Protokoll der Sitzung vom 01.10.2015

Ich erinnere daran, dass es Ihr vermeintliches Verhandlungs geschick war, das uns Regeln eingebracht hat, die wir jetzt wieder ändern müssen. Sie waren für die Lockerung der Re sidenzpflicht verantwortlich, die wir jetzt zurückdrehen müs sen.

(Abg. Winfried Mack CDU: So ist es!)

Sie waren es, der auf Bargeldleistungen gepocht und Sach leistungen verteufelt hat.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sie müssen ein mal den Beschluss lesen!)

Hinsichtlich der sicheren Herkunftsländer haben Sie monate lang gepokert und taktiert und damit echte Lösungen verzö gert.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Wider spruch bei den Grünen und der SPD)

Herr Ministerpräsident, deswegen bleibt die Einschätzung richtig: Sie reagieren, aber Sie agieren zu wenig. Sie sind un verändert ein Getriebener. Das ist angesichts der Dimension

dieser großen Herausforderung zu wenig. Herr Ministerprä sident, wir erwarten entschlossenes Handeln. Das ist Ihre Auf gabe in dieser schwierigen Zeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Sie können Wunsch und Wirklichkeit nicht unterscheiden!)

Lieber Kollege Dr. Rösler, Sie dürfen sich noch zurückhal ten. Ich werde noch länger sprechen.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch mir ein wichtiges Anliegen, mich in dem Sinn, wie es auch Minister präsident Kretschmann getan hat, bei verschiedenen Partnern angesichts ihrer Beiträge zur Bewältigung dieser großen Auf gabe zu bedanken. Dabei stehen für mich die Kommunen, die Landkreise, die Städte und Gemeinden, an ganz vorderer Stel le.

Herr Ministerpräsident, mir gefällt eines nicht in Ihrer Tona lität: Sie reduzieren Landkreise, Städte und Gemeinden im mer mehr auf die Rolle der unteren Verwaltungsbehörden – die sie natürlich auch sind. Landkreise, Städte und Gemein den brauchen wir aber vor allem, wenn es darum geht, die gro ße Integrationsleistung vor Ort zu meistern. Begegnen wir un seren Kommunen auf Augenhöhe! Wir brauchen sie, um die se große Herausforderung zu meistern.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Liebe Kollegin Sitzmann, es war schon bezeichnend, dass Sie, als der Kollege Rülke Oberbürgermeister Salomon erwähnt hat, dazwischenriefen: „Ach, der schon wieder!“ Ich gebe zu, es ist lästig, wenn man immer mit Aussagen der eigenen Par teifreunde konfrontiert werden muss. Das sind aber Menschen, die in der Praxis stehen

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

und die offensichtlich wissen, dass das, was hier landespoli tisch angerichtet wird, vor Ort eben nicht funktioniert. Des halb müssen Sie die Aussagen Ihres grünen Oberbürgermeis ters Salomon ertragen, liebe Kollegin Sitzmann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Unbezahlbar ist die Leistung der vielen haupt- und ehrenamt lichen Helferinnen und Helfer. Sie geben unserem Land ein freundliches Gesicht. Sie zeigen das große Herz Baden-Würt tembergs, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen.

Unser Land kann die Herausforderungen nur meistern, wenn Tausende von Helfern beim Roten Kreuz und anderen Hilfs organisationen wie dem THW und den Feuerwehren mit an packen. Sie alle leisten derzeit Übermenschliches. Ohne die sen großen Einsatz könnte Deutschland, könnte Baden-Würt temberg die aktuelle Flüchtlingswelle gar nicht bewältigen. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Dies gilt übrigens auch für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz sind, um diese großen Herausforderungen zu meis tern. Ich möchte deshalb auch dieser tragenden Säule unseren herzlichen Dank aussprechen. Auch sie gehören zu denen, die aktuell konkret anpacken.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Lassen Sie mich diesen Dank erweitern und auch denjenigen danken, die dafür Sorge tragen, dass wir unsere rechtsstaatli che Ordnung aufrechterhalten können. Herr Ministerpräsident, auch Sie haben davon gesprochen: Es sind unsere Polizistin nen und Polizisten, die Tag für Tag für die Sicherheit der Men schen einstehen und erhebliche Mehrbelastungen schultern. In Meßstetten ist inzwischen weder die Taschengeld- noch die Essensausgabe ohne Polizeischutz bzw. ohne Sicherheits dienste möglich. Von den von Ihnen nur kurz angesprochenen Verstärkungen unserer Polizei muss in der Fläche noch mehr ankommen.

Halbherzig ist der Vorstoß der Integrationsministerin, den Freiwilligen Polizeidienst wieder zu aktivieren.

