Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat haben wir in BadenWürttemberg die niedrigste Jugendarbeitslosenquote unter al len Bundesländern. Wir sind führend in Europa. Darauf sind wir stolz. Das ist ein Resultat gemeinsamer Anstrengungen vor allem der Wirtschaft, der Ausbildungsbetriebe, der Schu len und der Berufsschulen, die wir übrigens in der grün-roten Regierungszeit deutlich gestärkt haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Frau Gurr-Hirsch, Herr Grimm, man sollte nicht das eigene Vorurteil zum Urteil über das, was an Bildungspolitik passiert, machen. Denn wir setzen ja die Empfehlungen der Enquete kommission gemeinsam um. Ich würde Ihnen sehr raten, das, was wir gemeinsam erarbeitet haben, was wir zur Stärkung der beruflichen Ausbildung brauchen und was wir umsetzen, doch als gemeinsamen Erfolg zu sehen. Ich erinnere daran, dass wir gerade an den beruflichen Gymnasien zusätzliche Klassen haben und dort investieren. Deshalb kann man sagen: Wir stärken die berufliche Ausbildung, und – deswegen steht das auch in einem ganz unmittelbaren Zusammenhang mit dem Debattenthema – wir internationalisieren sie auch stär ker, was notwendig ist, um sie attraktiv zu halten.

Die Kritik, die Jörg Hofmann von der IG Metall geäußert hat, bezieht sich auf einen bestimmten Punkt, nämlich die Frage: Wie durchlässig ist die berufliche Ausbildung mit Blick auf die akademischen Abschlüsse und auf die Gleichstellung gleichwertiger Ausbildungen? Auch da sind wir in einer ge meinsamen Anstrengung, dass das duale Berufsausbildungs system mit seinen Verästelungen und seinen Möglichkeiten der Weiterentwicklung endlich auch die notwendige Anerken nung in Europa findet.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Wir stehen aber vor der Herausforderung, dass sich die Situ ation längst umgekehrt hat. Wir bekämpfen auch in BadenWürttemberg die Jugendarbeitslosigkeit. Meine Kollegin Ka trin Altpeter wird in dieser Debatte gleich noch etwas zu den Maßnahmen bei uns sagen.

Wir stehen vor der Herausforderung, zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen. Bis zum Jahr 2020 fehlen in Baden-Württem berg voraussichtlich ungefähr 400 000 Fachkräfte. Es wird zu einer echten Wachstumsbremse oder Wachstumsgefahr für das Land, wenn wir es nicht schaffen, genügend zu qualifizieren. Deshalb ist es notwendig, zum einen in unsere eigenen Poten ziale zu investieren – dadurch, dass wir die berufliche Ausbil dung attraktiver machen, auch durch Internationalisierung wie Jugendaustausch, den wir im Bereich der beruflichen Ausbildung mit Rhône-Alpes machen, durch Programme wie Go.for.europe; das sind alles Elemente, die auch die berufliche Ausbildung stär ken und internationalisieren –, zum anderen aber auch mit der Fachkräfteallianz voranzukommen, die wir in Baden-Würt temberg inzwischen fast flächendeckend etabliert haben, bei der es auch darum geht, wie wir die Potenziale heben und die Zuwanderung nutzen können.

Wenn ich mir die Schlagzeilen heute in der Zeitung anschaue, muss ich sagen: In Deutschland hat sich gewaltig etwas ver ändert. Es ist nicht nur so, dass die Zahl der zuwandernden

