Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Genauso wenig glaubwürdig ist auch die Bundesregierung, die sich bei den Verhandlungen für den mehrjährigen Finanz rahmen 2014 bis 2020 für massive Kürzungen eingesetzt hat. Das betrifft natürlich auch EFRE und ESF, die jetzt vermut lich mit weniger Mitteln auskommen müssen. Zum Glück hat das Europäische Parlament hier sehr selbstbewusst die Not bremse gezogen. Es muss nun versuchen, Einfluss zu nehmen, damit die Mittel in diesen Bereichen nicht zurückgehen. Wir brauchen diese Mittel für die Bekämpfung der Jugendarbeits losigkeit, um die Solidarität auch in Europa leben zu können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Europa leidet unter einer lokalen Diskrepanz zwischen den vorhandenen Arbeitskräften und den fehlenden Fachkräften. Darum setzen wir uns – auch hier im Landtag – für eine ver besserte Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik in Europa ein. Wir wollen nämlich mit den Menschen in diesen Krisenstaaten einen solidarischen Weg auf Augenhöhe gehen. Deshalb haben wir in der letzten Europaausschusssitzung ei nen entsprechenden Antrag eingebracht. Ich habe mich sehr gefreut, dass diese Initiative fraktionsübergreifend positiv auf genommen wurde. Denn wir wollen auch von Baden-Würt temberg aus ein Zeichen der Solidarität setzen.

Eine entsprechende Vereinbarung muss aber auch Bestimmun gen über die Einhaltung von Tarifverträgen, über Mindestlöh ne, über Tariftreue und bezüglich einer Begleitung der Koope rationen durch Gewerkschaften umfassen.

Es geht uns nicht um einen Braindrain. Da müssen wir sehr sensibel sein. Es geht uns um eine Win-win-Situation; es geht uns um einen Austausch in beide Richtungen unter Einbezie hung der Kammern, unter Einbeziehung von Firmen, Schu len und Hochschulen in Baden-Württemberg und Katalonien. Es geht um eine gute Vorbereitung und Begleitung, etwa durch Sprachkurse und kulturelles Training; es geht um eine Will kommenskultur – die bei uns wirklich noch verbessert wer den kann –, und es geht insgesamt um die Schaffung von Winwin-Situationen im Rahmen einer humanen Binnenmarktpo litik und Binnenmigration innerhalb Europas. Unvorbereite te Arbeitsmigration führt oft zu Enttäuschungen und damit zu Rückschritten im Prozess des europäischen Zusammenwach sens.

Neben der Schaffung neuer Kooperationen geht es aber auch darum, die Fachkräfteallianzen zu fördern, die nicht nur regio nal, sondern auch landesweit entstehen; ich verweise etwa auf die Fachkräfteallianz Südlicher Oberrhein, die sich Anfang dieses Jahres gegründet hat. Das sind wichtige Zeichen dafür, dass wir hier kooperieren und Europa vor Ort leben.

Die Menschen in Europa müssen Deutschland wieder als so lidarischen Partner wahrnehmen, als Partner, der die europä ischen Werte auch im Alltag lebt. Baden-Württemberg steht

hinter diesen Werten und wird alles tun, um die Jugendarbeits losigkeit in Europa zu bekämpfen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich Herrn Abg. Grimm das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol legen! Baden-Württemberg hat mit einer Quote von 3,2 % die niedrigste Arbeitslosigkeit. Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot einmal eine Grafik zeigen, die dies sehr deutlich macht.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Ganz oben sehen Sie hier Baden-Württemberg, gefolgt von Bayern mit 3,2 %.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Kein Wunder, wir regieren ja auch! – Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Wer re giert denn hier?)

Das sollte uns als Ansporn dienen; an diesem Anspruch soll ten wir uns weiterhin orientieren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE meldet sich.)

Uns geht es doch gut.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehmann?

Nein. Lassen Sie mich ein mal reden.

