Wenn wir verantwortliche Bildungspolitik gestalten wollen, können wir dies nur, wenn wir die Unterstützung der Lehr kräfte an den Schulen haben und wenn die Lehrkräfte bereit sind, die notwendigen Veränderungen in unserer Bildungs- und Schullandschaft gemeinsam mit uns umzusetzen.
Wir brauchen gute, funktionsfähige Strukturen, die auch ge sellschaftliche Veränderungen – ich spreche hier ganz deut lich den seit über zehn Jahren andauernden Rückgang der Schülerzahlen an – aufnehmen und berücksichtigen. Wir brau chen aber auch Strukturen, die es zulassen, dass Kinder und Jugendliche – genau so, wie es in unserer Landesverfassung steht – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und der wirt schaftlichen Lage und damit auch unabhängig vom Bildungs hintergrund ihres Elternhauses die bestmögliche Förderung erhalten, um gut, um erfolgreich in ein selbstbestimmtes Le ben starten zu können.
Gerade deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir Strukturfragen nicht isoliert von Fragen der pädagogi schen Qualität stellen, sondern müssen diese selbstverständ lich immer auch beantworten. Natürlich ist dies alles nur dann möglich, wenn wir auch die dafür zwingend notwendigen Res sourcen einsetzen.
Deswegen folgt die Bildungspolitik dieser Landesregierung diesem Dreiklang. Es ist wichtig, dass diese drei Dimensio nen aufeinander abgestimmt sind. Daran arbeiten wir seit 2011 mit aller Kraft, und dies, wie ich am heutigen Tag sagen darf, meines Erachtens mit großem Erfolg.
Wir haben 2011 gerade im Bereich der Strukturen – das ist völlig unstrittig; alle Beobachter, alle, die das Bildungssystem in Baden-Württemberg und die Schulen in Baden-Württem berg kennen, sagen und bestätigen dies – einen erheblichen Anpassungsbedarf vorgefunden. Die Veränderungen in der Gesellschaft, die niemandem verschlossen geblieben sein dürften, haben dazu geführt, dass die Strukturen in unserer Schullandschaft immer instabiler wurden und die Schulen den Anforderungen immer weniger und mit immer größeren Schwierigkeiten gerecht wurden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist keine neue Erkennt nis, dass die Hauptschule, die in den Siebzigerjahren noch ei nen Großteil der Schüler im Bereich der weiterführenden Schulen aufgenommen hat, in den Jahren, in den Jahrzehnten danach deutlich an Zuspruch verloren hat. Auch die von Ih nen eingeführte Werkrealschule, die ja nur eine Art Rettungs anker war, um die Hauptschule und damit das dreigliedrige Schulsystem zu retten, hat nicht funktioniert. Heute wählen die Eltern nicht mehr die Hauptschule, weil sie für ihre Kin der einen anderen, einen höheren Bildungsabschluss wollen. Das müssen Sie akzeptieren.
Dieser Rückgang hat verschiedene Ursachen. Eine davon sind zu niedrige Geburtenraten. Gesellschaft und Politik müssen alles dafür tun, dass sich Eltern nicht zwischen Beruf und Fa milie entscheiden müssen. Das hat mit einem veränderten Schulwahlverhalten, mit einem bestehenden Trend zu höhe ren Bildungsabschlüssen, aber auch mit veränderten familiä ren Bedingungen wie zunehmender Erwerbstätigkeit beider Elternteile zu tun. Dies alles muss ein Bildungssystem, wenn es funktionieren soll, wenn es Kinder erfolgreich auf ihre Zu kunft vorbereiten soll, aufnehmen.
