Protokoll der Sitzung vom 25.11.2015

Es ist eine Reform der langen Wege, der Reibungsverluste. Wer heute eine Reform durchführt, macht normalerweise ei ne Reform der kurzen Wege, doch das ist eine Reform der lan gen Wege. Es wird alles umständlicher: mehr Zeit auf der Stra ße, mehr Zeit für Abstimmungen und Kommunikation.

Selbst die Vorzeigeprojekte, die uns lange angepriesen wor den sind, wie der Kriminaldauerdienst und die Unfallaufnah me, sind zu Recht heftig in die Kritik geraten.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es! – Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Das ist die Lage. Die Polizei ist also auf der einen Seite noch mit sich selbst beschäftigt, mit den Folgen einer verfehlten Reform. Auf der anderen Seite steht sie vor gewaltigen Her ausforderungen. Ich nenne nur die Überschriften: Flüchtlinge und islamistischer Terror. Wenn ich die hintereinander nenne, sage ich auch: Die darf man nicht ineinanderrühren, aber es gibt natürlich Überschneidungsbereiche, die man sehen muss.

Zumindest einer muss angesprochen werden, weil er für die Sicherheitslage natürlich relevant ist. Wir entnehmen den Zah len der Landesregierung – die Zahlen dürften sicherlich nicht übertrieben sein –, dass von den Flüchtlingen ein Fünftel spur los verschwindet. Wir wissen nicht, wo sie sind. Wir wissen nicht, wer sie sind.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Im Rems-Murr-Kreis hätten im letzten Jahr 260 Asylbewer ber abgeschoben werden sollen. Von diesen 260 sind 100 spur los verschwunden. Wir wissen von einigen vielleicht wenigs tens, wer sie sind. Wir wissen jedoch nicht, wo sie sind. Die meisten sind noch nicht einmal erfasst. Man muss sehen, dass wir dadurch eine gewaltige Sicherheitslücke bekommen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Führen wir uns einmal die Dimensionen vor Augen: Die Bun desregierung rechnet damit, dass bis 2016 um die zehn Milli onen Menschen zusätzlich zu uns kommen. Diese Zahlen sind sicherlich nicht übertrieben; das können sogar noch mehr Menschen werden.

Meine Damen und Herren, bei dieser Zahl muss jedem zu nächst einmal klar werden, dass es ohne irgendeine Maßnah me zur Begrenzung nicht geht, um die Aufgaben der Zukunft zu lösen. Es muss auch jedem klar sein, dass die Bundesrepu blik unter diesen Umständen ein Dorado für illegale Einwan derung wird – und das in einer Zeit terroristischer Bedrohung.

Manche erinnert es an die RAF. Aber es gibt einen Unter schied zur RAF. Die Angehörigen der RAF wurden zwar auch in Palästina ausgebildet, aber die Palästinenser haben sie da mals eher für Exoten, für eine originelle versprengte Truppe gehalten. Heute ist es so, dass wir den verlängerten Arm des islamistischen Terrors mitten in Europa haben, und zwar mit unendlichen Nachschubmöglichkeiten. Das ist eine gewalti ge Herausforderung – gerade auch für die Polizei.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

In dieser Zeit kann es schlicht und einfach nur darum gehen, die Sicherheitsorgane – Polizei, Verfassungsschutz – gewal tig aufzustocken. Der Bund stockt den Verfassungsschutz um 500 Stellen auf. Was macht das Land? Der Verfassungsschutz im Land schrumpft weiter. Es ist zwar von Antiterrorpaketen die Rede. Aber das heißt auf Deutsch: Ohne die Pakete wäre die Schrumpfung stark, aber auch mit den Paketen wird der Verfassungsschutz bei uns – man glaubt es nicht – immer noch von Jahr zu Jahr kleiner. Er hat im Laufe der Zeit immer we niger Stellen statt mehr.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das ist die Wahr heit!)

Das ist die Wahrheit.

Zur Aufstockung des Personals bei der Polizei: Lieber Herr Sakellariou, Sie hätten auch sagen können, dass Sie ab 2011 zunächst einmal einen Stellenzuwachs geschenkt bekommen haben, nämlich den, den wir 2008 beschlossen hatten. Denn Sie wissen auch: Der Beschluss greift zeitversetzt nach drei Jahren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Sie hatten also schon einmal einen ordentlichen Anfang. Da rauf muss aufgesetzt werden. Von uns sind 1 000 und von der CDU 1 500 zusätzliche Stellen gefordert worden. Sie halten uns entgegen, die Einstellungen könnte man wegen der Aus bildungskapazitäten gar nicht bewältigen. Da kann ich Ihnen nur zurufen: Es ist natürlich besonders intelligent, in dieser

Situation drei von fünf Ausbildungsstätten im Land zu schlie ßen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Ministers Reinhold Gall)

Dann ist es schlecht zu schaffen, die erforderliche Zahl von jungen Beamten auszubilden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie junge Leute für den Po lizeiberuf gewinnen wollen, bekommen Sie die nicht, wenn sie 150 km bis zur Ausbildungsstätte fahren müssen. Sie schaf fen das übrigens auch dann nicht gut, wenn Sie sie schlecht bezahlen. Deswegen werden wir heute im Laufe des Tages wieder fordern, die Absenkung der Eingangsbesoldung sofort rückgängig zu machen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig! Jawohl!)

