Protokoll der Sitzung vom 18.07.2012

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Klaus Herrmann CDU: Nach 20 Jahren wäre abgebaut! – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Wie sieht es eigentlich in Ihrer Kommune aus? – Gegenruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Von dort ist er ge flüchtet!)

Formal ist das natürlich eine einfache Sache, in die Landes haushaltsordnung und in die Verfassung die Regelung hinein zuschreiben, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen. Das aber in die Tat umzusetzen, das ist sehr viel schwieriger. Sie haben es während Ihrer Regierungszeit ja auch nicht in die Tat umgesetzt. Es wäre viel Zeit vorhanden gewesen, die Verfas sung zu ändern oder in die LHO die Regelung hineinzuschrei ben, dass man vor dem Staatsgerichtshof klagen kann.

Die Ausgangslage ist wirklich schwierig. Wir haben ein De fizit von 2,5 Milliarden €. Man sagt so schön: Da besteht haus haltswirtschaftlicher Handlungsbedarf. Dieser rührt daher, dass die Personalausgaben weiterlaufen. Im Jahr 2013 sind es rund 600 Millionen € mehr als im Vorjahr. Die Einnahmen hingegen sinken. Von großen sprudelnden Steuereinnahmen sehen wir im Jahr 2013 nicht viel.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Was?)

Die Einmaleffekte sind ausgenutzt. Viele Probleme bleiben für das Land bestehen, z. B. der Sanierungsstau, der Hoch wasserschutz, Kostensteigerungen bei schlechten Verkehrs verträgen und der doppelte Studienjahrgang, der jetzt kommt.

In der Plenardebatte am 10. November 2011 ging es darum, Gesetzentwürfe der FDP/DVP und der CDU zur Änderung der Verfassung zu beraten. Deren Ziel war die Aufnahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung. In der damaligen Diskussion war durchaus zu erkennen, dass alle Fraktionen dieses Ziel mittragen. Mein Kollege Wolfgang Drexler hat ausdrücklich die Bereitschaft der SPD-Fraktion zu diesem Schritt erklärt. Herr Rülke, Sie haben damals noch einmal nachgefragt: Sind Sie bereit, mitzumachen? Ich sage es noch mals: Wir sind bereit, mitzumachen, hier eine Schuldenbrem se in die Verfassung aufzunehmen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wann?)

Die Vorberatungen im Finanz- und Wirtschaftsausschuss zur Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung wurden da mals einvernehmlich ausgesetzt. Wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten liegt jetzt vor. Wir haben auch schon interfraktionelle Besprechungen angesetzt, einmal am 21. Juni, dann am 10. Juli. Weitere Termine sind geplant. Wir müssen viele Dinge definieren. So weit, so gut.

Jetzt liegt aber ein Gesetzentwurf vor, der Gesetzentwurf der CDU, der sich mit der LHO beschäftigt. Wir meinen, das ist eine Paralleldebatte. Wir meinen, wir begäben uns, wenn wir den vorgeschlagenen Weg gingen, auf ein Nebengleis.

Die CDU hat den vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht, der zum Ziel hat, die LHO zu ergänzen. Dem Parlament und dem Rechnungshof soll die Möglichkeit eingeräumt werden, bei Verstößen gegen die LHO den Staatsgerichtshof anzuru fen. Dieses Begehren ist äußerst fragwürdig. Es ist unüblich, dass der Staatsgerichtshof, der für Verfassungsfragen zustän dig ist, Fragen zu einem Gesetz entscheiden soll, das vom We sen her ein Ausführungsgesetz für die Verwaltung ist. Diese Konstellation ist problematisch, vermutlich sogar untauglich. Denn der Staatsgerichtshof wird sich nicht über den Grund

satz „Neues Recht vor altem Recht“ hinwegsetzen. Es ist ein Systembruch, wenn eine einfachgesetzliche Regelung quasi in den Rang einer Verfassungsnorm gehoben wird.

In der Fachwelt sind die Aussagen dazu gespalten. Wir haben vom Gemeindetag und vom Landkreistag durchaus ablehnen de Kommentare vorliegen. Der Rechnungshof begrüßt, dass er durch ein Klagerecht nun ein Ritter mit Schwert werden könnte. In den Beratungen des Finanz- und Wirtschaftsaus schusses war die Meinung des Rechnungshofs allerdings nicht einheitlich.

Der Finanz- und Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Land tag, diesen Gesetzentwurf der CDU abzulehnen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Mit Mehrheit!)

Ich bin der Meinung, dass dieses Nebengleis, auf dem wir mit diesem Gesetzentwurf sind, ein Gleis ohne Anschluss ist.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Kopfbahnhof!)

Wir sollten uns besser um das Kernanliegen kümmern: die Aufnahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung.

