Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schließe mich der Aussage an, dass man wirklich dankbar sein muss, dass dieses Thema in diesem Haus zur Sprache gebracht wird. Es geht um ein Thema, dem meist zu wenig Bedeutung beigemessen wird, das zu wenig sichtbar ist. Polizeibeamtinnen und Polizeibe amte geraten in Situationen, bei denen sich man schon fragen muss, wie sie das eigentlich aushalten.
Das kann ohne Weiteres auch für den Strafvollzug gesagt wer den. Dort gibt es mit Suiziden, Delikten gegen Beamte oder Geiselnahmen ganz ähnliche Konstellationen. Dort gibt es üb
rigens auch ähnliche Einrichtungen wie Kriseninterventionsteams und Beratungseinrichtungen; diese werden einfach gebraucht.
Die Frage ist: Wie halten die Betroffenen das aus? Wenn man sich dann etwas näher erkundigt oder sein Wahrnehmungsver mögen darauf konzentriert, dann merkt man sehr schnell: Sie halten das überhaupt nicht besser aus als Sie und ich, weil es auch nur Menschen wie wir alle sind.
Heute Morgen habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Poli zeibeamtin vernommen wurde, die im Fall Tobias – dieser be sonders traurige Fall ist ja jedem bekannt – mit den Eltern das Kind gefunden hat. Ich glaube, das liegt jetzt etwa zehn Jah re zurück. Dennoch ist die Beamtin im Gerichtssaal in Tränen ausgebrochen, als sie als Zeugin den Vorfall schildern sollte. Da wird einem sofort klar, wie solche Situationen, solche An blicke die Betroffenen weiter beschäftigen.
Man kann sich auch einmal danach erkundigen, was aus den Beamtinnen und Beamten geworden ist, die beim Amoklauf von Winnenden unmittelbar am Tatort dabei waren, und wie viele von ihnen nicht mehr einsatzfähig sind, jedenfalls nicht in der bisherigen Tätigkeit, denen man andere Tätigkeiten ge ben musste, weil sie ihre bisherigen Tätigkeiten nicht mehr ausgehalten haben.
Wenn man das alles mitbekommt, dann kann man nur dank bar sein, dass es offensichtlich ein sehr ordentliches Netz von Hilfsmöglichkeiten gibt. In der Stellungnahme der Landesre gierung sind diese aufgezählt. Es gibt vielfältige Betreuungs- und Seelsorgemöglichkeiten. Diese sind außerordentlich wich tig. Man muss sie hegen und pflegen und, wo es geht, viel leicht noch ein Stück weit ausbauen.
Es ist davon die Rede – Frau Kollegin Häffner hat es ange sprochen; das ist im ersten Moment irritierend –, dass die be lastenden Einsatzlagen gar keinen so hohen Prozentsatz an den gesamten Beratungsfällen ausmachen. Von den nahezu 900 Beratungsfällen sind gut 100 Fälle direkt mit belastenden Einzelsituationen verbunden. Aber die Frage ist: Was schließt man daraus?
Erst einmal muss man natürlich sagen: Wenn Beamte wegen persönlicher Krisen in die Beratung gehen, sind häufig auch solche Erlebnisse schuld. Vielleicht sind es nicht ganz so dra matische Erlebnisse, aber in der Summe sind es viele solcher Erlebnisse.
Wenn man sieht – ich weiß, dass man da sich nicht weit her auslehnen kann –, wie viele Beamte mit allgemeinen Proble men zu den entsprechenden Einrichtungen kommen, muss man überlegen, ob man diese Beratungsangebote nicht über die Polizei und den Strafvollzug hinaus für besonders zuge spitzte Situationen zur Verfügung stellen kann. Denn nicht al les, was dort zur Sprache kommt, hat vor allem polizeispezi fische Gründe. Jedenfalls merkt man: Wir müssen uns um un sere Beamten kümmern, um manche ganz besonders. Man kann da nie wach genug sein. Denn hinter jedem Beamten und jeder Beamtin steht ein Mensch.
