Protokoll der Sitzung vom 27.02.2013

Baden-Württemberg braucht eine leistungsfähige Infrastruk tur. Hierfür trägt nicht nur der Bund, sondern auch das Land die Verantwortung.

Ich habe hier eine Fotokopie des Berichts der Daehre-Kom mission. Herr Verkehrsminister Hermann war auch Mitglied dieser Kommission. Darin wird der Zustand der Straßen be schrieben und aufgezeigt, dass wir in Deutschland eine De ckungslücke von etwa 6 Milliarden € haben. Insofern sind wir uns zumindest darin einig, dass wir zusätzliche Finanzmittel brauchen.

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion hat sich aus diesem Grund schon vor längerer Zeit dafür ausgesprochen, von BadenWürttemberg aus die Einführung einer Vignette zu initiieren, die bundesweit gelten muss. Die Einführung einer satelliten gestützten Maut halten wir aus Datenschutzgründen für ein großes Problem. Außerdem glauben wir, dass die Einführung sehr viel Zeit beanspruchen wird. Deshalb haben wir eine Vignettenlösung vorgeschlagen. Das sollte in einer eigenen Gesellschaft zusammengeführt werden, damit die Einnahmen nicht in den Haushalt des Bundes fließen. Diese Mittel soll ten wir über eine Fondslösung nutzen können.

Hinzu kommt die Überprüfung der Standards. Die Frau Staats sekretärin hat gestern eine Pressemitteilung veröffentlicht, de ren Inhalt wir unterstützen. Dabei geht es darum, wie wir Stan dards beim Straßenbau reduzieren können.

Wichtig ist uns auch, dass man in den Bereichen, in denen dies möglich ist, über eine ÖPP-Finanzierung nachdenkt. Dabei denke ich z. B. an die A 6.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Das wird sicherlich nicht bei jedem Projekt passend sein. Die ses Thema sollten wir aber durchaus aktiv angehen.

In den Modellrechnungen der Daehre-Kommission finden sich verschiedene Elemente wie die Mineralölsteuer, die Kfz-Steu er, die Pkw- und die Lkw-Maut. Herr Verkehrsminister Her mann war Mitglied dieser Kommission. Insofern würden uns die daraus resultierenden Schlussfolgerungen interessieren.

Wie geht es jetzt weiter? Welche Ansätze verfolgt das Land Baden-Württemberg in diesem Bereich? Welche Initiativen werden ergriffen, damit insgesamt mehr Geld zur Verfügung gestellt wird?

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Verkehrsminister Hermann das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir heute eine Debatte über die Finanzierung von Bundesfernstraßen in Baden-Württemberg durch den Bund führen können. Genau darüber und nicht über andere Felder sollte jetzt auch diskutiert werden. Es lohnt sich, einmal separat darüber zu diskutieren.

Meines Erachtens lohnt es sich auch, ideologisch ein bisschen abzurüsten, Herr Groh, und einmal genau hinzuschauen, was in den vergangenen eineinhalb Jahren wirklich geschehen ist, in welche Bereiche wir investiert haben und in welche Berei che wir nicht investiert haben. Deswegen werde ich mich in meiner Rede sehr stark an Zahlen orientieren und aufzeigen, was wir gemacht haben und was wir nicht gemacht haben.

Ich finde, wenn wir über die Finanzierung von Bundesfern straßen sprechen, dann sollte eines vorab deutlich gemacht werden, zumal wir gerade über die Förderung des Radver kehrs in Baden-Württemberg debattiert haben. Dabei reden wir von ganz anderen Dimensionen. Die Kosten, um einen Ki lometer Autobahn sechsstreifig auszubauen, entsprechen in etwa dem Landesetat für Radwege in Baden-Württemberg. Das heißt, wenn Sie in dem einen Bereich die Mittel kürzen würden, würden Sie die Probleme im anderen Bereich auf gar keinen Fall lösen.

(Abg. Klaus Maier SPD: Genau!)

Das einmal als Hinweis an die FDP/DVP, die es im Ausschuss abgelehnt hat, die Radförderung zu unterstützen – mit dem Hinweis, man hätte dann zu wenig Geld für den Straßenbau insgesamt. Das ist nicht wirklich ein adäquater Problemlö sungsansatz, weil die Dimension einfach nicht stimmt.

Meine Damen und Herren, die Geschichte des Bundesfern straßenbaus in den letzten Jahren – nicht nur in Baden-Würt temberg, sondern insgesamt in Deutschland; das würden wahr scheinlich alle unterschreiben, die so lange wie ich in diesem Bereich Politik machen – ist eine Geschichte von langen Lis ten, von langen Wartezeiten, von großen Differenzen zwischen Wunschlisten und dem, was real an Finanzierungsmöglich keiten da war. Es fehlt seit Langem – nicht erst seit zwei, drei Jahren – an Mitteln für den Aus- und Neubau, aber auch für die Sanierung. Je nachdem, was der Schwerpunkt einer Re gierung war, fehlt es mehr an dem einen oder mehr an dem anderen.

