Protokoll der Sitzung vom 28.10.2015

Es geht tatsächlich nur um eine akute Notfallversorgung von Flüchtlingen. Es geht nicht darum, dass der Leistungsumfang erweitert wird und damit auch die Kosten für normale Versi cherte steigen. Denn wie Sie wissen, werden die Kosten im mer auf die Versicherten umverteilt. Um einen Kostenanstieg zu verhindern, müssen wir Sorge dafür tragen, dass der Leis tungsumfang nicht erweitert wird. Das müssen wir sicherstel len.

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Hinderer das Wort.

Frau Ministerin, können Sie ei ne Einschätzung abgeben, wie die wichtigen Partner im Ge sundheitssystem, beispielsweise die Kassen oder auch die Kassenärztliche Vereinigung, die Einführung einer Gesund heitskarte bewerten?

Die erforderlichen Akteure haben sich in dieser Frage bislang sehr kooperativ gezeigt. Die Gespräche werden seit geraumer Zeit mit den Be teiligten geführt. Dazu gehören natürlich die Kassen, die AOK, aber auch das zuständige Sozialministerium sowie die Mitarbeiter der Abteilung 2 meines Hauses mit dem Abtei lungsleiter Herrn Pampel, die das Asylbewerberleistungsge setz und das Flüchtlingsaufnahmegesetz in Einklang bringen müssen. Alle arbeiten sehr konstruktiv an einer guten Lösung.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Mack.

Frau Ministerin, heute erschien in den Stuttgarter Zeitungen ein Bericht zu den Vorgängen in der Notunterkunft auf der Messe Stuttgart. Darin wird u. a. von Verantwortlichen darauf hingewiesen, dass die dortigen Rivalitäten und die Tatsache, dass viele aus diesen Notunter künften einfach weglaufen und verschwinden, damit zusam menhängen, dass in den Notunterkünften in Baden-Württem berg kein Verfahren stattfindet.

Deshalb möchte ich von Ihnen wissen, wie viele Notunter kunftsplätze Sie im Moment haben, wie viele Plätze Sie im Moment in regulären LEAs haben und wie viele Asylbewer ber Sie pro Tag durch den Verfahrensweg, also von der Regis trierung und Gesundheitsuntersuchung bis zur Asylantragstel lung, schleusen können. Wie viele Asylbewerber können Sie pro Tag durch die vorhandenen LEA-Kapazitäten schleusen, und wie lange würden Sie brauchen, um allein die Rückstän de, die Sie in den letzten Monaten aufgebaut haben, abzuar beiten?

(Zuruf von den Grünen: Nicht wir! Der Bund!)

Ich antworte gern auf Ihre Fragen. – Wir hören auch von rivalisierenden Grup pen, doch man muss sich das im Einzelfall anschauen. Die Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen fanden bislang nicht immer notwendigerweise aufgrund der Ethnie oder der Religion statt, sondern manchmal beispielsweise dann, wenn Flüchtlinge bei der Essensausgabe versuchten, sich vorzudrän

geln. Sie können sich vorstellen, dass es auch bei Deutschen Unmut hervorruft, wenn man in größeren Einrichtungen, in denen 2 000 bis 3 000 Menschen untergebracht sind, in einer Schlange für Essen anstehen muss. Wenn man etwa eine Stun de für das Essen anstehen muss, dann können Aggressionen auftreten. Das hat aber nichts mit rivalisierenden Gruppen, sondern mit persönlichem Fehlverhalten zu tun.

(Abg. Winfried Mack CDU: Danach habe ich gar nicht gefragt!)

Insofern ist es wichtig, dass man trotzdem Sozialarbeiter und auch Security vor Ort hat, um Ordnung zu schaffen und sol che Missstände oder Vorgänge adäquat zu lösen.

