Protokoll der Sitzung vom 18.07.2012

Ja. Es wird immer vorgelesen. Ich habe gedacht, das gehö re zur Regel. Dem ist aber nicht so.

Ich mache es dann so, dass ich mich zurücklehne. Aber mei ne Bitte ist noch einmal, um die Lebendigkeit der Debatte zu erhalten, im Sinne unserer Geschäftsordnung möglichst viel in freier Rede zu sprechen.

Für die FDP/DVP-Fraktion erhält jetzt Herr Abg. Dr. Kern das Wort.

Herr Präsident, ich bin Ih nen ob Ihrer Großzügigkeit außerordentlich dankbar.

(Heiterkeit)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass der Ministerpräsident bei diesem wichtigen Punkt nicht anwesend ist. Er hat sich gestern sehr deutlich zu dem Schulthema geäußert, und ich hätte es als gut empfun den, wenn er die Wichtigkeit dieses Themas heute durch sei ne Anwesenheit begründet hätte.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Ich wende mich aber trotzdem an den Ministerpräsidenten, weil die Hauptverantwortung für die Situation bei ihm liegt.

Deshalb, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann, sage ich: Besser spät als nie. Endlich scheinen Sie erkannt zu haben, dass Sie und Ihre Koalition in der Bildungspolitik nicht so weitermachen können wie bisher.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Viel zu lange haben SPD und Grüne den Bürgerinnen und Bür gern den Eindruck vermittelt, mit ihrem Regierungsantritt sei der bildungspolitische Frühling ausgebrochen, und alles Wün schenswerte, was vorher nicht möglich war, sei nun auf ein mal machbar. Allmählich bereiten Sie Ihre Anhängerschaft da rauf vor, dass auch ein grüner Ministerpräsident keine wun dersame Vermehrung der knappen Ressourcen im Bildungs bereich bewirken kann. Diese Einsicht begrüßen wir vonsei ten der FDP/DVP ausdrücklich.

Wir begrüßen ebenso, dass Sie, Herr Ministerpräsident, den Versuch unternehmen, die Problematik des demografischen Wandels einmal anzugehen. Immerhin sind Sie in einem ers ten Schritt zu der Überzeugung gelangt, dass die Kultusmi nisterin mit der sicherlich nicht einfachen Aufgabe viel zu lan ge gewartet hat. Ich begrüße deshalb, dass Sie gestern das Heft des Handelns selbst in die Hand genommen haben.

Aber die Art und Weise, wie Sie den besagten Versuch ange gangen sind, gleicht eher einer bildungspolitischen Geister fahrt. Ihr Vorgehen kann man nun wirklich nicht als Ausdruck einer sorgsam durchdachten und auf Qualitätssicherung be dachten Bildungspolitik bezeichnen. Noch in der Aktuellen Debatte zum Unterrichtsausfall vor zwei Monaten konnten die Ministerin und die Koalitionsfraktionen nicht auf die Mons tranz verzichten, die Sie seit Beginn Ihrer Amtszeit als Be weis dafür herumtragen, dass Grün-Rot mit dem Sparkurs der ach so schlimmen Vorgängerregierung ein für alle Mal Schluss gemacht habe. Es wurden gebetsmühlenartig 711 Lehrerstellen angeführt. Diese 711 Lehrerstellen hätten CDU und FDP/DVP gesperrt, und diese Sperrung sei nun rückgängig gemacht wor den.

Was hat es nun aber mit diesen 711 Stellen in Wirklichkeit auf sich? Sie wären nur dann weggefallen, wenn nicht auf frei williger Basis eines Lebensarbeitszeitkontos eine bestimmte Zahl von Mehrarbeitsstunden erbracht worden wäre.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Beantworten Sie von Grün-Rot bitte doch einmal folgende Frage: Was ist schlimmer: Eine Mehrarbeitsstunde auf frei williger Basis oder Kürzungen bei der Beamtenversorgung, eine Stellenstreichungsorgie, die bei Weitem das in den Schat ten stellt, was die CDU-FDP/DVP-Landesregierung an k.w.Vermerken – übrigens mit der ausdrücklichen Zustimmung von SPD und Grünen – für die Jahre 2014 bis 2018 ausge bracht hätte?

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

Denn Grün-Rot will nicht nur die 8 055 Lehrerstellen wegfal len lassen, sondern auch die Qualitätsoffensive Bildung der Vorgängerregierung im Umfang von rund 3 500 Stellen rück gängig machen. Grün-Rot hat ganz offensichtlich etwas Ent scheidendes nicht begriffen: Gerade die Klassenteilersenkung ist ein Instrument, um sicherzustellen, dass die frei werden

den Ressourcen im Bildungswesen verbleiben, um an allen Schularten übergroße Klassen gleichermaßen zu verhindern und mehr individuelle Förderung an allen Schularten zu er möglichen.

Der Ministerpräsident hat – wie gesagt – zu Recht eine De batte über den demografischen Wandel im Bildungswesen an gestoßen. Um hier aber nicht im Nebel herumzustochern und nicht ebenso einfalls- wie orientierungslos Stellenstreichun gen und Schulschließungen vorzunehmen, bedarf es zunächst einmal doch einer seriösen Erhebung der Schülerzahlen, der Klassengrößen und der Lehrerversorgung.

Die Ministerin klagt öffentlich darüber, keinen Überblick über die Lehrerversorgung zu haben. Dass sie hierfür aber die Schuld bei der Vorgängerregierung sucht,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Wo denn sonst?)

ist schon bemerkenswert; denn es dürfte ihr nicht entgangen sein, dass der Landtag im Februar 2011 auf Antrag von CDU und FDP/DVP einstimmig eine umfassende Erhebung dieser Daten im Schulbereich beschlossen hat. Damit war der Auf trag an die Landesregierung – egal, welcher Couleur – klar. Sie haben das Anliegen jedoch über ein Jahr verschleppt und sind darauf dann höchstens allgemein, auf drei Seiten und mit ganzen zwei Tabellen eingegangen.

