Protokoll der Sitzung vom 06.03.2013

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Herr Abg. Grimm.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist und war wegweisend, was die Zusammenarbeit, Information und Beteiligung zwischen Regierung und Landtag angeht. Da mit haben wir in der letzten Legislaturperiode ein gutes Bei spiel gesetzt.

Jetzt wird über die Novellierung des Gesetzes über die Zu sammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union diskutiert. Ich hoffe, dass die Diskussi on zu einem ordentlichen Ergebnis führt. Allerdings muss man mit Blick auf unser Land deutlich machen, dass es an der ei nen oder anderen Stelle schlicht hakt. Bis die Ministerien ih re Berichte koordiniert und dem Landtag übermittelt haben, ist die Befassung mit den Vorschlägen der Europäischen Kom mission im Bundesrat schon erfolgt oder steht unmittelbar be vor. Trotz der Berichtsbögen zu den Mitteilungen ist das Le sepensum nahezu nicht zu schaffen. Hier muss die Regierung einfach schneller werden.

Die Berichte über europapolitische Themen, die wir regelmä ßig von der Landesregierung vorgelegt bekommen, sind – das ist löblich – wie die Stellungnahmen zu vielen Berichtsanträ gen ausgesprochen umfangreich und informativ.

Aber ich frage Sie: Müssen wir zur Erfüllung unserer parla mentarischen Kontrollfunktion wirklich wissen, dass es zur Zusammenarbeit Baden-Württembergs mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine „Internationale Happy Hour“ auf

der Hannover Messe Industrie im letzten Jahr gegeben hat? Die wesentliche Frage ist doch: Erreichen wir mit unserer Tä tigkeit die Bürger? Interessieren sich mehr Bürgerinnen und Bürger für die Europapolitik, wenn wir öffentliche Ausschuss sitzungen durchführen? Machen wir den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber deutlich, welche Vorteile Europa jedem persönlich bietet? Ich finde, das machen wir nicht genug. Des halb wünsche ich mir, dass wir zeigen, wo überall uns Euro pa konkret im Land und in der Gemeinde begegnet. Weisen wir auf von der EU geförderte Projekte und Initiativen hin. Ich bin mir sicher, dann würden die Bürger Europa als ihr Eu ropa verstehen und es vielleicht eher akzeptieren.

Morgen werden wir uns hier auf Initiative der Grünen mit den Brüsseler Finanzbeschlüssen beschäftigen. Es ist schon jetzt zu erkennen, dass diese zu einer Schwächung des ländlichen Raums in Baden-Württemberg führen werden. Ich will die Diskussion nicht vorwegnehmen, aber bemerkenswert ist das schon. Was hier von den Grünen als Mangel beklagt wird, wirft die europapolitische Sprecherin der Grünen in Hessen, Frau Erfurth, dem dortigen FDP-Minister vor, nämlich dass er einen möglichst hohen Anteil von Fördermitteln aus EUTöpfen abgreift. Sind möglichst hohe Fördermittel gut, oder sind sie böse? Oder sind hohe Fördermittel in Hessen böse, in Baden-Württemberg aber gut? Darüber kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundespräsident hat kürzlich appelliert, mehr Mut zu Europa zu haben. Das ist ge rade in Zeiten der Wirtschaftskrise eine klare Botschaft an Eu roskeptiker, die eine Renationalisierung anstreben. Der Ap pell ist aber auch ein Aufruf an uns, Bedenken zurückzustel len und gemeinsam erfolgreich zu sein, auch um unsere Wer te und Ideale zu bewahren. Völlig zu Recht weist der Bundes präsident auf die zahlreichen Vorzüge von mehr Europa hin, die längst Teil unseres Alltags geworden sind: Binnenmarkt, Zollfreiheit, Reisefreiheit, gemeinsame Währung. Von diesen Errungenschaften profitieren viele Bürger der EU Tag für Tag. Wir alle hier sind gefordert, immer wieder auf diese Vorzüge hinzuweisen, damit wir Europa gemeinsam voranbringen kön nen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Für die Landesregierung spricht Herr Minister Friedrich.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zu Beginn mei ner Rede dafür bedanken, dass es möglich war, die Debatte über den europapolitischen Bericht vorzuziehen. Das ermög licht mir heute Abend die Teilnahme an dem Donausalon, den wir, die Landesvertretung Baden-Württemberg, gemeinsam mit der Österreichischen Botschaft im Rahmen der Internati onalen Tourismusmesse in Berlin durchführen, um dem The ma Donauzusammenarbeit auch im Tourismusbereich einen höheren Stellenwert zu geben. Auch das ist ein Beitrag prak tisch gelebter Europapolitik des Landes. Deswegen herzlichen Dank für diese Möglichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ganz zu Beginn haben Sie, Herr Abg. Reinhart, das Thema „Vertrauensverlust in Europa“ angesprochen. Ich will das gern aufnehmen, weil das, glaube ich, immer noch der Umstand ist, der uns die meisten Sorgen bereiten muss. Unabhängig von den Krisen, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann, müssen wir feststellen, dass der Verlust von Vertrauen in die Europäische Union und in die Art und Weise, wie auf der europäischen Ebene Politik gemacht wird, zunimmt. Ei nige Wahlergebnisse sprechen Bände.

