Hinzu kommt, dass die Noten für viele Schülerinnen und Schüler eben keine Motivation darstellen, sondern ein Hemm nis bedeuten. Auch das kann man in Schülerforen oder Blogs lesen und feststellen, dass die Schüler dadurch eben keine Mo tivation erfahren, sondern in ihrer Leistung eingeschränkt wer den. Eine entsprechende Rückmeldung gibt auch der Landes schülerbeirat.
Da sich die Ziffernnoten in Baden-Württemberg in den ver gangenen Jahren aber als Leistungsbewertung schlechthin ge festigt haben, bedeuten sie für manche Schülerinnen und Schü ler auch eine wertvolle Grundlage. Das erkennen wir an. Des wegen haben wir jetzt eben die zusätzlichen Leistungsbeur teilungsmöglichkeiten einer Gemeinschaftsschule eingeführt und das Notensystem bislang auch beibehalten.
Bei den neuen, zusätzlichen Leistungsbewertungsmöglichkei ten spielen das persönliche Gespräch, die Rückmeldung des Lehrers über den Leistungsstand und die Leistungsmöglich keiten eines Schülers sowie auch die Selbsteinschätzung ei nes Schülers eine wichtige Rolle. Damit wird die Leistung ei nes Schülers nicht allein auf der Grundlage von Ziffern be wertet, sondern der persönliche Austausch und die Einschät zung des Lehrers spielen hier eine übergeordnete Rolle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hier geht es nicht um die Frage, ob Leistungsbeurteilung oder gar Leistung an sich infrage gestellt werden soll, sondern es geht um die Frage, welche Leistungen in einem Schulsystem denn bewertet wer den sollen.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Thomas Marwein GRÜNE: Bravo! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es wird alles bewertet! Alles!)
Mit den zusätzlichen Beurteilungsmöglichkeiten – gerade jetzt an der Gemeinschaftsschule – können auch in Baden-Würt temberg neue Wege gegangen werden, die genau diese Mög lichkeiten mit einbeziehen. Wie in der Stellungnahme zum Antrag durch das Kultusministerium ausgeführt, sind dies mit die grundlegenden Voraussetzungen, um individuelle Förde rung in den Schulen stärker zu verankern.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da steht doch gar nichts drin! – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das war doch noch vor der Gemeinschaftsschule!)
Daher begrüßen wir, die Grünen, ausdrücklich die Möglich keiten an der Gemeinschaftsschule zur Leistungsbeurteilung.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den die Gemeinschaftsschule nun endlich angeht, ist das Sitzenbleiben. Hier wird vonsei ten der CDU immer behauptet, das Sitzenbleiben wäre d e r Ansporn für Schülerinnen und Schüler, um mehr Leistung zu bringen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Nein! Es ist kein Unglück, sagen wir! Haben Sie überhaupt schon ein mal wiederholt?)
Sehr geehrter Herr Röhm, ich behaupte, dass es nicht an der Gefahr des Sitzenbleibens liegt, dass es bei uns im Land so wenige Wiederholer gibt. Ich sage, es liegt an der Leistung der Lehrerinnen und Lehrer. Sie können diese Aussage gern infrage stellen.
(Lachen der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie waren immer auf der Sonnenseite! Sie waren gut in der Schule! Ich weiß das! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)
Entgegen Ihrem Antrag, der behauptet, dass die Lernleistung durch das Wiederholen gesteigert werde, konnte keine Studie in den vergangenen Jahren eine positive Auswirkung des Sit zenbleibens auf die Lernleistung und das Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler ermitteln, ganz im Gegenteil. Die Bertelsmann Stiftung hat bereits im Jahr 2009 in einer Studie aufgezeigt, dass Sitzenbleiben weder auf die schuli schen Leistungen des Wiederholers noch auf die Leistungsfä higkeit der verbliebenen Klasse eine positive Auswirkung hat. Auch die OECD hat in ihrer letzten PISA-Studie das Thema Sitzenbleiben mit in das Portfolio der Aufgaben aufgenom men. Auch die PISA-Studie hat nicht feststellen können, dass das Sitzenbleiben den gewünschten Erfolg hat.