Aber vielleicht, Herr Ministerpräsident, meiden Sie in diesem Zusammenhang Transparenz ja ganz bewusst; denn schließ lich würde dann offenbar, was der Preis des ganz großen Um grabens hin zur Gemeinschaftsschule ist, nämlich die Unter richtsversorgung und Personalausstattung, das heißt die Qua lität aller anderen Schularten.

Ihre gestrige Ankündigung, dass zahlreiche kleine Schulstand orte geschlossen werden müssten, ist vor dem Hintergrund Ih rer bisherigen Bildungspolitik an Scheinheiligkeit doch kaum noch zu überbieten.

(Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Na, na, na! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Gegen den ländlichen Raum!)

Sie sind es doch, der durch eine übereilte und die Folgen nicht bedenkende Abschaffung der verbindlichen Grundschulemp fehlung alle Schularten unter zusätzlichen Druck gesetzt und dadurch die Kommunen vielerorts in eine äußerst schwierige Lage gebracht hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Sie von Grün-Rot sind es doch, die mit dem vorgefertigten und pädagogisch einseitigen Paket Gemeinschaftsschule und dem goldenen Zügel den Kommunen die Wahlmöglichkeiten und jede Form von Entscheidungsfreiheit rauben.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Mit Verlaub, das kommt mir so vor, als ob jemand vorgibt, ei nen Brand löschen zu wollen, in Wahrheit aber Benzin im „Löschkanister“ hat.

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Zündler!)

Ihre Politik verschärft doch die Probleme, die der demografi sche Wandel für die Schulen bedeutet. Wären Sie von GrünRot in der Bildungspolitik dagegen planvoll vorgegangen, dann hätten Sie zuerst das Gespräch mit den Kommunen ge sucht und gemeinsam mit ihnen verlässliche Rahmenbedin gungen erarbeitet, unter denen dann jeweils vor Ort ein pas sendes Schulangebot entwickelt werden kann.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Ihre erst jetzt angestoßene regionale Schulentwicklung kommt doch zu spät. Denn die Verantwortlichen vor Ort stehen viel fach vor längst vollendeten Tatsachen.

Meine Damen und Herren, noch vor zwei Monaten hat die Kultusministerin vehement bestritten, dass die Gemeinschafts schule erhebliche Mehrkosten verursachen würde. Aber der Verdacht, dass in großem Stil Umschichtungen zugunsten die ses grün-roten Lieblingskinds geplant sind, hat sich erschre ckend schnell bestätigt. Nach unseren Informationen ist ge plant, dass allein in den Jahren 2012, 2013 und 2014 insge samt 1 650 Lehrerstellen von anderen Schularten weg hin zu den Gemeinschaftsschulen umgeschichtet werden sollen, und dies ohne die Sonderschullehrer, die ja speziell im Bereich der Inklusion eingesetzt werden. Skandalös ist dabei, wie GrünRot mit Hinweis auf die Sparzwänge den übrigen Schularten die Stellen entziehen will und einseitig der Gemeinschafts schule zuschustert.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Im Namen der Fraktion der FDP/DVP fordere ich Sie auf – auch im Bildungsbereich kann man jeden Euro nur einmal ausgeben –: Schenken Sie den Bürgerinnen und Bürgern un seres Landes endlich reinen Wein ein! Sagen Sie ihnen, was Sie vorhaben. Denn Bildungspolitik von unten setzen Sie schon lange nicht mehr um.

Streben Sie z. B. ein zweigliedriges Schulsystem an, weil Sie aufgebrachte Eltern fürchten wie seinerzeit beim Volksent scheid in Hamburg über die schwarz-grüne Schulreform, oder ist Ihr Ziel ein Einheitsschulsystem wie bei Herrn Zeller, der das gegliederte Schulsystem in seinen öffentlichen Vorträgen als nicht mit der Verfassung vereinbar diffamiert,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Unglaublich!)

oder Herrn Bosch von derselben Stabsstelle, der bei einer Ver sammlung am 12. Juni dieses Jahres in Tübingen unverhoh len sagte, wenn es nach ihm ginge, würde das Gymnasium ab geschafft?

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

Wie stehen Sie von Grün-Rot zu der zurzeit diskutierten The se, die Gemeinschaftsschule könne nur ohne die Konkurrenz durch das Gymnasium und die Realschule ein Erfolg werden?

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Inhalte von Bil dungspolitik lässt sich trefflich streiten. Aber Wahrheit und

Klarheit sind Sie den Bürgerinnen und Bürgern unseres Lan des schuldig.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Kurtz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte mich auch gern an den Herrn Ministerprä sidenten gewandt. Wir hatten nämlich neulich eine durchaus sympathische Begegnung in Ludwigsburg. Aber die Freund lichkeiten, die wir dort ausgetauscht haben, können mich nicht hindern, einige Sätze zu zitieren, die er dort gesagt hat. Es ging um das 50-jährige Bestehen der Pädagogischen Hoch schulen in Baden-Württemberg. Dieses Jubiläum haben wir im Schlosstheater in Ludwigsburg gefeiert, sehr würdig, sehr schön. Es war ein richtiges Theater, ein schöner Rahmen für pathetische Sätze. Der Herr Ministerpräsident hat gesagt: „Wir machen Politik nicht im Elfenbeinturm.“

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Aha!)