Meine Damen und Herren, es wird auf die Polizei ankommen, es wird auch auf anderes ankommen. Es wird natürlich auch auf Integration ankommen. In Frankreich ist es deswegen so gelaufen, weil die jungen Leute keine Perspektive haben. Wir müssen also auch gewaltige Anstrengungen im Bereich der Ausbildung, im Bereich der Schule unternehmen. Hier sind jetzt Taten gefragt, um die Sicherheitslage im Land in einem ordentlichen Zustand zu erhalten.

Ich habe den dringenden Verdacht, dass diese Landesregie rung zwar in Worten stark ist, aber in Taten nur dann, wenn man sie lange genug dazu drängt.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Innenminister Gall das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! In diesem Jahr haben in Paris bei zwei Anschlägen 147 Menschen ihr Leben verloren. Es waren allesamt unschuldige Menschen – Frauen, Männer, Jugendliche –, die nichts, aber auch gar nichts mit den Prob lemen, mit den politischen Schwierigkeiten im Mittleren und Nahen Osten, mit den Konflikten der Regime und zwischen Religionen zu tun hatten. Es war – da sind wir uns bei der De batte in der letzten Woche einig gewesen; der Spur nach je denfalls kann ich das auch heute erkennen – ein barbarischer Akt blindwütiger Terroristen mit dem Ziel, das Vertrauen in die staatlichen Institutionen und in die Gewährleistung der Si cherheit durch die Institutionen sowohl in Frankreich als auch bei uns im Land zu unterhöhlen.

Diesem Ziel, meine Damen und Herren, sollten wir nicht auf den Leim gehen. Das wird jetzt gelegentlich – – Das spürt man schon auch zwischen den Tönen, die geäußert werden, insbe sondere bei Ihnen, Herr Professor Goll.

Die Terroristen wollen den Terror aus den Kriegsgebieten in unsere Heimat tragen. Sie wollen, dass unser Alltag beein trächtigt wird, dass wir Angst haben, dass die Menschen Angst um ihre Kinder haben – ich höre, dass Klassenfahrten nach Berlin abgesagt werden – und beispielsweise auch Angst da vor haben, in ein Fußballstadion zu gehen.

Ich will aber ausdrücklich noch einmal in Erinnerung rufen: Wir sollten auch all die Opfer der vorangegangenen Anschlä ge nicht vergessen. Auch die müssen in Erinnerung bleiben.

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, das wird den Terroris ten nicht gelingen. Aber es ist wahr: Wir leben in Zeiten einer angespannten Sicherheitslage. Es ist wahr: Auch Deutschland war und ist Ziel von Anschlägen extremistischer Islamisten und extremer Gruppierungen, und dies voraussichtlich noch über einen längeren Zeitraum.

Es ist wahr – auch das sollten wir den Menschen immer wie der sagen –: Es ist uns bislang, gerade auch in Baden-Würt temberg, gelungen, Anschläge – manchmal auch nur knapp – zu vereiteln, und manchmal hat uns auch ein Quäntchen Glück dabei geholfen.

Aber Deutschland und demzufolge auch Baden-Württemberg sehen sich nicht zum ersten Mal terroristischen Bedrohungen ausgesetzt. Vorgestern haben wir einem großen Staatsmann, dessen Kanzlerschaft auch von Zeiten des Terrors geprägt ge wesen ist, durch einen Staatsakt die letzte Ehre erwiesen.

Ich bin davon überzeugt, dass man aus geschichtlichen Kon texten für heutiges politisches Handeln auch lernen kann. Aus dem, was ich damals selbst wahrnehmen konnte und mir spä ter natürlich auch erlesen habe, schließe ich: Das, was wir mit nehmen können, ist die Haltung, die damals von den politisch Verantwortlichen, von den politisch handelnden Personen in der Regierung und in der Opposition gezeigt wurde.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Aber auch Entschei dungen!)