Uns geht es gut. Trotzdem sprechen wir hier heute über Ju gendarbeitslosigkeit.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Sagen Sie einmal etwas zu den Fakten, warum das so ist! Die Zahlen sagen gar nichts!)

Dabei geht es nicht nur um Baden-Württemberg, sondern auch um andere Bundesländer und um Länder in Europa, denen es schlechter geht als uns. Wir machen uns hier Sorgen – wir müssen uns darüber auch Sorgen machen –, dass die Jugend arbeitslosenquote bundesweit 8 % beträgt. Aber ein noch grö ßerer Grund zur Sorge – das wurde heute bereits angespro chen – ist in Ländern Europas eine Arbeitslosenquote von knapp 25 % bei den jungen Menschen unter 25. Auch hierzu möchte ich Ihnen eine Grafik zeigen.

(Der Redner hält eine weitere Grafik hoch.)

Bei diesen Grafiken ist es ähnlich wie bei den Tabellenplät zen im Sport: Wer oben steht, ist meist der Beste. Bei dieser Grafik hier ist es allerdings umgekehrt: Am besten steht da, wer auf den untersten Plätzen rangiert. Ich werde diese Gra fik nun also einmal umdrehen. Dann steht Deutschland ganz oben, und unten steht Griechenland.

(Unruhe)

Ich möchte Ihnen das einfach einmal zeigen; denn ich denke, es wird auch bei einer späteren Beschäftigung mit dem The ma interessant sein, sich diese Tabelle einmal wieder vor Au gen zu führen.

Deutschland – das können wir hier laut sagen; das hört man auch häufig aus dem Ausland – wirkt wie eine Insel in einem Meer von Arbeitslosen. In den 25 anderen europäischen Staa ten – eine Ausnahme bildet Österreich – sieht es wesentlich schlechter aus.

Was wird dagegen unternommen? Die EU will zwischen 2014 und 2020 die Jugendarbeitslosigkeit mit 6 Milliarden € be kämpfen. Ich sage Ihnen: Das wird nicht ausreichen. Die Zah len wurden uns heute genannt: Wir in Europa geben für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit schon heute 153 Mil liarden € aus. Das Geld wird nicht reichen. Geld schafft kei ne Ausbildung, Geld schafft keine Arbeit. Es hört sich zwar löblich an, wenn die EU möchte, dass Jugendlichen innerhalb von vier Monaten nach Abschluss der Schule oder nach dem Beginn der Arbeitslosigkeit ein Ausbildungs- oder ein Arbeits platz garantiert wird. Das klingt aber sehr nach Sozialismus.

Wer bietet Ausbildung und Arbeit an? Wer ausgebildet wer den will und wer Arbeit sucht, geht dorthin, wo Ausbildung und Arbeit angeboten werden. Gerade – das haben wir ges tern gehört – meldet das Statistische Bundesamt, dass im ver gangenen Jahr 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland zu gewandert sind. Das ist seit 1995 die höchste Zuwanderung. Auffällig ist, dass die Zuwanderung aus dem EU-Raum um 18 % zugenommen hat. In Bezug auf Spanien, Griechenland, Portugal und Italien – das sind diejenigen Länder, die hier ganz oben im Ranking stehen – hat sich die Zahl um fast 50 % erhöht.

Meine Damen und Herren, das ist eine Einwanderung aus Kri senländern zur Ausbildung und Arbeit in Deutschland. Da fra ge ich mich: Wollen wir das? Es sind auch schon Jubelschreie zu hören, dass dadurch dem Facharbeitermangel und den de mografischen Veränderungen hin zu einer angeblichen Über alterung der Bevölkerung begegnet werden könnte. Wollen wir das? Sollten wir nicht viel lieber wollen, dass es auch an deren Ländern besser geht? Das ist zum Teil auch schon an gesprochen worden. Müssen wir nicht viel lieber wollen, dass ihre jungen Menschen zu Hause Ausbildung und Arbeit fin den?

