Protokoll der Sitzung vom 28.03.2012

Natürlich. Das steht in den Pressemitteilungen. Wenn Sie sich davon distanzieren, Herr Schmiedel, nehme ich dies sehr gern zur Kenntnis. Aber in den Pressemitteilungen und in den Verlautbarungen – ich könnte Ihnen viele Quellen nennen – wird immer wieder die neue, fortschrittliche Pädagogik der Gemeinschaftsschule im Gegensatz zu dem alten Frontalun terricht im herkömmlichen Schulsystem dargestellt. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Gegensatz! Nehmen Sie zur Kenntnis, dass alle unsere Schulen wesentlich weiter sind, als Sie behaupten.

Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen; damit komme ich zu Ihrem Vorwurf der Selektion. Ich hatte die Zahl schon er wähnt: 75,9 % des Jahrgangs haben im Jahr 2010 die mittle re Reife absolviert. Ich möchte es noch einmal zuspitzen: Über die Hälfte haben einen Hochschulzugang, das heißt, sie blei ben nicht bei der mittleren Reife stehen. Ich zitiere den Bil dungsbericht 2011: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die einen allgemeinen Hochschul zugang erworben haben, betrug im Jahr 2006 13 %. Man muss immer sehen: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Gesamtschülerschaft beträgt bekanntermaßen nicht 100 %, sondern ist wesentlich gerin ger; insofern muss man die 13 % in Relation setzen.

(Zurufe von den Grünen und der SPD)

Natürlich ist das steigerungsfähig.

Jetzt kommt die zweite Zahl: Drei Jahre später betrug dieser Anteil 19 %. Meine Damen und Herren, das ist keine statisti sche Verfälschung, sondern Ergebnis der individuellen Förde rung an unseren Schulen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Friedlin de Gurr-Hirsch CDU: Ein Erfolg!)

Jetzt darf ich eine letzte Bemerkung machen. Frau Ministe rin, vor wenigen Tagen haben Sie in einer Pressemitteilung dargelegt, Sie werteten die Abschaffung der Notenhürde an den Werkrealschulen als vollen Erfolg, sozusagen als vorläu

fige Bekanntgabe des Ergebnisses, dass 50 % der Schüler das zehnte Schuljahr besuchen. Meine Damen und Herren, 75,9 % erreichen den Realschulabschluss oder einen gleichwertigen mittleren Bildungsabschluss, über die Hälfte einen Hochschul zugang, es gibt eine Steigerung bei den Jugendlichen mit Mi grationshintergrund, was den Hochschulzugang betrifft – wo hin wollen Sie denn noch?

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Noch besser wer den!)

Wollen Sie denn, dass am Ende jeder das Abitur erwerben soll?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Mit Been digung der Geburt das Abitur!)

Meine Damen und Herren, dann bin ich einmal gespannt, was Sie von der Qualität halten. Diese Qualitätsdebatte werden wir mit Ihnen sehr engagiert führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Boser das Wort.

Das selektive Bildungssystem in Baden-Württemberg hat nicht funktioniert.

(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zurufe von der CDU: Was? – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wa rum stehen wir denn nicht so schlecht da? – Unruhe)

Wie viele Schülerinnen und Schüler sitzen in den Schulen und sind unterfordert oder überfordert? Wie viele Schülerinnen und Schüler gehen in die Nachhilfe, weil sie in Ihrem bishe rigen Schulsystem überfordert sind, meine Damen und Her ren?

Die Einführung der Gemeinschaftsschule wird grundsätzlich gewünscht und als Chance Baden-Württembergs gesehen. Sie verpassen die Chance, sich an diesem Prozess zu beteiligen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Haben Sie gerade nicht aufgepasst?)

Sie verpassen die Chance, dass wir hier in Baden-Württem berg ein Bildungssystem entwickeln, das vom Kind aus und nicht einzig und allein in starren Formen denkt. Jedes Kind entwickelt sich individuell. Jedes Kind hat innerhalb der fünf bis zehn Jahre, in denen es eine weiterführende Schule be sucht, einen individuellen Entwicklungsprozess. Dies kann das derzeitige Bildungssystem nicht in voller Form umsetzen. Das derzeitige Bildungssystem ist durch die jeweiligen Bil dungspläne eingeschränkt. Wir wollen diese Schranken auf lösen und am Ende allen Kindern die gleichen Möglichkeiten bieten.

Wir wollen, dass die soziale Herkunft, Herr Dr. Kern, am En de überhaupt keine Rolle mehr spielt, und nicht, dass die so ziale Herkunft so wenig wie möglich eine Rolle spielt oder

eventuell keine Rolle mehr spielt. Für diese Chancengerech tigkeit und für diese soziale Gerechtigkeit steht das neue Bil dungssystem in Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ohne Ziel!)

Meine Damen und Her ren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Doch!)

Herr Abg. Dr. Kern.

Wie viel Redezeit habe ich noch?

Sie haben noch 55 Se kunden Redezeit.

Liebe Kollegin Boser, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt sind es noch 40 Sekunden!)

dass Sie mir erklärt haben, wie sich Schüler in ihrer Bildungs biografie entwickeln. Vielen herzlichen Dank für diese „neue“ Information.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: 30 Sekunden! – Gegen ruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Ru hig! Maulkorb!)

Ein weiterer Punkt: Ich bitte die Koalition nur um eines:

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Noch 20 Sekunden!)

Seien Sie aufrichtig und ehrlich. Sagen Sie doch: „Jawohl, wir wollen, dass es mittelfristig keine Hauptschulen, Werkreal schulen und Realschulen mehr gibt.“ Sagen Sie das doch den Menschen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wolf gang Drexler SPD: Ende!)

Mich würde interessieren, ob auch das Gymnasium in diese Entwicklung integriert werden soll. Sagen Sie, ob Sie das wol len oder nicht wollen. Einige von Ihnen sprechen von einer Ergänzung des bestehenden Bildungssystems,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ende! – Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE – Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit angezeigt. – Glocke der Präsidentin)

andere sagen, am Ende solle die Gemeinschaftsschule die do minierende Form darstellen. Seien Sie ehrlich! Dann würden Sie auch zur Glaubwürdigkeit der Politik beitragen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Sagen Sie den Menschen, dass Sie das bestehende geglieder te Bildungssystem – – Im Übrigen gehört dazu auch das be rufliche Bildungssystem. Das unterschlagen Sie immer.

(Zurufe der Abg. Muhterem Aras GRÜNE und Wolf gang Drexler SPD)

Auch das werden Sie mit der Einführung der Gemeinschafts schule unter Druck setzen.

Schütten Sie den Menschen reinen Wein ein, und sagen Sie ihnen, was Sie tatsächlich wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf: Das haben wir lange gemacht! – Zu ruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ist somit beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/1466 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport – –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: In den Mülleimer zu werfen! – Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Abg. Zimmermann, möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?