Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deshalb habe ich angeboten, dass das Land ein unabhängiges Gutachten mit Potenzialanalysen gerade im wirtschaftlichen Bereich finanziert. Wir haben also eine sozioökonomische Un tersuchung angeboten, um eine fundierte Basis für die Ent scheidung zu haben: Was sind die Vor- und Nachteile, und was überwiegt davon?

Herr Bullinger, Sie haben gefragt, warum wir nicht auf die Kompetenzen in der Landesverwaltung zurückgreifen wür den. Selbstverständlich greifen wir auf die Kompetenzen in der Landesverwaltung zurück. Nur: Sie bezweifeln, dass un sere Einschätzungen stimmen. Sie bezweifeln, dass unsere Einschätzung stimmt, dass es durch einen Nationalpark ein ganz erhebliches touristisches Potenzial gibt. Sie bezweifeln, dass die Einschätzung unserer Naturschützer richtig ist, dass es sich auch im Hinblick auf Artenvielfalt und Naturschutz um ein ganz zentrales Projekt handelt. Genau deshalb haben wir gesagt – jetzt verstehe ich, dass dies schwierig ist, wenn man 60 Jahre lang einen anderen Politikstil gelebt hat –:

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Wir wollen die Menschen frühzeitig einbinden. Wir unterwer fen auch unsere eigene Einschätzung einer unabhängigen Be

gutachtung anhand der Fragen aus der Region. Das ist das Ver fahren, über das wir sprechen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit Ihrer Fragestellung versuchen Sie zu suggerieren, es hand le sich um ein grünes Prestigeprojekt. Ich habe den National park nicht erfunden. Erfinder der Idee, in Baden-Württemberg im Nordschwarzwald einen Nationalpark zu errichten, war ei ner meiner Vorgänger, nämlich Gerhard Weiser, der die Idee vor 20 Jahren hatte. Gerhard Weiser ist der Erfinder der Struk turpolitik für den ländlichen Raum in Baden-Württemberg.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Er hat die Struktur des Ministeriums für den ländlichen Raum entwickelt. Ich bin stolz darauf, in einem solchen Erbe zu ste hen. Er hat erkannt, dass wir Wertschöpfung in der Fläche er halten müssen, damit Baden-Württemberg in der Fläche stark bleibt. Das ist eine der großen Stärken, über die wir heute ver fügen. Dieser Gerhard Weiser hat schon vor 20 Jahren die Po tenziale eines Nationalparks erkannt.

Damals gab es eine politische Diskussion, die am Ende dazu geführt hat, dass die Kabinettsvorlage von Gerhard Weiser, ein Gutachten über die Vor- und Nachteile erstellen zu lassen, keine politische Mehrheit gefunden hatte. Ich bedaure zutiefst, dass wir dadurch 20 Jahre verloren haben. Nichtsdestotrotz ist das, was damals Ausgangspunkt der Diskussion war, heu te noch immer richtig.

Die Vereinten Nationen fordern von uns mehr Engagement für den Naturschutz. Die Vereinten Nationen fordern Groß schutzgebiete nicht nur in den Schwellenländern, sondern auch bei uns. Die Europäische Kommission fordert in ihren Strategiepapieren zur Biodiversität – also zum Erhalt der Ar tenvielfalt – mehr Engagement von uns sowie die Einrichtung von größeren zusammenhängenden Gebieten, wo sich gefähr dete Tierarten entwickeln können. Selbst die Bundesregierung – auch hierbei wiederholt sich die Frage, ob es sich um ein grünes Prestigeobjekt handelt – fordert in ihrer gültigen Bio diversitätsstrategie mehr stillgelegte Flächen in Deutschland, wo sich die Natur selbst entwickeln kann.

Genau darum geht es auf der naturschutzrechtlichen Seite die ses Projekts. Es geht darum, Arten, die im Wirtschaftswald keine Chance haben, eine Möglichkeit zu geben, in einem ver gleichsweise kleinen Areal ihre Lebensräume zu finden, und im Rahmen des Prozessschutzes die Natur sich so entwickeln zu lassen, wie sie sich entwickelt, wenn der Mensch nicht ein greift.

Ich will deutlich sagen, dass wir über 10 000 ha, also über ei ne Fläche von 10 km mal 10 km, reden.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Plus Bann wald!)

Der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord hat 375 000 ha.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Minister, gestatten Sie zwei Zwischenfragen, eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Glück und eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Blenke?

Gern.

Herr Minister Bonde, Sie wissen, dass ich in einem Großschutzgebiet wohne. Ich bin also quasi ein Stück Biosphäre und fühle mich auch sehr wohl damit.

(Oh-Rufe – Vereinzelt Beifall – Abg. Andreas Stoch SPD: Sieht das so aus?)

Ich glaube, um dieses Wohlfühlen in einem Biosphärengebiet geht es. Mittlerweile machen 29 Gemeinden freiwillig dabei mit. Der Rückhalt in der Bevölkerung ist enorm groß.

