Sie wollen im Zusammenhang mit dem Landeserziehungs geld weitere Untersuchungen durchführen. Sie sagen also schon jetzt: Der erste Bericht – mit dem noch gar nicht begon nen wurde – wird bereits 2015 erweitert bzw. von einem zwei ten Bericht abgelöst.
Wir teilen die Meinung der CDU-Fraktion und haben eben falls erhebliche Zweifel, ob wir, um die Ziele erreichen zu können, eine weitere statistische Erhebung brauchen. Denn die Fakten – das geht aus den Stellungnahmen auch hervor – liegen auf dem Tisch.
Sie sprechen die Quote der Armutsgefährdung an. Nach die ser Bewertung gilt jemand, der nicht mehr als 60 % des durch schnittlichen Einkommens erreicht, als armutsgefährdet. Herr Kollege Hinderer hat angedeutet, dass es unterschiedliche Be trachtungen gibt. Nach den Werten aus Bundessicht steht Ba den-Württemberg auf Platz 1 – weit vor Mecklenburg-Vor pommern. Nach den Werten aus Landessicht sind die Bürger in Baden-Württemberg plötzlich ärmer als die in Mecklen burg-Vorpommern.
Hier beginnt eine wissenschaftliche Diskussion, die daran an schließen will – dem einzelnen Betroffenen ist es, wie ich glaube, herzlich egal –: Einmal sind 895 € unheimlich viel, und einmal sind 895 € unheimlich wenig. Schon deswegen habe ich meine Zweifel, ob wir mit einer weiteren Statistik das eigentlich beabsichtigte Ziel erreichen.
Die Eckwerte sind klar. Das geht aus den Stellungnahmen her vor. Frauen sind stärker armutsgefährdet als Männer. Jünge re und ältere Menschen sind stärker armutsgefährdet. Allein erziehende Väter und Mütter haben ein größeres Armutsrisi ko. 50 % der Erwerbslosen sind von Armut bedroht. Ge ringqualifizierte sind stärker armutsgefährdet als Hochquali fizierte – das hätte ich mir fast auch erklären können –: 36 % der Geringqualifizierten und 5 % der Hochqualifizierten. Ba den-Württemberger mit Migrationshintergrund sind ebenfalls stärker armutsgefährdet.
Das liegt sicherlich auch an einer soliden Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in den letzten Jahrzehnten in Baden-Würt temberg und an dem Engagement der Menschen in BadenWürttemberg.
Ich komme jetzt zu dem Stichwort Reichtumsbericht. Auch hier liegen die Zahlen vor. Auf den Landeswert bezogen, liegt Baden-Württemberg mit der Einkommensreichtumsquote im Mittelfeld. Das war für mich auch überraschend. Vor BadenWürttemberg liegen Hamburg, Berlin, Bremen, Hessen, Nord rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bayern. Nach dem so genannten Gini-Koeffizienten, der die Ungleichheit der Ein kommen bewertet, liegt Baden-Württemberg unter dem Bun desdurchschnitt. Es mangelt also nicht an statistischen Daten.
Wir brauchen keine Politik, die immer nur die Karten mischt, statt zu spielen, so, wie Sie es hier machen, meine sehr geehr ten Damen und Herren. Wir brauchen vielfältige Aktivitäten, wie sie bereits die schwarz-gelbe Landesregierung durchge führt hat und wie Sie sie weiterführen, seien es die Frühen Hil fen oder das Landesprogramm STÄRKE oder der Bereich der frühkindlichen Bildung, für den Sie zusätzliche Finanzmittel bereitstellen. Auch das darf man durchaus anerkennend her vorheben.
Ich glaube aber, dass Baden-Württemberg dank seines hervor ragenden Schulsystems und dank der – wir haben es heute Morgen in der Diskussion gehört – niedrigen Abbrecherquo ten Spitzenplätze im Ländervergleich einnimmt. Deswegen haben wir eine geringe Jugendarbeitslosigkeit, die auch dar aus resultiert, dass wir eine exzellente duale Ausbildung ha ben.