Wir haben im Moment etwa 40 000 Menschen in der Erstauf nahme, darunter etwa 30 000 Menschen in von uns geschaf fenen Erstaufnahmeeinrichtungen. Wir unterscheiden mittler weile gar nicht mehr zwischen LEA und BEA, weil in der Be völkerung die Unterscheidung gar nicht stattfindet. Für die Menschen, die mit Flüchtlingen in der Erstaufnahme konfron tiert sind, sind es eben Flüchtlinge in einer Aufnahmeeinrich tung des Landes. Aber Sie haben recht: Wir müssen die Erst aufnahmekapazitäten, die regulären Landeserstaufnahmeein richtungen weiter ausbauen, weil die Flüchtlingsströme nicht abreißen. Wir haben im Moment wieder steigende Zahlen.

Ich war gestern in München und in Freilassing und habe mir angeschaut, wie die Flüchtlinge von Österreich über die Gren ze nach Deutschland kommen. Ich kann sagen, dass das auf deutscher Seite sehr geordnet passiert. Von Chaos kann zu mindest auf deutscher Seite nicht die Rede sein. Aber die Zah len sind weiterhin hoch. Deshalb gibt es einige Verstimmun gen zwischen der Bundesregierung und der österreichischen Regierung. Das muss aber auf der Ebene der Bundesregierun gen geklärt werden, damit auch die Bundesrepublik weiß, mit wie vielen Flüchtlingen am Tag sie rechnen muss. Wenn die österreichischen Kollegen die Flüchtlinge an der Grenze ab setzen und sie zu uns kommen, ist es für uns schwierig, wenn wir nicht abschätzen können, wie viele Flüchtlinge es sind.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: An der grünen Gren ze werden sie abgesetzt, Frau Ministerin!)

Nein, mir wurde berichtet, dass es etwa sechs Grenzüber gänge gibt, und dort vor Ort ist Bundespolizei anwesend. Es ist ein sehr geordnetes Verfahren. Heute früh war von Tran sitzonen die Rede. Das, was ich in Freilassing gestern gese hen habe, ähnelte bereits dem, was unter dem Namen „Tran sitzone“ wahrscheinlich eingerichtet werden soll. Es wird be reits praktiziert. Die Flüchtlinge werden durch Zelte ge schleust, und die Bundespolizei kontrolliert sie auf Waffen oder auf gefährliche Gegenstände. Die Flüchtlinge müssen ih re Fingerabdrücke hinterlassen, die dort nicht gespeichert, aber in einem System abgeglichen werden. So ist es der Bun despolizei auch möglich, Straftäter schon im Vorfeld abzufan gen und sie nicht ins Asylsystem zu leiten. Ich finde, das ist ein sehr sinnvolles System.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Was dort auch passiert, ist, dass Flüchtlinge auf Krankheiten zumindest in Augenschein genommen und dann gegebenen falls getrennt werden. Auch Flüchtlinge, die keine berechtig

ten Asylgründe vortragen, wurden gestern in Freilassing in ei nem getrennten Bereich untergebracht und eben nicht dem Asylsystem zugeführt. Das finde ich sehr sinnvoll.

Herr Mack, habe ich auf Ihre Frage geantwortet?

(Abg. Winfried Mack CDU: Wie viele pro Tag kön nen Sie durchschleusen bis zur Asylantragstellung?)

Das ist sehr unterschiedlich. Sie wissen, dass wir in Heidel berg ein zentrales Registrierungszentrum geschaffen haben, das bundesweit einzigartig ist. Und weil es bundesweit ein zigartig ist, hat letzte Woche Bundesinnenminister de Maizière zusammen mit meinem Kollegen Gall und mir die Ein richtung in Heidelberg besucht. Es ist ein sehr gutes Verfah ren, weil nämlich in sogenannten Verfahrensstraßen die ge samte Kompetenz zusammengeführt wird und durch vermehr tes Personal eben schnellere Verfahren stattfinden können. Sehr hilfreich ist der Einsatz von Bundeswehrsoldaten. Ohne die Bundeswehrsoldaten würde es deutlich länger dauern.

(Abg. Winfried Mack CDU: Wie viele insgesamt? Nicht nur in Heidelberg, sondern insgesamt!)

Herr Schröder rechnet damit, dass es, wenn es gut läuft und alle Straßen mit dem Personal besetzt werden können, wie wir es geplant haben, am Tag 600 sein müssten. Im Moment lie gen wir darunter, weil die Verfahrensstraßen noch nicht aus gebaut wurden. Wir warten weiterhin auf das Personal des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Sie wissen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die einzige Stel le ist, die die Anträge entgegennehmen und bearbeiten darf. Das ist das eine.

