Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Herr Wolf, vielleicht ist das auch der Grund, weshalb Sie hier nicht selbst gesprochen haben, sondern Herrn Mack von der Leine gelassen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Das ist unver schämt! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor 25 Jahren fand so etwas, was heute in Syrien geschieht, im westlichen Balkan statt: ein Völkerschlachten, keine fes ten Grenzen, die Ethnien sind aufeinander losgegangen. 1994 hat der damalige Petitionsausschuss – es ist keiner mehr von denen da, die dem Ausschuss damals angehörten – eine De legationsreise dorthin gemacht unter der Fragestellung: Kann man Flüchtlinge schon in die früheren Kriegsgebiete zurück führen?

Wir haben damals ein Dorf besucht. Das hieß „Das Dorf der Frauen“, weil eines Nachts die feindlichen Truppen kamen und alle Moslems ab dem Alter von zehn Jahren in eine Scheu ne führten, sie zusammenschossen und die Scheune abbrann ten. Am Schluss waren nur noch kleine Kinder und Frauen üb rig.

Wir haben auch ein Dorf besucht, in dem ein katholischer Priester versuchte, eine christliche Familie in die muslimische

Mehrheitsgemeinde zu reintegrieren. Dieser hat uns berich tet, dass sie eines Morgens alle tot waren.

Das ist das, was jetzt in Syrien stattfindet – damals im west lichen Balkan. Auch damals gab es Rufe nach Begrenzung und Abschottung. Auch damals hieß es: „Wir schaffen das nicht.“ Damals haben wir anders gehandelt. Wir handeln auch heute anders.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das waren andere Zahlen!)

Herr Mack, ich sage Ihnen: Solange in Syrien und im Irak die se Zustände herrschen, gibt es mit dieser Koalition keine Ab schottung und keine Abgrenzung für Flüchtlinge.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Haben Sie zugehört, was er ge sagt hat?)

Natürlich wissen wir auch, dass von denen, die nach Deutsch land und nach Baden-Württemberg kommen, nicht alle aus diesen bedrohten Gebieten kommen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, eben!)

Natürlich wissen wir das. Natürlich gehen wir mit dem The ma so um, wie es der Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten beschrieben hat. Natürlich set zen wir das alles Zug um Zug um.

Wenn Sie uns jetzt aber vorwerfen, dass bis heute nicht alle Flüchtlinge, die in Baden-Württemberg sind, registriert sind, während sie das in Bayern wären, so muss ich sagen: Die Flüchtlinge, die bis heute nicht registriert sind, sind uns von Bayern in den Zügen geschickt worden, allein 400, 500 pro Tag.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Eben! – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Das ist Tatsache. So sieht es aus. Unregistriert nach Bayern eingereist, unregistriert aus Bayern verschickt. Weder die Bun despolizei noch die bayerischen Behörden sind der Pflicht, die Menschen bei der Einreise zu registrieren, nachgekommen. So sieht es aus.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zurufe von der CDU)

Jetzt bauen wir die Systeme auf. Diese sind in Heidelberg voll am Laufen. Wir schaffen die Registrierung bei den aktuellen Fällen innerhalb von zwei bis drei Tagen.

(Abg. Thaddäus Kunzmann CDU: Ach was! Wochen lang!)

Wir schaffen die Registrierung aller nicht erledigten Fälle bis Weihnachten. Das ist praktisches Handeln. Das ist die Umset zung dessen, was wir uns vorgenommen haben und was auch dringend notwendig ist.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Dann komme ich zum Thema Abschiebung. Sie wissen ge nau, dass bei der Abschiebung ein großes Hemmnis darin be

stand, die notwendigen Papiere zu besorgen. Die Regelung zu den sicheren Herkunftsländern nützt natürlich nur dann etwas, wenn die Verfahren zu Ende gebracht sind. Da ist der Bund leider noch stark in Verzug.

(Abg. Winfried Mack CDU: Aha! Jeder kehre vor sei ner Tür!)

Wenn sich das BAMF verpflichtet, in Heidelberg, wo wir die Registrierung innerhalb von zwei Tagen durchführen, jetzt in einem Versuchslauf täglich 400 Anträge auf Asyl entgegen zunehmen, aber nur 90 zu entscheiden, dann wachsen doch jeden Tag über 300 neue unerledigte Fälle auf. Das ist die Re alität. Nur werfe ich das dem BAMF nicht unbedingt vor, weil es auch beim BAMF schwierig ist, die Personalstrukturen so aufzubauen, dass tatsächlich alle Fälle innerhalb weniger Wo chen erledigt werden können. So weit sind wir beileibe nicht. Das müssen wir einfach realisieren.

Der zweite Punkt: Wenn bei erledigten Fällen nicht abgescho ben wird, dann lag das früher häufig daran, dass die Papiere nicht vorhanden waren, um eine Abschiebung vollziehen zu können.

(Abg. Karl Zimmermann und Abg. Matthias Pröfrock CDU: Die sind heute auch noch nicht da!)

Aber heute, Herr Kollege Zimmermann, haben wir etwas er reicht, was Sie nie erreicht haben. Wir haben ein Abkommen mit den Staaten auf dem Westbalkan. Dieses lautet folgender maßen: Wir müssen nicht auf die Papiere aus dem Kosovo oder aus Bosnien warten. Wir sind jetzt in der Lage, Ersatz papiere auszustellen, die diese Behörden anerkennen.

