Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Nein!)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen. Die Fragen können wir am Ende klären.

Das S-21-Kündigungsgesetz verpflichtet die Landesregierung also, Kündigungsrechte auszuüben. Es mag sein, dass wir da mit juristisches Neuland betreten.

(Zurufe von der CDU)

Aber es bestehen ausreichend gute Argumente, die dafür spre chen, dass es Kündigungsgründe gibt. Als Kündigungsgrund kommt zum einen die Steigerung der Baukosten in Betracht.

(Zuruf von der CDU: Welche?)

Keine Vertragspartei möchte diese Mehrkosten tragen. Letzt endlich führt das zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

Zum anderen kann ein positives Votum der Bürgerinnen und Bürger bei der Volksabstimmung einen Kündigungsgrund dar stellen.

(Zurufe von der CDU)

Es gibt nach unserer Rechtsordnung Situationen, in denen der Grundsatz „Verträge sind einzuhalten“ durchbrochen wird.

(Zurufe von der CDU und der FDP/DVP: Aha!)

Das sind Situationen, in denen man anders, als es sonst üblich ist, handeln und von Grundsätzen berechtigterweise Abstand nehmen muss.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt wissen wir es! – Zuruf des Abg. Karl Klein CDU)

Unsere Rechtsordnung hat zu Recht das Konstrukt des Weg falls der Geschäftsgrundlage im Zivilrecht und das Konstrukt der Kündigung von Verträgen im öffentlichen Recht geschaf fen.

(Beifall bei den Grünen – Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Peter Hauk: Weiter! – Gegenruf des Abg. Man fred Lucha GRÜNE)

Wenn sich Umstände, die Vertragsgrundlage waren, nach Ver tragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Partei en den Vertrag nicht geschlossen hätten, wenn diese Umstän de von vornherein bekannt gewesen wären, dann ist die Ge schäftsgrundlage weggefallen

(Abg. Karl Klein CDU: Ja welche?)

und ist ein Rücktritt vom Vertrag möglich. Das gilt im Zivil recht, und im öffentlichen Recht gilt dann die Beendigung von Verträgen.

(Zuruf von der CDU: Winkeladvokat! – Gegenruf des Abg. Jörg Fritz GRÜNE)

Unsere Rechtsordnung sieht also sowohl im Zivilrecht als auch im öffentlichen Recht mit gutem Grund rechtliche Ver fahrensweisen vor, um außergewöhnlichen Situationen Rech nung tragen zu können. Eine solche Sondersituation kann beim S-21-Kündigungsgesetz entstehen, wenn hohe Mehrkos

ten auftreten, die keine Vertragspartei zu tragen verpflichtet und gewillt ist.

(Abg. Winfried Mack CDU: Jetzt hören wir einmal den Justizminister dazu!)

Denn wenn keine Vertragspartei tatsächlich entstehende Mehr kosten tragen wird, ist das Projekt Stuttgart 21 nicht, wie ur sprünglich vereinbart, durchführbar. Ein Festhalten am Ver trag ist dann unzumutbar – getreu dem Motto „Wenn niemand zahlt, kann auch niemand bauen“.

(Beifall bei den Grünen)

Daher ist es nur konsequent, dass die Landesregierung die Deutsche Bahn AG aufgefordert hat, zu erklären, dass sie im Fall von Kostensteigerungen die Mehrkosten tragen wird.

(Abg. Peter Hauk CDU: Die gibt es doch noch gar nicht!)

Das Land wird diese auf jeden Fall nicht übernehmen, egal, Herr Kollege Hauk, wie die Volksabstimmung ausgeht.

(Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Sie sprechen an, dass es keine Mehrkosten gebe. Ich möchte Ihnen einige Indizien nennen, die unseres Erachtens belegen können, dass bestimmte Positionen nicht – –

(Abg. Peter Hauk CDU: Nein, Fakten! – Abg. Tanja Gönner CDU: Fakten, keine Indizien! – Weitere Zu rufe von der CDU – Gegenrufe von den Grünen – Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie mich den Satz doch zu Ende führen.

