Protokoll der Sitzung vom 28.10.2015

Das Trauma des Kollegen geht zurück auf die von Herrn Kol legen Hollenbach angesprochenen Cross-Border-Leasing-Ge schäfte. Ich will hier einmal aus einem Protokoll aus dem öf fentlichen Teil der 29. Sitzung des Gemeinderats der Stadt Pforzheim vom 17. Dezember 2002 vorlesen. Unter TOP 9 wurde das Thema „US-Leasing für die Kläranlage Pforzheim inklusive Kanalnetz und Sonderbauwerke“ behandelt.

Stadtrat Dr. Rülke verweist auf die ernste Haushaltslage, die durch die geplante Maßnahme verbessert werden kann. Er spricht sich für diesen... Schritt aus.

Es war also der Kollege Rülke, der Cross-Border-Leasing und solche Finanzgeschäfte unterstützt hat. Und jetzt wollen Sie dagegen vorgehen. Das ist doch wie der Wolf im Schafspelz. Das ist doch keine klare Politik.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir machen da nicht mit. Das können Sie gern allein machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Heiler.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – daran fühlt man sich erinnert, wenn man den Gesetzentwurf der FDP/DVP liest. Herr Dr. Goll, Ihr Versuch, vom eigentlichen Thema abzulenken, in allen Ehren. Das können Sie hier vorn machen. Es gelingt Ihnen aber natürlich nicht.

Nachdem dasselbe Thema 2012 hier x-fach diskutiert wurde, habe ich mir schon überlegt, was Sie eigentlich damit bezwe cken wollen bzw. wo die Motivation zu sehen ist. Da ist es in der Tat wichtig, einen Blick in die Geschichte zu werfen.

Pforzheim ist schon mehrfach erwähnt worden. In der FAZ vom 13. Oktober 2015 steht:

Pforzheims Ex-OB wegen Zinswetten bald vor Gericht

Die ehemalige FDP-Oberbürgermeisterin muss sich wegen Geschäften verantworten, die sie – ich zitiere – „nie hätte ab schließen dürfen“. So heißt es in der Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft bereits 2013 formuliert hat.

In der „Südwest Presse“ vom 14. Dezember 2014 ist zu lesen – ich zitiere wörtlich –:

Kommunen sind Spekulationen mit Steuergeldern nicht erlaubt. Dieses Verbot war in einem besonders spektaku lären Fall ignoriert worden, als der damalige Bürger meister von Neckarwestheim, Horst Armbrust (FDP), auf unseriöse Angebote hereingefallen ist. Dem Ort im Kreis Heilbronn, der dank der Steuern der beiden Atomkraft werke sehr reich geworden ist, hatte er zwischen 1987 und 1995 einen Schaden von umgerechnet 22 Millionen € zugefügt. Das Landgericht Stuttgart verurteilte Armbrust im Januar 1996 wegen schwerer Untreue und Urkunden fälschung zu achteinhalb Jahren Haft.

Wenn man das alles betrachtet, ist klar, was Sie mit diesem Gesetzentwurf bezwecken: Sie haben offenbar Angst, dass ir gendwann der nächste FDP-Bürgermeister vor dem Strafge richt landet.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Alles klar!)

So kommt einem dies jedenfalls vor. Auf den ersten Blick kann man das nachvollziehen. Denn in Baden-Württemberg gibt es laut Kommunalhandbuch des „Staatsanzeigers“ 13 Bürgermeister und Oberbürgermeister, die der FDP angehö ren. Das sind 1,2 %. Da muss man natürlich um jeden kämp fen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grünen)

Da ist ein Schwund relativ beachtlich. Deshalb verstehen wir das. Man will ja – Herr Dr. Bullinger, Sie schauen mich so treu an – keinen verlieren. Da haben wir Verständnis.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Die Angst ist aber unbegründet. Denn ich bin überzeugt, dass alle Oberbürgermeister, alle Kämmerer hier in Baden-Würt temberg, auch die, die der FDP angehören, zumindest inzwi schen kapiert haben, um was es geht, nämlich dass Spekula tionsgeschäfte unzulässig und streng verboten sind.

Ich will, weil es von meinen Vorrednern erwähnt wurde, noch einmal die Gemeindeprüfungsanstalt und ihren Bericht von 2008 erwähnen. Übrigens: Nach 2008 kommt gar nichts mehr; die GPA hat vor dieser Zeit öfter berichtet und dann irgend wann gedacht: „Es wird uns zu blöd, jedes Jahr darauf hinzu weisen.“ Aber 2008 war es noch der Fall. In dem Bericht von 2008 steht wörtlich:

Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei Kreditaufnahmen:...

