Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 67. Sit zung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Urlaub für heute habe ich Frau Abg. Brunnemer und Herrn Abg. Pauli erteilt.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich Frau Staats rätin Erler.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Und wo sind all die anderen?)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir treten in die Tagesord nung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Jugendarbeitslosigkeit in Europa be kämpfen – Fachkräftemangel in Deutschland überwinden – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die Fraktion der SPD erteile ich Frau Abg. Haller-Haid das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Morgen ist Europatag. Da ist man na türlich versucht, nur Positives über Europa zu sagen. Aber ich denke, Schönfärberei führt uns in der Situation, in der sich Europa im Moment befindet, nicht weiter. In Europa bestehen riesengroße Probleme. Eines der größten Probleme ist die Ar beitslosigkeit und ganz besonders natürlich die Jugendarbeits losigkeit. Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist die Austeri tätspolitik, vor allem ausgehend von der Bundesregierung. Das schlimmste Beispiel dafür erleben wir – in Zusammen hang mit der Troika – in Griechenland. Die Ökonomien in den südlichen Ländern werden systematisch kaputt gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Genau deshalb gibt es dort die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Ich will Ihnen dazu einmal einige Zahlen nennen: Griechen land 59,1 % – das muss man sich einmal vorstellen; das sind die neuesten Zahlen –, Spanien 55,9 %, Portugal 38,3 %, Ita lien 38,4 %, Frankreich 26,3 %, Deutschland immerhin auch noch 7,6 % – auch wenn wir in Baden-Württemberg da rich tig gut sind, aber deutschlandweit ist das auch eine hohe Zahl angesichts der Situation, in der sich die Wirtschaft befindet – und Großbritannien 20,7 %.

Dazu noch eine Anmerkung: Frau Merkel sagt immer gern, man müsse den Arbeitsmarkt liberalisieren; dann werde das alles schon. Wenn das stimmen würde, müsste in Großbritan nien eigentlich ein wahres Jobwunder ausgebrochen sein. Da von kann bei über 20 % Jugendarbeitslosigkeit jedoch keine Rede sein.

Hinter dieser Arbeitslosigkeit verbergen sich natürlich mensch liche Katastrophen. Sie ist ein sozialer Sprengstoff. Das kann sich jeder ausrechnen, und jeder weiß auch: Die jungen Leu te trifft das gleich zweimal: in ihrer Jugend und sehr häufig später noch einmal im Alter in Form von Altersarmut. Dass das Ganze in höchstem Maß demokratiegefährdend ist, wis sen wir aus unserer eigenen Geschichte. Eine Politik à la Brü ning hat dazu geführt, dass die Weimarer Republik zu Ende ging.

Es kann heute auch nicht mehr ausgeschlossen werden – so hat das vor einigen Tagen Helmut Schmidt formuliert –, dass das auch mit Europa passiert. Aber ich sage Ihnen: Europa darf nicht scheitern. Sollte das dennoch passieren, dann schei tert nicht nur der Euro, sondern dann scheitert auch unser eu ropäisches Gesellschaftsmodell, das auf Solidarität und Aus gleich ausgerichtet ist.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deshalb, meine Damen und Herren, wollen wir die politische Integration Europas. Da sind wir uns in diesem Haus Gott sei Dank alle einig. Deshalb müssen wir auch alles dafür tun, dass die Menschen dieser verlorenen Generation, wie sie in den südeuropäischen Ländern besteht, nicht im Stich gelassen werden. Daher finde ich es gut, dass wir heute diese Debatte führen, und ich finde es auch gut, dass der Europaausschuss beschlossen hat, zu diesem Thema und zu den Maßnahmen, die wir ergreifen können, eine Anhörung durchzuführen.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Wir brauchen jedenfalls eine andere Politik, denn inzwischen hat sich herausgestellt: Die Politik „Wachsen durch Sparen“ ist endgültig gescheitert.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Nachdem in diesen Tagen auch noch bekannt geworden ist, dass sich die Starökonomen Rogoff und Reinhart, auf die sich die Bundesregierung auch immer gern berufen hat, katastro phal verrechnet haben und dass das, wovon bisher ausgegan gen wurde, alles nicht stimmt, wäre auch, meine Damen und Herren, bei Ihnen ein Umdenken angezeigt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Jetzt mal Lösungsansätze!)

