Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

Diese Sorgen aufzugreifen und anzusprechen, Herr Minister präsident, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Schüren von Ängsten zu tun.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Es bedeutet schlicht und einfach, sich um die Menschen in dieser Situation zu kümmern. Das ist unsere Verantwortung, und das ist Ihre Verantwortung.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Denn Politik ist täglich im Fluss, und wenn wir nicht aufpas sen, wenn wir Mauern um das Thema bauen oder versuchen, die gesellschaftlichen Realitäten totzuschweigen, bahnt sich das Wasser seinen Weg anderswo, und dann läuft es auf die Mühlen der Parteien, die wir alle zusammen – alle zusammen! – am Ende des Tages in unseren Parlamenten nicht haben wol len.

Das gilt auch für enttäuschte Erwartungen – enttäuschte Er wartungen in Sachen Arbeitsmarkt, Einwanderung und Inte gration, enttäuschte Erwartungen in der Gesellschaft, ent täuschte Erwartungen bei den Unternehmern, enttäuschte Er wartungen selbstverständlich auch bei den Flüchtlingen selbst.

Sie, Herr Ministerpräsident, wecken große Erwartungen. Kei ne Frage: Zuwanderung ist für unseren Arbeitsmarkt eine Chance. Deutschland braucht Fachkräfte. Die Handwerker in unserem Land suchen Lehrlinge, der Mittelstand sucht Exper ten, und unser Gesundheitswesen sucht händeringend enga gierte Ärzte und Pfleger.

Gleichzeitig wollen sich viele hoch qualifizierte Flüchtlinge hier bei uns eine Existenz aufbauen. Sie wollen für sich und ihre Familie eine glückliche Zukunft schaffen, und sie tragen damit zu unserem Wohlstand und zu unserer Altersvorsorge bei.

Aber bleiben wir Realisten: Längst nicht alle, die zu uns kom men, sind gut ausgebildete Fachkräfte. Die Arbeitsmarktsitu ation wird nicht auf Dauer so rosig bleiben. Bundesministe rin Nahles hat schon für das kommende Jahr wieder steigen de Arbeitslosenzahlen angekündigt. Der Löwenanteil der Flüchtlinge kann mangels Qualifikation nicht sofort in den Ar beitsmarkt übernommen werden.

Deswegen warne ich davor, beim Thema Einwanderungsge setz vorschnell zu handeln und überzogene Erwartungen zu nähren. Denn eine Frage ist noch viel zu wenig diskutiert: Was muss ein Einwanderungsgesetz wirklich leisten? Es geht eben nicht um eine unbegrenzte Zuwanderung. Es geht darum, Ein wanderung zu steuern und in mancher Hinsicht auch spürbar zu begrenzen. Es geht um Qualität und nicht um Quantität.

Ziel eines Einwanderungsgesetzes muss daher nicht mehr Ein wanderung, sondern eine gezielt gesteuerte Einwanderung sein. Das muss die Botschaft eines solchen Gesetzes sein: ge zielte Einwanderung, aber gesteuert und reduziert, in den Ar

beitsmarkt, in die Sozialsysteme. Auf dieser Grundlage kön nen wir über ein solches Gesetz reden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Rad muss dazu nicht neu erfunden werden. Wir haben bereits ein umfassen des Zuwanderungsrecht, das viele Möglichkeiten der legalen Zuwanderung eröffnet. Hoch qualifizierte Menschen mit Be rufen, bei denen wir Fachkräfteengpässe haben, sind bei uns herzlich willkommen. Für sie bestehen ohnehin bereits viel fältige Wege, um im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Laut OECD hat Deutschland im weltweiten Vergleich bereits eines der liberalsten Systeme der legalen Einwanderung. Das Einwanderungssteuerungsgesetz muss deswegen in erster Li nie bekannte Regeln zusammenfassen, Sachverhalte verein fachen und Klarheit schaffen.

