Protokoll der Sitzung vom 23.05.2012

Zum Schluss möchte ich noch auf einen weiteren Punkt hin weisen, auf den ich bei Michael Felten gestoßen bin. Die PISA-Studie hat etwas Erschreckendes zutage getragen: Die Eltern in Deutschland nehmen sich weltweit am wenigsten Zeit, um mit ihren Kindern über das Lernen zu sprechen. Statt also völlig konzeptionslos die verbindliche Grundschulemp fehlung abzuschaffen, wäre es viel wichtiger,

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)

dass auch die Politik mit den Eltern ins Gespräch tritt, um deutlich zu machen, dass Eltern in Sachen Lernen vor allem auf zwei Aspekte achten sollten: Erstens: Helfen Sie Ihren Kindern, indem Sie allem Schulischen viel Aufmerksamkeit und Interesse schenken. Zweitens sollten Eltern eine zustim mende Haltung einnehmen, dass Schule auch Anstrengung er fordert und belastet.

Letzter Satz: Der Weg aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, den Sie mit der Gemeinschaftsschule einschla gen, ist das Gegenteil dessen, was richtig und für unsere Kin der förderlich ist. Aber in vier Jahren ist dieser bildungspoli tische Spuk, ist diese bildungspolitische Geisterfahrt im Inte resse unserer Kinder hoffentlich vorbei.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Der Red ner begibt sich zu seinem Platz. – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Frau Boser hatte noch eine Zwi schenfrage!)

Entschuldigung!

Herr Dr. Kern, würden Sie mir bitte erläutern, wann und wo von der neuen Landesregierung ausgegeben wurde, dass Noten ersatzlos gestrichen werden, ohne neue Leistungsbeurteilungsformen einzuführen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da ist noch gar nichts bekannt!)

und ob Leistung einzig und allein durch Noten hervorgerufen werden kann oder ob es eventuell auch andere Möglichkeiten gibt, um bei Schülerinnen und Schülern eine Leistung abzu rufen?

(Zuruf der Abg. Sabine Kurtz CDU)

Selbstverständlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Das habe ich doch tagtäglich vor den Klassen gemacht. Zum anderen wäre ich Ihnen außeror dentlich dankbar, wenn Sie bei der Gemeinschaftsschule end lich einmal konkret werden würden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: Ja, genau! Darum geht es auch! – Abg. Sandra Boser GRÜNE: Gehen Sie in eine Gemeinschaftsschule!)

Außer der Aussage, dass es dort kein Sitzenbleiben mehr ge ben soll, wissen weder Kinder noch Eltern, noch Lehrer ir gendetwas, wie Leistung in der Gemeinschaftsschule tatsäch lich abgefragt und überprüft werden kann. Darauf haben die se Personen aber einen Anspruch – es sei denn, in der Gemein schaftsschule wird überhaupt keine Leistung abgefragt; das kann ich mir aber kaum vorstellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Sabine Kurtz CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Warminski-Leitheußer das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wissen, dass Noten nicht das alleini ge Mittel sind, um tatsächlich die Leistungsfähigkeit von jun gen Menschen abzubilden. Das ist ein Anhaltspunkt – über haupt keine Frage –, aber sicherlich nicht das alleinige Mit tel.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Insbesondere in der Arbeitswelt, meine Damen und Herren, wird das sehr deutlich. Denn kaum ein Arbeitgeber verlässt sich heutzutage nur auf die Noten, wenn er einen jungen Men schen einstellt.

(Zuruf: Aber auch!)

Die gängigen Verfahren sind: Es werden Assessment-Center durchgeführt, es werden Einstellungsprüfungen gemacht, man macht sich ein Bild von der Leistungsfähigkeit der jungen Menschen. So aussagekräftig es sicherlich ist, wenn man nach einer Skala bewertet, welche Aufgaben wie gelöst worden sind, so wenig sagt dies über die tatsächliche Leistungsfähig keit eines jungen Menschen aus.

Natürlich sind Noten eine Form der Leistungsrückmeldung, aber das allein reicht nicht aus. Die Rechtslage, meine Damen und Herren, ist übrigens die folgende: Wir, das Land BadenWürttemberg, haben das sogenannte Hamburger Abkommen unterzeichnet. Das haben wir auch nicht aufgekündigt, und damit haben Noten, diese Art der Leistungsrückmeldung, in Baden-Württemberg zunächst einmal Gesetzesrang. Wenn man das verändern will, braucht man ein Gesetz.

Wir haben diesen Weg jetzt zum ersten Mal bei der Gemein schaftsschule beschritten. Das hat folgenden Hintergrund: Wir wissen doch heute alle, dass die reine Note über den tatsäch lichen Leistungsstand und auch die tatsächlichen Schwächen nicht wirklich alles aussagt. Was heißt denn ein „gut“ im Fach Mathematik? Was heißt das denn?