Es gibt übrigens noch eine sehr naheliegende Möglichkeit. Dies ist – sie ist Ihnen, Herr Innenminister Gall, sicher be kannt – die Stiftung der Polizei. Diese unterhält Ferienheime, in denen Beamtinnen und Beamte, Familien, die besonders belastende Situationen erlebt haben, Urlaub machen können,
und zwar mit anderen zusammen. Das Interessante daran fin de ich, dass es nicht gleich bei jedem, der dort hinkommt, heißt: Hier kommt ein Traumatisierter. Vielmehr können die Betroffenen dort mit anderen zusammen Urlaub machen. Die se Wohnheime unterhält die Stiftung der Polizei. Eines davon befindet sich in Bayern in der Nähe des Kochelsees.
In den vergangenen Jahren habe ich diese Stiftung in sehr be scheidenem Umfang mit Mitteln aus dem Verfügungsfonds unterstützt, weil für diesen Zweck sonst gar kein Titel vorhan den war. Man müsste sich vielleicht einmal überlegen, ob man der Stiftung nicht noch ein bisschen hilft. Denn dort sind – da rüber habe ich mich vorher vergewissert – beispielsweise ge rade Familien von Beamten aus Polizei und Strafvollzug, die bei dem Ereignis in Winnenden zum Einsatz kamen, in den Ferien gewesen. Das ist vielleicht eine naheliegende Möglich keit, wie man noch ein bisschen mehr tun kann.
Verehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gern zur Kenntnis ge nommen – es hat mich aber auch nicht wirklich überrascht –, was meine Vorredner heute und hier gesagt haben, nämlich dass registriert und zur Kenntnis genommen wird, dass Be amtinnen und Beamte unserer Landespolizei wirklich zuneh mend mit belastenden Situationen umzugehen haben. Dabei sind dies nicht nur die Situationen, die mediale Aufmerksam keit finden – einige davon haben Sie gerade geschildert –, son dern es sind die vielen Situationen des täglichen Dienstes, die ebenfalls zunehmend zu Belastungen für die Beamtinnen und Beamten führen, seien es Verkehrsunfälle mit Verletzten, aber auch mit Toten, seien es Tötungsdelikte, auch Selbsttötungs delikte, oder seien es einfach Familiendramen, bei denen die Polizei ja häufig zu Hilfe gerufen wird.
Aber, meine Damen und Herren, nicht außer Acht lassen soll ten wir auch, dass es sehr an Polizeibeamtinnen und -beam ten, gerade an jungen, nagt, wenn sie tagtäglich erleben müs sen, dass der Respekt der Bürgerinnen und Bürger gegenüber ihrer Tätigkeit zum Teil dramatisch abnimmt, also der Res pekt gegenüber Menschen, die in diesen Beruf gegangen sind, um Hilfe zu leisten
(Abg. Thomas Blenke CDU: So ist es! – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Das beschäftigt sie am meis ten!)
Meine Damen und Herren, wozu dies führen kann, haben al le Redner deutlich gemacht, nämlich zu Krankheiten, im güns tigsten Fall einfach zu Befindlichkeitsstörungen – aber auch dies wirkt sich natürlich aus –, zu Krankheiten bis hin zur Dienstunfähigkeit. Solche Fälle – ich komme noch darauf zu sprechen – beobachten wir tatsächlich auch.
Deshalb ist es gut, dass schon vor vielen Jahren die damalige Landesregierung, in diesem Fall d i e Politik – denn darü ber gab es meines Wissens nie Streit –, auf die Einrichtung psychologischer Betreuungs- und Seelsorgeangebote inner halb unserer Landespolizei hingewirkt hat.
