Protokoll der Sitzung vom 28.10.2015

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Aber solange wir die Dublin-Verordnung noch praktizieren müssen, gilt für uns auch, dass die Zusammenführung von un terstützungsbedürftigen Personen wie Kindern, Geschwistern, Eltern möglich sein muss. Dies steht nämlich ebenfalls in der Dublin-Verordnung. Da geht es nicht nur um Abschottung und Abschiebung, wie das oft suggeriert wird. Familien mit Kin dern stehen für uns unter besonderem Schutz.

Aus Deutschland darf es im Rahmen des Dublin-Systems auch keine Überstellung in andere Mitgliedsstaaten geben, wo sys temische Mängel im Asylverfahren existieren.

(Beifall des Abg. Manfred Kern GRÜNE)

Humanität und Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention lassen sich nicht mit großen Gefängnissen an Grenzen errei chen. Wenn Menschen – so steht es in der Genfer Flüchtlings konvention – vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Na tionalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup pe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Heimatlands Schutz suchen, dann haben wir diese völker rechtlichen Vereinbarungen einzuhalten und in unserem Land durchzusetzen. Das ist Völkerrecht, und da sollte Deutschland nicht hintanstehen. Afghanische Flüchtlinge in dieser Zeit in ihr Heimatland oder Christen in den Iran zurückzuschicken, das ist unmenschlich und widerspricht dieser Genfer Flücht lingskonvention und ist deswegen aus unserer Sicht abzuleh nen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das BAMF hat nicht nur hier, sondern auch noch an anderer Stelle Hausaufgaben zu machen. Es hat immer noch nicht die schon vor einem Jahr von Ministerpräsident Kretschmann an gemahnten zusätzlichen Mitarbeiter eingestellt. Ich halte das für unerträglich.

(Abg. Karl Klein CDU: Wie ist das beim Land?)

300 000 unbearbeitete Asylanträge sind ein Skandal für eine deutsche Verwaltung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Beschämend ist auch, wie sich einige Staaten bei der Kürzung von Beiträgen für das Welternährungsprogramm hervortun. Deutschland und Belgien haben bis heute nicht einmal die Hälfte der Summe eingebracht, die 2015 hierfür investiert wurde. Ich denke, wir sollten den Flüchtlingslagern in Jorda nien, im Libanon und in der Türkei eine Erstversorgung er möglichen und hierfür Gelder zur Verfügung stellen und nicht Gelder für dieses Programm kürzen. Hier braucht es Solida rität von allen Europäern, auch von Deutschland.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wie wollen denn die CDU/CSU-Hardliner nun in den soge nannten Transitzonen das Grundrecht auf Asyl

(Zuruf von der CDU: Vorsicht!)

oder die Genfer Flüchtlingskonvention einhalten? Wir warten bis heute auf das Konzept von de Maizière und von Seehofer. Aber bis heute Fehlanzeige für ein konkretes Konzept.

(Abg. Werner Raab CDU: Darüber diskutieren wir morgen, Herr Kollege! – Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Das ist aber schade! – Zuruf des Abg. Alexander Salomon GRÜNE)

Das Recht auf politisches Asyl ist ein Grundrecht und ein Wert an sich, und deswegen ist es für uns nicht einschränkbar oder begrenzbar.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Also bleibt es offen für jeden!)

Die baden-württembergische Wirtschaft hat längst, Herr Zim mermann, die Chance erkannt, die in der Migration liegt. Sie müssen einmal zu Mercedes und ebm-papst gehen. Die wis sen, was sie an der Zuwanderung bei uns haben.

Wir betreiben hier eine differenzierte Flüchtlingspolitik, bei der wir alle Tasten einer Klaviatur spielen und nicht nur die zwei, die Sie spielen, Herr Reinhart, mit Abschottung und Ab schiebung.

(Widerspruch bei der CDU)

Wir betreiben hier in Baden-Württemberg eine humanitäre Flüchtlingsversorgung, und wir haben vollstes Vertrauen, dass unsere Landesregierung hier ihre Aufgabe erfüllt.

(Abg. Werner Raab CDU: Ihr seid die Gutmenschen!)

Die Europäische Union muss nun hier nachziehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Darf ich Ihre Rede in meinen Wahlprospekt aufnehmen?)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Kollegen Blättgen.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Egal, wohin Sie kommen, egal, mit wem Sie reden: Seit Monaten beherrscht ein Thema alle in dieser Nation, näm lich das Thema Flüchtlinge. Das ist kein Wunder; denn das Problem ist gewaltig, und wie gewaltig es ist, machen ganz wenige Zahlen deutlich: mehr als 14 000 Asylanträge im Sep tember, mehr als 100 000 Flüchtlinge in diesem Jahr, und die se Zahlen beziehen sich einzig und allein auf Baden-Württem berg.

