Protokoll der Sitzung vom 09.10.2013

Eine gestaltende Integrationspolitik sieht jedenfalls anders aus. Die neue Landesregierung hat den notwendigen Kurs wechsel eingeleitet, und zwar – das stimmt – verantwortungs bewusst, weil wir eben bestehende gute Projekte nicht gefähr den wollten.

2012 haben wir zunächst mit einer Förderrichtlinie sechs kon krete und verbindliche Integrationsschwerpunkte festgelegt. Am 29. August haben wir den Startschuss für unser neues För derprogramm geben können. Wir stellen den Kommunen nun mehr mehr als 3 Millionen € im Jahr zur Verfügung, damit sie ihre Integrationsarbeit noch besser gestalten können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Natürlich – auch das wurde schon gesagt; das wissen wir al le – findet Integration in den Kommunen statt, in den Kreisen, in den Städten, in den Gemeinden des Landes.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Die Menschen leben Integration im alltäglichen Miteinander, ob das in den Kindergärten ist, an den Schulen, in Vereinen oder auch am Arbeitsplatz; das wurde ebenfalls schon gesagt. Die Kommunen sind für uns deshalb unverzichtbare Partner,

auch und gerade bei unserem Ziel, die Integration nachhaltig zu fördern. Denn darum geht es.

Ich will mit dem neuen Programm gemeinsam mit den Kom munen erreichen, dass die Integrationsarbeit vor Ort noch stär ker strukturell verankert werden kann, dass sie noch besser vernetzt und auch besser gesteuert werden kann. Nachhaltige Strukturen können z. B. durch zentrale Ansprechstellen, Netz werke, Integrationskonzepte oder auch Informationsangebo te geschaffen werden.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage meines Hauses bei den Landkreisen ergab, dass rund ein Drittel der Kreise gar nicht wissen, was bei ihnen in Sachen Integration überhaupt ge schieht. Sie sehen, da haben wir auf jeden Fall noch Nachhol bedarf.

Darüber hinaus verfolgen wir mit dem Förderprogramm das Ziel, die Beteiligung der Eltern am Bildungsweg ihrer Kinder zu stärken. Elternprojekte sollen an die Regelstrukturen der Kommunen und des Bildungswesens herangeführt werden. Auch da gibt es, glaube ich, parteiübergreifend Konsens.

Für uns sind faire Bildungschancen wichtig. Weil uns das wichtig ist, reden wir in nahezu jeder Plenarsitzung auch über die Bildungspolitik in diesem Land. Sie wissen alle, dass ei ne erfolgreiche Bildungskarriere nur gelingen kann, wenn wir die Eltern – und in diesem Fall natürlich auch die Migranten eltern – mitnehmen.

Wir unterstützen aus diesem Grund die Arbeit der Haupt- und Ehrenamtlichen, beispielsweise als Bildungs- und Elternlot sen oder auch als Elternmentoren.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ein weiteres Thema, das wir bei dem Förderprogramm im Blick haben, ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Ein ganz wesentlicher Baustein hierfür ist die Teilhabe und Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten am politischen und gesell schaftlichen Leben. Wir legen deshalb Wert auf den interkul turellen Dialog und auf interkulturelle Fähigkeiten.

Der Umgang mit Vielfalt ist nicht immer einfach – das wis sen wir –, und manchen fällt er auch noch schwer. Deshalb wollen wir die Integrationsmaßnahmen durch Antidiskrimi nierungsmaßnahmen flankieren. In diesem Bereich sind erst wenige Kommunen aktiv. Wir hätten aber gern, dass die Kom munen und freien Träger ihre Anstrengungen auch in diesem Bereich noch etwas verstärken. Sie sollen sensibilisieren, sie sollen qualifizieren, und sie sollen den Betroffenen ein Forum bieten.

Meine Damen und Herren, seit Jahren wird eine Debatte über das richtige Zuwanderungssystem geführt. Oft wird das ka nadische Punktesystem als Vorbild genannt und dem deut schen Zuwanderungsmodell gegenübergestellt. Ich glaube, der Integrationsausschuss hat bei seiner Informationsreise nach Kanada sehr interessante Eindrücke gewinnen können, insbe sondere was die umfassende Unterstützung angeht, die Neu zuwanderer bei der Einreise in Kanada bekommen. Ich glau be aber auch, dass die Reise den Blick dafür geschärft hat, die Zuwanderungssysteme von Kanada und Deutschland ein biss chen differenzierter zu betrachten.

Das kanadische System lässt sich von seinem Ausgangspunkt her als angebotsorientiert beschreiben. Das heißt, die Zuwan derinnen und Zuwanderer werden aufgrund ihrer Fähigkeiten ausgewählt. Anhand eines Punktesystems werden beispiels weise Sprache, Ausbildung oder auch Berufserfahrung abge fragt und bewertet.

Das deutsche Modell ist eher nachfrageorientiert. Das bedeu tet, eine Einreise ist erst dann möglich, wenn ein konkretes Jobangebot vorliegt.

