Protokoll der Sitzung vom 10.10.2012

Soll ich es wiederholen? „Die Zeit der Freiwilligkeit ist vor bei.“

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Peter Hauk CDU: Da hat das Stichwort ge fehlt! – Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜ NE: Beim zweiten Mal hat es geklappt!)

Es ist zu bezweifeln, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung das Thema vor der Bundestagswahl aufgreifen wird. Allein die Forderung, im Fall der Behandlung durch den Bundestag vom Fraktionszwang befreit zu werden, führt zu weiteren Streitereien zwischen den Koalitionspartnern. Dabei wäre es wichtig, dass die Bundesrepublik als Wirtschaftsmacht inner halb der Europäischen Union das Thema mutig aufgreift und sich in die Reihe der Länder einreiht, die hierzu bereits klare Beschlusslagen haben. In anderen Ländern wird darüber noch diskutiert, so auch bei uns.

Die vielen juristischen Betrachtungsweisen machen die Dis kussion über die gesetzliche Quote nicht einfacher, zumal der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbe werb zu beachten ist. Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern sowie die Entgeltgleichheit und die Chancengleich heit sind aber Bestandteile des Vertrags über die Arbeitswei se der Europäischen Union.

So begrüßt die SPD-Fraktion in diesem Haus die Schlussfol gerung der Landesregierung in der Stellungnahme zum An trag – für deren Ausführlichkeit ich mich bedanke –, dass nur eine verbindliche Frauenquote den angemessenen Anteil von Frauen in den Führungsetagen sichern kann. Ebenso begrü ßen wir die in der Stellungnahme getroffene Aussage, dass vor

dem Hintergrund der zu erwartenden Initiative der Europäi schen Union – und hoffentlich auch von Bundesebene aus – Gespräche mit Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Kam mern und Topunternehmen der Wirtschaft geplant sind.

Die Stellungnahmen der Unternehmensverbände, die in der Stellungnahme zum Antrag angeführt werden, zeigen deut lich, dass solche Gespräche dringend notwendig sind.

Wir hinken der Entwicklung in Europa hinterher, und wir wä ren gut beraten, politisch die Weichen zu stellen, bevor euro päisches Recht uns in eine nationale Umsetzung zwingt. Die ser Forderung sollte sich auch das Land Baden-Württemberg anschließen. Daher fordern wir Sie auf – damit richte ich mich natürlich auch an die Damen und Herren der Opposition –, unserem Beschlussantrag zuzustimmen und aus Baden-Würt temberg ein deutliches Zeichen nach Berlin zu senden. Seien Sie mutig! Vor allem im Jahr der Frau, wie die CDU ihre ent sprechende Kampagne betitelt, sollten wir ein gemeinsames, starkes Signal setzen.

Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie mit uns diesem Beschluss antrag zu.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Gurr-Hirsch das Wort.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin keine „Quotenfrau“ –

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

da Sie eben Frau Kramp-Karrenbauer zitiert haben –; ich bin aber eine Unterzeichnerin der Berliner Erklärung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ich darf mein Befremden darüber etwas zum Ausdruck brin gen, dass wir drei Anläufe brauchten – es tauchte dreimal auf Tagesordnungen auf –, bis dieser seltsame Antrag der SPD, der der Devise folgt: „Von hinten durch die Brust ins Auge“, nun beraten wird.

Was meine ich damit? Da werden Vergaberecht und öffentli che Ausschreibungen mit dem Thema „Frauenquote und Frau enförderung“ verquickt. Der Landtag, speziell der Europaaus schuss, ist in einer sehr intensiven öffentlichen Anhörung von zahlreichen Beteiligten – Städtetag, Gemeindetag und Wirt schaft – davor gewarnt worden, das Vergaberecht mit sach fremden Vorgaben, etwa im Bereich des Ökosozialen, zu über frachten. Derartige Vorgaben führen zu einem lähmenden Bü rokratismus, verbunden mit Wettbewerbsbenachteiligungen, nicht nur innerhalb Europas, sondern eben auch in Bezug auf die anderen Wirtschaftsräume der Welt. Ich denke, das kön nen viele von Ihnen, auch in der Koalition, nachvollziehen.

Deswegen lehnen wir diese Art und Weise, das Thema zu transportieren, ab. Ich unterstelle, dass die SPD mit diesem Antrag eigentlich nur das Thema Frauenquote transportieren wollte, und dieses Anliegen ist auch völlig berechtigt. Ja, ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Unsere Geduld ist überstrapaziert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Mehr als zehn Jahre nach der freiwilligen Selbstverpflichtung der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gegenüber der damaligen Bundesregierung stellen wir fest: Es ist nicht viel passiert. Gerade einmal 10 % der Aufsichtsratsposten sind mit Frauen besetzt. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass gerade unter dem öffentlichen Druck, der auch von der EU-Kommissarin Viviane Reding ausgeht – sie kündigte Mit te September an, mit einer Richtlinie tätig zu werden –, im vergangenen Jahr immerhin 41 % der neu zu besetzenden Auf sichtsratsposten mit Frauen besetzt wurden. Diese Entwick lung ist sicherlich erfreulich. Dennoch möchte ich feststellen, dass die Erwartungen an die freiwillige Selbstverpflichtung der DAX-Unternehmen keinesfalls erfüllt wurden.

