Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Die Rezession führt dazu, dass keine Arbeits- und Ausbil dungsplätze geschaffen werden. Wir sind uns darüber im Kla ren, dass nur dann, wenn sich die wirtschaftliche Lage ver bessert, die jungen Menschen auch in ihren Herkunftsländern wieder Chancen haben. Da geht es nicht darum, dass man mit teuren Wirtschaftsprogrammen, die nicht zielgerichtet sind – wie etwa eine Vereinbarung der EU-Arbeits- und Sozialmi nister, wonach eine sogenannte Jugendgarantie gegeben wird –, kurzfristige Strohfeuer entfacht, sondern wir müssen wirt schaftssystematische Ansätze verfolgen.

Die europäische Landkarte, sehr geehrte Damen und Herren, zeigt, dass „jung und arbeitslos“ als Formel nicht nur in allen südlichen Ländern zutrifft, sondern es auch andere Beispiele gibt. Frau Kollegin Haller-Haid, Sie haben sich so gegen die Austeritätspolitik – das ist bei Ihnen schon ein Schimpfwort – ausgesprochen. Dabei wähnte ich uns eigentlich nach vie len Haushaltsdebatten einig, dass wir die Verschuldung zu rückfahren wollen – nur, Sie haben sich nicht an die Termine gehalten. Die Jugend hat nur dann eine Chance, wenn sie nicht in Zukunft unsere alten Schulden abtragen muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Florian Wahl SPD)

Aber da kommt noch altes Denken von Helmut Schmidt durch, der einmal sagte: „Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeits losigkeit.“ Die Folge war: Wir hatten erst 5 % Inflation und dann auch noch mehr als 5 % Arbeitslosigkeit.

Irland, meine sehr geehrten Damen und Herren, zeigt, wie es anders gehen kann. Irland hat eine ganz stringente Haushalts- und Sparpolitik verfolgt,

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

und jetzt profitieren die Jugendlichen davon. Dort ist die Ju gendarbeitslosigkeit mit einer Quote von 14 % zwar nicht vor bildlich,

(Lachen bei der SPD und den Grünen)

aber sie ist auf jeden Fall anders als die Jugendarbeitslosen quote von über 50 % in Spanien, die Sie genannt haben.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben auf jeden Fall die Aufgabe, die wirtschaftlichen Grundlagen dafür zu legen, dass Arbeitsplätze und damit auch Ausbildungsplätze geschaffen werden. Dabei geht es auch darum – Sie haben es angespro chen, Frau Haller-Haid –, dass wir die Chancen eines gesamt europäischen Arbeitsmarkts nutzen. Heute dürfen wir aus al len Medien vernehmen, dass das eigentlich funktioniert. Über 400 000 qualifizierte Arbeitskräfte aus der EU sind dieses Jahr nach Deutschland gekommen. Das hätte vor vier Jahren, als uns McKinsey gesagt hat, dass wir einen Facharbeitskräfte mangel in dieser Höhe haben, niemand geglaubt. Das ist nur eine Möglichkeit, den jungen Menschen zu helfen.

Aber es muss auch darum gehen – da bin ich mit Ihnen einig –, dass sie qualifiziert wieder in ihre Länder zurückkehren können und dort eine prosperierende Wirtschaft, deren Wachs tum Sie plötzlich loben – es war für uns sehr erfreulich, dass da jetzt ein Umdenken stattfindet –, gestartet werden kann.

Baden-Württemberg ist auch besonders gefordert, da wir ja einen Auftrag im Rahmen der „Vier Motoren“ haben. Viel leicht sollten wir uns, wenn wir tätig werden, ganz konkret um diese Gebiete kümmern. Das sind allerdings nicht die schlechtesten Gebiete, wie wir wissen.

Wir haben in Baden-Württemberg eine Jugendarbeitslosen quote von – aufgerundet – 3 %. Das ist das Ergebnis einer kon solidierten und zielgerichteten Politik auch zusammen mit den Kammern.

