Dass Sie dies übernommen haben, zeigt doch, dass BadenWürttemberg zuvor schon auf dem richtigen Weg war und
dass Sie von Grün-Rot diesen Weg nur weitergehen. Warum haben Sie dies den Wählern zuvor eigentlich nicht verraten? Dann hätten die Wähler sicher in noch größerer Zahl das „Ori ginal“ gewählt.
(Abg. Andreas Stoch SPD: Das ist auch eine Erklä rung! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Vielleicht gibt es noch andere Erklärungen für das Wählerver halten? – Heiterkeit bei den Grünen und der SPD)
Wenn von einem angeblichen Fachkräftemangel gesprochen wird, müssen wir uns zuerst darüber einig werden, von wel chen Fachkräften wir sprechen. Meinen wir die Fachkräfte im produzierenden Gewerbe, meinen wir die Fachkräfte im Dienstleistungsbereich, oder meinen wir die Fachkräfte in Handwerk, Gewerbe und Industrie? Könnte es sein, dass es Bereiche gibt, die überversorgt sind – zulasten anderer Berei che? Woher kommt beispielsweise der Boom bei den Sozial arbeitern? Braucht wirklich noch die kleinste Dorfschule, wenn sie etwas auf sich hält, einen Sozialarbeiter?
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sich für Senioren im Arbeitsmarkt starkmachen, wie wollen Sie dies den älteren Menschen hier plausibel machen, wenn in un serem westlichen Nachbarland eine sozialistische Regierung vor Kurzem erst wieder die Rente mit 60 eingeführt hat?
Wenn Sie ausländische Zuwanderer wollen, warum setzen Sie dabei nicht auf Qualifikation statt auf das Jahreseinkommen in Euro? Es kommt nicht auf das Gehalt an, sondern auf die Qualifikation.
Das Thema Fachkräftemangel ist ein alter Hut, den sich die SPD hier aufgesetzt hat. Denn Fachkräftemangel hat es in kleinerem oder größerem Umfang schon immer gegeben. Wirtschaft ist auch gewissen Zyklen unterworfen, und ich den ke, Angebot und Nachfrage sind nicht immer im Gleichge wicht zu halten. Aber Gott sei Dank sind wir in Baden-Würt temberg hierzu aufgrund unserer guten und soliden Wirt schaftslage fähig.
Den echten Fachkräftemangel, meine Damen und Herren, werden wir aber erst noch bekommen. Wir werden diesen Mangel bekommen, wenn die Kinder den von der grün-roten Landesregierung eingeführten Schulsystemen entronnen sind und eine Aus- und Weiterbildung beginnen wollen. Dann wird diesen Jugendlichen nämlich das fehlen, wofür Baden-Würt temberg bislang bekannt ist: eine Spitzen-Schulbildung, die die Grundlage für jede gute Fachkraft ist.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU – Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Schwacher Beifall, oder? – Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU – Heiterkeit)
Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Minister für Finanzen und Wirtschaft Dr. Schmid das Wort.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden in der heutigen Aktuellen Debatte über eine zentrale wirtschaftliche Frage für die nächsten Jahre: Wie gelingt es,
Ich verlasse mich jetzt nicht auf Statistiken, die ich selbst ge fälscht habe, sondern ich verlasse mich auf den Fachkräfte monitor der IHK, der die ganze Dramatik aufzeigt: Schon heu te fehlen rund 100 000 Techniker in der Industrie, im Hand werk und im Dienstleistungsbereich. Es fehlen 20 000 Inge nieure und 4 000 Informatiker. Hinzu kommt, dass 20 000 Fachkräfte im Gesundheits- und Pflegebereich fehlen.
Aufgrund der demografischen Trends zeichnet sich eines schon jetzt ab: Dieser Mangel wird sich in den kommenden Jahrzehnten massiv verschärfen. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl erwerbsfähiger Personen um 870 000 zurückgehen.
Ich bedanke mich daher ganz ausdrücklich bei der SPD-Frak tion, dass dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Denn hier entscheidet sich: Bleiben wir wirtschaftlich stark, oder fallen wir zurück? Überwinden wir die Spaltung im Arbeitsmarkt? Bleibt der Mittelstand Rückgrat unserer Wirtschaft?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Fragen stel len sich für ganz Deutschland. Von der Bundesregierung kommt jedoch nur heiße Luft. Eine wachsweiche Erklärung im Juni 2011 und kürzlich zwei Internetplattformen – das war es.
Wir im Land haben die Probleme angepackt, und natürlich ha ben wir auf Vorbereitungen der Vorgängerregierung aufge baut. Aber das Entscheidende ist, dass wir erstmals in BadenWürttemberg alle verantwortlichen Akteure zusammengeführt haben, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Wir haben kon krete Maßnahmen vereinbart, und der große Unterschied, lie ber Herr Löffler, ist: Wir machen Wirtschaftspolitik nicht ge gen die Gewerkschaften.
