Protokoll der Sitzung vom 10.10.2012

(Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, Bildungspolitik sowie ei ne Politik im Interesse entsprechender Arbeitsplätze, das sind die Themen, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten be gleiten müssen.

Die neue EU-Agrarpolitik und die Landesagrarpolitik müssen dafür sorgen, dass es zu einer Stärkung der Eigenverantwor tung statt einer Bevormundung kommt, dass vor allem keine Flächenstilllegungen erfolgen, dass es zukünftig weniger Bü rokratie statt immer mehr Auflagen gibt, dass es mehr Bera tung statt Agrarpolizei gibt, dass es zu Marktöffnungen statt Abschottungen kommt und dass bei allen Entscheidungen die Fachlichkeit und nicht die Ideologie im Vordergrund steht. Konkret heißt das: Sachverstand vor grün-roter Ideologie.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Ländlichen Raum und Verbrau cherschutz Bonde das Wort.

(Minister Alexander Bonde trinkt am Rednerpult ei nen Schluck Wasser. – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Kommen und trinken, das haben wir gern!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch von mir herzlichen Dank an die CDU-Fraktion für diese Große Anfrage, weil sie noch einmal Gelegenheit bietet, ein paar sehr grundsätzliche Fragen zu be antworten, die wir uns zu Recht momentan gemeinsam stel len.

Wir sind in einer kritischen Phase der europäischen Agrarpo litik, in der in den nächsten Wochen und Monaten ganz ent scheidende Weichenstellungen in Brüssel vorgenommen wer den.

Ich will eines vorweg sagen: Die entscheidendste Weichen stellung, die ansteht, ist das Treffen der Staats- und Regie rungschefs am 22. November, auf dem die Frage des Umfangs des europäischen Budgets diskutiert und entschieden wird. Ich will da schon eines sagen: Die aktuelle Verhandlungsposition der Bundesregierung und des Bundesaußenministers, der im mer noch Guido Westerwelle heißt – die wenigsten erinnern sich noch an ihn, aber er ist im Amt – –

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Er ist derjenige, der in Brüssel keine Gelegenheit auslässt, die Einsparungen, die die Bundesregierung im europäischen Haushalt einfordert, in den Bereich der Agrarpolitik zu legen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Es macht mir keinen großen Mut, wenn ich auf der Agrarministerkonferenz im Kloster Schön tal erlebe, dass die Bundesministerin, die jetzt nach Bayern zurückwechselt, bevor die Auswirkungen des europäischen Beschlusses in ihrem Arbeitsbereich sichtbar werden, mit der eigenen Verhandlungsposition im Hinblick auf das europäi sche Budget offenkundig völlig isoliert dasteht.

Also halten wir einmal an dieser Stelle fest: Die Verhand lungsposition der Bundesregierung ist besorgniserregend. Das sage nicht nur ich; das war die Auffassung von allen 16 Lan desministern mit Zuständigkeit in diesem Bereich, und zwar quer über alle Parteizugehörigkeiten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf: So ist es! – Glocke der Präsidentin)

In welcher Situation sind wir da? Die Bundesregierung möch te weniger – –

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde gern den Bogen fertig schla gen.

Zum Schluss dann.

Wir erleben also die Verhandlungspositi on der Bundesregierung, die gemeinsam mit anderen Ländern für eine Absenkung des Volumens des EU-Agrarhaushalts auf 1 % des BNP eintritt. Diese Position kann man ja vertreten. Sie bedeutet aber eine deutliche Einsparung im europäischen Budget, nämlich eine Kürzung in der Größenordnung von 140 Milliarden € im Vergleich zum Kommissionsentwurf. Die Ver handlungsposition verändert sich gerade auf 100 Milliarden € Einsparungen. Aber uns beschäftigt heute die Diskussion über die Frage, wo diese Einsparung landet.

Wir haben zwei große Blöcke im europäischen Haushalt: Das eine ist der Agrarbereich mit einem Anteil von bisher rund 40 % des Haushalts – er sinkt jetzt auf 35 % –, und der zwei te große Bereich ist die Regionalförderung in ähnlicher Grö ßenordnung. Das heißt, der entscheidende Punkt ist jetzt – da rüber müssen wir einmal offen reden –: Wenn alles das, was wir hier gemeinsam zu Recht an Anforderungen an die euro päische Agrarpolitik formulieren, noch finanziert werden soll, dann muss man einmal überlegen: Kann dies noch geleistet werden, auch wenn uns nur eine 10-prozentige Kürzung, wie sie die Bundesregierung gerade verhandelt, trifft? Und was heißt es eigentlich, wenn Anteile aus anderen Bereichen noch in die großen Blöcke hineinwirken? Das ist die Ausgangsla ge, von der wir im Moment sprechen.