Der Sozialausschuss des Landtags war kürzlich in Schweden und Norwegen. Man muss sich fragen: Warum entstehen dort die Schwierigkeiten? Weil dort Abbrecherquoten von 30 % und eine Jugendarbeitslosenquote von 25 % bestehen. Sie ha ben ein Gesundheitswesen, das uns Sorgen bereitet.
Also brauchen wir Arbeit und Qualifizierung. Arbeit und Qua lifizierung schützen vor Armut. EU-weit liefert die Bundesre publik Deutschland die besten Erfolge. Wir haben 41,6 Mil lionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und eine Ju gendarbeitslosenquote von weniger als 6 %. Die Langzeitar beitslosenquote wurde um 40 % abgebaut. Das verfügbare Einkommen ist von 2005 bis 2010 um 700 € gestiegen. Es geht darum, diesen Erfolgskurs fortzusetzen und die betroffe nen Gruppen zu unterstützen, auch mit niedrigschwelligen kommunalen Begleitungen.
Steuerpläne, Herr Kollege Poreski: Fragen Sie einmal Vertre ter des Mittelstands in Baden-Württemberg, was sie von der Steuerpolitik halten und wie die sich möglicherweise auf die duale Ausbildung in Baden-Württemberg auswirkt. Dann müssten Sie als Baden-Württemberger sagen: Die Steuerpo
litik, die im Wahlprogramm von Grün und Rot steht, wäre schädlich und würde auch die statistischen Aussagen Ihres Be richts in zwei Jahren negativ beeinflussen.
Deswegen kämpfen wir dafür, dass wir den mittelstands freundlichen Kurs beibehalten, damit die Armut in BadenWürttemberg auch weiterhin niedrig bleibt.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema „Armutsprävention und Armutsüberwin dung in Baden-Württemberg“ ist für mich ein zentrales The ma der Politik der Landesregierung, das sich an ganz vielen Stellen widerspiegelt und wiederfindet. In diesem Zusammen hang glaube ich nicht, dass die Polemik angebracht ist, wir hätten das Landeserziehungsgeld abgeschafft. Das Landeser ziehungsgeld musste abgeschafft werden, weil wir fürchten und wissen, dass es angerechnet wird.
Nichtsdestotrotz geben uns die heute vorliegenden Anträge die Gelegenheit, das Thema Armut auch einmal hier im Ple num des Landtags zu behandeln, sodass es nicht nur ein The ma der Sozialpolitiker oder des Sozialausschusses ist, sondern ein Thema, das uns alle angeht.
Eine Zahl genügt bereits: Nach den Ergebnissen des Statisti schen Landesamts gelten 14,7 % der Bevölkerung im Land als armutsgefährdet. Lassen Sie mich dazu deutlich sagen: Oh ne die Landesregierung wäre Baden-Württemberg eines der letzten Länder, das noch keine Armuts- und Reichtumsbericht erstattung hat.
In diesem Zusammenhang dann von Armutspropheten zu re den ist, finde ich, schon ein bisschen vermessen. Denn es geht uns nicht darum, irgendetwas vorauszusehen, sondern es geht uns darum – das habe ich an dieser Stelle schon öfter gesagt –, mit der Erstellung dieses Berichts gleichzeitig konkrete Maß nahmen zu entwickeln und Felder zu identifizieren, in denen wir noch tätig werden müssen, in denen wir noch Nachholbe darf haben.
Eines sei an dieser Stelle auch noch gesagt: Unter Ihrer Re gie, meine Damen und Herren von der Opposition, gab es we der das Wort Armut noch das Thema Armut. Das haben die Beiträge am heutigen Tag zu diesem Thema auch wieder ge zeigt.
Deshalb ist es, denke ich, gut, dass sich das mit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht in Baden-Württemberg ändert. Herr Haußmann, um Missverständnissen vorzubeugen: Der
Beschluss lautet, dass es pro Legislaturperiode nur einen Be richt geben soll. Der Bericht, den wir derzeit zusammen mit dem Beirat erstellen und der im Jahr 2015 erscheinen soll, wird dann als Schwerpunktthema Kinderarmut haben. Wir ha ben uns vorgenommen, für jeden Bericht pro Legislaturperi ode einen anderen Schwerpunkt zu setzen. Wie gesagt, der Schwerpunkt des Berichts dieser Legislaturperiode liegt auf dem Thema Kinderarmut.