Das andere ist, dass wir natürlich versuchen, die Rückstände – wir vermuten, es sind etwa 15 000 nicht registrierte Flücht linge – so schnell wie möglich zu bearbeiten und die Flücht linge zu registrieren, indem sie nach Heidelberg gefahren wer den und dort in einem Schnellverfahren diese Schritte durch laufen.

Ich kann Ihnen aber auch eine erfreuliche Nachricht mittei len. In Meßstetten sind derzeit mehr als 3 000 Menschen un tergebracht, und jeder Einzelne ist bereits registriert. Wir ver suchen, die Rückstände aufzuarbeiten – das gelingt auch gut durch das zentrale Registrierungszentrum in Heidelberg –, aber es gibt noch Rückstände, und die müssen wir schnell auf arbeiten.

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Mielich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Frau Ministerin! Wenn es um die Betreuung der Flüchtlinge geht, ist ja bekannt, dass der Markt an Sozialarbeitern kom plett leergefegt ist. Es ist von Ihrer Seite auch gesagt worden, dass es enorm wichtig ist, dass Sozialarbeiterinnen und Sozi alarbeiter in den Einrichtungen sind. Gibt es von Ihrer Seite z. B. eine Initiative in Form einer Weiterbildung, um Men schen zu qualifizieren, die Sozialbetreuung zu übernehmen?

Da ich nur das In tegrationsministerium vertrete und nicht das Wissenschafts ministerium und auch nicht das Kultusministerium, habe ich selbst dazu keinen Plan. Wir haben aber mit den Wohlfahrts

verbänden gesprochen und auch mit den Städten, die bereit sind, ihre Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen. Das machen die Städte auch. In Mannheim, wo derzeit 11 000 Flüchtlinge in der Erstaufnahme untergebracht werden, arbeiten bereits Mitarbeiter der Stadt Mannheim. Das ist in anderen Städten auch so, auch in Heidelberg, soweit ich weiß. Ansonsten ver suchen die Wohlfahrtsverbände, Caritas, Diakonie, aber auch das Deutsche Rote Kreuz, die Zahl der Sozialarbeiter aufzu stocken. Wir haben die Mittel dafür bereits vor längerer Zeit bewilligt, aber es ist in der Tat nicht so einfach, Sozialarbei ter zu finden. Gerade im ländlichen Raum ist es schwieriger, weil dort offenbar der Markt leergefegt ist. Denn auch die Städte sind auf Sozialarbeiter angewiesen und müssen Sozi alarbeiter einsetzen.

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Blenke das Wort.

Frau Ministerin, es wird voraus sichtlich aus den LEAs heraus Rückführungen geben, wenn die Konzeption greift, dass für die Menschen aus den siche ren Herkunftsstaaten die Verfahren dort abgewickelt werden. Wie bereitet sich Ihr Ministerium auf diese dann anstehenden Rückführungen aus den LEAs heraus vor?

Herr Blenke, da Sie Mitglied im Innenausschuss sind, wissen Sie, dass die Ab schiebungen in den Zuständigkeitsbereich des Innenministe riums fallen. Der Innenminister hat letzte Woche ein neues Verfahren angekündigt. Das wollte er Ihnen vorstellen. Ich kenne das geplante Verfahren noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass Sie als Mitglied des Innenausschusses wahrschein lich als einer der ersten Abgeordneten Kenntnis davon bekom men werden

(Abg. Winfried Mack CDU: Bei dieser Regierung weiß die eine Hand nicht, was die andere tut!)

und Sie dann genug Möglichkeiten haben, sich mit Ideen, mit Kritik oder auch mit Verbesserungsvorschlägen einzubringen. Das Integrationsministerium befasst sich in erster Linie mit Integrationsaufgaben und Integrationsleistungen, die wir er bringen müssen. Mit Abschiebungen sind wir weniger befasst.