Unser Vorschlag: Migrationsberater in den deutschen Aus landsvertretungen könnten wichtige Informations- und An laufstellen für Interessierte sein. Sie sollten über berufliche Perspektiven in Deutschland informieren und genauso darü ber aufklären, wann Einwanderung eine reelle Chance hat. Damit könnte die gezielte Steuerung der legalen Einwande rung und zugleich eine Entlastung des Asylsystems erreicht werden. Bundesaußenminister Steinmeier könnte diesen ers ten Schritt relativ kurzfristig und unbürokratisch in den deut schen Botschaften umsetzen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben des Weiteren sehr viel über die Fluchtursachen gesprochen.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Ich finde das richtig und notwendig. Ja, wir müssen die Grün de, warum die Menschen ihre Heimat überhaupt verlassen, bekämpfen. Da ist in erster Linie auch der Bund gefordert; wohl wahr. Da kann, darf und muss auch noch mehr passie ren. Dann frage ich mich aber auch, warum das Land in die ser Situation die Ausgaben für die Entwicklungszusammen arbeit zurückschraubt. Nicht immer in erster Linie auf ande re zeigen, sondern zunächst die eigenen Hausaufgaben im Land selbst lösen, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bei allen bundes- und europapolitischen Facetten des Themas, die auch Sie in Ihrer Regierungserklärung in aller Ausführ lichkeit behandelt haben, sollten wir eines nicht aus den Au gen verlieren: Das Land muss handeln. Das Land BadenWürttemberg kann und muss handeln. Sie und wir sind Lan despolitiker. Die Menschen erwarten von uns konkrete Lö sungen. Sie erwarten nicht, dass man ihnen ständig erklärt, was in Berlin und Brüssel anders gemacht werden könnte. Sie erwarten zu Recht, dass wir uns um Baden-Württemberg küm mern und unserer Verantwortung gerecht werden.

Da haben wir, die CDU, einige Konzepte vorgelegt – frühzei tig, mehrfach, pragmatisch. Wir haben Schwachstellen aufge deckt und gleichzeitig Lösungsvorschläge unterbreitet. Mit unserem Konzept der Landeskompetenzzentren für Asyl und Flüchtlinge war und bleibt es unser Ziel – Herr Ministerprä

sident, auch hier können Sie noch handeln –, Zuständigkeiten zu bündeln, an einem Ort zusammenzuführen – so, wie wir es einst in den Bezirksstellen für Asyl getan haben: kurze Wege über den Gang. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verfah rensbeschleunigung. Handeln Sie! Das läge in der Zuständig keit der Landesregierung und könnte schon morgen auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben vorhin gesagt, Asylsuchende und Flüchtlinge sol len in diesen Zentren so lange bleiben, bis ihre Verfahren ab geschlossen sind. Kommt Ihnen das bekannt vor? Noch vor drei Monaten haben Sie unser Konzept beiseitegewischt. Ich weiß noch, wie Sie von der Regierungsbank aus in das Ple num gerufen haben: „Machen wir doch schon alles!“ Heute stellen Sie fest, dass genau das der richtige Weg ist: die Asyl bewerber so lange in der Erstaufnahme zu belassen, bis ab schließend entschieden werden kann, ob sie bleiben können oder eben nicht.

(Zuruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Das ist der richtige Weg. Das hätten wir gemeinsam schon frü her haben können, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bei Ihnen zeigt sich ein inzwischen bekanntes Muster. Wir wollten das Sachleistungsprinzip wiedereinführen. Sie waren dagegen und sind am Schluss umgefallen, will sagen: klüger geworden. Wir wollten mehr sichere Herkunftsländer. Sie wa ren dagegen und sind am Schluss umgefallen, also erneut klü ger geworden. Wir wollten den Kommunen mehr Spielraum bei der Unterbringung von Flüchtlingen geben. Sie waren da gegen und sind am Schluss umgefallen – zum dritten Mal klü ger geworden. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Für die ses Umfallen will ich Sie gar nicht kritisieren.

(Lachen bei den Grünen – Unruhe)

Man darf jeden Tag klüger werden. Aber ich will gern meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Sie endlich auch in ande ren Punkten klüger werden und schneller handeln, Herr Mi nisterpräsident.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Es wäre jetzt die Zeit, vorausschauend auch die nächsten Schritte anzugehen. Kollege Rülke hat es angesprochen: Wir haben von Anfang an die Verschärfungen in der Landesbau ordnung für einen Fehler gehalten. Im Land der Häuslebauer sollte man Menschen, die neuen Wohnraum schaffen, nicht dauernd gängeln und bevormunden. Diese Politik fällt Ihnen jetzt auf die Füße.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Gar nicht!)

Sie verhindert, dass Private bereit sind, Wohnraum zu schaf fen, den wir dringend bräuchten. Es interessiert sie herzlich wenig, ob vor ihrer Wohnung ausreichend Fahrradabstellplät ze vorhanden sind, und sie interessiert die Bedeutung begrün

ter Fassaden herzlich wenig. Jetzt geht es darum, pragmati sche, schnelle Lösungswege aufzuzeigen.