Vor dieser Ausgangslage, vor dem Hintergrund dieser Situa tion, dass wir alle wissen, dass der Haushaltsdruck in Europa groß bleibt, hat der EU-Kommissar Ciolos – übrigens ein Konservativer; er gehört einer CDU-Schwesterpartei in Ru mänien und damit der EVP an – einen Plan für eine Neuauf stellung der europäischen Agrarpolitik entwickelt, ausgehend von der Analyse, dass die gesellschaftliche Bereitschaft, so viel Geld in den Agrarbereich zu investieren, mit einer neuen Legitimation unterlegt werden muss, nämlich mit der Idee, dass diese Zahlungen an öffentliche Leistungen gekoppelt werden müssen, beispielsweise an einen Mehrwert in der Fra ge Naturschutz, an einen Mehrwert in der Frage Klimaschutz und anderes. Das nennt er „Greening“.

Wenn der konservative Kommissar davon ausgeht, dass die europäischen Zahlungen gesellschaftlich und bei ihm ganz konkret im Europaparlament, seinem Haushaltsgesetzgeber, nur noch mit dieser neuen Ausrichtung legitimiert und begrün det werden können, dann, finde ich, müssen wir einmal ge meinsam miteinander anfangen nachzudenken. Vor diesem Hintergrund wundert es mich, dass manche jetzt in Deutsch land eine Debatte führen, die sich an der Frage angeblicher Flächenstilllegungen festmacht.

Ciolos – wie gesagt, ein Konservativer, nicht Mitglied meiner Parteienfamilie – verfolgt das sogenannte Greening, also ei ne Ökologisierung der ersten Säule, der Direktzahlungen, mit einer Kopplung von 30 % der Zahlungen an drei Kriterien, nämlich an ein Grünlandumbruchverbot, an einen Anteil der ökologischen Vorrangflächen von 7 % und an eine Fruchtfol geregelung. Er geht davon aus, dass man damit sozusagen die Legitimation schafft, die man braucht, um den Umfang der Zahlungen auf einem Niveau zu halten, das wir brauchen, um über die erste Säule unsere Betriebe finanziell auszustatten und über die zweite Säule das erfolgreich weiterzumachen, was wir schon bisher tun, nämlich Agrarumweltmaßnahmen, Investitionsförderung, aber auch Weiterentwicklung des länd

lichen Raums über die Landwirtschaft im engeren Sinn hin aus.

Die Debatte dazu in den Bauernverbänden kann ich nicht nachvollziehen. Die Europäische Kommission hat – übrigens auch beim Landesbauerntag in Fellbach, bei dem Herr Häus ler, der Kabinettschef von Herrn Ciolos, anwesend war – im mer wieder erklärt, sie wolle keine Stilllegung auf diesen 7 % ökologischen Vorrangflächen.

(Zuruf: Genau!)

Sie will keine Stilllegung, sondern es geht darum, hinsicht lich des Natur- und Artenschutzes, über den wir hier auch schon oft diskutiert haben, die Möglichkeit zu schaffen, eine ökologisch wertvolle Bewirtschaftung dieser Flächen vorzu nehmen.

Ich finde deshalb, wir müssen an dieser Stelle aufhören, dau ernd über Stilllegungen zu diskutieren, die niemand will. Ich muss Ihnen sagen: Mir ist es inzwischen peinlich, dass ich als grüner Agrarminister in Brüssel von hochrangigen Konserva tiven, von aus Ihrer Gruppe stammenden Spitzenbeamten dau ernd gefragt werde: „Was ist eigentlich los? Warum wird ei gentlich in Deutschland und in Baden-Württemberg dauernd über einen Plan diskutiert, den hier in Brüssel niemand hat?“

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wenn wir als Deutsche erfolgreich sein wollen, müssen wir uns auf den Stand der europäischen Debatte begeben und über das diskutieren, was wirklich in Brüssel Sachstand ist, und dürfen wir hier nicht gegen eine Reform polemisieren, zu der die Aussagen des Kommissars und seiner Mannschaft eindeu tig sind.