Wachstum entsteht bekanntlich durch Investitionen. Jeden falls haben wir so gehandelt. Als unser Land in der Krise war, haben wir ein Investitionsprogramm aufgelegt. Genau dieses müsste man jetzt anderen Ländern gönnen. In erster Linie geht es bei Investitionen um die Investition in die Köpfe junger Leute.

(Zuruf des Abg. Werner Raab CDU)

Es geht also darum, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Gleichzeitig haben wir in Deutschland einen Fachkräfteman gel. Da liegt es nahe, zu versuchen, beides irgendwie zusam menzubringen, damit das schon irgendwie wird. Aber so ein fach ist die Welt natürlich nicht.

Man muss auch sagen, dass bereits eine ganze Menge Ansät ze vorhanden sind.

(Zuruf von der CDU: Schulden machen!)

Ich höre schon wieder den Ausdruck „Schulden machen“. Wenn man etwas tut, um die Wirtschaft anzukurbeln, dann trägt man damit sehr viel dazu bei, Schulden abbauen zu kön nen.

(Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU: Bahnhöfe bau en!)

Mit den bisherigen Programmen können wir auf keinen Fall Schulden abbauen.

Nun zum Thema „Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen“: Im Hinblick auf die Zuwanderung ist Baden-Württemberg immer noch auf einem relativ niedrigen Niveau, auch wenn in die sem Jahr die Zahlen offensichtlich etwas ansteigen. Meist kommt an dieser Stelle die Warnung vor der Armutszuwan derung. Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen zur Zuwande rung aus Rumänien und Bulgarien nennen. 18 % der Zuwan derer aus diesen Staaten sind hoch qualifiziert, 46 % sind qua lifiziert, und 80 % der Zuwanderer aus Rumänien und Bulga rien gehen einer Arbeit nach. Ich denke, das muss man in die ser Diskussion immer wieder betonen, weil sonst nur Vorur teile gepflegt werden.

Um dem Fachkräftemangel in Baden-Württemberg zu begeg nen, muss man in erster Linie das inländische Potenzial aus bauen. Deshalb setzt die Landesregierung auf einen Mix ver schiedener Maßnahmen, die durch Zuwanderung ergänzt wer den.

In diesem Rahmen haben die Arbeitgeberverbände eine gan ze Reihe von Initiativen gestartet, die interessierte Firmen bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte unterstützen. Darü ber hinaus gibt es auch zahlreiche Maßnahmen über die Kam mern, vor allem die Außenhandelskammern, über die Arbeit

geberverbände, die Arbeitsverwaltung, auch die Goethe-Ins titute und natürlich auch über die Region.

Den regionalen Ansatz halte ich für ganz wichtig, weil die Si tuation in jeder Region anders aussieht. Daher ist der regio nale Ansatz, bei dem sich die Regionen einbringen, ein sehr guter Weg. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Modell, das in Schwäbisch Hall praktiziert wird. Dieses wird gerade deutsch landweit diskutiert. Es geht um Deutschkurse, die mit Prakti ka kombiniert sind. Dieses Modell ist offensichtlich sehr er folgreich. Auch im Bereich der Pflege bewegt sich hier eini ges.

In Stuttgart und Villingen-Schwenningen werden Ingenieure angeworben, und inzwischen wurden bereits einige Arbeits verträge abgeschlossen. Ich meine, allein in Villingen-Schwen ningen sind es bereits 20 Arbeitsverträge. Das ist durchaus ei ne Win-win-Situation.