Denn diesen Frontalangriff auf Tarifautonomie und Sozial partnerschaft, den Sie bei der Frage gebracht haben, wie die Tarifverträge zu verändern seien, und vor allem die Unterstel lung, frei gewählte Betriebsräte seien unproduktiv, will ich für die Landesregierung entschieden zurückweisen. Wir wissen ganz genau, dass es auch den engagierten Betriebsrätinnen und Betriebsräten zu verdanken ist, dass wir in Baden-Würt temberg, in Deutschland eine lange Phase sozialen Friedens haben. Es ist gerade dem guten Zusammenwirken der Sozial partner, der Verbände in den einzelnen Betrieben zu verdan ken, dass wir diese schwere Wirtschaftskrise mit Unterstüt zung der Politik – ich erinnere an die Kurzarbeit – bewältigt haben.
Deshalb sage ich ganz deutlich: Gerade, damit Baden-Würt temberg als Wirtschaftsstandort und für Fachkräfte attraktiv bleibt, brauchen wir weiterhin starke Betriebsräte, starke Ge werkschaften, selbstbewusste Unternehmensführungen, die in der Tarifautonomie die Fragen aushandeln und klären, die in ihr Ressort fallen. Wir brauchen auch selbstbewusste Beleg schaften, selbstbewusste Unternehmerinnen und Unterneh mer, die sich für die Interessen ihrer Betriebe einsetzen.
Wir haben es geschafft, die Wirtschaftsverbände, die Gewerk schaften, die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, die kommunalen Landesverbände, die regionalen Wirtschafts förderungsgesellschaften, den Landesfrauenrat einzubeziehen. Wir wollen besonders die mittelständische Wirtschaft anspre chen – denn dort kommt der Fachkräftemangel zuerst an –, und wir wollen unter der Federführung des Sozialministeri ums den Pflege- und Gesundheitssektor angehen.
Ich will noch einmal, auch angesichts der Zahlen, die ich vor getragen habe, unterstreichen, wie wichtig die duale Ausbil dung ist. Denn wenn wir über den Fachkräftemangel reden, dann reden wir auch über den einen oder anderen akademi schen Beruf, über Ingenieure und andere. Aber rein von den Zahlen her geht es um die Facharbeiter. Es geht darum, dass wir die traditionelle Stärke der deutschen Wirtschaft im welt weiten Wettbewerb, nämlich die gut ausgebildete Facharbei terschaft, auch in Zukunft brauchen. Das gelingt uns nur, wenn wir die duale Ausbildung stärken und dafür sorgen, dass sich ausreichend viele junge Menschen für die duale Ausbildung entscheiden. Dafür werben wir ganz intensiv zusammen mit unseren Partnern.
Wir werben auch um eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, von älteren Menschen und von Menschen mit Migra tionshintergrund. Wir wollen Langzeitarbeitslose zurück in Arbeit bringen. Wir wollen insbesondere in den technischen Berufen, den Ingenieurberufen mehr Beschäftigte und mehr Frauen in die Arbeit bringen, und als Ergänzung, nachdem wir das einheimische Fachkräftepotenzial ausgeschöpft haben, geht es um Zuwanderung. Wir haben dazu konkrete Maßnah men vereinbart, die wir regelmäßig gemeinsam evaluieren werden.
Ich will einmal ein paar konkrete Beispiele herausgreifen, die ich für besonders wichtig erachte und bei denen ich der Mei nung bin, dass man das nicht ins Lächerliche ziehen soll.
Beispiel: informell erworbene Qualifikation. Gerade, wenn wir über Fachkräfte reden, wenn wir darüber reden, dass die Betriebe darauf angewiesen sind, auch in Zukunft ausreichend viele Fachkräfte für ihre verschiedenen Positionen zu haben, sollten wir das Potenzial der an- und ungelernten Arbeiter und Angestellten in den Produktionsbetrieben nicht unterschätzen. Baden-Württemberg zeichnet sich durch eine hohe Industrie dichte aus – zu Recht; wir sind stolz darauf. Das hilft uns bei Wirtschaft und Beschäftigung. Aber gleichzeitig ist dieser ho he Anteil der An- und Ungelernten auch ein nicht genutztes Reservoir an Fachkräften.
Wenn sich jemand im Betrieb oder außerhalb des Betriebs in formell Qualifikationen erarbeitet, dann ist es doch verständ lich und auch im Sinne der Beschäftigten und der Betriebe, dass wir versuchen, diese informell erworbenen Qualifikatio nen zu standardisieren, zu erfassen, um das dann in die Ar beitszeugnisse, in die Möglichkeit der Bewerbung auf be stimmte Fachkräftepositionen in einem Unternehmen einflie ßen zu lassen. Genau das haben Südwestmetall und IG Me tall vereinbart.