Menschen steigt, sondern auch so, dass sie tatsächlich will kommen sind. Deswegen ist es ganz wichtig – gerade mit Blick auf Europa, wenn wir über die Zuwanderung insbeson dere von qualifizierten Menschen sprechen –, dass wir dieses Element der Willkommenskultur haben und dass wir das auch entsprechend begleiten, und zwar durch Programme wie z. B. MobiPro-EU, bei dem es darum geht, dass junge Menschen, die zu Ausbildung oder Studium hierher kommen, während ihres Aufenthalts eine Begleitung sowohl für den Spracher werb als auch für die Integration bekommen. Auch da leisten das Ministerium für Integration und das Ministerium für Fi nanzen und Wirtschaft eine wertvolle Arbeit. Wir setzen die se Programme gemeinsam auf, damit die jungen Menschen hier auch begleitet werden, sich hier zu Hause fühlen und sich aufgenommen fühlen können.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit in Europa anschaut, dann sieht man: Die Situation ist erschreckend. Das ist schon ein Problem, über das man, denke ich, sehr ernsthaft diskutie ren muss. Wenn es für jeden zweiten Jugendlichen in Spani en, in Griechenland und zum Teil auch in einigen Städten in Frankreich keine berufliche Perspektive gibt, werden sie auch kein positives Bild von der Gesellschaft bekommen, in der sie aufwachsen. Wenn die EU-Politik und die EU-Krisenpolitik sozusagen als Kürzung aller Perspektiven wahrgenommen werden – das muss uns nicht gefallen, und wir können es auch als ungerecht empfinden, aber wir müssen zur Kenntnis neh men, dass viele junge Menschen in Europa die Europäische Union momentan als Bedrohung ihrer Lebensperspektive und nicht als Chance sehen –, müssen wir uns überlegen: Was kön nen wir tun? Was können wir im Bereich der europäischen Ju gendgarantie tun?

Frau Gurr-Hirsch, ich halte den Begriff „Garantie“ auch für zu umfassend. Unter Garantie versteht man etwas mehr. Aber diese Programme bieten keine Garantie, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Wenn ich sehe, welche Unterstützungen damit ge plant sind, dann sage ich: Lassen Sie uns aus Baden-Württem berg einen Beitrag dazu leisten, jungen Menschen tatsächlich eine Perspektive zu bieten.

Beispielsweise – wir müssen gar nicht so weit blicken – su chen wir am Oberrhein, in der Ortenau, im Südbadischen, nach Fachkräften; auch dort besteht in den Betrieben bereits ein Fachkräftemangel. Auf der anderen Seite der Grenze, bei spielsweise in Straßburg, gibt es bereits heute eine hohe Ju gendarbeitslosenquote.

Lassen Sie uns also daran arbeiten: Wie können wir die euro päischen Programme nutzen, um grenzübergreifend eine ent sprechende berufliche Ausbildung zu ermöglichen? Es gibt am Oberrhein schon seit langer Zeit Programme, die sehr er folgreich sind. In diesem Jahr ist zum ersten Mal eine deutschfranzösische, eine gemeinsame Arbeitsagentur in Betrieb ge gangen, um hier die Arbeitsplatzvermittlung besser anzuge hen. Wir haben – Gott sei Dank – die EURES-Grenzpartner schaft stärken können, und wir sind in sehr guten Gesprächen mit dem Elsass, um noch in diesem Jahr – ich bin sehr zuver sichtlich – eine Übereinkunft zu treffen, dass wir Fachsprach kurse in der jeweiligen Sprache des anderen Landes anbieten, um jungen Menschen die Arbeitsaufnahme jenseits der Gren ze zu ermöglichen.

Damit machen wir am Oberrhein Europa für die Menschen ganz konkret erlebbar und bieten Jugendlichen durch Förder programme der Europäischen Union, die vom Land BadenWürttemberg und von der Region Elsass umgesetzt werden, eine berufliche Perspektive.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir wollen zum Zweiten, dass das duale berufliche Ausbil dungsmodell aus Baden-Württemberg zu einem Exportschla ger des Landes wird. Wir haben im Rahmen der Donauraum strategie ein Projekt aufgesetzt. Alle 14 Länder des Donau raums entwickeln mit der Akademie für Lehrerfortbildung in Esslingen und dem Kultusministerium ein Programm, um Multiplikatoren zum Aufbau der beruflichen Ausbildung in all diesen Ländern zu schaffen. Das ist dringend nötig.

Auch Betriebe aus Baden-Württemberg, die in diesen Län dern investiert haben, suchen nach Fachkräften. Eines der Grundprobleme ist, dass trotz hoher Jugendarbeitslosigkeit ein Fachkräftemangel besteht.

