Frühkindliche Bildung bedeutet eben nicht, ein Kind schul reif zu machen. Denn nicht das Kind muss den Institutionen der Bildung und Betreuung angepasst werden, sondern die Einrichtungen müssen kindgerecht und an die individuelle Entwicklung der Kinder angepasst sein und die Kinder kon sequent individuell fördern. Das ist unser Anspruch.
Genau das ermöglicht unserer Ansicht nach die flächende ckende, vernünftig ausgestattete Umsetzung des Orientie rungsplans. Denn nur mit wohlklingenden Projekten, die Sie selbst als virtuell und als bloße Leitidee bezeichnet haben, ist es bei Weitem nicht getan.
Wir Regierungsfraktionen sehen uns hier in der Pflicht. Wir wollen einen kontinuierlichen Faden der individuellen Förde rung. Wir haben uns auf den Weg gemacht, wollen mit den Kommunen verhandeln und werden gemeinsam hart daran ar beiten, um endlich flächendeckend hochwertige frühkindliche Bildung zu erhalten und allen Kindern im Land einen guten Start auf ihrem jeweils eigenen Bildungsweg zu ermöglichen.
Mit dieser Abstimmung wollen wir keinen Vorgriff auf das Projektergebnis. Wir werden daher Ihrem Entschließungsan trag in den Abschnitten II und III nicht folgen. Wir bitten da her, dass über die Abschnitte separat abgestimmt wird.
Wenn sich jeder Red ner so punktgenau an die Zeitvorgabe hält wie Frau Abg. Bo ser, dann kommen wir heute noch rechtzeitig nach Hause. Sie hat exakt sechs Minuten geredet. Für ihre erste Rede ist das eine ganz große Leistung.
Herr Präsident, meine sehr ver ehrten Damen und Herren! An Projekten und Baustellen im Bildungsbereich hat es uns seit Exkultusministerin Schavan nicht gemangelt. Auch im Bereich der Verzahnung von Pri marpädagogik und Elementarpädagogik gab es eine ganze Reihe von Modellen wie „Schulreifes Kind“, „Schulanfang auf neuen Wegen“ und jetzt auch „Bildungshaus 3–10“. Die einzelnen Projekte sind bei Weitem nicht kompatibel. Aber, Herr Wacker, sie verfolgen wichtige und richtige Ziele; darin sind wir uns völlig einig. Sie verfolgen nämlich das Ziel, den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule möglichst zu optimieren und Bildungsgänge zu ermöglichen, die an indivi duellen Potenzialen orientiert sind und dann durchaus auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen können.
Ich teile die Grundidee, die Leitidee der Bildungshäuser. Das Kind steht im Mittelpunkt aller Bildungsüberlegungen. Wir haben bitte schön dafür zu sorgen, dass die Bildungsbiografie eines jeden Kindes kontinuierlich und möglichst ohne Brüche verlaufen kann.
Das ist übrigens quasi die Überschrift über unserem Bildungs aufbruch, den wir in der Opposition formuliert haben und den wir jetzt in der Regierung Schritt für Schritt umsetzen wer den.
Die Daten der wissenschaftlichen Begleitung zu den Wirkun gen dieses Konzepts, dieses Projekts Bildungshäuser, werden erst im August des nächsten Jahres vollumfänglich zur Verfü gung stehen. Aber natürlich kann man, wenn man vor Ort ist, sehen, dass da eine gute Arbeit gemacht wird.
Meine Einschränkungen gegenüber „Bildungshaus 3–10“ be ziehen sich deswegen nicht auf die Grundidee – die ist quasi ursozialdemokratisch –, und sie beziehen sich natürlich über haupt nicht auf die Akteure vor Ort, die eine gute Arbeit ma chen. Die Bedenken und Einschränkungen sind strukturpoli tisch.
Bildungshäuser sind ein sehr komplexes Modell einer Inten sivkooperation für derzeit gerade einmal 200 Standorte. Dort gibt es natürlich Freude über die zusätzlichen Ressourcen, und manchmal, habe ich gemerkt, hat man fast schon ein schlech tes Gewissen, wenn man die anderen Einrichtungen sieht. Wir haben aber, meine Damen und Herren, fast 8 000 Kindergär ten und 2 500 Grundschulen, und bei denen muss die Verzah nung von Kindergarten und Grundschule ebenso gut funktio nieren. Doch die dortigen Akteure können lediglich auf allge meine Entlastungskontingente zurückgreifen. Da ist nicht die Rede von drei Förderstunden pro Woche.
