Dass Sie dies aber nicht zulassen, sondern die Gemeinschafts schule durch zahlreiche Maßnahmen privilegieren, zeigt, dass Sie sich Ihrer Sache wohl doch nicht so sicher sind.
Privilegierung und goldener Zügel sind Ihre Instrumente, von denen Sie sich den Erfolg für Ihre Bildungspolitik erhoffen.
Wir kritisieren ferner, dass Sie die demografische Not kleine rer Schulstandorte ausnutzen. Zahlreiche Schulträger sagen sich: Wir müssen wohl aus politischen Gründen auf den Zug
Beleg hierfür ist, dass unter den 34 Gemeinschaftsschulen kein Gymnasium und nur eine Realschule ist. Diese ist bereits im kooperativen Schulversuch der Geschwister-Scholl-Schu le in Tübingen aufgegangen. 18 der ausgewählten Schulen sind nur einzügig bzw. ein- bis zweizügig, das heißt verhält nismäßig klein. Die Schulträger müssen ein vorab genau fest gelegtes pädagogisches Konzept übernehmen, egal, ob sie da hinterstehen oder nicht. Die Gemeinschaftsschule bekommt man nur als Gesamtpaket, im wahrsten Sinn des Wortes als Einheitspaket. Individuelle Gestaltungsmöglichkeiten wie z. B. Kooperationen mit Werkrealschulen oder Realschulen, Verzicht auf gebundene Ganztagsbetreuung und vor allem ei ne nach Leistungsniveau differenzierende Pädagogik sind grundsätzlich ausgeschlossen, wie Politiker der Koalition im mer wieder betonen. Diese Gestaltungsfreiheiten wären aber dringend geboten, um auf ortsspezifische Gegebenheiten ein zugehen.
Ginge es Ihnen tatsächlich um die Rettung kleinerer Schul standorte, müssten Sie Flexibilität und Kooperationsfreiheit zulassen, damit die Schulträger im Dilemma zwischen Stand ortbewahrung und Gewährleistung eines attraktiven Schulan gebots passende Lösungen finden können. Doch mit der „Vo gel, friss oder stirb!“-Logik haben Grüne und SPD nicht den evolutionären, sondern den revolutionären Ansatz gewählt.
Oder um es mit den Worten der Ministerin und des Minister präsidenten zu sagen: Die Einführung der Gemeinschaftsschu le ist der erste Schritt weg vom gegliederten Schulsystem.
Wir Liberalen setzen uns für eine weitgehende Kooperations freiheit der weiterführenden Schulen bzw. für die Bildung von Verbundschulen mit mehreren Bildungsgängen unter einem Dach und mit einer Schulleitung ein. Insbesondere eine Ko operation von Werkrealschulen und Realschulen könnte eine an vielen Orten interessante und stark nachgefragte Schulform sein. Gestaltungsfreiheit und Flexibilität, dies ist nach meiner Auffassung die einzige Herangehensweise, die es den Verant wortlichen vor Ort ermöglicht, tragfähige Schulangebote in Zeiten des demografischen Wandels zu entwickeln.
Meine Damen, meine Herren, ein offenes Wort sei mir an die ser Stelle gestattet: Schon in der Vergangenheit war das Kul tusministerium nicht gerade dafür berühmt, ein Hort der Of fenheit, Flexibilität und Innovationsfreude zu sein.
Nachdem das Pendel hier viel zu stark in die konservative Richtung ausgeschlagen hat, schlägt es nun in die andere Richtung aus, diesmal unter linken Vorzeichen.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Gott sei Dank! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: „Hoch die internationa le Solidarität!“)
Dieser Pendelausschlag bedeutet aber leider nicht, dass nun Gestaltungsfreiheit und Flexibilität ermöglicht würden. Viel mehr zeigt sich nun eine neue Form der Bevormundung, nur unter anderer Flagge und mit anderen Mitteln.
Eine an Qualität interessierte Bildungspolitik sollte sich je doch vor Extremen, vor Ideologisierung und vor zu viel poli tischer Vereinnahmung hüten.
Ein Kurs der Mitte tut not. Das bedeutet erstens eine aus kömmliche Finanzierung, zweitens verlässliche Rahmenbe dingungen und drittens Eigenverantwortung vor Ort. Dies wä re die beste Basis für gute Bildungsergebnisse.
Für die stete Weiterentwicklung unseres Bildungswesens ist es wichtig, gewünschte Innovationen nicht auszubremsen, sondern zu fördern.