Hier wurde auch schon der Vierte Armuts- und Reichtumsbe richt der Bundesregierung erwähnt. Ich finde es schon ziem lich vermessen, hier über unseren Armuts- und Reichtumsbe richt, der noch gar nicht erstellt ist, sondern sich erst in der Erstellungsphase befindet, zu schimpfen und ihn abzulehnen, aber gleichzeitig nichts zum Vierten Armuts- und Reichtums bericht der Bundesregierung zu sagen, der sich nicht umsonst den Vorwurf gefallen lassen muss, geschönt und zensiert zu sein.
Ich darf nur daran erinnern, dass z. B. Aussagen gestrichen wurden, die beinhalteten – ich zitiere jetzt –, dass mehr als vier Millionen Menschen für weniger als 7 € brutto pro Stun de arbeiten. Das wurde herausgestrichen. Fakt ist aber, dass vier Millionen Menschen 1 200 € brutto oder weniger pro Mo nat verdienen, was umgerechnet auf die durchschnittliche Ar beitsstundenzahl weniger als 7 € pro Stunde bedeutet.
Da können Sie auch nicht sagen: „Das gibt es nur in Meck lenburg-Vorpommern.“ Das gibt es in Baden-Württemberg genauso, wie wir erst in den letzten Tagen durch einen SWRBeitrag zum Thema Leiharbeit erfahren mussten. Das ist ein Thema, das wir auch hier im Land und nicht nur in den neu en Bundesländern oder anderswo bekämpfen müssen.
Deshalb werden wir, anders als der Bund, vertiefende und um fassende Daten zum Thema Reichtum zur Verfügung stellen. Wir werden auch einiges anders machen als der Bund, denn wir wollen einen guten Armuts- und Reichtumsbericht, mit dem man auch arbeiten kann.
Im Bund wurde auch kritisiert, dass sich Mitglieder des Be raterkreises zu wenig beteiligen durften, dass sich ihre Betei ligung in einer Einladung des Bundes zu einer zweistündigen Veranstaltung erschöpfte. Dies wollen wir anders machen, und wir machen es auch anders. Deshalb haben wir bereits im Vor feld bei der Erstellung unseres Berichts den Beirat einbezo gen. Wir werden im Herbst auch einen erweiterten Landesbei rat ins Leben rufen, weil wir wollen, dass auch die politische Seite mit einbezogen ist. Wir wollen, dass Sie dabei sind, wenn es darum geht, Maßnahmen abzuleiten, die die Situati on armutsgefährdeter und armutsbetroffener Menschen ver bessern.
Eines ist mir noch wichtig, weil hier immer in die Debatte ge worfen wird, wir würden über den Doppelhaushalt 2013/2014 1 Million € ausgeben, nur um hinterher einen Bericht präsen tieren zu können. Dem ist bei Weitem nicht so.
Wir wollen neben der Berichterstattung im Rahmen unseres Aktionsprogramms zur Armutsbekämpfung sinnvolle regio
nale Projekte unterstützen. Ein erstes Projekt unterstützen wir gerade in Tübingen. Es sind noch andere Projekte vorgesehen, die sich ganz praktisch mit dem Thema Kinderarmut beschäf tigen. Wir wollen nicht nur den Bericht, sondern wir wollen auch die Umsetzung.
Ein Thema, das sicherlich auch eine Rolle spielt, ist die me dizinische Versorgung von Wohnungslosen. Auch hier wer den wir tätig. Hier geht es auch ganz praktisch um Armutsbe kämpfung. So haben wir für den 15. Juli einen Termin mit den Kostenträgern vereinbart, um gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, die die medizinische Versorgung von Wohnungslo sen verbessert. Denn wenn wir von Armut reden, reden wir nicht nur von Alleinerziehenden, nicht nur von Menschen, die in prekärer Beschäftigung sind, sondern auch von Menschen, die ganz unten am sozialen Ende angekommen sind.