dieje nigen, die aller Wahrscheinlichkeit nach kein Bleiberecht er langen, in den zentralen Unterkünften belassen können, bis das Verfahren abgewickelt ist.
Zum Realismus gehört auch, dass nicht alle, die über den Weg des Asyls nach Deutschland kommen, in Deutschland bleiben können.
Wir sind jedoch froh, dass die Bundesregierung angekündigt hat, auch für Menschen aus dem Westbalkan den Erhalt eines Arbeitsvisums zu ermöglichen, damit diejenigen, die hier ge braucht werden und einen tarifgestützten Arbeitsvertrag be kommen, auch eine Chance haben, hierherzukommen und hier eine Arbeit und ein Auskommen zu finden.
Klaus Maier und ich waren bei unserem Besuch in Ellwangen u. a. in einem großen, rapide wachsenden mittelständischen Unternehmen, wo uns der Inhaber berichtet hat, der Arbeits
markt in Ellwangen und ringsum sei leergefegt, er fahre nach Lettland und Litauen und werbe Arbeitskräfte an, die er dann vor Ort unterbringe. Warum soll jemand, der händeringend nach Arbeitskräften sucht, nicht auch die Chance haben, in Albanien, im Kosovo Arbeitskräfte zu finden und damit den Menschen eine Perspektive zu eröffnen, auf Dauer ein Aus kommen für sich und ihre Familien zu finden?
Natürlich müssen wir in den Herkunftsländern von Flüchtlin gen für bessere Lebensverhältnisse sorgen. Ich glaube, die Flüchtlingsbewegungen haben deutlich gemacht, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit in der Bundesrepublik ei nen neuen Stellenwert bekommen muss, dass man sich die Methoden der Entwicklungszusammenarbeit anschauen und vor Ort mit den NGOs und den Initiativen versuchen muss, die Lebensverhältnisse zu verbessern, damit sich weniger Menschen gezwungen sehen, sich auf den Weg zu machen.
Morgen findet die Konferenz der europäischen Regierungs chefs statt, dann die Ministerpräsidentenkonferenz, und wir sind zuversichtlich, dass wir gute Ergebnisse sehen werden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine persönliche Anmer kung machen. 1992 war mein erster Landtagswahlkampf, und der war geprägt von einer Auseinandersetzung – SPD und Grüne auf der einen Seite, CDU und FDP auf der anderen Sei te – um das Asylrecht und um die Frage, wie man mit den Bür gerkriegsflüchtlingen aus dem Balkan umgeht. Gewonnen hat in dieser Auseinandersetzung keine Seite. Gewinner waren die Republikaner, die mit einer zweistelligen Prozentzahl in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen sind.
Im Bemühen, eine Wiederholung der Geschehnisse von 1992 zu verhindern, aber auch im Bemühen, ein politisches Boll werk der demokratischen Parteien in diesem Haus gegen frem denfeindliche Brandstifter zu bilden, bin ich ein hohes politi sches Risiko eingegangen, auch ein persönliches Risiko. Ich stehe im Feuer unseres grünen Koalitionspartners, aber auch in der Kritik meiner eigenen Leute. Ich brauche das nicht zu verschweigen, es ist sowieso bekannt.
Um noch einmal klar zu sagen, worum es geht: Grüne und SPD wollen ihre erfolgreiche Regierungspolitik fortsetzen,
und dafür werden wir einen leidenschaftlichen Wahlkampf führen. CDU und FDP wollen uns die Regierungsmehrheit ab jagen,
(Abg. Klaus Herrmann CDU: Zu Recht! – Gegenruf von der SPD: Jetzt haltet doch mal die Klappe! – Weitere Zurufe – Unruhe)
was ihnen natürlich nicht gelingen wird. Mein Ziel ist es, die sen Wahlkampf im Zeichen dieser riesengroßen Herausforde
rung durch die hohen Flüchtlingszahlen so zu führen, dass nicht rechtsradikale Volksverführer davon profitieren
Unser Land in dieser schwierigen Situation zusammenzuhal ten und die Flüchtlingspolitik mit Zuversicht und Realismus anzugehen ist das Streben der grün-roten Regierungskoaliti on. Wenn sich in diesem Ziel das gesamte Parlament wieder findet, hätten wir ein wichtiges Zeichen für die gute Zukunft unseres Landes gesetzt und den geistigen und den tatsächli chen Brandstiftern in unserem Land die Stirn geboten.