Deshalb ist jetzt eine ganz neue Situation entstanden. Deshalb sind auch Flugzeuge, mit denen heute abgeschoben wird, zu 97 % mit den Personen besetzt, die abgeschoben werden müs sen, weil sie nicht freiwillig ausreisen.

(Zurufe von der CDU)

Da die Landesregierung und die Bundesregierung gehandelt haben, können wir jetzt ganz anders arbeiten. Wir können die Abschiebungen jedoch erst dann durchführen, wenn die Fäl le, wie gesagt, vom Bundesamt erledigt sind. Davon sind wir weit entfernt. Deshalb ist mein Appell, da weniger heute ein mal dieses und morgen jenes Rechtssystem anzuwenden, son dern eine klare Linie zu ziehen. Dann werden wir, was die Ab schiebungen, wenn sie notwendig sind, anbelangt, so handeln können, wie wir uns das vorgenommen haben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Jetzt möchte ich zum Schluss noch ein Thema ansprechen. Ist es eine Bedrohung, eine Gefahr, belastet es uns über Gebühr, oder ist es nicht auch eine Chance? Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung von Baden-Württemberg beträgt 43 Jahre. Der Altersdurchschnitt bei den Flüchtlingen beträgt 23 Jahre. 23 Jahre! Wir sind eine alternde Gesellschaft, die Mühe hat, oh ne Zuwanderung die sozialen Sicherungssysteme im heutigen Umfang aufrechtzuerhalten. Alle, die sich damit beschäftigen, sagen, das gelingt nur durch Zuwanderung.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Qualifizierte Zu wanderung!)

Jetzt haben wir Zuwanderung durch Flüchtlinge.

Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: In Affalterbach gibt es die Holzbaufirma Rikker. Die Firma wächst, weil heute mehr Holzhäuser gebaut werden. Mit denen habe ich gespro chen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die sollen Leute einstellen!)

Toller Familienbetrieb, die Brüder, ihre Frauen, alle schaffen mit. Ich habe gefragt: „Herr Rikker, wie sehen Sie die Flücht lingssituation? Ist das eine Gefahr, oder liegt darin nicht eine Chance?“ Da hat er gesagt: „Jetzt ist es eine große Belastung,“ – das sieht er auch – „aber mittelfristig ist es auch eine große Chance.“ Und er hat mir gesagt, aus der Zeit des Bürgerkriegs in Jugoslawien vor 25 Jahren,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist völlig in Ordnung! Die sollen die Leute einstellen und bezah len!)

von dem ich vorhin gesprochen habe, habe er heute noch sechs Arbeitskräfte in seinem Betrieb – sechs Arbeitskräfte sind mehr als 10 % seiner Beschäftigten –, mit denen er Aufträge erledigen kann, die er sonst gar nicht erledigen könnte; die Geld verdienen, die Geld ausgeben, die Steuern zahlen, die Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das bestreitet nie mand!)

Deshalb möchte ich ja nur anregen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, nicht nur die Melodie des Herrn Mack zu singen, nicht nur Angst und Bedrohungsszenarien in die Welt zu setzen, sondern ohne die Herausforderungen kleinzu reden – die sind riesengroß – auch zu sagen: Wir schaffen das, weil wir uns hier jetzt im Bund, in den Ländern, auch in Eu ropa darauf einstellen.

Wir schaffen es auch irgendwann, wie wir das in Jugoslawi en geschafft haben, den Flüchtlingsstrom zum Versiegen zu bringen. Das hat am Anfang auch niemand geglaubt. Das war Kärrnerarbeit, diplomatische Arbeit, mit dem Abkommen von Dayton erst einmal eine Waffenstillstandslinie zu ziehen und dann daraus Staaten zu entwickeln, von denen heute einige schon in der Europäischen Union sind und andere sich auf den Weg machen. Das ist eine Zukunftsperspektive, die trägt. Das ist eine reale Lösungsstrategie für das Problem. Aber diese Abschottung: „Wir begrenzen“, das ist überhaupt keine Lö sung. Wollen Sie dann die Leute mit Waffengewalt an der ba den-württembergischen Grenze aufhalten, oder was soll das?

Deshalb unterstützen wir die Bestrebungen der Bundesregie rung, der Europäischen Union jetzt nach dem Syriengipfel in Wien unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ab Januar ver handeln Russland und Amerika gemeinsam über die Möglich keiten eines Waffenstillstands. Deshalb begrüßen wir es, dass die Europäische Union jetzt in der Türkei einen Gipfel mit dem Ziel macht, Bedingungen zu schaffen, die ein Leben dort ermöglichen, damit sich die Flüchtlinge nicht aus purer Not aus der Türkei hierher aufmachen müssen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist notwendig!)

Das sind reale Lösungsstrategien, und darüber muss man auch reden, dass es eine solche Perspektive gibt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig!)

Aber dann geht es um einen wirklich anständigen Umgang mit dem Thema, bei dem man nicht mit billiger Polemik Wahl kampfstrategien entwickelt, sondern sich auch hier im Land tag von Baden-Württemberg im Ton und im Inhalt angemes sen zu dem Thema äußert. Wir machen das, und wir erwarten das auch von Ihnen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die FDP/DVP-Fraktion ertei le ich dem Kollegen Glück das Wort.