Ich halte es deswegen für ein echtes Problem für die Zukunft Europas, dass sämtliche Debatten über die institutionelle Wei terentwicklung, über die Demokratisierung Europas, über Ge waltenteilung, über klarere Zuständigkeiten auf Druck der Bundeskanzlerin auf die Zeit nach der Bundestagswahl ver tagt werden mussten. Ich glaube, dass das Angehen der Ver trauenskrise in Europa keinen Aufschub duldet. Deswegen ist es, meine ich, kein gutes Signal, dass die Debatte über die zu künftigen Institutionen und die Demokratisierung Europas vertagt wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Ich glaube, wir können auch erkennen, dass eine Politik, die ausschließlich auf Konsolidierung setzt, nicht erfolgreich sein kann. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass wir auf gemeinsame Regeln guter Haushaltsführung in Europa drängen müssen. Da ist der Fiskalpakt wichtig; ich sage gleich noch etwas zur Umsetzung bei uns. Aber Sparen allein führt Europa nicht aus der Krise, denn die Schuldentragfähigkeit der Länder, die die se Medizin verabreicht bekommen, ist ja nicht gestiegen. Sie ist leider gesunken, weil die Wirtschaft nach wie vor schnel ler schrumpft, als die Haushalte überhaupt zusammengekürzt werden können. Das zeigt, dass hinter diesem Modell bisher keine ökonomische Strategie steckt. Das macht es unheimlich schwierig.

Deswegen will ich darauf hinweisen: Es gibt auch noch ande re Wege, wie wir Wachstum in Europa befördern können, die nicht per se mit neuen Verschuldungsprogrammen einherge hen. Der EU-Kommissar Semeta hat uns vorgerechnet, dass die europäischen Staaten aufgrund der in Europa bestehenden Steuerschlupflöcher ungefähr 1 Billion € an Steuereinnahmen pro Jahr verlieren. Das heißt, die Steuerharmonisierung ist entscheidend für die Frage: Bringen wir den europäischen Staaten überhaupt die Möglichkeit zurück, handlungsfähige Staatswesen zu sein?

Wir müssen uns nicht über Wahlergebnisse in Italien wundern, wenn die europäische Reformpolitik einzig und allein aus Kürzungsprogrammen besteht und Zukunftschancen zerstört, aber nicht eröffnet. Gerade bei der Frage der Haftung, bei der Frage, wie wir die Steuereinnahmen der Staaten stabilisieren können, braucht es mehr Europa und mehr gemeinsames Eu ropa und nicht eine einseitige Konsolidierungsstrategie, die faktisch Zukunftschancen beendet.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Ja, da sind wir uns völlig einig. Es geht auch um den Voll zug. – Es ist ein Skandal, dass die reichsten Bürger südeuro päischer Länder momentan in Deutschland große Immobili

enbestände aufkaufen, aber in ihren Heimatländern nach wie vor nicht in vernünftigem Maß Steuern zahlen. Das wäre ein Beitrag, den wir gemeinsam leisten könnten – da leisten wir auch praktische Verwaltungszusammenarbeit –, um die Steu ermoral zu heben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Am letzten Freitag hat der Bundesrat den Entwurf des Geset zes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts in den Vermittlungsausschuss verwiesen,