Ministerpräsident Kretschmann wird nicht müde, das duale Ausbildungssystem – ich war bei der Reise in die Türkei da bei – als Exportartikel auszurufen. Das hat einen guten Klang. Aber was stellen wir fest? Gerade in den anderen Ländern be steht immer noch die Denkweise, nur ein höherer Bildungs abschluss sei erstrebenswert.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Die Industrie- und Handelskammern berichten uns, dass man in den entsprechenden Ländern in Bezug auf die dualen Aus bildungsgänge auf große Widerstände stößt.

Ein Umdenken kann, denke ich, nicht über Nacht erfolgen. Aber mir als Berufsschullehrerin macht Sorge, dass unser ei gener Erfolgsweg allmählich in Gefahr gerät. So haben wir am 7. Mai, also gestern, von IG-Metall-Bezirkschef Hofmann gehört, dass die duale Ausbildung in Baden-Württemberg in Gefahr sei und in einen Rückstand gegenüber dem Abitur und dem Studium gerate. Er kritisiert eine Politik, die die Berufs schulen vernachlässige.

Tatsache ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Lan desregierung die beruflichen Schulen trotz gegenteiliger An kündigungen derzeit im Regen stehen lässt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Unsinn hoch drei! Das Gegenteil ist wahr!)

Rund 500 Stellen wären nötig, um die Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr zu sichern. Die Landesregierung weigert sich, die entsprechenden Stellen zu schaffen und zu gunsten dieser Schulen umzuschichten.

(Zuruf der Abg. Rita Haller-Haid SPD)

Wenn man nun davon redet, man solle die Jugendlichen hier willkommen heißen und sie auch ausrüsten, dann ist es not wendig, dass wir uns vielleicht Gedanken machen, wie der Auftrag gerade der Berufsschulen gestaltet sein muss, ob es nicht Fächer geben muss, die etwa die Sprache, die Fachspra che vermitteln, und ob hier nicht Sonderkonzepte der berufli chen Schulen aufgestellt werden müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren, man darf das Hohelied der dualen Ausbildung nicht nur predigen, man muss es dann auch tatsächlich singen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Der gesamte europäische Arbeitsmarkt sollte von uns nicht nur hinsichtlich der Akademiker genutzt werden, sondern wir sollten vor allem auch an diejenigen gelangen, die eine soli de Grundbildung haben und über einen mittleren Bildungsab schluss verfügen. Sie könnten nämlich in unserem Land so wohl in der Pflege als auch im Handwerk einen Arbeitsplatz finden, einen Arbeitsplatz, den sie später bei der Rückkehr in ihr Land sicherlich wieder nutzbringend einnehmen könnten.

Unsere Aufgabe ist auch, dass wir die Mobilität – – Ich bin im reifen Alter

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

und habe die Europäische Union von den Sechziger- und Sieb zigerjahren an erlebt, als wir die Barrieren niedergerissen ha ben. Ist es nicht toll, dass wir das Leonardo-da-Vinci-Pro gramm haben, bei dem vor allem auch das Handwerk aufge rufen ist, im Ausland Erfahrungen zu gewinnen – so wie beim Erasmus-Programm für Studenten? Da müssen wir als Mit glieder des Europaausschusses, Frau Haller-Haid, daran fest halten, dass das in Zukunft im Zusammenhang mit „ERASMUS für alle“ gestärkt wird.

Es muss auch gewährleistet sein, dass diese guten Einrichtun gen wie EURES in Karlsruhe konsequent in die Zukunft ent wickelt werden, damit es einen Grenzverkehr gibt, der es er möglicht, dass z. B. Franzosen weiterhin in Frankreich leben, aber hier begleitet werden, wenn sie in unsere Wirtschaft ge hen und dort Arbeit finden.

Sehr geehrte Damen und Herren, letztlich hat Europa auch die Aufgabe, mit dem EFRE in den Staaten, die noch einer Ent wicklung bedürfen, die Situation so zu begleiten, dass Arbeits plätze entstehen und vor allem junge Leute dann auch in Aus bildung kommen.