Um das zusammenzubekommen, wollen wir berufliche Aus bildungsgänge in den Ländern des Donauraums etablieren. Das Programm setzt vor allem daran an, auch Ausbilder aus zubilden.

Sie haben mit Ihrer Kritik recht, dass sehr häufig der höchste Bildungsabschluss, der akademische Abschluss, als Ideal ge sehen wird; das ändert sich aber gerade. Ich bin sehr froh, dass es dem Europäischen Rat im Juni 2012 gelungen ist, ein Wachstumsprogramm zu verabreden – übrigens auch auf Druck im Deutschen Bundestag auf die Bundesregierung; die Fraktionen der SPD und der Grünen haben ihre Zustimmung zum ESM davon abhängig gemacht hat, dass ein Wachstums programm verabredet wird.

Jetzt geht es darum, dass wir dieses Programm nutzen, um Ausbilder zu schulen, dass diese Programme genutzt werden, um die entsprechenden Berufsausbildungsprogramme umzu setzen, und dass wir die duale berufliche Ausbildung, wie wir sie in Deutschland, in Baden-Württemberg, glaube ich, mus tergültig etabliert haben, tatsächlich internationalisieren, da mit sie auch in anderen Ländern stattfindet und auch der Aus tausch gewährleistet ist.

Es gibt hierfür hervorragende Beispiele. Ich nenne die deut sche Außenhandelskammer in Rumänien. Diese baut momen tan in Brasov eine Berufsschule nach baden-württembergi schem Vorbild mit auf. Im Rahmen der Donauraumstrategie unterstützen wir dies, damit dort für Betriebe auch aus BadenWürttemberg, die dort bereits angesiedelt sind – aber nicht nur für diese –, entsprechende Ausbildungsgänge angeboten wer den.

Wenn es uns tatsächlich gelingt, das System, das uns im Hin blick auf die Jugendarbeitslosenquote so erfolgreich gemacht hat, in viele europäische Länder hineinzutragen, ist das, glau be ich, der beste Beitrag, den wir aus Baden-Württemberg zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa leisten kön nen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir haben in Baden-Württemberg erste Pilotprojekte durch geführt – bei der IHK Region Stuttgart und der IHK Schwarz wald-Baar-Heuberg –, bei denen es um die Anwerbung von

Fachkräften geht. Ich glaube, es ist richtig – das haben auch schon Herr Abg. Frey und Frau Kollegin Haller-Haid gesagt –, dass es nicht darum geht, einen Braindrain zu organisieren. Natürlich geht es auch darum – wie auch Sie, Frau GurrHirsch, gesagt haben –, Menschen den Zugang zum europäi schen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ihnen Perspektive und Arbeit zu bieten. Deswegen sind solche Anwerbeprogramme auch richtig. Dadurch sind bereits viele Arbeitsverträge zu stande gekommen. Aber wir müssen das auch immer in den Ländern mit Programmen begleiten, die den Ausbau von Ar beitsplätzen unterstützen. Es darf nie eine einseitige Geschich te sein nach dem Motto „Wir holen die Leute zu uns, aber wir investieren nicht in die Länder selbst“.

Zum Abschluss: Ich glaube auch, dass Sparen allein Europa nicht aus der Krise herausführen wird. Wachstum entsteht nicht durch Sparen, sondern Wachstum entsteht durch Inves tieren. Die Länder müssen konsolidieren, aber sie müssen auch investieren.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Steuererhö hungen!)

Auch durch Steuererhöhungen. Ich bin sehr dafür, dass in Griechenland endlich all diejenigen, die in Griechenland steu erpflichtig sind, Steuern zahlen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Ich bin auch dafür, dass wir die Vermögenden in Europa über eine EU-Zinsrichtlinie dazu bringen, auch ihren Beitrag für die Staaten zu leisten, um damit wieder Infrastruktur aufbau en zu können,

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

um damit Ausbildungssysteme aufbauen zu können, um da mit darüber, dass Staatstätigkeit überhaupt möglich ist, auch Arbeit schaffen zu können, um Rahmenbedingungen für Un ternehmen zu schaffen, die dann auch tatsächlich Wachstum ermöglichen. Das geht nur, wenn wir handlungsfähige Län der haben.