Meine Frage an Sie lautet: Warum höre ich von Ihnen so oft das Wort „Nationalpark“? Können Sie sich nicht vorstellen, dass ein Biosphärengebiet nicht eine mindestens genauso gu te Alternative wäre? Sie haben kein einziges Mal „Biosphä rengebiet“ gesagt, sondern jedes Mal „Nationalpark“. Bitte erklären Sie mir, warum Sie das von vornherein ausschließen.

Werter Kollege Glück, wir waren gemein sam auf der EUROPARC-Veranstaltung in Bad Urach, auf die Sie anspielen. Das war eine sehr gute Veranstaltung, auf der sich Vertreter der Großschutzgebiete Europas getroffen haben und bei der deutlich wurde, welche Bedeutung Großschutz gebiete haben. Dort hat übrigens die Vertreterin der Bundes regierung, die Präsidentin des BfN, Baden-Württemberg aus drücklich ermahnt, die Nationalparkdebatte voranzutreiben. Dies hat sie uns als Hausaufgabe mitgegeben.

(Zuruf von den Grünen: Hört! Hört!)

Nun zur Frage des Biosphärengebiets. In der vergangenen Le gislaturperiode hat der Karlsruher Regierungspräsident Küh ner vorgeschlagen, dies zu überprüfen. Hierzu wurde ein Ar beitskreis der Ersten Landesbeamten der Kreise eingerichtet. Diese haben einstimmig entschieden, nicht in diese Richtung weitergehen zu wollen. Sie waren der Auffassung, dass diese Diskussion nicht die Weiterentwicklung in der Region bringt, die man für richtig hält.

Das muss ich zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Wenn Sie der Auffassung sind, dass sich die Ersten Landesbeamten der Landkreise geirrt haben, dann steht es Ihnen frei, eine Dis kussion mit ihnen darüber zu führen. Ich sage Ihnen aber auch eines: Herr Kollege Bullinger, Sie haben Ihre Rede sehr ehr lich geschlossen und gesagt, um welche Wirtschaftsinteres sen es Ihnen geht.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Die Frage des Biosphärengebiets beinhaltet auch 3 % Stillle gung. Wenn Sie den Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord mit seinen 375 000 ha zum Biosphärengebiet machen, bekommen Sie zum Schluss – 3 %; Schmiedel, Taschenrechner raus! – mehr an Stilllegungsfläche heraus als die 7 500 ha beim Na tionalpark, über die wir hier reden. Insofern ist das ein ehrli cher Vorschlag – sagen Sie es ihm –, aber Ihre Freunde bei der Sägeindustrie, mit denen Sie in Bad Wildbad freudig unter wegs waren, können darüber nicht glücklich sein, weil die Auswirkungen Ihres Vorschlags beim Thema Holz eine ganz andere Dimension haben als das, was wir hier als Vorschlag

auf dem Tisch haben, nämlich aus den 17 000 ha Suchraum 10 000 ha Nationalpark mit einer Kernzone von 7 500 ha zu machen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb: Ich bin offen für andere Vorschläge. Aber es macht wenig Sinn, das in einer laufenden Diskussion zu tun, in der während des Landtagswahlkampfs drei Parteien gesagt haben, sie könnten sich vorstellen – ähnlich wie wir es im Koaliti onsvertrag geschrieben haben –, im Dialog mit der Region ei nen Nationalpark zu entwickeln. So stand es auch im Wahl programm der CDU; auch die SPD hat das vertreten. Sie ha ben es nicht vertreten; das ist ja auch legitim. Insofern führen wir jetzt diese Diskussion.

Natürlich werden wir im Rahmen des Gutachtens die Fragen klären. Die Fragen sind jetzt eingegangen, viele Fragen aus der Region, von unterschiedlichsten Institutionen. Sie liegen bei einem neutralen Moderator, der sie im Moment zusam menfasst und in den Vorschlag eines Auftragsbuches bringt. Das werden wir im Kreis des Lenkungsausschusses prüfen. Die Personen, die da mit dabei sind, habe ich genannt. Im Len kungsausschuss wird sich die Region dazu äußern, ob die Fra gen korrekt verdichtet worden sind. Dann werden wir gemein sam in eine Vergabe gehen.

Sie haben es in der Beschreibung des Lenkungskreises gese hen: Die Region ist mit mehr als einer absoluten Mehrheit ver treten, und somit ist gewahrt, dass die Region mit ihren Inte ressen am Verfahren beteiligt ist.

Das Gutachten wird übrigens nicht nach drei Monaten vorlie gen; dafür wollen wir zu viel von diesem Gutachter. Wir ha ben am Anfang die Einschätzung vertreten, dass man viel leicht sechs Monate braucht. Aufgrund der Breite dessen, was untersucht werden muss, vermuten wir inzwischen, dass wir eher über neun Monate sprechen. Dann gehen wir mit fundier ten Fakten in die Region und in den Entscheidungsprozess.

