Was ist in dieser Situation in Europa also zu tun? Im Wesent lichen gibt es zwei Aufgaben. Die wichtigste Aufgabe ist na türlich ein Friedensplan für Syrien – das kann ich hier nicht weiter ausführen –, daneben steht die Bekämpfung von Fluchtursachen. Ich denke aber, wenn wir die Menschen im Nahen Osten auf Dauer dort halten wollen, dann wird so etwas wie ein Marshallplan für den Nahen Osten erforderlich sein. Wenn man so etwas in Europa durchsetzen will, braucht man in der Tat einen Paradigmenwechsel in der gesamten europäischen Politik. Das kostet natürlich Geld und ist nicht einfach durch setzbar.
Man kann jetzt natürlich auch sagen: Eigentlich müssten dies die Amerikaner allein bezahlen, denn es war George Bush, der seinerzeit mit dem Irakkrieg die Situation im Nahen Osten grundlegend destabilisiert hat. Das war der eigentliche Kern, und mit den Folgen müssen wir alle heute leben. Deshalb darf man die USA bei einer solchen Frage auch nicht außen vor lassen.
Insgesamt aber muss Europa die soziale Dimension wieder viel stärker betonen; das ist ganz wichtig. Wie sonst sollen Länder denn Flüchtlinge anständig aufnehmen können?
Dies alles sind keine leichten Aufgaben. Ich will ausnahms weise einmal den ehemaligen Stuttgarter Regierungspräsiden ten Dr. Andriof zitieren, der gestern in einem Leserbrief – üb rigens als Replik auf den Tübinger Oberbürgermeister – ge schrieben hat:
Wir sollten über Parteigrenzen hinweg in der Bevölke rung für Verständnis für eine europäische Lösung werben und um Geduld bitten, bis sie greift.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen, dass uns das im Inter esse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gelingen wird. Ich wünsche dem Landtag von Baden-Württemberg, dass er im Sinne eines Europas der Regionen seinen Beitrag dazu leisten wird. Ich wünsche diesem Parlament vor allem, dass es von antieuropäischen Kräften verschont bleiben wird.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag und im Europaausschuss für die parteiübergreifend gute Zusammenarbeit. Ich denke, wir ha ben da wirklich an einem Strang gezogen. Ich bedanke mich bei unserem Vorsitzenden Thomas Funk und unserem frühe ren Vorsitzenden Peter Hofelich sowie bei allen Mitarbeite rinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, namentlich bei Frau Petsani und bei Herrn Böhm.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Als letzter Redner in der Runde der Ab geordneten möchte auch ich mich, liebe Kolleginnen und Kol legen, zunächst für die kollegiale und ganz überwiegend ein vernehmliche Zusammenarbeit im Ausschuss bedanken. Ich bedanke mich ebenso für die gute und zuverlässige Zuarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Fraktionen, der Landtagsverwaltung und der Landesregierung.
Müsste ich heute ein Bild über den Zustand Europas malen, es wäre nicht mehr so farbig wie zu Beginn der Wahlperiode. Europa ist innerlich zerstritten über die Flüchtlingspolitik und geprägt von nationalen Egoismen. Außerdem zeigen die Ame rikaner deutliches Desinteresse an den Entwicklungen in Eu ropa.
Was auf der Krim begonnen hat, setzt sich in Syrien fort: ei ne gezielte Destabilisierung der europäischen Nachbarschaft durch Russland. Die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Aleppo verschärft nicht nur die humanitäre Katastrophe in der Region, sondern erhöht auch den Druck auf die türkischen Grenzen. Mit einer perfiden Doppelstrategie stärkt Putin nicht nur dem Diktator Assad den Rücken, sondern spitzt auch die Flüchtlingskrise noch zusätzlich zu – dabei war Putin unter der Schröder-SPD doch ein lupenreiner Demokrat! Und See hofer übernimmt fugenlos Moskaus außenpolitische Diktion. Er bezeichnet den Krieg in der Ukraine als „Schießerei“, hält nichts von Sanktionen gegen Staaten und schweigt zu den rus sischen Bomben auf syrische Zivilisten. Er ist für klare Wor te bekannt; hier wären sie angebracht.
Und Europa? Europa ist sprachlos, zerstritten und handlungs unfähig. Europa gibt sich Regeln, um deren Umsetzung sich danach kaum ein Nationalstaat kümmert. Es ist doch eine Bla mage sondergleichen, dass man im September noch be schließt, innerhalb von sechs Monaten 160 000 Flüchtlinge umzusiedeln, und im vergangenen Monat nun keine 500 Per sonen umgesiedelt wurden.