Aber auch neue Herausforderungen für den pädagogischen Alltag kamen auf die Schulen und damit auf die Lehrerinnen und Lehrer zu. Ich nenne hier beispielsweise die Frage der zu nehmenden Unterschiedlichkeit der Kinder. Denn in einem zweigliedrigen System oder in einem Zweisäulensystem wird zukünftig auch die Frage der Vielfalt, der Heterogenität in den Klassenzimmern eine stärkere Rolle als bisher spielen, wobei Ihnen erfahrene Pädagogen doch bestätigen: Auch im bishe rigen, dreigliedrigen Schulsystem war die Annahme, homo gene Lerngruppen zu haben, letztlich eine Schimäre.
Es ist nicht realistisch, anzunehmen, dass Kinder in ihrer Un terschiedlichkeit – egal, an welcher Schulart – einheitlich ler nen könnten.
Deswegen brauchen wir genau darauf abgestimmte pädago gische Konzepte, meine Damen und Herren. Wer sich dem verschließt, der verschließt sich der Realität.
Hinzu kommen weitere Herausforderungen, die auch aus Sicht der Lehrkräfte Antworten bedürfen. Nehmen Sie als ein Bei spiel das große Thema Inklusion, das in ganz vielen gesell schaftlichen Bereichen eine große Rolle spielt, viele Fragen aufwirft und auch in der schulischen Umsetzung die Lehre rinnen und Lehrer vor Fragen stellt.
Aber auch hier bringt es nichts, einfach einmal so zu tun, als gäbe es diese Unterschiedlichkeit – gerade auch bei der Fra ge der Inklusion – nicht. Vielmehr müssen wir hier die Lehr kräfte durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, durch ein ent sprechendes Teamteaching unterstützen – das heißt Lehrerin nen und Lehrer der allgemeinen Schulen sowie Sonderpäda goginnen und Sonderpädagogen, die gemeinsam arbeiten. Das bedeutet auch eine Veränderung der pädagogischen Kultur. Aber ich glaube, diejenigen, die bereits mit diesen neuen Lern formen arbeiten, sagen: „Es ist eine gute Weiterentwicklung, weil sie auch für die Lehrkräfte einen stark entlastenden Cha rakter haben.“
Wir haben uns 2011 deswegen das Ziel gesetzt, in allen drei Bereichen Verbesserungen herbeizuführen. Dies war und ist nach wie vor ein großes, ein sehr anspruchsvolles Projekt – insbesondere auch durch die vielfachen Abhängigkeiten zwi schen den von mir genannten Variablen.
Strukturell galt es und gilt es auch weiterhin, Stabilität in un sere Schullandschaft zu bringen. Natürlich brauchen Lehrkräf te das Gefühl, dass die Schule, an der sie arbeiten, auch die Schule ist, die Zukunft hat. Wenn wir die Haupt- und Werkre alschulen anschauen, stellen wir fest: Wir haben in vielen Be reichen mangels der entsprechenden Schüler diese Stabilität nicht. Aber dann müssen vor Ort, und zwar gemeinsam mit den Schulträgern, Antworten gesucht werden. Viele Schulen haben sich auf den Weg zur Gemeinschaftsschule gemacht, weil sie dadurch ein attraktiveres Angebot für mehr Schüle rinnen und Schüler vorhalten können. Dort, wo dies gesche hen ist und erfolgreich umgesetzt wurde, haben die Lehrerin nen und Lehrer auch eine Zukunftsperspektive, die Sie ihnen in Ihrem System nie gegeben haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deswegen ist es für mich auch immer wieder verwunderlich, wie sich z. B. die CDU-Fraktion – aber auch die FDP/DVP – immer wieder damit abgibt, die Gemeinschaftsschule schlecht zureden.