Wir haben ein Interesse daran. Ja, wir wollen den National park. Wir glauben, dass er strukturpolitisch für eine Region wichtig ist, die strukturelle Schwächen hat. Das hatte schon Gerhard Weiser beschrieben. Und das, was er damals analy siert hat, hat sich leider bis heute nicht zentral verbessert. Wir sind jedoch überzeugt, dass der Nationalpark – das funktio niert auch in 14 anderen Nationalparks bundesweit – auch bei uns eine touristische Auswirkung hat, die auch für Handel und Gewerbe einen deutlichen Strukturimpuls in die Region bringt, die diesen Impuls gut gebrauchen kann. Das stellen wir bei diesem Gutachten mit zur Disposition.

(Abg. Thomas Blenke CDU steht an einem Saalmi krofon. – Glocke der Präsidentin)

Das werden wir an dieser Stelle mit prüfen. Seien Sie sicher: Die Fragen, die darin enthalten sind, werden auch unabhän gig geprüft werden.

Dann entscheiden wir zum Schluss auf der Basis von Fakten und nicht auf der Basis von Vermutungen, Gerüchten, Schein argumenten und anderen Dingen, die da in der Welt sind.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Herr Minister, es waren zwei Zwischenfragen gewünscht.

Ich bin ein geduldiger Mensch. Vielen Dank für die Ausführungen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Minister, Sie haben zu Recht auf die Aktivitäten von ei nem Ihrer Amtsvorgänger, Gerhard Weiser, hingewiesen. Er hat ja damals diesen Dialog angestoßen. Damals hat das Vor haben immense Diskussionen vor Ort im Nordschwarzwald ausgelöst. Am Ende hat der damalige Ministerpräsident Er win Teufel in einem Brief – das war im Jahr 1992 – an die Re gion Nordschwarzwald geschrieben – ich habe den Brief vor liegen –, die Landesregierung verfolge das Projekt der Aus weisung eines Nationalparks im Nordschwarzwald nicht wei ter, weil er es noch nie erlebt habe, dass sich bei einem für das Land nicht zwingend notwendigen Projekt solch ein geschlos sener Widerstand in der Raumschaft auftut. So lautete damals die Begründung von Ministerpräsident Teufel, warum die Lan desregierung das Projekt nicht weiterverfolgt hat.

Meine Frage an Sie lautet: Wird diese Form der Politik des Dialogs und diese Form der Politik des Gehörtwerdens von Ihnen ebenfalls praktiziert werden, sollte sich eine solche Ent wicklung vor Ort im Nordschwarzwald wiederholen?

Herzlichen Dank, Herr Blenke. Wir ha ben bewusst zu einem denkbar frühen Zeitpunkt die Dinge, die ich in den Schubladen gefunden habe, der Öffentlichkeit vorgestellt, um sie zu einem Zeitpunkt einzubeziehen, zu dem noch über die Frage des Ob diskutiert werden kann. Wir wol len keinen Prozess, bei dem das endgültige Ende schon fest steht. Aber wir haben die Annahme und die Erwartung, dass die Region von einem solchen Projekt profitieren kann und profitieren wird. Insofern gehen wir mit unserer Position in den Prozess hinein.

Aber neben der Frage des Ob ist es auch eine Frage des Wie. Deshalb haben wir einen frühen Zeitpunkt gewählt, zu dem auch wirklich Gestaltungsmöglichkeiten aus diesem Prozess in die Frage einer möglichen Umsetzung einfließen können.

Ich habe bewusst die Region breit in den Prozess, den ich Ih nen geschildert habe, einbezogen. Wir führen auch einen in tensiven Diskussionsprozess in der Region. Wir haben inzwi schen über 20 Veranstaltungen, bei denen wir seitens des Mi nisteriums – zum Teil ich persönlich, oft aber auch die Fach beamtinnen und Fachbeamten aus den unterschiedlichen Be reichen – vor Ort informieren und uns der Diskussion stellen. Wir werden bis zum November, glaube ich, 40 Veranstaltun gen unterschiedlicher Art in diesem Bereich durchgeführt ha ben. Wir nehmen also die Region da wirklich ernst. Wir bit ten die Akteure in der Region, diesen Prozess auch ernst zu nehmen und gemeinsam diese Phase der Fragestellung, die wir demnächst mit der Vergabe des Gutachtens beenden, auch zu begleiten.

Wir haben bewusst gerade auch die kritischen Gruppen ein geladen, in Bad Wildbad mit uns zu diskutieren und Fragen zu stellen. Da gibt es auch ein paar Fragen, die man sofort be antworten kann. Von den 200 Leuten, die in Bad Wildbad vor

der Tür demonstriert haben, waren 100 von einem Skiklub, die gesagt haben: Ihr dürft uns das Skifahren nicht verbieten. Da muss man einfach sagen: In der Suchkulisse von 17 000 ha ist nicht ein einziger Skihang, und jede Loipe in diesem Be reich hat einen Bestandsschutz. Insofern müssen wir uns be mühen, Fehlinformationen, die im Umlauf sind, auch gemein sam aufzuklären

(Abg. Thomas Blenke CDU: Auch Skifahrer sind Menschen!)