Für Kommunen gilt striktes Spekulationsverbot. Den Kommunen sind ihrer Aufgabenstellung und dem Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechend spe kulative Finanzgeschäfte zur Erwirtschaftung separater Gewinne untersagt. Allgemein hat ein Finanzinstrument bereits dann spekulativen Charakter, wenn dessen Er tragsseite variabel und zusätzlich das Risiko eines Kapi talverlustes wahrscheinlich ist.

Kollege Hollenbach hat noch § 77 der Gemeindeordnung er wähnt.

Wenn man das alles zusammennimmt, sieht man: Jeder weiß es inzwischen. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ableh nen. Wir sehen überhaupt keinen Sinn, ein Gesetz einzufüh ren, das gar nicht notwendig ist, weil, wie gesagt, alle Verant wortlichen dies inzwischen wissen müssten. Diejenigen, die es nicht wissen wollen oder die es immer noch nicht kapiert haben, werden es auch nicht kapieren, wenn es ein Gesetz gibt.

Kurzum: Wir haben natürlich noch Zeit, es im Ausschuss nä her zu erörtern, auch das, was Sie, Herr Dr. Goll, heute hier gesagt haben. Aber wir diskutieren es in der Tat zum x-ten Mal hier im Plenum.

In der Fußballersprache würde ich sagen: Sie haben seit 2012 x-mal denselben Spielzug gemacht.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wie beim HSV!)

Ihr Vollstrecker, Torjäger Dr. Rülke, stand hier, und er ist bei jedem Spielzug ins Abseits gerannt. Jetzt hat man offensicht lich gedacht: „Wenn wir hier jetzt Herrn Dr. Goll als Ergän zungsspieler für Herrn Dr. Rülke“ – den Sie offensichtlich aus gewechselt haben – „ins Spiel bringen, ist der Spielzug bes ser.“ Aber Sie sind auch wieder ins Abseits gerannt. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Gall das Wort.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! In der Tat haben wir jetzt im Plenum, aber auch bei anderer Gelegenheit wiederholt diskutiert, ob es erforderlich ist, eine solche gesetzliche Regelung zu erlas sen, oder ob all das, was seit den bitteren Erfahrungen pas siert ist, die die eine oder andere Kommune – viele waren es nicht – in den zurückliegenden Jahren gemacht hat, nicht doch dazu geführt hat, dass nun bei allen die Erkenntnis gereift ist, die Finger von solchen Spielchen zu lassen, wie sie manche in der Tat gemacht haben.

Herr Kollege Hollenbach, ich kenne die Diskussion aus eige ner Tätigkeit im Gemeinderat – Cross-Border-Leasing-Ge schäfte bei der Bodenseewasserversorgung etc. Als es wirk lich en vogue war, darüber zu diskutieren, und man sich schnelle Gewinne erhofft hatte, habe ich zu denen gehört, die immer gegen solche Geschäfte gestimmt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Manfred Hollenbach CDU: Ich auch!)

Meine Damen und Herren, weil wir dies bei den zurücklie genden Diskussionen im Jahr 2012 zugesagt haben, bin ich der Auffassung, dass wir den Derivateerlass oder die Verwal tungsvorschrift hierzu noch diskutieren und erörtern sollten. Denn es gibt auf der kommunalen Seite schon das Bedürfnis, an der einen oder anderen Stelle doch ein bisschen mehr Klar heit zu gewinnen. Das werden wir machen. Wir haben zu Ih rem Antrag vom März dieses Jahres auch aufgeführt, dass wir dort noch im Gespräch sind. Im Gespräch sind wir deshalb, weil die Lösungen nicht so einfach zu formulieren sind, wie sie vielleicht erwartet werden, weil es eine komplizierte Ma terie ist und weil jede Einschränkung, die wir diesbezüglich vornehmen, eine erhebliche Problematik bedeuten könnte, bei spielsweise in Unternehmen der Kommunen, im Bereich der Energiewirtschaft, aber auch in anderen Teilen.

Deshalb sei es mir trotzdem gestattet, dass ich vom Grundsatz her darauf hinweise, dass es im Kern bei Ihrer heutigen Initi ative, jedenfalls nach meiner Auffassung – ich meine schon, ich habe verstanden, was Sie eigentlich bezwecken –, notwen dig ist, über die Rahmenbedingungen für die kommunale Kre ditwirtschaft zu sprechen. Diesbezüglich zeigt – deshalb ver wundert mich immer wieder, dass die Diskussion neu aufge rollt wird – das Verhalten der Städte, der Gemeinden, der Landkreise in unserem Bundesland ein völlig anderes Bild.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Es gibt völlig andere Voraussetzungen und Rahmenbedingun gen, als es beispielsweise in anderen Bundesländern der Fall ist. Deshalb ist es für mich kein Grund, zu sagen: Was Sach sen macht, müssen wir auch machen; was in Hessen überlegt wird, sollten wir auch tun.

(Beifall der Abg. Andreas Schwarz und Jürgen Filius GRÜNE – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: In Bremen ist es ohnehin egal!)

