Protokoll der Sitzung vom 18.02.2016

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im No vember beim Bundeskanzleramt einen Diskussionsentwurf vorgelegt, einen Diskussionsentwurf, der über das im Koali tionsvertrag Vereinbarte noch hinausging, aber dem vor allem die Sozialpartner nicht zugestimmt haben. Das Bundeskanz leramt hat dann das Bundesministerium für Arbeit und Sozi ales gebeten, einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Das hat Ih re Ministerin in Berlin übrigens auch akzeptiert. Denn es macht keinen Sinn, einen Gesetzentwurf einzubringen, den die Sozialpartner insgesamt ablehnen.

In die Ressortabstimmung kommt eigentlich alles, was Sie im Sinne der Politik des Gehörtwerdens ganz gut finden müss ten. Aber das wissen Sie alles ganz genau. Das wissen Sie al les, und Sie präsentieren hier, wenige Wochen vor der Land tagswahl, einen Vorstoß, der doch eigentlich nur ein Eigentor ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jo chen Haußmann FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Guten Morgen!)

Ich will Ihnen auch sagen, warum die Ressortabstimmung wichtig ist: Weil es darum geht, dass wir nicht wieder Rege lungen haben, die z. B. durch eine neue Verordnung auf den Weg gebracht werden und das eigentliche Instrument der Leiharbeit und der Werkverträge konterkarieren. Wir haben das beim Thema Mindestlohn ja schon erlebt. Da haben Sie auch, nachdem wir im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung getroffen haben, mit einer Verordnung für ein ziemliches Cha os gesorgt.

Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist zufriedenstellend. Das hat übrigens sehr wenig mit der grün-roten Landesregie rung zu tun, sondern das ist die Leistung der Menschen in die sem Land, die Leistung der Betriebe – fast sechs Millionen Erwerbstätige, davon 4,4 Millionen sozialversicherungspflich tig Beschäftigte.

(Abg. Josef Frey GRÜNE: 400 000 mehr!)

Unterm Strich erhöhte sich sogar die Zahl der sozialversi cherungspflichtig Beschäftigten. Da haben Sie recht. Aber mit Blick auf die Leiharbeit sprechen wir von 2,6 % der Beschäf tigten. 2,6 %! Hören Sie auf, liebe Freunde von der SPD, hier wiederum den Eindruck zu vermitteln, als seien die Beschäf tigten in ganz Baden-Württemberg über Zeitarbeit und Werk verträge angestellt, und dies in zunehmendem Maß.

Behalten wir den Blick für die Realität. Gefordert ist allein das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium. Ich mache Ih nen ein Angebot: Schicken wir doch gemeinsam heute einen Appell an die SPD-Ministerin Nahles, eine unbürokratische Regelung vorzulegen, die den Spagat zwischen dem Schutz vor Lohndumping auf der einen Seite und der Sicherung der Flexibilität in der Wirtschaft auf der anderen Seite schafft. Zie hen wir das als Konsequenz aus der heutigen Sitzung, dann haben Sie nicht nur meinen Segen,

(Abg. Walter Heiler SPD: Segen! Sind Sie Pfarrer?)

sondern dann wünsche ich uns auch, dass wir in der nächsten Legislaturperiode weiterhin eine gemeinsame gute Arbeits marktpolitik machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Wie der Schreiner kann es keiner!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Kollegin Lindlohr.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, liebe Gäste! Guten Morgen! Leihar beit und Werkverträge sind wichtige Instrumente einer mo dernen Arbeitsmarktpolitik, und sie sind ein Thema, welches für die baden-württembergische Wirtschaft, gerade in vielen industriellen Branchen, wichtig ist. Das ist die Realität in Ba den-Württemberg, in den Unternehmen und bei den Beschäf tigten. Daher ist es völlig in Ordnung, dass die SPD diese Ak tuelle Debatte beantragt hat. Wir sprechen gern über dieses Thema.

Die Wirtschaft, die Unternehmen brauchen natürlich Flexibi lität. Das ist gerade für kleine und mittlere Unternehmen ein wichtiger Aspekt. Sie benötigen kurzfristig Personal, um Eng pässe und Auftragsspitzen zu bewältigen.

Der andere Aspekt ist, dass sich die Art des Wirtschaftens än dert. Viele Unternehmen ziehen sich auf ihre Kernkompeten zen zurück und nutzen von Fall zu Fall für Themen, die neu dazukommen – im technologischen Wandel kommen immer öfter neue Themen dazu –, das Instrument der Werkverträge oder der Leiharbeit, um diese Themen abzudecken.