Vonseiten der Landespolitik aber darüber zu verfügen, was für die Menschen vor Ort gut und richtig ist, ist von Übel, und es konterkariert das wesentliche Ziel von Bildung, nämlich, Men schen sich zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern entwickeln zu lassen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, gestatten Sie mir nur noch eine konkrete Frage, die Sie heute nicht be antworten müssen, die ich hier aber mit großem Ernst stelle. Sie haben in Ihrer Rede mehrfach betont, dass Sie Entwick lung von unten nach oben zulassen wollen. Sie haben gesagt – das spiegelt sich in Ihren Kabinettsbeschlüssen wider, und es ist auch in Pressemitteilungen mehrfach zitiert worden –, Sie wollten „eine Schulentwicklung von unten nach oben“. Eben haben Sie auch gesagt, Sie redeten mit den Leuten.
Frau Ministerin, wenn Sie es mit diesen Aussagen ernst mei nen – zumindest machen Sie diese Aussagen zu Ihrem Credo –, warum nehmen Sie dann nicht zur Kenntnis, dass vor al lem die kleineren Kommunen nicht nur darüber diskutieren, dass sie eine Gemeinschaftsschule einrichten wollen – als Ret tungsschirm, weil sie in ihrer Not gar keine andere Möglich keit haben –, sondern auch Überlegungen in der Weise anstel len, dass sie sagen: „Wenn wir schon eine kleine Werkreal schule oder Hauptschule haben, liegt es doch nahe, eine Zu kunftsperspektive dergestalt zu entwickeln, dass möglicher weise eine benachbarte Realschule mit einer Werkrealschule kooperiert, und zwar in Form einer Verbundlösung“ – wie sie das Schulgesetz schon jetzt zulässt; dazu müsste nicht einmal das Schulgesetz novelliert werden –, oder möglicherweise auch eine bestehende Werkrealschule zu einer regulären Re
Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu; denn ich möch te den Zusammenhang gern insgesamt darlegen.
Frau Ministerin, das ist eine ganz ernst gemeinte Frage. Ich gebe keine abschließende qualitative Wertung über solche An träge ab; denn sie sind aus der Not geboren. Aber warum sa gen Sie bei jeder Gelegenheit, Sie wollten eine Entwicklung von unten nach oben, während Sie Schulträgern, die – nur im Vorfeld, auf Arbeitsebene – an Ihre Ministeriumspforte klop fen und sagen, sie wollten in dieser Richtung einen Antrag stellen, sofort einen Korb geben?
Meine Damen und Herren, das hat doch nichts mit ernst ge meinter Schulentwicklung von unten nach oben zu tun.
Deshalb fordern wir Sie auf – und wir werden nicht müde, dies immer wieder einzufordern –, Ernst zu machen und zu mindest den Schulträgern zu sagen: Wenn ihr ein demografi sches Problem habt, dann sind wir bereit, mit euch über alle Lösungen zu reden
Wenn Sie zu diesem Schritt bereit sind, dann sind wir auch bereit, in eine konstruktive Debatte über die Gemeinschafts schule einzusteigen. Aber davon sind Sie weit entfernt, und das bezeichnen wir – entschuldigen Sie, dass ich es so sagen muss – als pure Ideologie.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine zweite Be merkung anschließen. Ich finde es sehr schade, dass hier zwei ganz krasse Gegensätze aufgebaut werden. Sie sagen, dass Ihr pädagogisches Konzept der Gemeinschaftsschule völlig neu sei und die Schulentwicklung in Baden-Württemberg verän dern solle.
(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: So ein Quatsch! Das macht niemand! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wer hat das behauptet? – Zuruf des Abg. Walter Hei ler SPD – Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜ NE)
Sie sprechen dabei von Erneuerung der Entwicklungen, Zu sammenarbeit der Eltern, Teamarbeit. Übrigens sind das kei ne neuen Entwicklungen, sondern wir kennen sie aus der Jena plan-Pädagogik, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurde und also ein Prozess ist, der schon sehr alt ist und immer wieder hier und da scheiterte.
Nehmen Sie, Frau Ministerin, doch Folgendes zur Kenntnis: Die vielen Lehrer an unseren Schulen, die ein vernünftiges,
hochqualitatives Studium absolviert haben, an den Pädagogi schen Hochschulen, an den Universitäten oder in Seminaren weiterqualifiziert wurden und viele Angebote der Lehrerfort bildung in Anspruch genommen haben, haben dies auf der Ba sis eines Bildungsplans getan, der zuletzt im Jahr 2004 refor miert wurde. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass es Hartmut von Hentig war, einer der bekannten Reformpädagogen, der diesen Schritt damals außerordentlich begrüßte: die Metho denvielfalt, das schülerzentrierte Lernen oder die Maßgabe, dass die Rhythmisierung des Unterrichts selbstverständlich für jede Schulart gilt, wenn man eine vernünftige Pädagogik umsetzen will.
Aber, meine Damen und Herren, Sie glorifizieren hier die Ge meinschaftsschule als eine große Verheißung, die auf die Bil dungslandschaft in Baden-Württemberg herabkommen soll, und behaupten, dass das, was alle anderen Schulen tun, eine uralte und überkomme Pädagogik sei.