Gegen Polen wendet man – erstmals – eine rechtsstaatliche Prüfung nach den Verträgen an. Was aber ist mit Ungarn? Ha ben wir nicht auch dort immer wieder auf rechtsstaatliche De fizite hingewiesen? Warum wird gegen Ungarn kein Verfah ren eröffnet?
Auf Bundesebene nehmen die Bürger die Uneinigkeit der Gro ßen Koalition, insbesondere in der Flüchtlingskrise, wahr. Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer nicht abgestimmten Grenzöff nung unseren Kontinent ins Chaos gestürzt; Deutschland hat in der Krise ein staatliches Organisationsversagen erlebt, wie man es nie für möglich gehalten hat.
Wir müssen uns aber mehr zutrauen, müssen Selbstbewusst sein zeigen – nationales wie europäisches Selbstbewusstsein.
Dazu gehören aus unserer Sicht auch klare und deutliche An sagen an unsere europäischen Partner. Wer europäische Grundwerte nicht teilt, aber gern an europäischen Fördertöp fen teilhat, muss mit Konsequenzen rechnen.
Innerhalb Europas muss eine faire Verteilung der Lasten er reicht werden, sonst hat die EU als Verein von Rosinenpickern keine Zukunft. Da ist eine Kürzung finanzieller Zuweisungen sicher wirkungsvoller als jedes mehrjährige Vertragsverlet zungsverfahren.
Wir brauchen in der Tat mehr „German Mut“ als „German Angst“. Wir haben Europa viel gegeben, aber wir haben auch Anspruch auf Solidarität in der Flüchtlingskrise. Wir brauchen ein europäisches Asyl- und Migrationsrecht, und wir müssen den Schutz der gemeinsamen EU-Außengrenzen durchsetzen, auch dadurch, dass wir Mitgliedsstaaten wie Griechenland da bei unterstützen.
das die chaotische Zuwanderung wieder in vernünftige Bah nen lenkt und sie vernünftigen Regeln unterwirft. In unserer alternden Gesellschaft brauchen wir in vielen Berufen Zuwan derer. Aber wir haben ein Recht darauf, uns diejenigen auszu suchen, die wir in unseren Arbeitsmarkt einladen.
Trotz aller Herausforderungen dürfen wir nicht vergessen: Wir haben Europa viel zu verdanken: Frieden, Wohlstand und Frei zügigkeit.
Deshalb sage ich ausdrücklich: Lassen Sie uns trotz der mo mentanen Schieflage weiter am europäischen Haus bauen.
Das Präsidium wollte es laut Tagesordnung so, dass ich in die ser Legislaturperiode als letzter einfacher Abgeordneter heu te hier in diesem Haus sprechen darf. Anschließend hören wir noch den Minister und danach den Landtagspräsidenten. Ich wünsche Ihnen allen, die Sie sich im Wahlkampf befinden, von dieser Stelle aus viel Kraft, viel Ausdauer, und mein Wunsch an Sie alle ist: Bleiben Sie gesund.
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung darf ich das Wort nun Herrn Minister Friedrich geben.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich will aus den vier Redebeiträgen, die wir gerade gehört haben, das Verbin dende aufnehmen und möchte betonen, dass es gut ist, dass in diesem Haus, im Europaausschuss, in der Politik des Landes
Baden-Württemberg unter den hier vertretenen Parteien ein großer Konsens darüber besteht, dass Baden-Württemberg nicht nur geografisch im Herzen Europas liegt, sondern tat sächlich Europa im Herzen hat. Der Erfolg Baden-Württem bergs, der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Erfolg, ist ohne ein funktionierendes Europa nicht denkbar.
Deswegen ist es gut, wenn wir über Parteigrenzen und unter schiedliche Auffassungen im Detail, in Einzelfragen, hinweg zusammenarbeiten mit dem Ziel, in diesem Europa erfolgreich zu sein. Ich glaube, man kann sagen – der Bericht, den wir Ih nen über das letzte Quartal vorgelegt haben, zeigt dies auch –, dass wir etwas von dem ernten konnten, was wir in den letz ten fünf Jahren, aber auch schon davor in ein gelingendes Eu ropa investiert haben. Wir haben gezeigt – etwa mit dem Jah resforum der Donauraumstrategie, mit der Präsidentschaft bei der Internationalen Bodensee Konferenz, mit neuen Partner schaften in der Entwicklungszusammenarbeit sowie auch zur Fluchtursachenbekämpfung –, dass vieles von dem, was wir in den letzten fünf Jahren weiterentwickeln konnten, dazu bei trägt, dass Europa tatsächlich gelingt.