Dazu liegt in der Zwischenzeit ein Gutachten zur Umsetzung der Schuldenbremse vor. Dieses Gutachten untersucht die Fra gestellungen und hat folgende Kernaussagen:

(Abg. Winfried Mack CDU: Das alte Gutachten!)

Die in der LHO enthaltenen Regelungen sind nicht tauglich, um nachhaltig wirksame Haushalts- und Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die Regelungen der LHO müssen weiterentwickelt werden und müssen in ihrer Fassung darauf ausgerichtet wer den, bereits jetzt auf das hohe strukturelle Defizit einzugehen und es nach und nach zu beseitigen.

Wenn man den Konsolidierungsbedarf in Höhe von ca. 2,5 Milliarden € pro Jahr kurzfristig auffangen will, bedeutet das erhebliche Ausgabenkürzungen, die nicht nur die Dienstleis tungsqualität des Landes deutlich einschränken, sondern auch rechtlich kaum durchführbar sind. Ich nenne nachher ein paar Beispiele.

Mit der derzeitigen Regelung in der LHO wird auch die Wir kung von Krisen unterschätzt. Die in der LHO enthaltene Ein jahresfrist ist zu kurz bemessen. Es gibt noch eine ganze Rei he von Fragestellungen, die darin nicht im Einzelnen ausge führt werden müssen.

Das Gutachten kommt auf jeden Fall zu dem Schluss, dass der Landesgesetzgeber nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, § 18 LHO nachzubessern und an die neuen Er kenntnisse anzupassen. Die künftige Verschuldungsregelung kann verfassungsrechtlicher oder einfachgesetzlicher Natur sein. Das müssen wir politisch entscheiden. Eine Pflicht zur Schaffung einer Landesverfassungsnorm gibt das Gutachten nicht her. Es besteht nicht darauf. Es spricht aber einiges da für, z. B. der Umstand, dass die LHO den Haushaltsgesetzge ber nicht bindet, dagegen eine Verfassungsnorm natürlich ei ne sehr scharfe Waffe ist, die auch vom Parlament durchge setzt werden kann. Die LHO muss allerdings spätestens am 1. Januar 2020 geändert worden sein, weil sie nicht ganz der Schuldenbremse des Grundgesetzes entspricht.

Wir haben aus den Debatten nun herausgehört, dass es für die Opposition ein geeigneter Weg scheint, möglichst schnell ei ne Schuldenbremse zu setzen und schon 2013 oder 2014 die Regierung zu zwingen, einen Haushaltsplan vorzulegen, der ohne neue Schulden auskommt. Das ist sehr ehrenwert; das ist aber sicherlich nicht ganz einfach. Ich will dies näher aus führen:

Das Gutachten enthält einen Kompromissvorschlag, ebenso wie ihn auch der Rechnungshof unterbreitet. Einen solchen Kompromiss brauchen wir. Wir brauchen Übergangsregelun gen für den Zeitraum von heute bis 2020. Wir brauchen einen verbindlichen Abbaupfad. Die SPD-Fraktion hält diesen Weg für den richtigen.

Auch in der Debatte von heute Morgen habe ich einen inter essanten Satz gehört, und zwar von Herrn Hauk. Er sagte, der Ausgleich des Haushalts sei eine der größten Herausforderun gen dieses Jahrzehnts. Die Aufgabe, dieses Defizit auf einem Abbaupfad bis Ende dieses Jahrzehnts auszugleichen, ist al so die große Herausforderung. Wenn wir in den Jahren 2013 und 2014 keine neuen Schulden mehr aufnehmen dürften oder wollten, müssten wir jährlich einen Betrag von 2,5 Milliar den € allein durch Sparmaßnahmen abdecken. Das sind 6,5 % des Gesamthaushalts in Höhe von 38 Milliarden €. Dies wür de eine massive Sparanstrengung bedeuten, wie sie übrigens noch nie in der Geschichte des Landes möglich war.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Freilich! 2007!)

Die Größenordnung von zweieinhalb Milliarden Euro hat es dafür bislang noch nie gegeben.

Die Zuweisungen für Investitionen der Städte und Gemein den und alle anderen Bereiche, also die gesamte Investitions ausgabetätigkeit des Landes, machen ungefähr 2,5 Milliar den € aus – nur damit man einmal die Größenordnung sieht. Der gesamte Haushalt des Innenministeriums beträgt 2,5 Mil liarden € – auch das ist eine vergleichbare Größenordnung. Eine andere Möglichkeit – heute Morgen haben wir hierüber bereits diskutiert – wäre, dass der Länderfinanzausgleich für Baden-Württemberg wie durch ein Wunder entfallen würde. Dann hätten wir jährlich 2,5 Milliarden € mehr im Haushalt. Das würde weiterhelfen; aber das wird in den nächsten Jah ren sicherlich nicht der Fall sein.