Ich bin übrigens froh, dass wir es auf der Agrarministerkon ferenz geschafft haben, eine gemeinsame Position aller 16 Bundesländer hinzubekommen, und zwar ein gemeinsames Bekenntnis von Rot über Grün bis Schwarz. Die gemeinsame Position ist: Wir unterstützen das Greening, das die EU-Kom mission vorgelegt hat. Wir nehmen die Kommission beim Wort, dass es nicht um Flächenstilllegungen geht, sondern dass wir mit der Anrechnung von Agrarumweltmaßnahmen, aber auch der Eiweißstrategie und Ähnlichem eine sinnvolle Ausgestaltung der angesprochenen Flächen finden.

Es gibt Punkte, die mit der Kommission auszuhandeln sind. Darum ringen wir gemeinsam. Aber es hilft uns da überhaupt nicht, wenn wir hier eine Scheindebatte über Stilllegungen und Ähnliches führen. Dies hat einzig die Auswirkung, dass wir die Legitimation der Agrarzahlungen untergraben, dass wir den Eindruck erwecken, hier gehe es nur darum, ein altes System und althergebrachte Pfründe zu verteidigen. Mit die ser Position werden wir im Rahmen dieser Haushaltsberatun gen im Europäischen Parlament Schiffbruch erleiden.

Ich bitte Sie: Lassen Sie uns genau an dieser Stelle die Dis kussion über Agrarfinanzierungen führen, genau an dieser Stelle darüber reden, welche Unterstützungen für welche ge sellschaftlichen Leistungen unsere Landwirte brauchen. Denn das ist unsere einzige Chance, die Zahlungen zu erhalten, die wir brauchen, um bei einer Struktur wie hier in Baden-Würt temberg Landschaftspflege und viele andere wichtige gesell schaftlichen Leistungen, die vielfach nicht über den Markt

preis der Produkte zu erwirtschaften sind, dauerhaft zu erbrin gen.

Diese Frage wird auf europäischer Ebene entschieden wer den. Den Wegfall von Mitteln der Europäischen Union wer den wir niemals hier im Land kompensieren können. Alle 16 Landesminister sind sich einig, dass der Bund hier in erheb licher Verantwortung steht. Wenn die Bundeskanzlerin uns Mittel bei der zweiten Säule nimmt, dann sind wir der Auf fassung, dass sie in der Pflicht ist, bei der Gemeinschaftsauf gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut zes“ auch Kompensationen vorzunehmen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Aber es war schon spannend, zu sehen, dass zum Antrag des Freistaats Bayern die gerade in diesen Freistaat zurückwech selnde Bundesministerin nicht besonders viel Positives zu sa gen hatte.

Ich sage Ihnen offen: Das sind die Debatten, die wir eigent lich führen müssten, wenn wir unsere Politik hier erfolgreich weiterführen wollen. Wir werden im Land mögliche Kürzun gen in Europa nicht kompensieren können. Aber mit einer Strategie der Angriffe auf Ciolos schwächen wir seine Hand lungsposition. Wenn wir die Ökologisierung der europäischen Landwirtschaftspolitik angreifen, schwächen wir die Positi on. Das ist das, was unseren Landwirten zum Schluss wirk lich Schaden zufügt.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie – Parteipolitik hin oder her –: Wenn wir es mit der Land wirtschaft ernst meinen, dann müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass das Greening kommt, dass es anwendungsori entiert ist und zur Struktur in unserem Land passt. Es ist die einzige Chance, die wir haben, die notwendigen Mittel auf EU-Ebene auch wirklich weiter absichern zu können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Abg. Burger hat noch zwei Minuten Redezeit. Diese möchte er gern nutzen. – Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank, dass ich noch einmal zu Wort komme. Ich mache es im Schnelldurchgang.

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich mei ne Reden selbst schreibe. Dazu stehe ich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Dann ein ganz klares Bekenntnis: Milchbauern sind mir wich tig. Milchbauern erhalten uns unser Grünland, unsere Kultur

landschaft. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir aber erfahren, dass die Quote nur Geld kostet, keinen Preis sichert und den Landwirten nicht weiterhilft. Das müssen wir berück sichtigen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Nun zum Punkt Greening. Ich habe sehr wohl aufgezeigt, in wieweit wir beim Greening mitgehen können.

(Abg. Paul Locherer CDU: So ist es!)