Europa – das wissen wir auch in diesen Tagen – ist kein Selbstläufer. Es gelingt nichts von allein, und vieles, von dem wir glaubten, es sei bereits erreicht und verankert, steht wie der infrage. Trotzdem – das ist eigentlich der Anachronismus unserer Tage – erleben und wissen wir, wissen die Bürgerin nen und Bürger, dass wir die großen Herausforderungen un serer Zeit – sei es die Zuwanderung, seien es Fluchtfragen, sei es der Klimawandel, seien es die Wirtschaftskrisen, die Be herrschung und die Nutzung der Digitalisierung, die Fragen des globalen Handelns und einer global gerechten Welt – nur gemeinsam in Europa bewältigen können.
Wir werden dies nicht dadurch erreichen, dass wir zu natio nalen Maßnahmen und nationalen Alleingängen greifen. Trotzdem erleben wir, dass viele Menschen sich gerade nach nationalen Parolen ausrichten und im politischen Alltag das Gegenteil dessen tun, was nach dieser Erkenntnis eigentlich notwendig wäre. Deshalb ist Europa momentan in keinem be sonders guten Zustand.
Wir haben in Baden-Württemberg eindrucksvoll gezeigt, was man aus europäischen Möglichkeiten machen kann. So ist es uns gelungen, dass die europäischen Fördermittel, die nach Baden-Württemberg kommen, deutlich erhöht wurden, und es ist uns gelungen, diese Mittel auch so einzusetzen, dass da raus Zukunft entsteht – durch duale Bildung, durch Arbeits plätze gerade auch für junge Menschen, durch Innovation, durch Wissenschaft. Baden-Württemberg ist die Region in Eu ropa, die am meisten in Forschung und Entwicklung inves tiert. Der Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt be trägt nahezu 5 %. Das heißt, wir zeigen, welche Möglichkei ten Europa eigentlich für uns bereithält, und wir demonstrie ren das hier in Baden-Württemberg. Das führt uns aber auch zu der Verpflichtung, solidarisch zu sein und unsere Stärke auch dafür einzusetzen, solidarische Lösungen für viele der Fragen zu entwickeln, die uns momentan sehr unter den Nä geln brennen.
Die Flüchtlingskrise hat ganz besonders deutlich gezeigt, dass jede nationale Maßnahme nur das Problem beim Nachbarn verschärft, aber es für einen selbst überhaupt nicht löst. Des wegen legt jeder Ruf nach nationalen Maßnahmen – heißen
sie nun „Plan A2“ oder wie auch immer – die Axt an das an, was die Grundlage unseres eigenen Erfolgs ist, nämlich dass wir eine europäische Herausforderung auch gemeinsam euro päisch bewältigen.
Es ist dabei nicht die Europäische Union oder Europa, das ver sagt, sondern es sind nationale Regierungen, die in ihrer eu ropäischen Verantwortung versagen. Deswegen müssen alle, die bekennende Europäer sind – das sind wir, glaube ich, al le hier in diesem Saal –, immer wieder deutlich machen: Wir brauchen die europäische Solidarität aller in Europa.
Ich will aber auch ganz klar sagen – bei allem Streit und aller Unzufriedenheit darüber, wie langsam es geht –: Wenn wir Europa nicht hätten, wenn wir die Europäische Union nicht hätten, dann könnten wir gar nicht mit unseren europäischen Partnern darüber streiten, wie wir gemeinsame Lösungen ent wickeln. Wir wären ohne die Europäische Union auf uns al lein gestellt. Deswegen ist es auch richtig, dass wir gemein sam weiter versuchen, in Europa Lösungen zu entwickeln, und nicht sagen: Wir machen jetzt auch nationale Alleingänge.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Vorspruch zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg heißt es:
... dieses demokratische Land als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem vereinten Europa... zu gestalten...
Im Vorspruch zu unserer Landesverfassung ist sogar auch von der „Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“ die Rede. Es gilt also, im Kleinen das zu zeigen, worauf es im gemeinsamen Europa tatsächlich ankommt.