Die baden-württembergischen Kommunen sind in einer völ lig anderen Situation. Wir sind da eine Besonderheit, auf die wir durchaus zu Recht stolz sein können.

Wir haben aufgrund Ihres Antrags auch umfangreiche Daten erhoben. Diese stehen uns inzwischen zur Verfügung. Aber gerade deswegen, Herr Dr. Goll, wundere ich mich. Denn die se Information, die wir in der Stellungnahme zu diesem An trag gegeben haben, sollte eigentlich Grundlage dafür sein, von einem solchen gesetzlichen Tun und Handeln Abstand zu nehmen. Wir haben anhand der Zahlen, anhand der Zahl der Kommunen, die dort unterwegs sind, nämlich deutlich ge macht, dass keine Notwendigkeit für entsprechende gesetzge berische Maßnahmen besteht.

Wir können heute nicht nur die Kernhaushalte darstellen und diese auch mit denen der Kommunen anderer Bundesländer

vergleichen, sondern wir haben jetzt beispielsweise die Mög lichkeit, durch die amtliche Statistik Angaben zur Kenntnis zu nehmen, die neben den Kernhaushalten auch die ausgeglie derten Bereiche erfassen, die – um in der Sprache der Statis tiker zu bleiben – zum Sektor Staat gezählt werden. Ich glau be, dort ist im Prinzip die echte Baustelle – wenn es denn ei ne gibt –, die es zu bearbeiten gilt.

Ich spreche also von den sogenannten Extrahaushalten – öf fentliche Fonds, Einrichtungen von Unternehmen –, in denen der Staat die Kommunen beteiligt. Da wird deutlich, dass wir nun wirklich in einer anderen Situation sind als andere Bun desländer: Danach beliefen sich die Schulden der Kern- und der Extrahaushalte der Gemeinden und der Gemeindeverbän de in Baden-Württemberg gerade im nicht öffentlichen Be reich Ende 2014 auf sage und schreibe 670 € pro Einwohner. Nur einmal zum Vergleich: In Bayern sind dies 1 400 €, in Hessen 3 100 €, im Saarland 3 600 €. Der Bundesdurchschnitt beträgt 1 800 €. Noch einmal zur Erinnerung: In Baden-Würt temberg sind es 670 €.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: In Bremen?)

Die Fremdwährungsdarlehen der Kernhaushalte werden vom Statistischen Landesamt für Baden-Württemberg zum 31. De zember 2014, wie gesagt, mit 54 Millionen € beziffert. In Nordrhein-Westfalen – eineinhalb Mal mehr Einwohner als Baden-Württemberg – soll sich dieser Betrag ausweislich der Antwort auf eine Landtagsanfrage vom Mai dieses Jahres auf 1,4 Milliarden € belaufen.

Diese vergleichsweise – deshalb sage ich es wiederholt – gu te Position unserer Gemeinden, unserer Städte, unserer Krei se in Baden-Württemberg ist Beleg und Beispiel für eine funk tionierende Selbstverwaltung in unserem Bundesland. Ganz vorrangig ist dies Verdienst derjenigen, die auf der kommu nalen Ebene, egal, in welchem Sektor, entsprechend Verant wortung tragen. Damit will ich zum Ausdruck bringen: Die werden ihrer Verantwortung gerecht; sie haben ein großes Ver antwortungsbewusstsein in diesen Bereichen. Das unterstüt zen wir, die Landesregierung, natürlich gern. Das heißt, un sere kommunalfreundliche Haltung ermöglicht es den Kom munen, flankierend zu solch positiven Ergebnissen zu kom men, wie ich es ausgeführt habe.

Meine Damen und Herren, wir würden uns – das will ich schon sagen, Herr Professor Goll – nicht verweigern, wenn die Kommunen dies selbst für notwendig erachten würden. Jetzt will ich den Kommunen nicht unterstellen – wie Sie es gemacht haben –, dass sie nicht verstanden haben, um was es geht. Man kann sicherlich im Rahmen der Ausschussbehand lung noch einmal um eine gesonderte Stellungnahme oder zu Gesprächen bitten. Ich denke, die wissen schon, um was es geht, nämlich um einen eventuellen Eingriff in die kommu nale Selbstverwaltung. Das wollen sie ganz einfach nicht. Das heißt, sie möchten keine verbindlicheren Vorgaben haben als diejenigen, die im Moment bestehen.

Zum Thema „Spekulative Finanzgeschäfte und Fremdwäh rungsdarlehen“ will ich noch ergänzend sagen: Da gibt es nicht viel Neues. Wir haben das Thema 2012, wie ich meine, umfassend erörtert. Auch die kommunalen Landesverbände halten eine weitere Regelung nicht für sinnvoll. Sie halten sie nicht nur für nicht erforderlich, sondern auch für nicht sinn