Das ist völlig in Ordnung. Wir sehen bei den industriellen Dienstleistungen, wie wichtig das wird. Das entspricht auch einer zukunftsfähigen, modernen Wirtschaftsweise.

Bei den Werkverträgen gibt es auch Leute, die bewusst die sen Weg wählen und als Freelancer arbeiten wollen. Der Kol lege Hinderer hat das Beispiel der hoch spezialisierten ITKräfte, die immer wieder bei verschiedenen Unternehmen tä tig sind, eingeführt. Auch das ist bei uns Realität. Das ist si

cherlich ein Personenkreis, den wir nicht schützen müssen, der für seine eigenen Rechte gut kämpft und der eine spezia lisierte Dienstleistung anbietet. Das soll auch so bleiben kön nen.

Es ist klar, dass es sowohl bei der Leiharbeit als auch bei den Werkverträgen auch Missbrauch gibt. Dies ist dann der Fall, wenn dieses Instrument ausschließlich zur Senkung der Lohn kosten, zur Umgehung von Sozialversicherungsbeiträgen oder zur Umgehung des Kündigungsschutzes genutzt wird.

Deswegen ist es in Ordnung, dass sich der Bundesgesetzge ber aufmacht, hier neue Regeln zu finden. Ob es je dazu kom men wird, dass sich die Koalitionspartner dort verständigen, wissen wir nicht. Wir, die Grünen, sehen aber, dass es einen Regelungsbedarf gibt, weil die Wirtschaft sich geändert hat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir wollen, dass Leiharbeit für die Unternehmen und Be schäftigten ein sozial verträgliches Instrument zur Flexibili sierung ist. Die Bedingungen haben sich durch die Branchen zuschläge durchaus etwas verbessert. Sie sind aber noch nicht befriedigend.

Wir stehen dafür, dass Equal Pay – gleicher Lohn für gleiche Arbeit – der Grundsatz der Leiharbeit sein muss. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Die Leiharbeit dient der Flexibilität und nicht der Lohndrü ckerei. Deswegen hat die Landesregierung in ihrer Bundesrats initiative einen, wie ich finde, moderaten neuen Equal-PayModus vorgeschlagen. Equal Pay soll nach neun Monaten gel ten. Das ist nun wirklich etwas, worauf sich die Unternehmen einstellen können und was das Instrument Leiharbeit in kei ner Weise zu einem Ende bringen wird. Wir finden dies ange messen und unterstützen das.

Wir finden auch wichtig, dass den Betriebsrätinnen und Be triebsräten ihre Gestaltungsmöglichkeiten über Leiharbeit oder Werkverträge nicht genommen werden. Wir setzen uns dafür ein, dass Betriebsräte mehr Informationsrechte und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Leiharbeit und Werkverträge bekommen. Auch das ist ein wichtiger Aspekt dieser Bundes ratsinitiative, den wir unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Klassische Werkverträge sind völlig unbedenklich. Sie sind so alt wie das Wirtschaften selbst. Unter fairen Bedingungen sind sie ein ganz modernes Arbeitsinstrument. Wir wollen nicht, dass Freelancer und selbstbestimmte Gründerinnen und Gründer, Selbstständige, durch ein neues Gesetz illegalisiert werden. Wenn dies hier der Fall wäre, würden wir uns dage gen erheben. Wir wollen eine moderne Rechtsetzung zum Thema Werkverträge, die Gründerinnen und Gründern die Selbstständigkeit weiterhin gut möglich macht und diese Per sonen nicht illegalisiert.

Problematisch werden Werkverträge dann, wenn Stammbe legschaften letztlich durch Werkvertragsbeschäftigte ersetzt werden und die Werkvertragsbeschäftigten in den Betrieb völ lig integriert sind. Auch hier gibt es Handlungsbedarf.

Es ist tatsächlich so, dass der Druck im Bereich der Werkver träge dadurch größer geworden ist, dass sich bei der Leihar beit die rechtlichen Grundlagen bereits geändert haben. Hier hat es eine Verlagerung gegeben. Deswegen sehen wir Werk verträge, die im Grunde einer Scheinleiharbeit entsprechen. Damit wird das Problem oft größer. Denn hier passiert eine Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Sie alle kennen die Beispiele von den Paketzustellern und an deren, die voll weisungsgebunden, voll abhängig arbeiten und letztlich ausgebeutet werden. Sie kommen mit dieser Tätig keit niemals auf einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €. Das ist ein Missbrauch, den es zu verhindern gilt. Dafür kämp fen wir.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für diesen Bereich sind im Referentenentwurf aus dem Bun desarbeitsministerium eine riesengroße Anzahl von Kriterien aufgestellt, die Scheinwerkverträge kennzeichnen sollen. Die se Kriterien scheinen uns im jetzigen Stadium doch rückwärts gewandt und nicht auf der Höhe der Zeit zu sein.