Wenn die jungen Zuwanderer wieder in ihre Länder zurück kehren, nehmen sie Know-how in diese Länder mit. Es geht ja nicht nur darum, dass man Menschen abwirbt. Von dieser Mobilität profitieren dann eben beide Seiten.

Dieser Effekt darf nicht im Widerspruch stehen zu der großen Aufgabe, etwas für die Herkunftsländer zu tun; auf der ande ren Seite tun wir auch alles, um für uns gute Arbeitskräfte an zuwerben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dafür brauchen wir eine Willkommenskultur. Wir wissen al le, das ist ein wunderschönes Schlagwort, das es dann aber auch auszufüllen gilt. Hierzu will ich als Stichwort Deutsch kurse nennen. Das fängt natürlich schon in den Herkunftslän dern an. Wie wir alle wissen, erleben wir gerade einen Run auf die Goethe-Institute; die Deutschkurse dort sind alle be legt. Die Bundesregierung müsste mehr Geld in die Hand neh men, um die Goethe-Institute entsprechend auszustatten, so dass die jungen Leute dort auch tatsächlich Deutsch lernen können. Das wollen sie nämlich. Dann müssen wir auch hier vor Ort etwas machen.

Ich denke, eine helfende Hand vor Ort ist dringend notwen dig. Da muss man auch bürgerschaftliches Engagement ge winnen, weil es letztlich nur so funktioniert. Dort, wo z. B. Migrantinnen und Migranten in diesen Prozess eingebunden werden, funktioniert das Ganze viel, viel besser. Auch dort, wo es Städtepartnerschaften und Kontakte gibt, funktioniert es ganz gut. Ich halte es für ein gutes Beispiel, was ein Teil unserer Kommunen jetzt in Richtung Griechenland macht. Auch die Regionalverbände und der Landkreistag sind in Richtung Griechenland sehr aktiv, um dort etwas zu machen, aber auch um junge Leute für unser Land zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Es gibt auch eine ganze Reihe von Finanzierungsprogrammen, die uns dabei unterstützen. Ich möchte nur das Bundespro gramm zur Förderung der beruflichen Mobilität, das Pro gramm Leonardo da Vinci und die ESF-Mittel nennen, mit de nen solche Maßnahmen unterstützt werden. Da gibt es sehr viele gute Ansätze. Aber wir müssen diese guten Ansätze noch stärker bündeln. Wir müssen auch überlegen, wo Bürokratie hindernisse – auch die gibt es ja zum Teil – beseitigt werden können. Deshalb machen wir unsere Anhörung.

Dazu, was in den Ländern des Südens gemacht werden kann, darf ich in der zweiten Runde noch etwas sagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Gurr-Hirsch das Wort.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanz- und Wirtschaftskrise in einigen EU-Ländern hat viele Gesichter, und vor allem hat sie ein junges Gesicht. Wenn rund ein Vier tel der Jugendlichen in der EU derzeit ohne Perspektive sind, ist das eine Sache, die uns nicht nur betroffen machen kann, sondern uns als Europäer insgesamt angehen muss. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als am Anfang des Lebens nicht ge braucht zu werden. Das können wir uns sicherlich alle vor stellen.

Die Rezession führt dazu, dass keine Arbeits- und Ausbil dungsplätze geschaffen werden. Wir sind uns darüber im Kla ren, dass nur dann, wenn sich die wirtschaftliche Lage ver bessert, die jungen Menschen auch in ihren Herkunftsländern wieder Chancen haben. Da geht es nicht darum, dass man mit teuren Wirtschaftsprogrammen, die nicht zielgerichtet sind – wie etwa eine Vereinbarung der EU-Arbeits- und Sozialmi nister, wonach eine sogenannte Jugendgarantie gegeben wird –, kurzfristige Strohfeuer entfacht, sondern wir müssen wirt schaftssystematische Ansätze verfolgen.