Dazu gibt es jetzt ein Projekt bei der AgenturQ, das vom Land unterstützt wird. Die wollen das herausarbeiten, damit wir ei ne Chance haben, das, was sie so nebenbei erfahren haben – Learning by Doing – oder was sie in ihrem ehrenamtlichen Engagement erfahren haben, zu erfassen und dann in den Qua lifikationsrahmen einzupassen. Das soll nicht willkürlich, son dern nach Vorgaben geschehen, die mit formal erworbenen Qualifikationen vergleichbar sind, damit dieses wertvolle Er fahrungswissen nicht nur diffus vorhanden ist, sondern den An- und Ungelernten hilft, als Fachkräfte schrittweise Aner kennung zu finden und in ihrem Unternehmen oder in ande ren Unternehmen die Lücken schließen zu können, die dort in dieser Zeit bei den Fachkräften entstehen. Das ist eine Initia tive, die natürlich nur begrenzten Einfluss hat, die aber im Hinblick auf die Beschäftigten und die Unternehmen sinnvoll ist.
Das Zweite, was ich auch ungern ins Lächerliche ziehen woll te, ist die Frage der altersgerechten Arbeitsplätze. Natürlich wird das Land nicht altersgerechte Arbeitsplätze schaffen kön nen. Aber der Bedarf, altersgerechte Arbeitsplätze zu schaf fen – und zwar nicht nur für Leute, die vielleicht schon 65 Jah re alt sind und bis 67 oder noch länger arbeiten wollen, son dern auch schon für ältere Erwerbstätige unter 65 Jahren –, ist unabweisbar. Wir sollten alles daransetzen, dass es uns ge lingt, die erwerbsfähigen älteren Menschen länger im Er werbsleben zu halten – auch unter realistischer Einschätzung der Arbeitsbedingungen.
Denn dieses Elend der Debatte um die Rente mit 67 bestand ja nicht etwa in der Frage: „Was ist für die gesetzliche Ren tenversicherung finanzierbar?“ Das kann man relativ klar ab leiten. Das Elend der Debatte war vielmehr, dass wir vielen Beschäftigten in den produzierenden Betrieben nicht nach weisen konnten, wo die Arbeitsplätze sind, wo sie auch mit 64, mit 63 oder irgendwann einmal mit 67 noch arbeiten kön nen.
Dies müssen wir aufgreifen. Das ist zunächst einmal eine An gelegenheit der Unternehmen. Aber wir wollen das begleiten, weil wir Überzeugungsarbeit leisten wollen, dass die Erfah rungen und Kompetenzen dieser älteren Erwerbstätigen im Betrieb bis zum Schluss Anerkennung finden und genutzt wer den können.
Wir haben für all diese Bereiche eine Reihe von Elementen zusammengeführt. Die duale Ausbildung wird im Netz auf YouTube und Facebook beworben. Wir haben eine Informa tionskampagne für Un- und Angelernte gemacht. Zusammen mit den Partnern sind wir also schon unterwegs.
Wir haben zur Stärkung der beruflichen Ausbildung die ÜBAs mit 5,5 Millionen € zusätzlich im Jahr 2012 gefördert. Es ist schon angesprochen worden: Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die Kleinkindbetreuung ausgebaut worden.
Man sieht also: Diese Landesregierung hat es geschafft, Ein zelmaßnahmen, die alle der Sicherung des Fachkräftebedarfs gelten, zu bündeln, im Dialog mit Partnern Maßnahmen zu sätzlich zu verabreden. Damit haben wir es geschafft, dass dieses wichtige Zukunftsthema die diesem Thema gebühren de Aufmerksamkeit gefunden hat. Ich freue mich, dass das auch im Landtag der Fall ist. Wir werden den Weg weiterge hen – kraftvoll, entschlossen, im Dialog mit allen Beteiligten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Da mit ist die Aktuelle Debatte beendet.
Aktuelle Debatte – Massive Streichungen und Umschich tungen von Lehrerstellen angekündigt – was plant die Landesregierung? – beantragt von der Fraktion der FDP/ DVP
Die Gesamtdauer der Aktuellen Debatte ist auf 40 Minuten festgelegt. Es gilt wiederum: Darauf wird die Redezeit der Re gierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und die Redner in der zweiten Runde gilt je weils eine Redezeit von fünf Minuten.
Ich darf noch einmal, weil ich vorhin darauf hingewiesen wur de, auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen. Lie be Kolleginnen und Kollegen, in dieser Bestimmung steht nicht nur:
Das heißt, ich werde dann, wenn am Rednerpult jemand vor liest, einfach nicht nach vorn schauen. Andernfalls müsste ich die Rede unterbrechen. § 60 Absatz 4 Satz 2 lautet:
Das heißt, wenn der Präsident das Vorlesen sieht, ist Schluss. Ich wollte nur sagen: Dieser Satz ist auch mir gerade erst ge läufig geworden. Ich habe auch nicht gewusst, dass das so in der Geschäftsordnung steht.
(Abg. Klaus Herrmann CDU: Jetzt sind Sie so lange im Landtag und kennen die Geschäftsordnung nicht!)