(Heiterkeit des Abg. Werner Raab CDU)

Ja, wir fordern den Freiwilligen Polizeidienst schon lange wie der ein und halten ihn für eine sinnvolle Unterstützung, für ei ne Entlastung der Profis bei Großveranstaltungen, bei Fuß ballspielen und bei Streifen in Wohngebieten. Aber für Fälle gewalttätiger Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünf ten brauchen wir nicht den Freiwilligen Polizeidienst, sondern mehr Stellen bei der Landespolizei.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Herr Seidenspinner hat bereits Alarm geschlagen und gesagt, dass die Polizei des Landes diese gigantische Herausforde rung nicht bewältigen könne. Herr Ministerpräsident, wir wer den die Helfer genauso wie unsere hauptamtlichen Kräfte überfordern, wenn aus dem derzeitigen Ausnahmezustand ein Dauerzustand wird. Diese Arbeit vor Ort verlangt Körper und Geist Enormes ab. Die Helfer sind am Limit. So wie heute kann es nicht noch monatelang weitergehen. Ansonsten lau fen wir Gefahr, dass wir auch unsere Gesellschaft überfordern.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Erklärung dankens werterweise auch Begriffe wie Stolz und Heimat gebraucht. Für einen grünen Politiker ist das durchaus bemerkenswert.

(Lachen bei den Grünen)

Wir sind stolz auf unsere Heimat.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Ja, wir sind stolz auf die Schaffenskraft, auf den Ideenreich tum und auf die Traditionen unserer Heimat. Das ist auch ein Grund, warum die Menschen Angst haben. Sie haben Angst, dass zu viele Veränderungen auf einmal auf sie einwirken könnten.

(Lachen des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, Herr Kollege Le de-Abal, wenn wir über die Ängste der Menschen reden. Ich weiß nicht, Kollege Lede-Abal, was es an dieser Stelle zu la chen gibt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ob diese Ängste gerechtfertigt sind, ist die eine Frage. Sie in jedem Fall aufzunehmen und offen anzusprechen ist die an dere.

Auf unser Land wirken enorme Belastungen. Unsere Gesell schaft wird sich wandeln. Hunderttausende Menschen, die nicht nur heute in Deutschland Schutz suchen, sondern viel leicht langfristig in Deutschland leben werden, stellen unser Land vor die größte Herausforderung in Sachen Integration, die dieses Land je gesehen hat.

Viele der Flüchtlinge, die jetzt bei uns Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen, werden viel Zeit brauchen, um sich in Deutschland zu integrieren. Verschiedenste Sprachen, teilwei se völlig fremde Kulturen und meist auch Religionen prägen diese Menschen. Die heute zu uns kommenden Menschen an unsere Gesellschaft, an unsere Werte, an Traditionen, aber auch ganz praktisch an unsere Alltagswelt heranzuführen wird Zeit, Mühe und auch Geld kosten.

Daher sollten wir für diejenigen, die wahrscheinlich für län gere Zeit in Deutschland bleiben werden, so früh wie möglich verbindliche Deutschkurse und Informationen über die deut sche Kultur und Rechtsordnung anbieten, und wir müssen vom ersten Tag an klarmachen, dass hier eine für alle gültige Rechts- und Werteordnung uneingeschränkt gilt, und zwar die unsrige.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlich keit: Das alles steht fest, das alles ist nicht verhandelbar. Je der, der hierbleiben will, muss das akzeptieren.

Wenn Integration gelingen soll, muss die gesamte Gesellschaft daran mitwirken. Doch damit jeder Einzelne Integration auch als seine Aufgabe begreift, müssen wir ihn mitnehmen und in seinen Sorgen ernst nehmen.

Politik muss die Ängste der Menschen bei uns im Land auf nehmen, sie kann sie nicht einfach ignorieren. Sie darf sie nicht totschweigen, nur weil in fünfeinhalb Monaten Land tagswahl ist. Denn es ist gerade die Aufgabe der Politik, die Sorgen ernst zu nehmen. Dazu, Herr Ministerpräsident, haben mir in Ihrer Regierungserklärung Anhaltspunkte gefehlt.

(Zurufe von den Grünen und der SPD: Was?)

Ja, die Menschen haben Sorgen. Hören Sie wenigstens jetzt zu, dann hören Sie eine der Sorgen.

Sorgen bereiten den Menschen Ankündigungen, dass ihr Ei gentum beschlagnahmt wird, um Flüchtlinge unterzubringen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr gut!)

Sorgen bereitet den Menschen die Meldung, dass einer Frau nach 23 Jahren die Wohnung gekündigt wird, um dort künf tig Flüchtlinge unterzubringen.

Diese Sorgen aufzugreifen und anzusprechen, Herr Minister präsident, hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Schüren von Ängsten zu tun.