Ich denke, beide Zuwanderungssysteme haben Vorteile, aber auch Nachteile. So ist das kanadische System einfach zu hand haben. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist sehr groß, und es ermöglicht den passgenauen Zuzug von Menschen mit be stimmten Fähigkeiten und Potenzialen. Der Nachteil an die sem System ist aber, dass bei der Erstellung und Überprüfung der Kriterien ein sehr großer Verwaltungsaufwand entsteht. Manche Antragsteller warten bis zu sechs Jahre auf eine Rück meldung. Außerdem ist eine hervorragende Qualifikation nicht immer auch die Garantie dafür, einen Job zu finden, der der Qualifikation entspricht.

Das deutsche System hat den Vorteil, dass aufgrund des be reits vorliegenden Jobangebots eine Integration in den Arbeits markt schnell erfolgen kann. Außerdem kann mit einem ar beitsmarktgesteuerten System schneller auf kurzfristige Eng pässe reagiert werden; Herr Glück hatte diesen Aspekt ange sprochen. Der Nachteil ist aber, dass unser Modell Zuwande rer abschrecken kann; denn ohne Kontakte und ohne ein Netz werk ist es natürlich schwierig, schon vom Heimatland aus ei nen Job zu finden.

Ich glaube aber, dass durch Reformen in beiden Staaten sich beide Zuwanderungssysteme in den letzten Jahren angenähert haben. Inzwischen haben in Deutschland Hochschulabsolven ten beispielsweise die Möglichkeit, sich zur Jobsuche weite re sechs Monate in Deutschland aufzuhalten. Da wir die Hoch qualifizierten brauchen, ist das ein guter Ansatz. Das hilft den Studenten auch bei der Suche nach einem angemessenen Ar beitsplatz. Demgegenüber macht Kanada die Einwanderung inzwischen verstärkt davon abhängig, dass die Bewerber be reits ein Jobangebot haben. Darüber hinaus können sich nur solche Personen erfolgreich bewerben, die einen sogenannten anerkannten Mangelberuf haben. Auch das ist schwierig.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt nicht das perfekte Zuwanderungsmodell. Min destens genauso entscheidend ist, wie wir die Zuwanderer hier in Deutschland unterstützen, damit sie sich willkommen und anerkannt fühlen. Das hat Herr Lede Abal ganz richtig gesagt. Das funktioniert eben nicht nur durch politische und rechtli che Rahmenbedingungen; wir brauchen hier eine Aufnahme gesellschaft, die bereit ist, diese Menschen auch willkommen zu heißen.

Der kanadische Botschafter Boehm hat das in einer Rede mei nes Erachtens gut auf den Punkt gebracht. Er glaubt, dass ei ner der Gründe für den Erfolg der kanadischen Einwande rungspolitik der ist, dass Kanada den Neuankömmlingen die Möglichkeit bietet, ein wirklicher Teil der kanadischen Ge sellschaft zu werden, ohne sie zu zwingen, ihre Identität auf zugeben. Auch müsse ein Umfeld geschaffen werden, das den Einwanderern und natürlich auch deren Familienangehörigen

Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Alle müssen eine Chance auf Bildung, Teilhabe und Berufsausübung bekommen. Schließ lich sei in Kanada der Multikulturalismus zu einem Merkmal geworden und werde auch als Beitrag zum gemeinsamen Wohlstand gesehen.

Die Frage ist also: Wie gehen wir hier miteinander um? Mit welchen Vorurteilen, mit welchen Barrieren im Kopf müssen wir uns noch auseinandersetzen?

Eine intakte Willkommenskultur steht für eine Haltung der Freundlichkeit, des Respekts und der Wertschätzung von Viel falt. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Mig rationshintergrund in allen gesellschaftlichen Bereichen kann insbesondere durch eine nachhaltige interkulturelle Öffnung erreicht werden.

Wir haben ein Konzept entwickelt, das der Komplexität inter kultureller Öffnungsprozesse Rechnung trägt und Vielfalts kompetenz in Baden-Württemberg fördert. Die interkulturel le Öffnung der Landesverwaltung ist ein wichtiger Aspekt. Sie ist ein Gewinn nicht nur für die Menschen mit Migrationshin tergrund – oder auch -vordergrund –, sondern für die gesam te Gesellschaft. Studien zeigen, dass Unternehmen mit indi viduell verschiedenen Mitarbeitern kreativere Lösungen fin den und größeren Erfolg haben. Deshalb werben wir in der Landesverwaltung dafür, ebenso wie auch bei der Polizei.

Natürlich beschränkt sich die interkulturelle Öffnung nicht auf die Landesverwaltung. Die Landesregierung unterstützt auch Öffnungsprozesse in klassischen Vereinen und Verbänden, et wa beim Deutschen Roten Kreuz und bei Sportvereinen. Ei ne entsprechende Vereinbarung haben wir vor Kurzem auch mit dem Landessportverband Baden-Württemberg abgeschlos sen.

Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikatio nen ist ein weiterer wichtiger Baustein. Auch das wurde hier schon genannt. Sie haben recht. Das Berufsqualifikationsfest stellungsgesetz ist im April 2012 in Kraft getreten. Wir haben ein Landesanerkennungsgesetz erarbeitet. Auch da haben Sie recht: Auch mir hat das leider zu lange gedauert. Das wird aber demnächst, im Herbst, im Landtag beraten.

(Abg. Peter Hauk CDU: Der Herbst ist schon da! – Abg. Andreas Deuschle CDU: Morgen schneit es das erste Mal!)

Notwendig und wichtig war auch, dass die Betroffenen im An erkennungsverfahren nicht alleingelassen werden. Wir haben eine flächendeckende Beratung in Baden-Württemberg sicher gestellt, und damit sind wir im Ländervergleich ganz weit vorn. Das haben die anderen Länder nicht gemacht.

Wenn wir die Willkommenskultur ernst nehmen, müssen wir auch auf Migranten zugehen, die schon lange hier leben und gut integriert sind, aber immer noch keinen deutschen Pass haben. Wie Sie wissen, setzt das Bundesrecht hier Grenzen, vor allem auch bei der Zulassung mehrerer Staatsangehörig keiten. Hier hinken wir leider den liberalen Regelungen an derer westlicher Länder deutlich hinterher. Das ist sehr bedau erlich; denn auch von der Einbürgerung gehen große Integra tionsimpulse aus. Wir wissen, dass Eingebürgerte bessere Bil dungserfolge vorzuweisen haben, wir wissen, dass sie selte

ner arbeitslos sind, wir wissen nach einer OECD-Studie aus dem Jahr 2010 auch, dass Eingebürgerte höhere Einkommen erzielen. Die Einbürgerung ist deshalb nicht nur für die Mig ranten wichtig, sondern sie führt zu einer Win-win-Situation für beide Seiten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Erfreulich ist, dass in den ersten beiden Jahren der grün-roten Regierung in Baden-Württemberg sich mehr Menschen ha ben einbürgern lassen als in den Jahren zuvor. Im Jahr 2012 waren es über 16 000 Menschen und damit noch einmal 15 % mehr als im Jahr 2011.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Das war aber deutsch landweit! – Abg. Andreas Deuschle CDU: Deutsch landweit!)

Damit haben wir die höchste Steigerungsrate aller Bundeslän der.

Das ist natürlich kein Grund, sich auszuruhen. Denn es gibt auch in Baden-Württemberg noch ein großes Potenzial von Menschen, die hier seit Langem leben und sich einbürgern las sen könnten, die es aber aus verschiedenen Gründen noch nicht tun. Auf diese Menschen wollen wir gern zugehen. Des halb haben wir am 26. September auch eine Einbürgerungs kampagne gestartet. An der Auswahl haben wir alle Parteien beteiligt. Ich möchte mich hier noch einmal bei allen Betei ligten für die Teilnahme bedanken.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben schon vieles umgesetzt oder in Angriff genommen. Das zeigt auch die Ant wort auf die neue Anfrage der FDP/DVP, die wir hier eben falls beraten werden. Aber ich denke, es liegt noch ein langer Weg vor uns, um Zuwanderung und Integration als Normali tät zu begreifen. Ich lade Sie dazu ein, diesen Weg gemein sam zu gehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir treten damit in die zweite Run de ein. Die CDU-Fraktion spart sich die verbleibende Rede zeit für das Schlusswort auf.

Ich darf fragen: Gibt es vonseiten der Fraktion GRÜNE, der Frak tion der SPD oder der Fraktion der FDP/DVP den Wunsch, noch einmal zu sprechen? – Bitte schön, Herr Abg. Lede Abal für die Grünen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wollen Sie noch etwas sagen, Herr Zimmermann?

Bitte, Sie haben das Wort, Kollege Lede Abal.

Ich möchte noch einmal auf Folgendes zurückkommen: Ich habe vorhin die In tegration ausdrücklich als einen Prozess beschrieben. Dieser ist nicht nur für die Person, die sich in diesem Integrations prozess befindet, zu bewerkstelligen, sondern auch für die Ge

sellschaft. Deshalb möchte ich doch noch einmal anführen, welche Vorhaben auf den Weg gebracht werden müssen oder im Entstehen sind. Denn ich gebe gern zu: Es muss noch mehr geschehen. Es muss in allen Bereichen und auf allen Ebenen mehr geschehen.

Einer der elementar wichtigsten Punkte im Bereich der Inte gration ist die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Wir führen morgen eine Aktuelle Debatte zu dem wichtigen The ma „Migrantinnen und Migranten bei der Polizei“, auf das ich nicht weiter eingehen werde, weil es morgen behandelt wird.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wir haben die Verantwortung dafür, die gesellschaftliche Teil habe durch eine bessere Verankerung von Migrantinnen und Migranten im Ehrenamt zu stärken. Wir müssen die Migran tinnen und Migranten in ihrer Wirtschaftsleistung stärken und sie stärker ermutigen, auch als Wirtschaftstreibende aktiv zu werden. Und wir müssen bei der politischen Partizipation und bei integrativ wirkenden Maßnahmen wie dem muttersprach lichen Unterricht weitermachen.