Der Antrag der SPD, der jetzt diesbezüglich gestellt wurde, bezieht sich aber ausschließlich auf die psychologischen Be treuungsangebote, die das Land selbst macht, und nicht auf die seelsorgerischen. Deshalb nehme ich jetzt vorwiegend auf diese Tätigkeiten Bezug, wenngleich ich auch ausdrücklich sagen will: Auch die seelsorgerischen Tätigkeiten unserer Lan deskirchen sind außerordentlich wichtig und werden im Üb rigen von den Beamtinnen und Beamten unserer Landespoli zei auch sehr geschätzt. Deshalb habe ich gern übernommen, was mein Vorgänger schon zugesagt hatte, nämlich bei einer Tagung der Seelsorger der Polizei in Deutschland diese auch seitens der Landesregierung zu empfangen und deutlich zu machen, wie wichtig und hilfreich deren Arbeit innerhalb der Polizei ist.
Meine Damen und Herren, eigens zur Prävention, aber auch zur Intervention, zur Nachsorge in Krisenfällen hat das Land deshalb 1997 die Koordinierungsstelle für Konflikthandha bung und Krisenmanagement bei der Akademie der Polizei eingerichtet, die – das ist, glaube ich, unstrittig – mit außer ordentlich hoher Fachkompetenz, mit einem inzwischen wirk lich breiten Erfahrungsschatz – leider, kann man da fast sa gen, kam es zu einem solch breiten Erfahrungsschatz – her vorragende Arbeit leistet. Diese Koordinierungsstelle ist qua si der Kopf dessen, was dann in der Fläche bei den Dienststel len unseres Landes geleistet wird, was Beratung und Hilfe in nerhalb der Polizei anbelangt. Was dies de facto heißt, werde ich Ihnen jetzt in aller Kürze noch einmal zur Kenntnis zu ge ben versuchen.
Bei jeder Polizeidienststelle im Land gibt es Konfliktberater. Diese sind jederzeit für die Beamtinnen und Beamten bei in nerdienstlichen – das hat die Kollegin Häffner angesprochen –, aber auch bei persönlichen Problemen ansprechbar. Lan desweit haben wir zwischenzeitlich 105 dieser Konfliktbera ter.
Darüber hinaus sind beim Polizeipräsidium Stuttgart, aber auch bei den Bereitschaftspolizeidirektionen und auf Ebene der Regierungsbezirke zwischenzeitlich Kriseninterventi onsteams eingerichtet worden, die bei größeren Einsätzen bei entsprechendem Betreuungsbedarf unterstützend tätig wer den. Dort arbeiten Polizeiärzte und Psychologen mit, aber auch die Seelsorger der Kirchen wie auch unsere Konfliktbe rater sind eingebunden.
Ich darf noch darauf hinweisen – das ist vielleicht auch nicht ganz unwichtig –: Auch beim Einsatz unserer verdeckten Er mittler leisten diese Teams eine hervorragende Hilfe. Denn gerade diese Arbeit kann sehr belastend sein, weil die Ermitt ler in einem Umfeld arbeiten müssen, in dem sie sich nicht wohlfühlen
ja, zu Recht nicht wohlfühlen –, in dem sie auch Dinge zur Kenntnis nehmen müssen, die ihrem Berufsethos widerspre chen. Deshalb sind auch sie häufig auf entsprechende Unter stützung und Begleitung angewiesen.
Für die Polizeibeamtinnen und -beamten, die mit der Bearbei tung von Kapitaldelikten befasst sind, werden neben den ver schiedenen Fortbildungsmaßnahmen auch Angebote zur Ein satznachbereitung gemacht, die außerordentlich wichtig sind. Nicht nur bei der Polizei, sondern auch im Bereich der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr finden diese Betreuungsmaß nahmen inzwischen hohe Akzeptanz und großen Zuspruch.