Wir schaffen es auch nicht, anteilig überall 6,6 % abzuknap sen. Wenn man vom Haushaltsansatz des Innenministeriums 6,6 % wegnehmen würde, käme man auf einen Betrag von 165 Millionen €. Das würde bedeuten, für das gesamte Innen ministerium gäbe es überhaupt keine Sachmittel mehr. Dann würde sich kein Polizeiauto mehr bewegen. Auch beim Per sonal, dem größten Ausgabenposten des Innenministeriums, können wir nicht einfach 6,6 % einsparen. Dort sind Beamte tätig. Es geht tatsächlich nicht, und es geht auch rechtlich nicht.

Mit diesen wenigen Beispielen will ich unterstreichen, dass uns das vorliegende Gutachten recht gibt: Die Bewältigung des haushaltswirtschaftlichen Handlungsbedarfs ist nicht von einem Jahr aufs andere möglich. Man braucht dazu Zeit, und man braucht einen gut durchdachten Abbaupfad, um struktu rell von Jahr zu Jahr weniger auszugeben. So können wir es schaffen, bis zur grundgesetzlichen Schuldenbremse selbst

unsere Neuverschuldung und unsere Defizite auf null zu brin gen. Das können wir in die Verfassung aufnehmen. Das ist un ser Angebot.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sie können auch gern die Einnahmen hineinschreiben!)

Wir können handeln. Wir können darüber sprechen, wie viel dies von 2015 an jährlich sein soll. Das können wir miteinan der ausmachen. Die Kommission für Haushalt und Verwal tungsstruktur arbeitet gerade daran, Ihnen einen solchen Ab baupfad vorzustellen.

Die Finanzierungslücke muss nachhaltig geschlossen werden. Wir können dies tun, indem wir Strukturreformen in der Lan desverwaltung durchführen. Das geht aber nicht von einem Jahr zum anderen. Wir müssen harte Sparmaßnahmen ergrei fen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Maier, bitte kommen Sie allmählich zum Ende.

Alle Ministerien müssen mitmachen. Auch die Weiterentwicklung unserer Verwaltungsstrukturen braucht ihre Zeit.

Unsere Fraktion hält deshalb von dem Gesetzentwurf, den die CDU eingebracht hat, wenig. Es ist ein Irrweg. Unser Land würde dadurch handlungsunfähig. Wir plädieren dafür, mit hilfe des Gutachtens am Verhandlungstisch einen realistischen Pfad für den Abbau unseres Defizits zu vereinbaren und die sen Abbaupfad in die Verfassung zu schreiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Dr. Rülke das Wort.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicher zutreffend, wenn man feststellt, dass im Land Baden-Württemberg über Jahr zehnte zu viele Schulden gemacht wurden. Man kann durch aus auch der FDP/DVP vorwerfen, sie sei in gewissen Zeiten dabei gewesen.

(Beifall des Abg. Alfred Winkler SPD)

Aber, Herr Kollege Maier und Herr Kollege Winkler, wenn man sich die Zeiten der Großen Koalition anschaut, dann wird man feststellen, dass auch Sie nicht im Stadium der absoluten Keuschheit verblieben sind, was das Geldausgeben anbelangt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Riesenzu wachs!)

Faktum ist aber, dass sich zu Beginn der zurückliegenden Le gislaturperiode in den Jahren 2006 und 2007 die damalige schwarz-gelbe Regierungskoalition darauf verständigt hat, dass es jetzt an der Zeit ist, in ein anderes Zeitalter hinüber zugleiten und dafür zu sorgen, dass die Haushalte möglichst dauerhaft konsolidiert werden.

Zu diesem Zweck wurde die aktuell gültige Landeshaushalts ordnung verabschiedet mit dem Ziel, in guten Zeiten – so wie im Moment – unter gar keinen Umständen neue Schulden zu machen und dann, wenn in schlechten Zeiten wie in den Jah ren 2009 und 2010 eine konjunkturelle Situation eintritt, die neue Schulden notwendig macht, diese zeitnah wieder abzu bauen. Das war der Konsens der Jahre 2006 und 2007.

In der Tat ist es dann auch in den Jahren 2008 und 2009 ge lungen, auf Basis dieser Landeshaushaltsordnung ausgegli chene Haushalte vorzulegen. Insofern glaube ich, dass diese Landeshaushaltsordnung, die damals verabschiedet worden ist, durchaus ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung gewesen ist und dieses Haus gut beraten wäre, an dieser Lan deshaushaltsordnung festzuhalten.

Herr Staatssekretär Rust, wenn man sich die Protokolle der Vergangenheit anschaut, dann kann man darin nicht feststel len, dass die damalige Opposition diese Landeshaushaltsord nung kritisiert hätte, sondern das Gegenteil war der Fall: Die Vorschrift war Ihnen eher zu lasch; Sie haben schon damals gefordert, die Schuldenbremse aus der Landeshaushaltsord nung in die Verfassung zu übernehmen.

(Zuruf der Abg. Muhterem Aras GRÜNE)