Nachdem beschlossen wurde, dass die Menschen aus den si cheren Herkunftsländern länger in der Erstaufnahme bleiben und nicht mehr in die Kommunen geschickt werden, gab es Vermutungen, dass bestimmte LEAs als Abschiebeeinrichtun gen fungieren sollen. Das ist so nicht geplant. Aber Sie kön nen davon ausgehen: Wenn sich die Zahl derer in den LEAs staut, die aufgrund von rechtlichen Hindernissen oder huma nitären Hindernissen nicht abgeschoben werden können, dann werden in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen auch eine gewisse Zahl von Menschen sein, die ausreisepflichtig sind.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Lede Abal.

Frau Vorsitzen de!

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Vorsitzende?)

Frau Ministerin, Sie haben gerade noch einmal das Verteil zentrum in Heidelberg angesprochen. Vergangene Woche hat der Bundesinnenminister mit dem Landesinnenminister das neue Verteilzentrum in Heidelberg besucht. Wie beurteilen Sie denn den gegenwärtigen Stand des Ausbaus, und wie beurtei len Sie die Funktionsfähigkeit der Einrichtung in Heidelberg?

Die Funktionsfä higkeit der Einrichtung in Heidelberg ist gut. Sie könnte bes ser sein, wenn es genug Personal gäbe, wie es vorgesehen und geplant war. Da sind wir aber auch auf die Zuweisungen des Bundes angewiesen. Wir rechnen damit, dass der Bund uns möglichst schnell BAMF-Personal zur Verfügung stellt. Wir wollten ja gern 40 Verfahrensstraßen einrichten. Derzeit sind es etwa 20. Wir liegen also bei der Hälfte. Wenn wir aber die Kapazitäten an das anpassen können, was als Zielvorgabe vor gesehen war, dann sollten die Schritte noch sehr viel effekti ver laufen.

In jedem Fall ist das ein gutes Modellprojekt. Der Bundesin nenminister sprach deshalb davon, dass es ein Modellprojekt für andere Bundesländer sein könnte.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Lasotta.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Gesundheitskarte zurückkommen und Ihrer da zu getroffenen Äußerung widersprechen. Denn egal, ob es ei ne Gesundheitskarte gibt oder nicht, wird eine schwangere Frau mit Wehen natürlich versorgt. Das hat überhaupt nichts mit einer Gesundheitskarte zu tun. Das ist ein Notfall. Da greift außerhalb dieses Systems unsere Versorgung. Insofern wäre es schon gut, beim Punkt zu bleiben.

Was mich besonders interessiert, ist die Abgrenzung zum Bud get der Ärzte. Wie soll das tatsächlich gelingen, wenn das au ßerhalb der Budgetierung läuft? Auch zu den Verwaltungs kosten, die bei den Krankenkassen entstehen, hatten Sie nichts gesagt.

Zur Unterbringung: Können Sie das überhaupt gewährleisten, was jetzt zwischen Bund und Ländern beschlossen wurde, nämlich dass die Personen mit einer schlechten Bleibepers pektive tatsächlich in den Erstaufnahmestellen bleiben und von dort zurückgeführt werden? Bei den Zahlen, die wir zur Verfügung haben, sehe ich nicht, dass dieses Ziel überhaupt erreicht werden kann.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Im Moment ist es schwierig. Das Maßnahmenpaket, das der Bund beschlossen hat, ist erst am Wochenende in Kraft getreten. Das heißt, wir müssen jetzt abwarten und schauen, wie sich diese Maßnah men entwickeln, wie sich die Ausweitung der Zahl der siche ren Herkunftsländer auf die Flüchtlingszahlen auswirkt. Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich sagen, dass ich davon gerade nicht viel bemerke. Das heißt, prozentual hat der Anteil derer, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, zwar abgenom men; das liegt aber daran, dass die Zahl derer, die aus den Kriegsgebieten kommen, eben stark gestiegen ist.

Nehmen wir einmal an, der Anteil der Personen aus sicheren Herkunftsländern betrüge nur noch 15 % und nicht mehr 30

oder 40 %, wie dies vor einigen Monaten noch der Fall war. Vor dem Hintergrund, dass es sich wahrscheinlich um über 118 000 Flüchtlinge handelt, die wir bislang aufgenommen haben, sind 15 % immer noch sehr viel.