Wir wollen, dass Kinder möglichst in erreichbarer Nähe zu ihrem Wohnort die Möglichkeit haben, verschiedene Bil dungsabschlüsse zu erreichen. Für mich ist eine Frage von Bildungsgerechtigkeit nicht nur, ob Kinder mit unterschiedli cher sozialer Herkunft und mit unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten ihrer Elternhäuser vergleichbare Bedingungen haben. Für mich ist eine Frage von Bildungsgerechtigkeit auch, ob Kinder, die in ländlichen Räumen wohnen, ähnliche und vergleichbare Bedingungen haben wie Kinder, die in städ
Da verstehe ich bei Ihrem Anspruch, den Sie als angebliche Partei des ländlichen Raums immer wieder formulieren, Ihre tatsächliche Politik in keiner Weise, meine sehr geehrten Da men und Herren.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Deswegen haben wir vor 50 Jahren die Realschule eingeführt! Vor über 50 Jahren! Flächendeckend!)
Wir haben diese Strukturreform im Bereich der weiterführen den Schulen eben nicht über die Köpfe der Beteiligten hin weg gemacht, sondern wir haben viele interessierte Schulen mit ihren Konzepten aufgenommen. Vor allem haben wir mit dem Konzept der regionalen Schulentwicklung gemeinsam mit den Kommunen versucht, lebensfähige Strukturen für die Zukunft aufzustellen. In den allermeisten Fällen hat diese re gionale Schulentwicklung auch dazu geführt, dass Kommu nen, die bisher gar nicht aufeinander zugegangen waren, wenn es um die Frage gemeinsamer Konzepte ging, jetzt gemein sam den Weg gefunden haben, zukunftsfähige Strukturen auf zustellen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das ist ein Beispiel, wie man gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und ge meinsam mit den kommunalen Verantwortungsträgern zu kunftsfähige Politik in Baden-Württemberg gestaltet.
Aufgrund dieser strukturellen Veränderungen ist es natürlich nötig, auch im pädagogischen Bereich Antworten zu finden. Deswegen steht im Bereich der Pädagogik natürlich die Ar beit der Lehrerinnen und Lehrer im Mittelpunkt unserer An strengungen. Ihre Kompetenz – die Kompetenz der Lehrkräf te –, ihr professionelles Gestalten des Unterrichts ist – das be stätigen auch alle Studien – wesentlich für den Bildungser folg junger Menschen.
Frau Kollegin Boser hat als Beispiel die Reform der Lehrer bildung genannt. Aus meiner Sicht war sie längst überfällig, weil die Wirklichkeit in den Klassenzimmern sehr häufig nicht mit dem übereinstimmte, was die Lehrerinnen und Lehrer an den Hochschulen gelernt haben. Es ist wichtig, dass wir die se veränderte pädagogische Realität in unseren Klassenzim mern auch bereits in der Lehrerausbildung entsprechend be rücksichtigen. Deswegen war und ist es sehr wichtig, die Lehr amtsstudiengänge weiterzuentwickeln, die Fachlichkeit der Lehrkräfte zu stärken, auch Grundmodule zum Umgang mit Inklusion einzuführen und die Ausbildungszeit zu verlängern.
Aber wir haben nicht nur die Ausbildung reformiert. Es ist wichtig, dass wir erfahrene Lehrerinnen und Lehrer auf die veränderten Herausforderungen gut vorbereiten, z. B. durch Fortbildungen – die mit dem neuen Bildungsplan, der ja im kommenden Schuljahr startet, unbedingt notwendig sind – zur Inklusion, aber eben aktuell auch zum Unterrichten von jun gen Flüchtlingen und zum Umgang mit traumatisierten Kin dern. Natürlich brauchen wir auch ein umfassendes Fortbil
dungskonzept, das die Haupt- und Werkrealschullehrkräfte darauf vorbereitet, zukünftig an anderen Schularten eingesetzt zu werden. Da ist es wichtig, dass wir den Lehrerinnen und Lehrern die notwendige Qualifikation vermitteln, aber da ist es auch wichtig, dass die Lehrerinnen und Lehrer durch Ver änderungen im Bereich der Besoldung die Möglichkeit für entsprechende Verbesserungen durch einen Aufstieg oder ei ne Beförderung erhalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Darüber hinaus geht es mir auch darum, dass wir die Lehr kräfte im Bereich der technischen Unterstützungsmittel gut begleiten. Sie wissen, dass immer wieder die Forderungen auf gestellt werden – das wird an vielen Schulen auch umgesetzt –, dass die Lehrkräfte heute stärker technische Hilfsmittel ein setzen können. Deswegen werden wir insbesondere auch im Kontext des neuen Bildungsplans eine digitale Bildungsplatt form einführen. Denn wir sind der Überzeugung, dass Lehr kräfte damit erstens auch näher an die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler heranrücken und wir zweitens die Möglichkeit haben, die Lehrkräfte – wenn es z. B. um die Er stellung von Unterrichtsmaterialien geht, wenn es um die Ge staltung von Unterricht geht – dadurch erheblich zu entlasten. Wir glauben, dass auch die technische Unterstützung durch die digitale Bildungsplattform ein ganz wichtiger Schlüssel ist, um die Arbeit der Lehrkräfte in Baden-Württemberg zu erleichtern.