Was man wirklich sagen kann: Es ist kennzeichnend – wenn Sie die Zahlen anschauen, erkennen Sie das –, dass es immer – egal, unter welcher Regierung in den letzten zehn, 15 Jah ren – eine große Lücke zwischen dem, was gebaut werden

sollte, was gewünscht war, und dem, was man real zur Verfü gung hatte, gab.

Deswegen glaube ich, dass es, wenn man eine neue Infrastruk turpolitik macht, ganz wichtig ist, unsere Wünsche und Pläne zu überprüfen und zu fragen: Was ist in Zukunft noch finan zierbar, was können wir uns leisten, was ist angesichts des de mografischen Wandels auch notwendig? Und: Wie können wir die trotzdem vorhandene Finanzierungslücke schließen, wie können wir neue Mittel akquirieren? Dazu will ich Ihnen ei niges sagen.

Wir haben Ihnen auch aufgelistet, was in den letzten Jahren in den Erhalt gesteckt wurde, was in den Aus- und Neubau ge steckt worden ist. Interessant ist, dass man beispielsweise im Jahr 2005 234 Millionen € für den Erhalt und nur 150 Milli onen € für den Aus- und Neubau ausgegeben hat. Im Jahr 2012 waren es dann 247 Millionen € für die Erhaltung und 212 Mil lionen € für den Aus- und Neubau. Die Werte haben sich also eher angeglichen.

Es ist erkennbar: Die Investitionen für die Erhaltung liegen über denen für den Aus- und Neubau. Damit hat sich in den Zahlen etwas niedergeschlagen, was hier im Parlament manch mal noch leicht übersehen wird. Man hat nämlich ernst ge nommen, dass es einen Sanierungsstau gibt und dass man in den kommenden Jahren im Bereich Sanierung mehr tun muss – auch im Bereich der Bundesstraßen und der Autobahnen.

Es gab ein Jahr – das Jahr 2008 –, in dem wir gerade einmal noch 155 Millionen € für die Erhaltung, aber über 300 Milli onen € für den Aus- und Neubau hatten. Das war aber ein Aus reißer, das hat die Linie nicht abgezeichnet. Das war unter der Großen Koalition. Ich denke, das hatte viel mit den Konjunk turprogrammen zu tun, bei denen man gesagt hat: „Wir müs sen endlich etwas tun.“ Aber das ist nicht die Regel gewesen.

Es ist, glaube ich – das kann man einmal positiv festhalten –, in der Summe so gewesen, dass es ein allmähliches – aus mei ner Sicht ein zu langsames – Umschwenken von Aus- und Neubau hin zur dringend notwendigen Sanierung, zum Abbau des Sanierungsstaus gegeben hat.

Übrigens: Wenn man sich die Gesamtsumme der Investitio nen und der Mittelausgaben im Bundesfernstraßenbereich an schaut, erkennt man, dass es zwar eine Erhöhung von 636 Mil lionen € im Jahr 2005 auf 826 Millionen € im Jahr 2012 – grob 200 Millionen € mehr – gegeben hat. Trotzdem landet nicht das ganze Geld im Straßenbau. Vielmehr haben wir in ande ren Bereichen zunehmend höhere Kosten. Allein bei der Re finanzierung – das wird gern unterschlagen; das sind Straßen baumaßnahmen, die privat vorfinanziert waren – haben wir inzwischen laufende Kosten von 90 Millionen €. Das heißt, die Ausgaben im Voraus schlagen sich jetzt im Haushalt nie der, und diese Mittel fehlen uns natürlich, um neue Maßnah men anzugehen.

Auch der Bereich „Betrieb, Erhalt“ wächst ständig. Wir ge ben auch mehr Geld für Telematik aus. Das ist sinnvoll. Aber es ist klar: Man kann nicht immer nur den einfachen Infra strukturausbau anschauen. Man muss genau schauen: Was passiert mit dem Geld? Ich glaube, es ist sinnvoll, dass hier allmählich umgesteuert wird.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Kennzeichnend ist über all die Jahre eine Unterfinanzierung. Im Durchschnitt sind wir in den letzten zehn Jahren auf etwa 230 Millionen € für Aus- und Neubaumaßnahmen gekommen. In der Summe – vorhin ist es gesagt worden; ich will es gern wiederholen – haben wir laufende Baumaßnahmen plus bau reife und andere Maßnahmen im Vordringlichen Bedarf mit einem Volumen von, grob gesagt, 5 Milliarden €. Wenn Sie pro Jahr 100 Millionen € einsetzen, dauert es 50 Jahre, bis die Maßnahmen umgesetzt sind; wenn Sie pro Jahr 200 Millio nen € einsetzen, sind es 25 Jahre. Je mehr Mittel Sie einset zen, desto kürzer wird diese Zeit. Wir haben einen immensen Bedarf und zu wenig Mittel. Das muss einfach dazu führen, dass man sagt: Wir brauchen auf der einen Seite eine Anhe bung der Mittel, aber auf der anderen Seite auch eine realisti sche Reduktion der zahlreichen Maßnahmen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Nun behaupten Sie immer wieder – das passt in Ihre Ideolo gie –, der grüne Verkehrsminister verhindere Straßenbau.