(Unruhe – Zuruf: Pst!)

weil sich die Bundesregierung nach wie vor weigert, bei der innerstaatlichen Umsetzung das zu vollziehen, was wir ge meinsam verabredet haben. Dazu gehört die Frage der Ent flechtungsmittel, dazu gehört die Frage der gemeinsamen Bund-Länder-Anleihen, dazu gehört aber auch etwas, was uns gemeinsam sehr wichtig war, nämlich dass im Haushalts grundsätzegesetz die Haushaltsautonomie der Länder festge schrieben wird.

Deswegen: Ich bin für mehr Europa, gerade auch in Finanz- und Steuerfragen, aber dazu gehört, dass die Souveränität der Mitgliedsstaaten und die föderale Struktur nicht infrage ge stellt werden. Deswegen bitte ich auch um Ihre Unterstützung, dass sich die Bundesregierung an dieser Stelle endlich bewegt und tatsächlich das macht, was sie uns zugesagt hat.

Dies gilt genauso für das Thema Finanztransaktionssteuer. Ich glaube, das Signal, das jetzt von Berlin ausging, dass man sagt: „Wir nehmen einmal die kalkulierten Einnahmen her aus; wir wissen sowieso nicht, ob es kommt“, ist kein gutes Signal. Ich finde auch, man sollte nicht mit Einnahmen kal kulieren, von denen man nicht weiß, ob sie realisiert werden.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist besser!)

Das findet durch den Bundesfinanzminister munter statt. – Wir sollten gemeinsam darauf drängen, dass die Finanztrans aktionssteuer tatsächlich kommt.

Ich sage auch: Wir sollten gemeinsam eine Debatte auch da rüber führen, wie die Mittel aus der Finanztransaktionssteuer verwendet werden. Ich bin sehr dafür, dass das Aufkommen aus der Finanztransaktionssteuer auch der europäischen Poli tik zugutekommt. Ich halte es übrigens auch für einen guten Weg, damit einen Altschuldentilgungsfonds oder anderes ab zufinanzieren, um die Verursacher der Krise tatsächlich an der Bewältigung der Folgen der Krise zu beteiligen. Ich möchte gern, dass die Finanzgeschäfte in Europa besteuert werden und dass die Einnahmen daraus genutzt werden, um damit Schulden der Staaten zu tilgen, die Schulden machen muss ten, um die Finanzkrise abzuwehren. Dazu gehört übrigens auch die Bundesrepublik Deutschland.

Noch ein Wort zur Frage der Beteiligung der Länder. Wir ver handeln immer noch über eine Überarbeitung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angele genheiten der Europäischen Union. Wir drängen darauf. Wir haben jetzt ein gutes Verhandlungsergebnis auf dem Tisch lie gen, das feststellt, dass der Bundesrat die gleichen Unterrich tungs- und Beteiligungsrechte hat wie der Bundestag. Ich hof

fe, dass wir hier – da fehlen mir noch die Signale von den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP – zu einer Pa rallelbehandlung kommen, damit das, was nötig war, nämlich vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, um die Beteili gungsrechte einzufordern, nicht wieder notwendig wird, son dern diese Rechte festgeschrieben werden. Auch hier wünsche ich mir mehr Föderalismusfreundlichkeit seitens der Bundes regierung.

Unter Federführung Baden-Württembergs haben wir jetzt ei nen Kompromiss aller Bundesländer erzielt. Auch die Bun desregierung, die Ministerien waren damit einverstanden. Jetzt wäre es notwendig, das auch zu behandeln. Ich hoffe, wir be kommen dazu vor der Bundestagswahl einen Beschluss zu stande, der den Ländern volle Mitwirkungsrechte in Angele genheiten der Europäischen Union sichert.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Rosa Grünstein SPD)

Ich komme zum letzten Thema, das hier auch die Debatte be stimmt hat, zu der Frage des mehrjährigen Finanzrahmens.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich darf um Aufmerksamkeit bitten.