Eine solche Krise kann nicht durch nationale Alleingänge ge löst werden. Vielmehr können wir nur durch enge Kooperati on mit unseren Partnern in Europa und im Nahen Osten zu ei ner Lösung kommen.

Am letzten Wochenende haben sich die Regierungschefs der unmittelbar von der Balkanroute betroffenen Staaten in Brüs sel getroffen – endlich, möchte man an dieser Stelle sagen; denn es war lange überfällig –, und sie haben ein 17-PunkteProgramm erstellt.

Ein ganz wesentlicher Punkt in diesem Programm ist aus un serer Sicht das Bekenntnis zu einer engeren Kooperation und Konsultation der Staatschefs untereinander. Wenn man das ernst nimmt, dann ist die Folge daraus – so ist es auch formu liert –, dass eine Politik, die die Flüchtlinge ohne Rückspra che über die Grenze durchwinkt, nicht akzeptabel ist und des wegen auch nicht mehr praktiziert werden soll.

Dem müssen jetzt – wir haben es eben mehrfach gehört, und ich denke, das ist auch Konsens – auch entsprechende Taten folgen. Wenn man das letzte Wochenende vor Augen hat, dann kommen da erste Zweifel auf, weil sich das anscheinend noch nicht bis in jeden Staat herumgesprochen hat, dass das jetzt umgesetzt werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU)

Eine Vielzahl weiterer Maßnahmen wurden verabredet; wir haben sie eben gehört. Auch hier gilt: Die Verabredung ist das eine, das Umsetzen dieser Verabredung das andere, und dar an wird die EU mit Sicherheit gemessen.

Für uns sind die wichtigsten Ergebnisse des Gipfels zusam mengefasst die zwei folgenden: Erstens arbeitet die Bundes regierung mit den Balkanländern intensiv an einer konstruk tiven Lösung, um das Problem in den Griff zu bekommen, und – ganz wesentlich in diesem Zusammenhang – angesichts des humanitären Elends hat auch die EU den dringenden Hand lungsbedarf endlich erkannt und konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht.

Dass nun gehandelt wird, meine Damen und Herren, ist si cherlich ein Fortschritt. Ein Wermutstropfen: Ungarn sieht sich weiterhin nur in der Beobachterrolle, und die Türkei war leider gar nicht dabei. Aber immerhin: Ein Anfang ist ge macht.

Meine Damen und Herren, die EU ist eine Solidargemein schaft;

(Zuruf: Sollte es sein!)

das haben wir heute schon mehrfach gehört. Aus meiner Sicht ist das auch gut so. Aber das gilt natürlich nicht nur, wenn es um die Verteilung von Fördergeldern geht, sondern insbeson dere dann, wenn es – wie jetzt – um die Aufnahme von Flücht lingen geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch und Arnulf Freiherr von Eyb CDU)

Hier zeigt das Solidarprinzip leider erstaunliche Lücken. Des halb erwarten wir von der EU Regelungen, die eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge sicherstellen. Wenn das nicht ge lingt, wenn es da keinen Konsens gibt, dann, meine ich, soll ten die Geldströme künftig den Flüchtlingsströmen folgen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ni kolaus Tschenk GRÜNE)

Nur zu, ich höre es gern.

Das heißt, die Staaten, die viele Flüchtlinge aufnehmen, sol len auch entsprechend EU-Mittel erhalten und andersherum dann genauso. Ich denke, wenn es an den Geldbeutel geht, dann wird jeder irgendwo nachdenklich – ein probates Mittel.

(Zuruf von der CDU: Das wäre schön! Aber es wird nicht funktionieren! – Weitere Zurufe von der CDU)

In diesem Zusammenhang gehören natürlich auch die Stan dards der Unterbringung und Versorgung EU-weit überprüft und angepasst. Es kann nicht sein, dass die Standards in dem einen Land deutlich besser sind als in einem anderen Land. Das muss auf ein Niveau nivelliert werden.

Mit all diesen Maßnahmen bekämpfen wir allerdings nur die Auswirkungen dieser Flüchtlingsflut. Eine dauerhafte Lösung kommt aber nur dann zustande, wenn wir die Ursachen nach haltig bekämpfen. Dazu müssen wir in die Herkunftsländer. Auch hier gibt es erste Ansätze, die ausgebaut werden müs

sen und die mit Sicherheit, bevor sie Wirkung zeigen, auch ei nige Zeit brauchen werden, um sich da entfalten zu können. Aber es ist wichtig, dass auch in den Herkunftsländern Maß nahmen ergriffen werden, und auch hier ist die EU wesentlich gefordert.

Ob schließlich die Selfies der Kanzlerin die Ursache für den Flüchtlingsstrom sind, wie Herr Kollege Rülke das behauptet hat, bleibt zumindest einmal fraglich.