Aus der bereits erwähnten Studie der Bertelsmann Stiftung – – Ja, Frau Kollegin, die Bertelsmann Stiftung hat im Jahr 2009 ermittelt, dass Deutschland insgesamt etwa 1 Milliar de € allein für das Sitzenbleiben ausgibt.
haben wir am Ende sicherlich ein viel besseres Ergebnis, als wenn wir am Sitzenbleiben, wie es bisher vorgesehen ist, fest halten, meine Damen und Herren.
Daher ist es, denke ich, endlich an der Zeit, dass sich in Ba den-Württemberg auch in Sachen Notengebung und Sitzen bleiben etwas bewegt. Zu lange wurde an Altem festgehalten, ohne dabei über Sinn und Unsinn nachzudenken. Ich bin froh, dass die neue Landesregierung hier neue Wege ins Auge fasst und mit auf den Weg gibt.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Ich wüsste gern etwas konkret!)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe nicht den Ehrgeiz und ich unterliege auch nicht der Illusion, dass ich Ihre „Notengläubigkeit“ erschüt tern könnte, aber vielleicht kann ich ein bisschen daran krat zen.
Ich beschäftige mich heute nicht zum ersten Mal mit dem Pro blem der Noten. Auch ich habe in der Ausbildung zum Leh rer gelernt, dass eine Klassenarbeit, bei der ausschließlich die Noten „Eins“ und „Zwei“ erzielt werden, zu leicht ist, und ei ne, bei der es ausschließlich zu schlechten Noten kommt, zu schwer ist.
Also hat man diese geniale gaußsche Normalverteilung zu grunde gelegt: wenige sehr gute Noten, ein breites Mittelfeld, wenige sehr schlechte. Dann ist die Arbeit in Ordnung.
Lieber Kollege Röhm, darauf komme ich gleich noch ein mal. Ich hatte in der Tat kein Problem damit, auch Klassenar beiten zu schreiben, bei denen diese gaußsche Normalvertei lung außer Kraft gesetzt war.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter den Stichworten „No ten“, „Noten abschaffen“ und „Schulnoten“ finden wir im In ternet einige Hunderttausend Eintragungen,
darunter auch zahllose Untersuchungen von Bildungsforschern und Erfahrungsberichte von Lehrern, Eltern und Schülern; ich denke, jeder hier hat schon seine Erfahrungen mit dem The ma Schulnoten gemacht. Dass der eine oder andere auch ein mal ungerecht behandelt wurde, lieber Kollege Röhm, geben Sie sicher zu.
Das zweite Thema – Sitzenbleiben, Wiederholen von Klassen – will ich hier nicht abfragen, auch wenn Sie sich hier dazu schon geoutet hatten.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist doch schon lange bekannt und hinreichend bewiesen, dass Lehrer die gleiche Leistung unterschiedlich bewerten. Wir wissen das von Deutschaufsätzen. Dass aber auch Mathearbeiten höchst un terschiedlich bewertet werden – mit Noten von „Eins“ bis „Fünf“ –, ist vielleicht zunächst unverständlich, lässt sich aber schnell erklären. Manche Lehrer berücksichtigen nur das Er gebnis, manche wollen auch den Lösungsweg, und andere wollen dazu auch noch begleitende Erklärungen. Wenn wir das zur Kenntnis nehmen, stellt sich die Frage: Was sind No ten wert?
Die Untersuchungen von Herrn Professor Dr. Brügelmann, der seit Jahren zum Thema „Leistungsbeurteilungen in der Schule“ forscht, sollte man zur Kenntnis nehmen. Zwei sei ner Ergebnisse stimmen mich nachdenklich. Erstens: Häufig bekommen Kinder von Migranten bei gleicher Leistung schlech tere Noten als deutschstämmige Kinder. Zweitens: Ruhige Schüler werden besser bewertet als notorische Störenfriede.
Insofern, lieber Kollege Röhm, kann natürlich auch das der Grund sein, weshalb Sie damals eine Klasse wiederholen mussten.