Deswegen – das zum Abschluss –: Wir, Baden-Württemberg, unterstützen auch, dass in den Verwaltungen die entsprechen de Verwaltungsfähigkeit durch Verwaltungspartnerschaften, durch Fortbildungsprogramme entwickelt wird. Wir müssen auch den öffentlichen Dienst in diesen Ländern stärken, da mit sie tatsächlich handlungsfähig sind. Ein Beitrag zur Sen kung der Jugendarbeitslosigkeit sind handlungsfähige staatli che Schulsysteme, aber auch staatliche Verwaltungen, die tat sächlich entsprechende Arbeitsplätze und Investitionsmög lichkeiten schaffen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Her ren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Zuruf)

Dann erteile ich Frau Sozialministerin Altpeter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Die Krise hat die Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten in bisher kaum vorstellbare Höhen getrie ben. In ganz besonderem Maß sind davon junge Menschen betroffen. So sind in Spanien und Griechenland fast 60 % der jungen Menschen bis 25 Jahre arbeitslos. In Italien und Por tugal sind es fast 40 %. Auch in Frankreich ist die Jugendar beitslosigkeit mit über 26 % beängstigend hoch.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vielleicht richtig stellen, was in Irland, das vorhin so hoch gelobt wurde, vor sich geht. Dort beträgt die Jugendarbeitslosenquote Stand März 2013 über 30 %, und die Kinderarmutsquote liegt bei 50 %. Die Auswanderungswelle ist so hoch wie zu Zeiten der großen Hungersnöte. Ich denke, Irland taugt schlecht als Vor bild dafür, wie in Europa andere Politik gemacht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Unruhe bei der CDU)

Schon von meinem Kollegen wurde erwähnt, dass lediglich in Deutschland und in Österreich die Jugendarbeitslosenquo te

(Abg. Peter Hauk CDU: Welch ein Zufall!)

mit jeweils 7 % unter der Marke von 10 % liegt. Das mag si cherlich – das halte ich für ganz wichtig – auch damit zusam menhängen, dass Deutschland und Österreich sehr stark von der dualen Ausbildung profitieren.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Und guten Regierun gen!)

Uns geht es darum – mir ist es ganz wichtig, das zu sagen –: Bevor wir groß in den Import von arbeitslosen Jugendlichen aus dem Ausland einsteigen – das kann im Einzelfall sicher richtig sein –, müssen wir angesichts des Fachkräftemangels, den wir in Baden-Württemberg in vielen Branchen schon ha ben und auf den wir nicht erst zusteuern, versuchen, die Po tenziale der Menschen, die hier leben, auszuschöpfen, sie zu nutzen, um mit dem Fachkräftemangel, dem wir entgegense hen, umzugehen.

Deswegen ist es auch wichtig, dass wir in Baden-Württem berg zusammen mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaf ten das Ausbildungsbündnis haben. Es hat sich bisher bewährt und nimmt sich vor allem noch einmal der dualen Ausbildung an.

Ich denke, es ist ein ganz wichtiger Punkt, noch einmal zu prü fen: Wie schaffen wir es, gering qualifizierte Jugendliche zu qualifizieren? Welche Maßnahmen müssen wir dazu gemein sam mit der Wirtschaft auf den Markt bringen? Was können wir tun, um andere Regionen in Europa zu stärken? Ich den ke, da ist das Abkommen mit Rhône-Alpes nicht das schlech teste und kann durchaus als Vorbild dienen.

Wenn ich davon rede, dass es für uns darum gehen muss, wei terzuqualifizieren, weitere Potenziale zu erschließen, dann kann ich das nicht machen, ohne das Landesarbeitsmarktpro gramm zu erwähnen. Hier haben wir Bausteine eingebaut, um Jugendliche zu qualifizieren, um sie in der Ausbildung wei terzubringen, damit sie eine abgeschlossene Ausbildung ha