Bildungshäuser gehören auch zu den Projekten, die wie vie les andere, was wir gestern gehört haben, überhaupt nicht durchfinanziert sind. Sie kommen in der mittelfristigen Fi nanzplanung überhaupt nicht vor, und sie sind, auf die Ge samtmenge gerechnet, in dieser Form völlig unfinanzierbar.
Bildungshäuser werden – das wurde schon gesagt – umfang reich wissenschaftlich begleitet. Dafür werden immerhin
4 Millionen € angesetzt. Aber das sind Bundesmittel, und da wollen wir auch nicht so kleinlich sein.
Ich halte es aber schon für relativ problematisch, wenn in die ser wissenschaftlichen Begleitung eine Doppelfunktion ver ankert wurde, nämlich gleichzeitig Evaluation und Coaching. Das geht meines Erachtens unter wissenschaftlichen Standards nicht zusammen.
Zusammenfassend: Es ist in der aktuellen Situation unsere po litische Aufgabe, die vorhandenen Erkenntnisse oder die Er kenntnisse, die wir im nächsten Jahr bekommen, was Quali tätsmerkmale angeht, von den Modellstandorten in die gesam te Fläche zu bringen. Vergleichbare Qualität, verlässlich und möglichst an allen Standorten, das müssen wir organisieren. Das wird schwierig genug sein.
Genau in diesem Geist einer systematischen Verzahnung von Elementarpädagogik und Primarpädagogik, und zwar vom Grundsatz her und auch auf die Fläche hin gedacht, werden wir die Trias von Betreuung, Bildung und Erziehung insge samt neu justieren. Sie haben da – Stichwort Gesamtbildungs konzept – Ihre Mitarbeitsbereitschaft signalisiert. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit in diesem Punkt. Dabei geht es um die verbindliche Einführung des Orientierungsplans, Ganztagsschulen, Gemeinschaftsschulen, Kooperationen und pädagogische Verbünde. All das wird eine wichtige Rolle spie len und muss dann auch zueinander passen.
Wenn Sie – das sei mir am Schluss meiner Rede jetzt doch er laubt – diese Idee mit den Bildungshäusern, die ich, wie ge sagt, vom Grundsatz her so falsch überhaupt nicht finde, nun wie eine Monstranz vor sich hertragen, gleichzeitig aber mit einer gewissen Penetranz an einem ständisch orientierten, se lektierenden, sortierenden gegliederten Schulsystem festhal ten, dann passt das nicht zusammen – um nicht zu sagen: Es ist scheinheilig.
Aber vielleicht ist ja auch hier noch nicht aller Tage Abend, und der neu gewonnene Geist, die neu gewonnene bildungs politische Flexibilität unserer Exkultusministerin Schavan er reicht auch Sie in diesen Reihen, und Sie werden daher auch offener sein für die Änderung von Bildungsstrukturen.
Die Erfahrungen aus den Bildungshäusern für alle Einrichtun gen zugänglich zu machen, das ist unsere Aufgabe. Kontinu ierliche Bildungsbiografien zu gewährleisten, an allen Stand orten und – Frau Boser hat es ausgeführt – auch an allen Über gängen, daran werden wir in den nächsten Monaten und auch in den nächsten Jahren arbeiten. Das sind die Mühen der Ebe ne, aber sie sind wirklich aller Mühen wert.
Damit komme ich kurz zur Beurteilung Ihres Entschließungs antrags. In Abschnitt I begehren Sie eine blanke Selbstver ständlichkeit. Dass die Ergebnisse von den in Auftrag gege benen wissenschaftlichen Untersuchungen dem Landtag zur Verfügung gestellt werden – und das zeitnah –, ist für uns ei ne platte Selbstverständlichkeit; das brauchen wir hier nicht zu beschließen. Vielleicht war es in Ihrer Regierungszeit an ders. Wir werden das selbstverständlich sofort und umgehend tun.
Zu den Abschnitten II und III, in denen gefordert wird, Vor ratsbeschlüsse für etwas zu fassen, was noch gar nicht auf dem Tisch liegt, habe ich die allergrößten Bedenken, wenn ich die Debatte zu Stuttgart 21 im Hinterkopf habe. Lassen Sie uns das in aller Ruhe abwarten. Ich schlage vor: Ziehen Sie den Antrag einfach zurück; das wäre die sauberste Lösung. An sonsten verhalten wir uns in der Abstimmung, wie Frau Bo ser es angekündigt hat.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Wenn man wie ich nun zum ersten Mal in dieses Hohe Haus gewählt wird, muss man sich an viele Dinge erst gewöh nen. So dachte ich bis vor Kurzem, dass ich als Gymnasial lehrer bereits einschlägige Erfahrungen mit Papierbergen ge macht hätte. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, was mich als Abgeordneter erwartet. Auch die Flut an Terminanfragen und Einladungen ist durchaus etwas, an das man sich gewöh nen muss.
