Insofern, lieber Kollege Röhm, kann natürlich auch das der Grund sein, weshalb Sie damals eine Klasse wiederholen mussten.
Die Frage ist in der Tat: Was sind denn Noten wert? Belegt ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Bewertung von Arbeiten auch von der Tagesform der Lehrer abhängt.
Das natürlich auch. – Interessant ist auch: Wo liegt eine Klassenarbeit in dem großen Stapel von Arbeiten, die ich mit nach Hause genommen habe?
Es ist auch bekannt, dass Lehrer dann, wenn ihnen die glei che Arbeit ein zweites Mal vorgelegt wird, die Arbeit nicht selten unterschiedlich bewerten. Über die Frage „Was sind denn Noten wert?“ müssen wir wirklich einmal ernsthaft dis kutieren.
Viele Eltern, viele Lehrer und auch viele Kinder können sich eine Schule ohne Noten nicht vorstellen, aber ich ergänze: noch nicht vorstellen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Schülerinnen und Schüler sind darauf getrimmt: Sie wollen Noten, aber sie wol len gute Noten – das muss deutlich gesagt werden –, weil sie auf ein Erfolgserlebnis hoffen.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, was wir auch wissen: Ein Drit tel der Neun- bis 14-Jährigen fürchten sich davor, in der Schu le zu versagen. Ich denke, spätestens hier sollten wir einmal anfangen, darüber nachzudenken und ins Grübeln zu geraten.
Nachdenken und Grübeln sind nicht jedermanns Sache. Also hören wir auf die Experten. Die Experten sind sich heute ei nig darin, dass Noten eine Objektivität vortäuschen, die man ihnen nicht zuschreiben sollte. Das ist ganz unstrittig. Genau hier wollen wir ansetzen. Das wollen wir in der Gemein schaftsschule besser machen. Berichtszeugnisse und Lernent wicklungsberichte verraten mehr als Noten. Sie beschreiben die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler und werden dem Gedanken der individuellen Förderung eher ge recht als Noten.
Ich weiß, dass wir dafür zusätzliche Ressourcen brauchen und uns hier mit der Gemeinschaftsschule auf den Weg machen müssen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Herr Dr. Kern ist ein Musterschüler! – Abg. Walter Heiler SPD: Immer nur die Noten „Eins“ und „Zwei“! – Vereinzelt Hei terkeit – Unruhe)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Endlich spricht Grün-Rot das mutig aus, was schon längst öffentlich hätte gesagt werden müssen: Schulnoten werden völlig überbewertet. Endlich stellt jemand
öffentlich fest, was wir doch alle im tiefsten Herzen wissen: Noten sind grundsätzlich willkürlich, Noten diskriminieren jeden Pennäler, und Noten führen ausnahmslos zu lang anhal tenden Traumata bei den Betroffenen.
Eine von Grün-Rot eingesetzte Expertenkommission hat nach intensiver Recherche erst kürzlich festgestellt, dass es Noten schon sehr lange gibt.
Wie ich aus zuverlässiger Quelle aus dem Kultusministerium erfahren habe, sollen an allen traditionellen Schulen in Ba den-Württemberg, das heißt bei denen, die nicht Gemein schaftsschule werden wollen, ab dem neuen Schuljahr ver pflichtend Schilder aufgestellt werden mit dem Warnhinweis: „Achtung Gefahrschule, Leistung droht!“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt mal im Ernst. Ich wun dere mich schon sehr, wie praxisfern in diesem Hohen Haus über manche bildungspolitischen Themen gesprochen wird. Welcher Lehrer bestreitet denn ernsthaft, dass Schulnoten na türlich keine perfekte Abbildung von Schülerleistungen sind?
Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Noten und Noten gebung internen wie externen Einflüssen ausgesetzt sind. Die se Einflüsse sind bekannt und werden im Übrigen in der Leh rerausbildung auch transparent gemacht und ausführlich dis kutiert.
Ich wundere mich wirklich, dass folgende Binsenweisheiten überhaupt noch betont werden müssen: Zur Schule gehören Noten, das Wiederholen und auch Zeugnisse – und dies nicht nur in Abschlussklassen.
Schulnoten erfüllen zahlreiche unverzichtbare Funktionen. Sie haben eine Diagnosefunktion, eine Prognosefunktion, eine Se lektionsfunktion. Sie haben eine Evaluations- und eine Pla nungsfunktion für den Lehrer. Sie haben eine Berichtsfunkti
on. Sie haben eine Beratungsfunktion. Sie haben eine Sozia lisationsfunktion, eine leistungsvorbereitende Funktion, und sie haben – last, but not least – eine wichtige Motivationsfunk tion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, warum wol len Sie Lehrern, Schülern, Eltern und Arbeitgebern diese wichtigen Funktionen wegnehmen?
Es ist mir ein wichtiges Anliegen, an dieser Stelle einmal als Lehrer etwas sehr Grundsätzliches zu sagen, wobei ich dieses Wissen ja nicht allein besitze.
Bildung bedeutet eben nicht nur Angebot, sondern auch An spruch. Bildung bedeutet eben nicht nur Bedürfniserfüllung, sondern auch Anstrengung. Aus praktischer Erfahrung kann ich versichern: Junge Menschen wollen herausgefordert wer den, und junge Menschen wollen klipp und klar und ohne gro ßes Blabla zurückgemeldet bekommen, wo sie stehen, wo ih re Stärken, wo aber auch ihre Defizite liegen.
Diese Rückmeldung fordern sie von professioneller Seite ein und eben nicht nur als Selbsteinschätzung. Nein, wer sich an gestrengt hat, der hat nach meiner festen Überzeugung auch ein Anrecht auf eine kompetente und ermutigende Rückmel dung.
Erst kürzlich las ich ein sehr schönes Zitat: Ein guter Lehrer ist jemand, der seinen Schülern eben nicht nur die Hand bie tet, sondern auch die Stirn.
Genau das ist der Punkt. Wer Schule ohne Mühen und An strengungen verspricht, der beschädigt nachhaltig die Zukunft der jungen Menschen in unserem Land.
Zum Schluss möchte ich noch auf einen weiteren Punkt hin weisen, auf den ich bei Michael Felten gestoßen bin. Die PISA-Studie hat etwas Erschreckendes zutage getragen: Die Eltern in Deutschland nehmen sich weltweit am wenigsten Zeit, um mit ihren Kindern über das Lernen zu sprechen. Statt also völlig konzeptionslos die verbindliche Grundschulemp fehlung abzuschaffen, wäre es viel wichtiger,