Es geht darum, jungen Menschen tatsächlich eine individuel le Rückmeldung darüber zu geben, was sie können, was sie gut können und was sie eben tatsächlich nicht gut können. Denn das ist die Voraussetzung für Entwicklung und für wei tere Lerninhalte.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Ministerin – –

Nein, ich möchte erst zu Ende ausfüh ren. Wir machen das dann am Ende.

Gut. Danke schön.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Karl-Wilhelm Röhm: Sagen Sie einmal, was im Gesetz zur Noten gebung drinsteht!)

Dazu sage ich auch etwas.

Also: Ziel ist, dass wir von einer rein quantitativen Bewertung zu einer Leistungsbemessung kommen, die tatsächlich sowohl den Eltern als auch den Schülerinnen und Schülern eine dif ferenzierte Information gibt, wie der tatsächliche Leistungs stand ist. Diese differenzierte Rückmeldung, meine Damen und Herren, ist übrigens nicht leistungsfeindlich, sondern das ist die Voraussetzung dafür, dass wir junge Menschen tatsäch lich auch leistungsfähig machen. Denn so manch eine Note gibt nicht allein darüber Aufschluss, wo man tatsächlich bes ser werden kann. Ich denke – Herr Dr. Kern, Sie haben es ge rade vorgetragen –: Jeder Lehrer und jede Lehrerin aus der Praxis weiß das. Im Übrigen hat jeder selbst diese Erfahrung

in der Schule gemacht. Es ist immer wieder sehr wichtig, ei ne individuelle Rückmeldung zu bekommen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

An der Gemeinschaftsschule ist es so angelegt, dass wir dif ferenzierte Rückmeldungen geben. Ich will Ihnen gern einmal vortragen, wie das in der Anhörungsfassung der Verordnung des Kultusministeriums zu lesen ist.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es gibt doch kei ne!)

Ja, das kommt alles noch. Wir arbeiten sehr sorgfältig der Reihe nach alle Schritte ab.

Dort heißt es:

Die Leistungsmessung erfolgt durch differenzierte Beur teilungen über den individuellen Entwicklungs- und Leis tungsstand.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Dazu werden regelmäßig schriftliche, mündliche oder praktische Leistungserhebungen durchgeführt.

Soweit Noten gebildet werden, werden sie auf der Grund lage der überwiegend zugrunde liegenden Bildungsstan dards ermittelt.

Zum Schulhalbjahr und am Ende des Schuljahres erhal ten die Schüler eine schriftliche Information über ihre Leistungen in den einzelnen Fächern und Fächerverbün den.

Ich fasse kurz zusammen. Jetzt kommt nämlich der wichtige Satz:

Auf Wunsch der Erziehungsberechtigten sind dabei zu sätzlich Noten oder Notentendenzen auszubringen.

Das ist letztlich das Wichtige, meine Damen und Herren. Denn Sie haben angedeutet, dass man, wenn man keine Noten mehr bildet, nicht mehr messen kann, welche Leistung jemand ei gentlich erbringt. Ferner geht es um die Vergleichbarkeit der Leistungsfähigkeit des Schulsystems, der unterschiedlichen Schulen. Deshalb ist es durchaus wichtig, dass man insbeson dere in den Halbjahren dann tatsächlich Noten bildet. Man kann das umrechnen.

Es geht aber noch um etwas anderes, meine Damen und Her ren. Es geht darum: Wie bekommen wir es hin, dass junge Menschen tatsächlich eine Vorstellung davon bekommen, an welcher Stelle sie gut sind und an welcher Stelle sie weiteren Verbesserungsbedarf haben? Die Note allein reicht doch nicht aus.

Frau Kurtz, bei allem Respekt, die Note, die Sie mir gerade gegeben haben, ist doch das beste Beispiel. Sagen Sie mir: Was soll ich mit dieser Note anfangen?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Besser wer den! Sie sollen sie ernst nehmen! – Abg. Sabine Kurtz CDU: Innerhalb von zehn Monaten Mängel behe ben!)

Nein, nein. Eine differenzierte Rückmeldung wäre mir viel lieber gewesen. Sagen Sie mir doch, welche Fragen nicht rich tig beantwortet wurden. Dann bekommen Sie doch die Ant worten, und dann ist es doch in Ordnung.

Genauso wollen wir mit den Schülerinnen und Schülern um gehen. Sie sollen differenziert und tatsächlich individualisiert eine Rückmeldung bekommen, damit sie klar wissen, worum es geht.