(Abg. Manfred Groh CDU: So ist es!)

Das kann er nicht, denn die Bundesfernstraßen werden letzt lich vom Bund finanziert, und zudem wird angesagt: „Jetzt wird gebaut.“ Wir haben – das sage ich auch mit einem ge wissen Stolz – in den letzten eineinhalb Jahren viel dafür ge tan, dass wir deutlich mehr Mittel bekommen haben als ur sprünglich geplant. Wir haben allein im vergangenen Jahr 65 Millionen € mehr Mittel abgeholt, als uns vom Plan her ei gentlich zustanden. Warum? Weil unsere Baustellen nicht durchfinanziert waren, hatten wir einen dringenden Bedarf zu decken. Es bestand eine riesige Lücke zwischen dem Volu men der laufenden Baumaßnahmen und dem, was uns an Bun desmitteln zugesagt war. Der Vorteil war: Wir hatten alles in die Baustellen gesteckt und konnten noch etwas drauflegen. Andere Länder waren nicht in der Lage, so gut zu bauen wie wir. Schimpfen Sie also nicht immer auf unsere Verwaltung. Wir sind da ziemlich gut und ziemlich erfolgreich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Wir haben übrigens deutlich umgeschichtet, wir haben deut lich mehr in den Bereich der Erhaltungs- und Sanierungsmit tel geschoben.

Im Übrigen will ich auch noch etwas zu dem Vorschlag sa gen, der immer wieder einmal von der CDU kommt, man kön ne ja auch die Mittel einfach hin- und herschieben. Hin- und herschieben geht nicht. Man kann z. B. nicht vom Bund für Neubaumaßnahmen festgelegte Mittel in die Sanierung ste cken. Aber umgekehrt geht es wohl. Das ist in den vergange nen Jahren oft geschehen – leider zum Schaden der Sanierung –, und das hat zu Sanierungsstau und zu Vermögensverzehr geführt. Damit haben wir Schluss gemacht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir haben gesagt: Das, was vom Bund für Sanierung vorge sehen ist, wird auch möglichst komplett in die Sanierung ge steckt. Jetzt muss ich Ihnen ein Geständnis machen: Im letz ten Jahr ist es uns trotzdem nicht gelungen, alle Mittel nur in die Sanierung zu stecken. Warum?

(Abg. Manfred Groh CDU: Ja, warum?)

Weil zwischen den Kosten der von Ihnen eröffneten Baustel len und dem, was uns der Bundesverkehrsminister tatsächlich überwiesen hat, eine solche Lücke entstanden ist, dass ich, wenn ich es so gemacht hätte, Baustellen hätte abbrechen und stilllegen müssen. Das, was Sie immer denken, was ich täte, habe ich aber nicht gemacht. Vielmehr habe ich in diesem Fall noch einmal eine Ausnahme gemacht, weil das verantwortbar war, weil es unverantwortlich gewesen wäre, Baustellen ein fach abzubrechen, und weil wir die Mittel für die Sanierung deutlich erhöht haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Nun haben Sie, Herr Groh, sich lange und kritisch über die Priorisierung geäußert.

(Abg. Manfred Groh CDU: Zu Recht!)

Die Priorisierung war einfach nur der Versuch, aus der langen Liste der Versprechungen, die nie eingelöst wurden, etwas he rauszunehmen – von den vielen Maßnahmen, die man bauen müsste,

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

aber für die man das Geld nicht hat – und zu fragen: Welche beginnen wir zunächst? Wir haben übrigens nie gesagt, wir bauten keine neuen Projekte, sondern wir haben gesagt: „Wir fangen erst wieder mit neuen Projekten an, wenn wir genü gend freie Mittel haben, weil wir alte Projekte zu Ende gebaut haben.“ Das ist eine ganz rationale Politik. Das hat überhaupt nichts mit Ideologie zu tun, aber Sie haben Probleme, das zu verstehen, weil Sie sehr ideologisch Politik machen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir haben für die Priorisierung ganz rationale Kriterien: Kos ten-Nutzen-Verhältnis, Verkehrssicherheit, Lärmentlastung, Umweltverträglichkeit, Verkehrsfluss, Netzfunktion. Das sind sechs Kriterien, die wir übrigens mit Bürgermeistern, Land räten, Vertretern der Wirtschaft, der Automobilbranche, der Verkehrsverbände diskutiert haben.

Nachdem es eine Möglichkeit zur Rückmeldung und zur Kor rektur gab, ist am Ende genau dieses System herausgekom men und bestätigt worden – vom ADAC bis hin zu den Ver bänden der Wirtschaft. Die haben gesagt: „Endlich einmal ein rationales Verfahren und nicht mehr ein Beziehungsgeflecht, das undurchschaubar ist.“ Rationale Priorisierung hat zu ei ner rationalen Vorschlagsliste geführt, die übrigens weitge hend akzeptiert worden ist –

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)