Einen Moment, Herr Abg. Schwarz. Ich darf Sie bitten, Ihre Rede einmal zu unterbrechen.

Meine Damen und Herren, wir gehen in diese Debatte auch mit dem Ziel, in dieser schwierigen Situation ein Stück weit Klarheit zu schaffen. Dazu gehört, dass man dem Redner zu hört. Nur dann funktioniert es auch, Botschaften zu transpor tieren.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Es mehren sich die Indizi en, dass bestimmte Positionen nicht, nicht vollständig oder zu gering eingerechnet sind. Ich möchte Ihnen einige Beispiele nennen. Es geht um die Signaltechnik, es geht um das zweite Gleis am Flughafen, es geht um die Kreuzungsvereinbarung für den Stadtbahntunnel in der Heilbronner Straße, und es geht um die Kosten für die Umsetzung der Anforderungen der Stuttgarter Feuerwehr zum Brandschutz. Noch nicht erwähnt habe ich die sogenannte Azer-Liste, die Nachträge, die Kal kulationsabweichungen und die technischen Änderungen, die die Deutsche Bahn vorträgt.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Festpreis!)

Vor diesem Hintergrund, meine Kolleginnen und Kollegen, gewinnt der von der Landesregierung sowie den Fraktionen von SPD und Grünen im Konsens beschlossene Kostendeckel immer mehr an Bedeutung.

(Abg. Tanja Gönner CDU: Vom Landtag!)

Aber zurück zum S-21-Kündigungsgesetz. Auch in einem po sitiven Ausgang der Volksabstimmung kann ein Kündigungs grund bestehen. Der Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 ist durch die gewählten Vertreterinnen und Vertreter in den Gre mien beschlossen worden und durch deren Zustimmung zu stande gekommen. Würde nun aber das Volk als Gesetzgeber selbst durch die Volksabstimmung einen anderslautenden Wil len äußern, dann wäre diese Grundlage erschüttert. Sie wäre durch den Volkswillen verdrängt worden. Ein Festhalten am Vertrag wäre angesichts eines in Gesetzesform gefassten an derslautenden Willens des Volkes

(Abg. Peter Hauk CDU: Das steht ja gar nicht drin!)

nicht mehr länger zumutbar, sodass dann Kündigungsrechte greifen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl Zimmermann CDU: Da kann man nur noch den Kopf schütteln! – Abg. Peter Hauk CDU: Da steht nichts von Ausstieg drin! – Abg. Volker Schebesta CDU: Heißt das, der Gesetzgeber, ob Volk oder Parlament, kann Verträge beenden?)

Herr Kollege Schebesta, Sie kennen das Verwaltungsverfah rensgesetz genauso gut wie ich.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wir hoffen, dass wir es besser kennen!)

Sie wissen, dass der Vertrag zu Stuttgart 21 ein öffentlichrechtlicher Vertrag ist und hier nicht nur zivilrechtliche Ge sichtspunkte, sondern auch öffentlich-rechtliche Gesichts punkte zu beachten sind.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Kann man jetzt per Gesetz, egal, von welchem Gesetzgeber, einen Ver trag beenden? – Zuruf der Abg. Tanja Gönner CDU)

Wenn also klar ist, dass das Kündigungsgesetz im Einklang mit unserer Rechtsordnung formuliert ist,

(Abg. Winfried Mack CDU: Der Justizminister wird ganz unruhig!)

dann sehen wir in der Volksabstimmung eine gute Möglich keit, den Konflikt um Stuttgart 21 zu befrieden. Die Volksab stimmung ist eine historische Chance für unser Land. Sie bie tet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, unmittel bar in einer zentralen Frage der Landespolitik zu entscheiden. Mit dem Kündigungsgesetz steht die Volksabstimmung auf einem sicheren rechtlichen Fundament. Wir sind zuversicht lich, dass von der Volksabstimmung eine befriedende Wirkung ausgehen wird.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Draußen sagen Sie aber etwas anderes!)