Ich möchte an erster Stelle da rauf hinweisen – ich begrüße ausdrücklich den Antrag, der da zu von den Regierungsfraktionen vorgelegt wurde –: Ich hof fe sehr, dass das Europäische Parlament seinen Parlaments vorbehalt für den mehrjährigen Finanzrahmen nutzt. Wir wün schen uns sehr, schnell Planungssicherheit zu bekommen. Aber gerade, nachdem man bei ESM, Fiskalpakt, EFSF im mer wieder die Parlamente absichtsvoll herausgehalten hat, ist es wichtig, dass sich das Parlament jetzt auch auf die Hin terfüße stellt – das sehen übrigens die Haushaltsberichterstat ter der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament genauso – und deutlich sagt: Nach dem Vertrag von Lissabon obliegt dem Parlament und nicht den Regierungschefs die Schlussab stimmung über den europäischen Haushalt und den Kompro miss. Deswegen ist es notwendig, dass das Parlament die Möglichkeit des Vorbehalts nutzt. Allein aus Gründen der par lamentarischen Hygiene in der europäischen Politik ist es not wendig, diesen Parlamentsvorbehalt geltend zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Sie haben gesagt, die Kritik, die wir, die Landesregierung, an den Verhandlungsergebnissen geübt haben, sei unbotmäßig bzw. schwäche die Bundesregierung in Europa. Dazu möch te ich zunächst einmal festhalten, dass die Bundesregierung ihr eigentliches Verhandlungsziel nicht erreicht hat. Der Net tozahlungssaldo Deutschlands sinkt nicht, sondern steigt. Die Behauptung, man habe für Deutschland einen Sparkurs durch gesetzt, stimmt also in keiner Weise.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: So ist es!)

Darüber hinaus sind die Stellungnahmen der EVP-Fraktion zur inneren Struktur des Haushalts ziemlich eindeutig. Die Chance, diesen Haushalt auf die Zukunftsthemen in Europa auszurichten, ist verpasst worden. Wo soll denn Wachstum

entstehen, wo sollen denn Arbeitsplätze für die jungen Men schen entstehen, wenn wir in vielen Bereichen weit hinter dem zurückgeblieben sind, was hinsichtlich Wissenschaft, Innova tion, Strukturförderung etc. vorgeschlagen worden ist?

Ich nenne nur ein Beispiel. Der Breitbandausbau ist für den ländlichen Raum von großer Bedeutung und für die Wettbe werbsfähigkeit ländlicher Räume von noch größerer Bedeu tung. Nach diesem Kompromiss stehen für den Breitbandaus bau in ganz Europa gerade einmal 1 Milliarde € für sieben Jahre zur Verfügung. So werden wir den Breitbandausbau aber nicht vorantreiben. Vielmehr werden die Zuschüsse Europas eher zu einer Verlangsamung des Breitbandausbaus führen, weil die Förderbeträge so minimal sind, dass letztlich die So ße deutlich teurer als der Braten wird.

Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass das, was jetzt vorliegt, in keiner Weise den Interessen Baden-Württembergs und ins besondere auch nicht den Interessen der ländlichen Räume in Baden-Württemberg gerecht wird. Deswegen ist es notwen dig, dass dieser Haushalt weiter verhandelt wird und Innova tion und Technologie gestärkt werden.

Die Landesregierung war sehr erfolgreich hinsichtlich der Aufteilung der Mittel innerhalb Deutschlands. Nachdem bis her knapp 3 % der EFRE-Mittel nach Baden-Württemberg ge flossen waren, konnten wir eine Verdopplung der Beträge er reichen. Wir müssen allerdings noch abwarten, was mit den Sicherheitsnetzen passiert. Das ist ein Erfolg dieser Landes regierung.

Wenn aber hinsichtlich der Innovationen in Europa der Spar hammer geschwungen wird, dann wird unser Verhandlungs erfolg am Ende des Tages keinen Bestand haben, weil dann zu wenig Mittel bereitgestellt werden, die für Innovationen im Land eingesetzt werden können.

In diesem Sinn bitte ich CDU und FDP/DVP hier im Land tag, bei der Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungserfolge, die wir für das Land erreicht haben, nicht zunichtegemacht werden.

(Glocke des Präsidenten)