Als ich nun die Stellungnahme der grün-roten Landesregie rung zu dem Antrag der CDU-Fraktion zu den Bildungshäu sern las, dachte ich wieder: An solche Sitten und Gebräuche musst du dich auch erst noch gewöhnen. Auch nach mehrma ligem Lesen der Stellungnahme der Landesregierung ist mir das Vorgehen von Rot-Grün ein Rätsel geblieben.
Daher frage ich Sie heute: Warum tun Sie nicht das eine, oh ne gleichzeitig das andere nicht zu lassen? Warum fördert die Landesregierung nicht die Kooperation von Kindergärten und Grundschulen und zugleich das Bildungshaus als eine mögli che Kooperationsform?
(Abg. Walter Heiler SPD: Ein Tipp von der Steuer senkungspartei! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)
Dabei hat das Bildungshaus durchweg sehr gute Kritiken be kommen. Das räumen Sie in Ihrer Stellungnahme auch ein, wenngleich man den Verdacht bekommen kann, dass dies ein wenig widerwillig geschieht. Statt die positiven Bewertungen der Bildungshäuser seitens aller daran Beteiligten aufzugrei fen und entsprechend herauszustellen, relativieren Sie einfach so, dass es in Ihr Weltbild passt. Den Erzieherinnen und Er ziehern sowie den Lehrerinnen und Lehrern unterstellen Sie, dass sie natürlich das Projekt loben müssten, weil sie ja einen hohen Einsatz bringen, dass dies also sozusagen aus psycho logischen Gründen geschehe, weil man sonst den eigenen Misserfolg zugeben müsste. Mit anderen Worten: Denjenigen, die in den Bildungshäusern arbeiten, wird von Ihnen die Fä higkeit zur kritischen Reflexion abgesprochen.
Meine Damen und Herren, diese Stellungnahme der Landes regierung wird den Fachkräften nicht gerecht, die tagtäglich mit Kindern lernen und arbeiten und eine Menge Kompetenz und Erfahrung mitbringen.
Und was ist mit den Eltern? Auch die Eltern stellen dem Bil dungshaus ein gutes Zeugnis aus. Aber auch in ihrem Fall gibt die Landesregierung eine seltsame Erklärung ab, warum das Elternvotum nicht zählen könne: Die Eltern würden weniger Sorgen und Ängste beim Übergang in die Grundschule for mulieren, weil die Lehrerinnen und Lehrer ihre Kinder ja schon kennen.
Da frage ich mich: Beschreiben die Eltern hiermit nicht gera de den großen Vorzug der Bildungshäuser? Liegt deren be sondere Stärke nicht gerade darin begründet, dass der Aus tausch von Erzieherinnen und Erziehern mit Lehrerinnen und Lehrern zusätzliche Möglichkeiten einer individuellen, den Bedürfnissen des einzelnen Kindes entsprechenden Förderung eröffnet? Besteht nicht eine Stärke darin, dass eine verlässli chere Entscheidung getroffen werden kann, wann ein Kind schulreif ist? Ist es nicht eine wesentliche Stärke dieser Ein richtungen, dass sie das Vertrauen der Eltern gewinnen konn ten?
Meine Damen und Herren von Grün-Rot, Sie beschwören in Ihrem Koalitionsvertrag eine Bildungspolitik, die von unten wächst, die auf den Dialog mit den am Bildungswesen Betei ligten setzt und sie ernst nimmt. Damit sprechen Sie uns Li beralen aus der Seele. Aber vergessen Sie nicht: Es sind nicht Ihre guten Absichtserklärungen, sondern es ist Ihr Handeln, an dem sich Ihre Regierung messen lassen muss.
Ihre Absicht, ein erfolgreiches Projekt Ihrer Vorgängerregie rung zu deckeln und nicht weiter auszubauen, obwohl es von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort sowie von den Schul trägern stark nachgefragt wird, ist überhaupt nicht nachvoll ziehbar und atmet einen kleinmütigen und dirigistischen Geist. Kleinmütig ist Ihre Stellungnahme, denn Sie setzen sich dem Verdacht aus, dass Sie offenbar ein erfolgreiches und von al len Beteiligten gelobtes Projekt nur deshalb nicht fortsetzen wollen, weil es von einer christlich-liberalen Regierung ins Leben gerufen wurde.