Ich denke, das Kriterium der Weisungsgebundenheit bzw. Weisungsungebundenheit der Werkverträge ist entscheidend, ebenso das Kriterium, dass es keine Eingliederung in die Ar beitsorganisation des Auftraggebers geben darf.

Wir haben hier Rechtsprechung ohne Ende, und im Gesetz steht fast nichts. Da muss etwas in das Gesetz mit aufgenom men werden. Das kann nicht mehr rein über das Richterrecht geregelt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, einfa che, klare, Rechtssicherheit schaffende Kriterien zu finden. Zwei wichtige habe ich Ihnen gerade genannt.

Es gibt also einen Regelungsbedarf, auch für die Unterneh men, die fairen Wettbewerb wollen. Diese Unternehmen wol len nicht von Unternehmen, die die Instrumente Leiharbeit und Werkverträge missbräuchlich verwenden, im Preiswett bewerb unter Druck gesetzt und letztlich vom Platz gestoßen werden. Wir kämpfen für fairen Wettbewerb für die Unterneh men, gegen Lohndumping für die Beschäftigten, für ein mo dernes Arbeitsrecht, das Freelancern und Selbstständigen ei nen guten Weg in dieser modernen Arbeitswelt ermöglicht.

Wie gesagt: Ob es Schwarz-Rot im Bund gelingen wird, dies umzusetzen, wissen wir noch nicht. Wir wünschen alles Gu te und setzen unsere grünen Punkte auf Bundesebene ein, um das durchzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich das Wort dem Kollegen Haußmann.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Titel der Debatte sehe, dann fällt mir zur SPD immer ein: Lieber keine Arbeit, bevor man eine kritische Arbeit macht.

(Abg. Walter Heiler SPD: Was?)

Im zweiten Teil komme ich darauf noch zurück.

Ich höre immer gern Vorträge von Menschen, die sich sehr in tensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben und noch auseinandersetzen. Vor zwei Jahren habe ich einen sehr guten Vortrag von Wolfgang Clement gehört. Inzwischen wird er von der SPD ein bisschen verdrängt. Da gibt es Erinnerungs lücken. Er hat bei einem Vortrag beim Verband Spedition und Logistik in Kornwestheim die fünf Erfolgsfaktoren der deut schen Wirtschaft beschrieben.

Zum einen haben wir eine Fertigungstiefe, eine Industrietie fe in Baden-Württemberg, die weltweit einmalig ist. Einer der Erfolgsfaktoren sind auch die starken mittelständischen fami liengeführten Unternehmen. Wir haben das duale Ausbil dungssystem mit den beruflichen Schulen und mit den Betrie ben, die ausbilden. Wir haben auch Tarifpartnerschaften, die dafür gesorgt haben – sehen wir einmal von der Bahn ab –, dass wir die wenigsten Streiktage in Europa haben. Besonders betont hat er, dass wir flexible Arbeitsmärkte haben, die Un ternehmen helfen, arbeitsteilig und konjunkturabhängig tätig zu werden.

Bemerkenswerterweise hat er noch gesagt, er sei sehr ent täuscht, dass man in der Politik inzwischen wieder zurückge he, die Flexibilität Zug um Zug beschneide und den Unter nehmen in Baden-Württemberg und in Deutschland mehr und mehr die Luft nehme, die sie benötigten, um dynamisch und beweglich auch konjunkturabhängige oder projektbezogene Tätigkeiten durchzuführen.

Dieser Flexibilität geht es mit der SPD in Baden-Württem berg richtig an den Kragen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Es geht um einen massiven Eingriff in bewährte und beste hende Regelungen zur Zeitarbeit sowie in die unternehmeri sche Freiheit. Er beschränkt die Tarifautonomie und greift in den Arbeitnehmerbegriff derart ein, dass legale Vertragsge staltungen mit Soloselbstständigen oder Werkvertragsunter nehmen zukünftig illegal werden.

Sie hatten diese Debatte 2013 schon einmal hier im Landtag beantragt. Wir haben im Sozialausschuss über diese Themen diskutiert. Es ist auch richtig, dies im Sozialausschuss zu tun. Inzwischen verlagern jedoch einige Unternehmen bestimmte Tätigkeiten schon ins Ausland. Deswegen sage ich: Der SPD ist offensichtlich keine Arbeit lieber, als sich damit intensiv auseinanderzusetzen.