Was aber ist das Geheimnis des deutschen Jobwunders? Das wurde heute nicht angesprochen. Es hat in der EU lange ge dauert, bis das in Deutschland bewährte duale Ausbildungs system entdeckt worden ist. Österreich, die Schweiz, Däne mark und die Niederlande haben es – auch mit Erfolg. Das sind die Länder, die Deutschland bei der Jugendarbeitslosen quote nachfolgen. Selbst der amerikanische Präsident Obama hat das System kürzlich als „Fitnessrezept“ für seine Jugend lichen empfohlen.

Meiner Auffassung nach sind wir so gut, weil wir ein geglie dertes Schulsystem mit starker Leistungsgerechtigkeit und großer Durchlässigkeit hatten.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Ich denke beispielsweise an die beruflichen Gymnasien.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Jetzt macht Grün-Rot das kaputt. Der Trend zum Studium, der von dieser Landesregierung gefördert und im Koalitionsver trag auch gefordert wird, erhöht die Probleme allerdings und stuft die berufliche Bildung herab. Die grün-rote Landesregie rung ist dabei, diesen Teil des Bildungssystems mit ihrer Bil dungspolitik erheblich zu gefährden,

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Das ist doch Non sens!)

während die Welt – das ist doch auch jeden Tag in der Presse zu vernehmen – gerade das duale System für sich entdeckt.

(Zuruf der Abg. Rita Haller-Haid SPD)

Statt die Kapazitäten an den beruflichen Gymnasien dem Be darf entsprechend auszubauen, wird die Gemeinschaftsschu le als „Hauptrivalin“ der beruflichen Schulen eingeführt und in einem erheblichen Umfang auch bei der Lehrerausstattung usw. privilegiert. Die Berufsorientierung an den allgemeinbil denden Schulen, z. B. an der Werkrealschule, ist zum Teil schon eingestampft worden.

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Das ist doch Quatsch!)

Durch eine berufliche Gemeinschaftsschule statt verschiede ner beruflicher Schularten würde die Differenzierung zerstört und würden den Schülern gezielte Fördermöglichkeiten ge nommen.

Mit Geld allein wird die Jugendarbeitslosigkeit in Europa nicht zu bezwingen sein. Wenn die EU jetzt auf Bildung und Ausbildung „Made in Germany“ – auf das duale System – setzt, geht es darum, jungen Menschen eine menschenwürdi ge Beschäftigung und eine Perspektive für das Leben zu ge ben. Das sichert auch Wohlstand und Frieden.

Die Förderung der beruflichen Bildung und eine gezielte Ju gendpolitik genügen aber zur Bekämpfung der Jugendarbeits losigkeit nicht. Wichtig ist, dass auch neue Arbeitsplätze ent stehen. Die Krisenländer brauchen ausbildungswillige Betrie be. Sie brauchen geduldige Meister für ihre Lehrlinge. Sie brauchen Institutionen, die für das Zusammenspiel von Kam mern, Arbeitgebern und Gewerkschaften sorgen. Was dies an belangt, ist das Engagement vieler Stellen auch aus unseren Regionen hervorzuheben, die in EU-Ländern unterstützend tätig sind.

Wir müssen die jungen Europäer unterstützen, die wegen Aus bildung und Arbeit zu uns kommen. Noch besser ist es, wenn wir diesen Ländern beim Aufbau und bei mutigen Strukturre formen helfen. Wir brauchen in Europa einen Wettbewerb der Regionen und Staaten, einen Wettbewerb für ein Europa der Vielfalt und nicht der Einfalt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Friedrich das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat haben wir in BadenWürttemberg die niedrigste Jugendarbeitslosenquote unter al len Bundesländern. Wir sind führend in Europa. Darauf sind wir stolz. Das ist ein Resultat gemeinsamer Anstrengungen vor allem der Wirtschaft, der Ausbildungsbetriebe, der Schu len und der Berufsschulen, die wir übrigens in der grün-roten Regierungszeit deutlich gestärkt haben.