Parteienstreit hatte damals keinen Platz in der öffentlichen Diskussion, gerade nicht bei diesem Thema. Es gab kein Über bieten an Konzepten. Vielmehr gab es eine breite politische Gemeinsamkeit, eine breite politische Unterstützung für die Arbeit der Männer und der Frauen, die in unserem Land für innere Sicherheit geradezustehen haben.

Deshalb ist es in diesen Zeiten wirklich, wenn man so will, die Stunde der Exekutive. Es ist aber auch die Stunde all de rer, die bereit sind, mit in diese Verantwortungsgemeinschaft zu gehen. Das gilt für den Bund, und das gilt natürlich auch in unserem Bundesland.

Worauf es ankommt, meine Damen und Herren, ist, dass es für alle, die dafür Verantwortung tragen, einen Rückhalt der Demokraten gibt, einen Rückhalt der gesellschaftlichen Kräf te. Denn es ist wahr: Es gilt fast täglich schwierige, manch mal auch schon weitreichende Entscheidungen zu treffen.

Deshalb will ich an dieser Stelle auch sagen: Ich habe großen Respekt vor Boris Pistorius, vor Lothar de Maizière und den Verantwortlichen der Sicherheitsinstitutionen, die das Spiel unserer Nationalmannschaft am Dienstag letzter Woche ab gesagt haben. Beide wussten in ihrer politischen Verantwor tung, was ihnen anschließend medial und auch im politischen Bereich im Lichte der Meinungsäußerung tatsächlicher oder auch selbst ernannter Experten blühen könnte.

Ich sage deshalb auch klipp und klar: In der gleichen Kons tellation der Ereignisse und der Erkenntnisse, wie sie seiner zeit dort vorlagen, hätte ich geradeso gehandelt.

Aber allein Vertrauen – das will ich schon auch sagen – in die handelnden Personen einzufordern und es auch auszuspre chen, das wird nicht reichen. Da sind wir uns, denke ich, auch einig. Wir, die wir in Verantwortung stehen, müssen uns die ses Vertrauen in der Tat immer wieder erarbeiten.

Die innere Sicherheit ist hierbei aber kein Thema der tages politischen Wendungen. Es bedarf professioneller, durchdach ter, fachlich ausgereifter Konzepte, die über einen längeren Zeitraum als bis übermorgen und bis zum nächsten Attentat, das hoffentlich nicht stattfinden wird, reichen, die über Legis laturperioden hinweg immer tragfähig sind. Sicherheit, inne re Sicherheit kann nicht immer neu vom Kopf auf die Beine gestellt werden, sondern muss sich fortlaufend verändern.

Es muss in der Politik der inneren Sicherheit einen klar er kennbaren roten Faden geben, an dem sich nicht nur die Be diensteten in den Behörden, sondern gerade auch die Bürge rinnen und Bürger – die Bevölkerung – orientieren, ausrich ten und, wenn erforderlich, auch einmal aufrichten können.

Es wäre geradezu fatal, wenn wir von den Geschehnissen in Paris überrascht worden wären. Nein, wir sind und wir waren nicht wirklich überrascht, dass es weitere Anschläge und der gleichen Versuche geben wird. Alle unsere Lageinformatio nen, über die wir in den zurückliegenden Monaten immer wie der gesprochen und berichtet haben, haben auf die Bedrohung durch islamistische Anschläge hingedeutet.

Es wäre außerdem fatal, wenn wir erst jetzt mit Maßnahmen auf den Markt kommen würden, wenn wir erst jetzt Maßnah men einleiten würden.

So ist es aber nicht, meine Damen und Herren. Die Ereignis se haben vielmehr gezeigt, dass wir mit unseren Prognosen, mit dem, was wir bislang auf den Weg gebracht haben, rich tig gelegen sind, dass wir auch mit den seit Langem eingelei teten Maßnahmen entlang dieser Lagebewertung richtig ge legen sind.

Eines ist doch klar, meine Damen und Herren: Wir beschäfti gen uns nicht nur tagtäglich und sehr intensiv mit diesem The menkomplex, sondern wir, diese Regierung und ich, beschäf tigen uns seit unserem Amtsantritt im Mai 2011 mit diesen Themen, gemeinsam mit der Führung der Sicherheitsbehör den, was die Gefahrenlage für unser Land betrifft.

Angesichts der Bedrohung bedurfte es deshalb direkt nach dem Amtsantritt dieser Regierung und meinem Amtsantritt nicht viel Überzeugungskraft durch die Polizei und durch den Verfassungsschutz, um zu erkennen, dass neben vielen ande ren Baustellen – das darf man in dieser Debatte auch einmal sagen –, was die Finanzausstattung der Polizei, was den In vestitionsstau und was dislozierte, heterogene Strukturen an belangt,

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Genau!)