Wenn Sie jetzt dem Zweckentfremdungsverbot das Wort re den, dann mischen Sie sich in eine Frage ein, die eigentlich nur Mieter und Vermieter etwas angeht, nämlich die Frage, ob, wann und an wen eine Wohnung oder ein Haus vermietet werden soll. Ich finde, Politik sollte sich heraushalten, wenn es darum geht, über die eigenen vier Wände zu bestimmen. Mehr Respekt vor dem Eigentum, Herr Ministerpräsident!

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Hel mut Walter Rüeck CDU: Bravo!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben zu Recht auch davon ge sprochen, zur Integration gehöre auch, diese bewusst einzu fordern. Integration einzufordern ist richtig. Wir fordern das schon lange. Denn ohne Integrationsanforderungen entstehen Parallelgesellschaften, Parallelgesellschaften, die sich nicht an unser Grundgesetz halten, die die Autorität unseres Rechts staats und unserer Polizei nicht anerkennen und die sich ab kapseln, anstatt sich zu integrieren. Dem müssen wir zusam men, im Konsens der Demokraten, entgegentreten. Denn nur wenn klar ist, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten, dass sich alle an die „Hausordnung“ halten müssen, kann In tegration gelingen.

Herr Ministerpräsident, ich hätte mir deswegen auch Antwor ten dazu erwartet, wie Sie und Ihre Regierung das Fördern und Fordern konkret umsetzen. Wie gehen wir mit jenen um, die sich nicht einfügen wollen, und wie zeigen wir jenen die Grenzen auf, die ihre religiösen Konflikte nun auf unserem Boden austragen? Auf alle diese Fragen hätte ich mir heute von Ihnen ebenfalls eine Antwort gewünscht.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Herr Ministerpräsident, Sie sind jetzt auch gefragt – aber da rin haben Sie ja schon Übung –, die gefundenen Kompromis se gegenüber Ihrer eigenen Partei durchzusetzen, und zwar in der Form, wie die Vereinbarung getroffen worden ist.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Genau!)

Denn zwischen der reinen grünen Lehre, zwischen Ihren Ideen von unbegrenzter Einwanderung und der Realität be stehen eben doch sehr große Unterschiede. Noch vor einem Jahr haben Sie selbst gesagt: „Das Boot ist nie voll.“ Ja, wir wollen Zuflucht bieten für die Menschen, bei denen es um Le ben oder Tod geht. Deshalb müssen wir unsere Kräfte auf die jenigen konzentrieren, die unsere Hilfe wirklich brauchen. Sie und Ihre Partei haben zu oft den Eindruck erweckt, als ob Deutschland jeden aufnehmen könne und jeden aufnehmen müsse. Sie haben zu lange jeder Steuerung und vor allem je der Begrenzung der Einwanderung Ihre Zustimmung versagt. In Ihrem grünen Wahlprogramm wollten Sie sogar eine Aus weitung der Anerkennung von Asylbewerbern. Erst jetzt, an gesichts Hunderttausender Menschen, die in unser Land kom men, scheinen Sie diese Positionen zu überdenken.

Und, Herr Ministerpräsident, Sie benutzen bei diesem Räu men alter Positionen Worte, die aufhorchen lassen. Ich zitie re die „Stuttgarter Zeitung“ vom 14. August 2015 – Winfried Kretschmann –:

Wenn alle ins gelobte Land kommen, brechen in kürzes ter Zeit die Strukturen zusammen, und man erreicht das Gegenteil der integrationsfähigen Gesellschaft.

„Wenn alle ins gelobte Land kommen“ – Zustimmung, Herr Ministerpräsident. Wir dürfen unsere Gesellschaft nicht über fordern. Und wir würden sie überfordern, wenn wir auf Ideo logie statt Differenzierung setzten. Denn ohne Differenzie rung verlieren wir die Mitte der Gesellschaft.

Es ist doch Konsens: Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Gewalt fliehen, müssen wir helfen, und denen helfen wir. Wir helfen, wo wir können. Aber wir können nicht überall hel fen. Erst dann, wenn wir diese klare Botschaft gemeinsam aus senden, werden wir die aktuelle Herausforderung auch ge meinsam bewältigen. Dazu sind wir in der CDU-Fraktion aus drücklich bereit.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich der Fraktionsvorsitzenden, Frau Sitzmann, das Wort.