Wir hören jetzt, dass die eine oder andere IHK oder die Hand werkskammer solche Projekte schon erfolgreich gestartet hat; ich habe in der letzten Ausgabe der „Deutschen Handwerks Zeitung“ einiges darüber gelesen. Es geht nun darum, dass Maßnahmen abgestimmt sein müssen und wir vor allem mit dem EFRE, der auf Innovation beruht, eine Förderschiene fin den, um die sprachliche Begleitung dieser europäischen Mit bürger in unserem Land zu gewährleisten. Wenn das ge schieht, dann ist mir nicht bange, dass Europa wieder in ein solides Fahrwasser kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Frey das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Da men und Herren! Frau Gurr-Hirsch, den Berufsschulen ging es in Bezug auf die Lehrerversorgung noch nie besser als heu te. Das ist die Realität.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Lachen bei der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: So ist es! Ja, natürlich! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: So ein Selbstlob! – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Unruhe)

Vielleicht sollten Sie Ihre Zahlen auch einmal von der Lan desregierung beziehen und nicht nur sehr befangene Gruppie rungen befragen,

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wen meinen Sie jetzt? Den Berufsschullehrerverband?)

sondern sich wirklich sachkundig orientieren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Lassen Sie mich zum Thema zurückkehren.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Noch nie waren so viele Menschen in Europa arbeitslos. Wenn der zuständige Kommissar László Andor recht hat, dann ent stehen jährlich allein durch Jugendarbeitslosigkeit 153 Milli arden € Schaden für die Volkswirtschaften in Europa.

Diesen Zustand dürfen wir aus wirtschaftlichen, aber auch aus ethischen Gründen nicht weiter dulden. Denn was als europä ischer Wirtschaftsraum begann, ist heute nach dem Vertrag von Lissabon auch eine Wertegemeinschaft. Ich sage das nicht nur für diesen Tagesordnungspunkt, sondern auch für die fol genden Tagesordnungspunkte. Denn einige in der Europä ischen Union scheinen vergessen zu haben, dass es hier auch um Werte geht, und zwar um ökonomische und soziale Wer te, die miteinander verbunden sind. Es geht um Achtung der Menschenwürde, um Freiheit, Demokratie, Nichtdiskriminie rung, Toleranz, Gerechtigkeit und Solidarität.

Was Europa heute braucht, sind Mitgliedsstaaten sowie Poli tiker und Politikerinnen, die sich zu diesen Werten bekennen und diese auch leben. Eine Jugendarbeitslosenquote zwischen 50 und 60 %, wie sie die Kollegin Haller-Haid beschrieben hat, ist nicht tolerabel und führt letztendlich zu sozialen Un ruhen und zu nationalistischen Parteien und Parolen in Euro pa. Diese sind jedoch auch Folge der einseitigen Krisenpoli tik, die nur den Rückbau der Staatsverschuldung ins Visier ge nommen hat.

Wir müssen endlich erkennen, dass es um einen gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialraum gegen Jugendarbeitslosigkeit geht. Es geht um die Zukunft des Kontinents und seiner Men schen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir haben uns sehr gefreut, dass die sogenannte Jugendgaran tie der Europäischen Union nun endlich auch Realität wird. Das ist ein Vorschlag aus dem Jahr 2010 der grünen Fraktion

im Europäischen Parlament. Aber die finanzielle Ausstattung hat uns dann wieder einen bitteren Nachgeschmack verur sacht. Der Vorschlag lautet nun, 3 Milliarden € aus dem ESF und 3 Milliarden € aus dem gesamten Strukturfonds zu neh men, um damit diese Jugendgarantie zu finanzieren. Das kann also nicht die Solidarität sein, die wir von Europa spüren wol len. Es ist auch eher ein Taschenspielertrick, das Geld von der einen Tasche in die andere Tasche zu liefern.

Genauso wenig glaubwürdig ist auch die Bundesregierung, die sich bei den Verhandlungen für den mehrjährigen Finanz rahmen 2014 bis 2020 für massive Kürzungen eingesetzt hat. Das betrifft natürlich auch EFRE und ESF, die jetzt vermut lich mit weniger Mitteln auskommen müssen. Zum Glück hat das Europäische Parlament hier sehr selbstbewusst die Not bremse gezogen. Es muss nun versuchen, Einfluss zu nehmen, damit die Mittel in diesen Bereichen nicht zurückgehen. Wir brauchen diese Mittel für die Bekämpfung der Jugendarbeits losigkeit, um die Solidarität auch in Europa leben zu können.