In welchem Umfang, in welchem Netz die psychosoziale Be treuung wahrgenommen wird, will ich Ihnen noch einmal kurz darstellen:
Jährlich nehmen rund 1 000 unserer Beamtinnen und Beam ten dieses Angebot in Anspruch. 1 000 halte ich für eine rela tiv hohe Zahl.
Daran wird aber deutlich, dass tatsächlich Bedarf besteht und diese Einrichtungen, diese Möglichkeiten mehr als sinnvoll sind.
Mehr als die Hälfte der Fälle, in denen dort Hilfe gesucht, Rat gesucht wurde, gehen auf dienstliche Belange zurück. In rund 40 % der Fälle liegt die Ursache auch im privaten Bereich, wobei man zur Kenntnis nehmen muss, dass solche privaten Probleme oft auch durch die berufliche Belastung des jewei ligen Partners bedingt sind.
Leider, muss ich sagen, sind im letzten Jahr aufgrund psychi scher oder psychosomatischer Erkrankungen 23 Polizeibeam tinnen und -beamte in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wor den, weil sie den Dienst, der zu diesen Belastungen geführt hat, nicht mehr leisten konnten.
Nur weil danach gefragt wurde, will ich in einem Satz erwäh nen, dass uns die beschriebenen Maßnahmen pro Jahr etwa eine halbe Million Euro kosten. Ich denke aber, es ist völlig unstrittig, wenn ich hinzufüge, dass uns diese Maßnahmen das Geld auch tatsächlich wert sind.
Meine Damen und Herren, sowohl der Aufbau und die Orga nisation der Betreuung, die wir leisten, als auch die Qualität der psychologischen Betreuung haben sich im Ergebnis be währt. Wir arbeiten kontinuierlich an ihrer Verbesserung. Es gibt aufgrund neuer und zusätzlicher Herausforderungen auch Veränderungen, auf die wir zu reagieren haben. Deshalb ha ben wir – als jüngstes Beispiel – in einem Leitfaden, den alle Führungskräfte erhalten haben, eine Zusammenfassung er stellt, was z. B. psychische Auffälligkeiten anbelangt.
Man kann, glaube ich, an dieser Stelle auch sagen, dass auch Suchtproblematiken innerhalb der Polizei häufig auf dienstli che Gründe zurückgehen. Es ist erforderlich, entsprechend schnell reagieren zu können, und es ist wichtig, den Führungs verantwortlichen deutlich zu machen, welche rechtliche Ver pflichtung sie als Verantwortliche diesbezüglich haben.
Zur letzten Frage, die gestellt war: Natürlich werden wir auch in der neuen Organisationsstruktur der Polizei gerade dieser
Arbeit den entsprechenden Stellenwert einräumen. Daran wird sich letztlich gar nichts ändern. Wenngleich organisatorisch ein paar Veränderungen notwendig sind, wird sich am Kern dessen, was dort gemacht wird, nichts ändern.
Meine Damen und Herren, ich will mich bei Ihnen allen aus drücklich für die große Wertschätzung bedanken, die Sie am heutigen Tag den Beamtinnen und Beamten unserer Polizei gegenüber zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben deutlich gemacht, dass wir es ernst mit der Aussage nehmen, dass wir, wenn mit diesem Einsatz für die Sicherheit unseres Landes persönliche Beeinträchtigungen verbunden sind, gewillt und bereit sind, entsprechende Hilfe zu leisten.
Herr Dr. Goll, zu Ihrem Hinweis auf die Polizeistiftung und auf eventuelle Nachsorgemaßnahmen und Ähnliches: Da sind wir im Gespräch, z. B. mit der Deutschen Polizeigewerk schaft, die entsprechende Heime unterhält – zwar nicht in Ba den-Württemberg, sondern außerhalb unseres Bundeslandes –, und wir sind im Gespräch mit dem baden-württembergi schen Feuerwehrverband, der eine Erholungseinrichtung im Schwarzwald unterhält, ob wir eine Kooperation eingehen können.