Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Debatte legt die Vermutung nahe, dass es hier nicht wirklich um einen seriösen Diskurs über Lehrer bildung, der Sachlichkeit verdient, oder etwa um kreative Lö sungsansätze für drängende Bildungsfragen geht. Nein, er lässt erkennen, dass die Kreativität bei den Antragstellern nicht weit über eine „Dschungelcamp“- oder auch „Superstar“-Rheto rik hinausreicht.
Ich will gerade deshalb mit Sachlichkeit darauf reagieren. Meine Damen und Herren, wir haben in Baden-Württemberg hervorragende und hoch motivierte Lehrerinnen und Lehrer.
Oft genug jedoch stoßen sie zwangsläufig an ihre Grenzen an gesichts der Fülle von Anforderungen, die seit Langem auf sie zukommen und zunehmend auf sie zukommen werden. Un abhängig vom Schultypus oder von der Altersstufe der Kin der und Jugendlichen erleben wir, dass zahlreiche Elternhäu ser die Erziehungsaufgaben und die Lösung von Entwick lungsproblemen an die Schule abgeben.
Darüber hinaus sind an den Schulen interkulturelle Kompe tenzen gefragt. Die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen im Unterricht unter dem Stichwort Inklusion steht in allen Schulen an.
Lehrerinnen und Lehrer vermitteln weit mehr als Lernstoff. Sie müssen motivieren, fordern, fördern, soziale Prozesse steuern, integrieren, hochbegabte Kinder und Kinder, die mehr Zeit als andere brauchen, zu ihrem Recht kommen lassen. Sie sollen medienpädagogisch arbeiten oder interaktiv oder grup penprozessorientiert – am besten alles zusammen. Sie sind mit Lernbeeinträchtigungen, Verhaltensstörungen und Sprachauf fälligkeiten konfrontiert. Sie müssen täglich den Grat zwi schen Unterforderung und Überforderung für die Kinder fin den.
Die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen haben sich verändert. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen haben sich verändert. Der Schulalltag verändert sich ständig. Formen des Lehrens und Lernens ändern sich, und die Aufgaben für Leh rerinnen und Lehrer ändern sich mit. Ziel ist es, Kinder und
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine verantwortungs volle Aufgabe, bei der wir künftige, aber auch praktizierende Lehrkräfte nicht alleinlassen dürfen! Wir müssen ihnen schon in der Ausbildung, im Studium die Möglichkeit der fachlichen und pädagogischen Profilierung eröffnen. Experten sind sich schon lange einig, dass die Lehrerbildung auf diese Anforde rungen nicht ausreichend vorbereitet. Nur gut ausgebildete, kompetente und engagierte Lehrkräfte können Schülerinnen und Schüler zum Lernen motivieren sowie dazu, aktive Mit glieder einer Sozialgemeinschaft zu werden.
Daher ist eine Weiterentwicklung der Lehrerbildung notwen dig. Dabei sind zentrale Fragestellungen zu berücksichtigen, wie etwa: Was macht einen guten Lehrer aus – jetzt, aber auch künftig? Wo sind Verbesserungen in der Ausbildung notwen dig? Das heißt verstärkte Fachlichkeit in allen Lehramtsstu diengängen – sowohl im fachwissenschaftlichen Studium als auch in der Entwicklung pädagogischer Kompetenzen.
Wir haben Forderungen nach Optimierungen der Grundschul lehrerausbildung auf dem Tisch. Längst wissen wir, dass die Weichen für das Leben schon im frühen Lebensalter gestellt werden. Der Ruf nach Umstellung auf Bachelor- und Master studiengänge erschallt. Vorbereitung auf das umfassende The ma Inklusion an den Schulen steht ebenso auf dem Plan wie die Frage, ob Lehrerbildung künftig nach Schulstufen und nicht weiter nach Schularten organisiert werden soll.
Auch der Wunsch, dass künftige Gymnasiallehrer von einer umfassenderen pädagogischen, methodisch-didaktischen Vor bereitung profitieren können, steht im Raum. Damit BadenWürttemberg künftig weiter erfolgreich sein kann, muss das Bildungssystem weiterentwickelt werden, um leistungsfähig zu sein.
Aus den Erfahrungen der universitären Praxis, der Lehrerbil dung an den Pädagogischen Hochschulen und dem Schulall tag aller Schularten hat eine unabhängige Expertengruppe
Der Ideenkatalog umfasst keine grundlegende Neugestaltung, sondern eine Optimierung der Lehrerbildung. An diesem und keinem anderen Punkt stehen wir gerade, nämlich zum einen von den Empfehlungen dieser Kommission Kenntnis zu neh men und sie zu reflektieren. Zum anderen besteht aber auch die Forderung an uns alle, Reformen und Verbesserungen zu ermöglichen, ohne schon Ergebnisse vorwegzunehmen.
Der nächste Schritt muss ein Diskurs, ein Dialogprozess, ein Beteiligungsprozess sein. Schon jetzt signalisiert z. B. die Wirtschaft tendenziell Zustimmung – siehe „Stuttgarter Zei
tung“. Der Baden-Württembergische Handwerkstag begrüßt die vorgeschlagene übergreifende Ausbildung der Lehrer für die Sekundarstufe. Der Arbeitgeberverband fordert Praktika in Unternehmen und unterstützt den Vorschlag, Lehramtsstu diengänge auf die Bachelor- und Masterstruktur umzustellen. Die Rektoren der Pädagogischen Hochschulen heben positiv hervor, dass die Lehrerbildung nicht mehr nach Schularten, sondern nach Schulstufen organisiert werden könne, und be tonen eine erfreuliche Aufwertung der Grundschulen.
Wir hören allenthalben Lob, dass alle Lehrer zur individuel len Förderung und Inklusion ausgebildet werden sollen. Klar ist allen, dass die Lehrerbildung an die neuen Herausforde rungen angepasst werden muss. Genau an diesem Punkt, mei ne Damen und Herren, stehen wir: Es gilt, mit Ernst, Respekt und Interesse die Empfehlungen dieser Expertenkommission abzuwägen und sie mit allen Beteiligten auf Umsetzbarkeit zu prüfen – nicht mehr und nicht weniger.
Aber stattdessen wird hier „Dschungelcamp“ und „Haltet den Dieb, der mir meine alten, verkrusteten Vorstellungen raubt!“ gespielt. Meine Damen und Herren, ich habe Respekt vor Kri tik, die bessere Vorschläge bereithält. Aber nur Porzellan zu zerschlagen, das ist keine Leistung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem es zwei Interventionen von Fraktionen gab, will ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Ge schäftsordnung vorschreibt, dass die Aktuelle Debatte in frei er Rede zu führen ist.
dass wir uns im Großen und Ganzen an die Geschäftsordnung halten sollten. Ich will jetzt auch niemanden unterbrechen, ihm seinen Zettel wegnehmen und sagen: Reden Sie in freier Rede.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich werde Ihnen zeigen, dass man auch mit Zetteln freie Reden halten kann.
Lassen Sie mich angesichts dieser „Dschungelcamp“-Rheto rik mit dem Hinweis beginnen: Man fragt sich, wo die FDP/ DVP-Fraktion ihre Osterferien verbracht hat; wahrscheinlich nicht im Bildungsurlaub.
Ich freue mich aber sehr darüber, dass es hier im Haus große Einigkeit gibt, dass das Thema „Reform der Lehrerbildung“ zu wichtig ist, als dass man damit billige Effekthascherei und billige polemische Schlagzeilen produzieren möchte.