Lassen Sie mich abschließend etwas zu den notwendigen Res sourcen sagen. Ich glaube, die Zahlen, die Kollege Fulst-Blei genannt hat, sind sehr vorzeigbar. Wir haben es geschafft, den Einzelplan 04, den Kultushaushalt, von knapp über 9 Milliar den € auf inzwischen 10,245 Milliarden € zu steigern. Wir ha ben an allen Schularten die für die pädagogische Umsetzung dieser anspruchsvollen Reformen notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, damit die Lehrer ihre Tätigkeit gut aus üben können und damit sie auch besser individuell auf ihre Schülerinnen und Schüler eingehen können. Wir haben die Poolstunden an den einzelnen Schularten entsprechend erhöht und zusätzliche Ressourcen für die individuelle Förderung zur Verfügung gestellt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich betone an dieser Stelle ausdrücklich: Es besteht ein breiter Konsens, dass Aus gaben für Bildung sehr sinnvolle Ausgaben sind. Dies zeigen auch schon die Zielsetzungen in den Dresdner Beschlüssen aus dem Jahr 2008. Dass es trotz der erfolgten Haushaltskon solidierung in Baden-Württemberg gelungen ist, gleichzeitig die Ressourcen für Bildung in praktisch allen Bereichen deut lich auszubauen, ist ein großer Erfolg dieser Landesregierung, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dabei darf ich noch einmal den Vergleich zum Jahr 2011 zie hen. Wir haben durch die Einstellungszahlen – zuletzt über 6 000 neue Lehrerinnen und Lehrer – über alle Schularten hin weg das Verhältnis der Schülerzahlen zu den Lehrerstellen entsprechend verbessert. Wir haben im Laufe der Legislatur periode auch die Realschulen und die Gymnasien deutlich ge stärkt. Ich glaube, es bringt daher nichts, wenn Sie draußen Märchen nach dem Motto erzählen, die Landesregierung bzw. die SPD und die Grünen würden in irgendeiner Form z. B. das
Das Gymnasium hat heute mehr Möglichkeiten zur Förderung der Schülerinnen und Schüler. Auch durch den Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung sind die Zahlen zum Übergang auf das Gymnasium nicht in dem Maß gestie gen, wie vielleicht viele erwartet hatten.
Aber ich warne gleichzeitig: Wenn Sie jetzt leichtfertig – da rüber wurde vorhin einiges gesagt – und vor allem auch aus populistischen Motiven jeder Schule die Wahlfreiheit zwi schen G 8 und G 9 einräumen wollen, dann werden Sie erle ben, dass es einen erheblichen Zustrom auf die Gymnasien geben wird, der ihnen erheblich zu schaffen machen wird. Gleichzeitig werden Sie den Realschulen, den Gemeinschafts schulen, aber in der Folge auch den beruflichen Schulen die Schülerinnen und Schüler wegnehmen, die diese dringend brauchen, um dort erfolgreich pädagogisch arbeiten zu kön nen.