(Vereinzelt Beifall)

Ich sage es nochmals deutlich: Nun ist unsere Geduld am En de. Elf Jahre Warten haben gezeigt, dass die Wirtschaft ihre sich selbst auferlegte Verpflichtung nicht konsequent verfolgt hat.

Man muss in diesem Zusammenhang aber auch Fragen an die Gewerkschaften stellen. Über hundert Jahre haben sie sich in vorbildlicher Weise als Kämpferinnen für Frauenrechte erwie sen. Offensichtlich ist es auch ihnen nicht gelungen, bei der Bestellung der Vertreter der Arbeitnehmerseite in den paritä tisch besetzten Aufsichtsräten entsprechend viele Frauen zu positionieren.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Gurr-Hirsch, ge statten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich habe nur noch wenige Minuten Redezeit, und die brauche ich.

(Zuruf von den Grünen)

Man muss feststellen, dass in Baden-Württemberg die Wirt schaft vom Mittelstand dominiert ist. Das ist gut so. 80 % der Arbeitsplätze bei uns sind im Mittelstand, und das hat die So lidität unseres Landes und des Standorts Baden-Württemberg ausgemacht. Diese mittelständischen Unternehmen haben ge zeigt, wie es geht: Über 30 % ihrer Führungsposten sind mit Frauen besetzt. Der Verband der Familienunternehmen weist darauf hin, dass es zunehmend Töchter sind, die in die Fuß stapfen ihrer Väter treten und ihr Unternehmen verantwor tungsvoll leiten.

Sehr geehrte Damen und Herren, dies muss in den DAX-no tierten Unternehmen auch zur Selbstverständlichkeit werden.

Klar ist, dass nun der Primat der Politik greifen muss. Uns ist bewusst, dass die Wirtschaft die von EU-Kommissarin Re ding avisierte Quote von 40 % sicher nicht von heute auf mor gen erfüllen kann. Dazu braucht man vorbereitende Maßnah men, etwa den Aufbau einer mittleren Führungsebene, aus der man dann auch weibliche Führungskräfte rekrutieren kann.

Der Antrag, den Sie, liebe Kollegin Wölfle, angesprochen ha ben, der am 21. September im Bundesrat eine Mehrheit der Bundesländer gefunden hat und der vorgibt, dass im Jahr 2018 20 % und im Jahr 2023 40 % der Aufsichtsratsposten

mit Frauen besetzt sein sollen, scheint mir ein gangbarer Weg zu sein. Die CDU im Landtag von Baden-Württemberg be grüßt diesen Beschluss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen, der SPD und der FDP/DVP)

Ihrem Antrag können wir allerdings so nicht zustimmen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Oh!)

Nur wenn er umformuliert würde. Sie haben geschrieben, dass Sie Aufsichtsräte von Wirtschaftsunternehmen in den Fo kus nehmen. Wir meinen DAX-notierte Unternehmen. Dann sind wir bei Ihnen. Kein Thema.

(Zuruf: Dann machen Sie doch einen Änderungsan trag!)

Sehr geehrte Damen und Herren, es muss auch so sein, dass Sanktionen drohen, wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden. Das möchte ich ganz deutlich sagen.

DAX-Unternehmen haben sich zukünftig also zielorientiert aufzustellen. Die Quote ist dabei nur eine Seite der Medaille. Angesichts der Fachkräfteknappheit müssen sich jedoch die Unternehmen

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

flexibler zeigen, was Arbeitszeit und Arbeitsort angeht. Es ist an uns, der Politik, weiterhin die strukturellen Rahmenbedin gungen dafür zu schaffen, dass Familie und Beruf besser ver einbar sind. Es ist an uns, der Politik, Mädchen und Frauen den Blick für Berufe zu öffnen, die jenseits der traditionellen zehn Berufe sind, die Frauen gern wählen. Und es ist an uns, der Politik, gemeinsam mit den Unternehmen dafür Sorge zu tragen, dass Frauen auch in der Familienphase den Anschluss an den Betrieb nicht verlieren.

Aber ich sage es deutlich: Es ist auch an uns, in unseren Lan desbetrieben eine „Mixed Leadership“ zu haben.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin, kom men Sie bitte zum Schluss.

Ich möchte feststellen, dass hier auch die Landesregierung noch Nachholbedarf hat. Denn bei der Aufstellung der Landesregierung – in den füh renden Positionen sind 174 Stellen vergeben worden – hat man gerade einmal 54 Frauen eingestellt.

(Zuruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE – Abg. Claus Schmiedel SPD: Der Anteil ist von 10 auf 20 % erhöht worden!)

Wenn man sich die B-Besoldung anschaut, sieht man: Da sind es gerade noch vier.

Kehren Sie also nicht nur vor den Türen der Unternehmen, sondern nehmen Sie die Kehrschaufel und den Feger, und keh ren Sie auch vor Ihrem Haus.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zurufe von der CDU: Bravo!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Schneidewind-Hartnagel das Wort.