Außerdem ist mir Folgendes durch den Kopf gegangen: Jür gen Habermas, der früheren Studentengenerationen vielleicht vertrauter war als der heutigen Studentengeneration, hat von „erkenntnisleitenden Interessen“ gesprochen und damit ge meint: Auch bei einer objektiven Analyse ist das Ergebnis stark vom gewünschten Ergebnis beeinflusst.
Das geht mir deswegen durch den Kopf, weil die Mitteilung der Regierung keinen Anlass für eine solch positive Bewer tung gibt.
Ich habe schon im Ausschuss aus der Mitteilung der Landes regierung zitiert, weil mich diese gewundert hat. Aus diesem Grund darf ich es hier noch einmal tun; hier sind vielleicht viele anwesend, die diese Mitteilung nicht so genau kennen. Ich möchte Ihnen das Fazit der Regierung nicht vorenthalten. Ich zitiere:
Es bestehen teilweise erhebliche Schwierigkeiten, belast bare Aussagen über die Wirkung des Alkoholverkaufsver bots zu erlangen, da in vielen Bereichen nur sehr einge schränkt Rückschlüsse gezogen werden können, inwieweit das Alkoholverkaufsverbotsgesetz tatsächlich ursächlich für gewisse Entwicklungen ist. In fast allen Bereichen werden die zur Verfügung stehenden Daten auch durch andere Faktoren beeinflusst.
Jetzt kommt der Satz, aus dem der Kollege Blenke als lang jähriger Befürworter dieser Regel sowie weiter reichender Re geln natürlich seinen Honig saugt:
Fest steht jedoch, dass Tankstellen in Baden-Württemberg aufgrund der Regelung praktisch keinen... Einsatz schwerpunkt mehr darstellen.
Meine Damen und Herren, das ist aber auch wirklich das Ein zige. Alles, was wir wissen, ist, dass die Polizei dort nicht mehr so oft hinfahren muss.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Und dass die Anwoh ner ihre Ruhe haben! Das ist nicht zu vernachlässi gen!)
Dazu komme ich gleich. – Wir wollen aber festhalten: Der einzige Rückschluss, den wir ziehen können, ist der, dass die Polizei da nicht mehr so oft hinfahren muss. Das ist richtig. Wir wissen aber nicht, was anderswo passiert; wir wissen nicht, wohin die Polizei sonst fahren muss. Es ist, Herr Sakel lariou, auch kaum anzunehmen, dass seitdem weniger Alko hol gekauft wird. Vielmehr sagt mir mein Verstand, dass Al kohol eben nur zu einer früheren Uhrzeit und an einem ande ren Ort gekauft wird.
In Bezug auf die Ziele, die wir mit dem Gesetz erreichen woll ten, gibt die Mitteilung der Landesregierung jedenfalls gar nichts her.
Das gilt auch in Bezug auf die Kriminalitätsrate. Dies ist für Sie alle sicherlich aufschlussreich – interessanterweise wur de diese Passage heute bislang nicht zitiert –: Zwar ist seit In krafttreten des Gesetzes die Gewaltkriminalität im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr um 2,9 % zurückgegangen, dafür ist sie zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr jedoch um 8,6 % gestiegen.
Es spricht also nichts dafür, dass die Polizei jetzt weniger zu tun hat, sondern es spricht vieles dafür, dass sie an anderen Orten zu tun hat.
Zu denken gibt mir allerdings Folgendes – auch ich bin ein Mensch, der den Nachtschlaf schätzt; aber es war ja nun nicht das erklärte Ziel dieses Gesetzes, den Nachtschlaf der Anwoh ner in Innenstädten zu schützen –: Die Tankstellen sind durch die Einschränkungen nicht etwa lautlos geworden. Tankstel len verursachen eigentlich immer Lärm, und deshalb dürfen sie auch nur an bestimmten Stellen betrieben werden, wo oh nehin mit Lärm zu rechnen ist. Ob also allein an diesem Ar gument so viel festzumachen ist, wage ich ehrlich gesagt zu bezweifeln.
Dennoch haben wir – darauf ist zu Recht hingewiesen wor den – diesem Gesetz damals nach langer Diskussion zuge stimmt. Ich stelle hier aber fest: Für uns geben die Evaluati onsergebnisse nicht her, dass dieses Gesetz nun der große Hit war. Vielleicht wäre es sinnvoll, in zwei oder drei Jahren noch einmal zu schauen, wie die weitere Entwicklung verlaufen sein wird. Ich glaube aber nicht, dass die Argumente als Grundlage ausreichen, um den Weg mit ähnlichen Verboten weiter zu beschreiten. Mit dieser Auffassung befinden wir uns zur Abwechslung einmal in der Gesellschaft der Fraktion GRÜNE.
Ich halte es in der Tat für besser, ein Gesamtkonzept in Erwä gung zu ziehen, das eher den Anspruch erheben kann, dem Übel jugendlichen Alkoholkonsums an die Wurzel zu gehen. Lediglich festzustellen, dass die Polizei nicht mehr an Tank stellen fahren muss, ist vielleicht ein bisschen zu wenig.
Frau Präsidentin, werte Kol leginnen, werte Kollegen! Herr Kollege Dr. Goll, ich finde es schon ein bisschen merkwürdig, wenn Sie die Ergebnisse der Evaluation eines Gesetzes mit dem Kommentar abtun, diese seien davon abhängig, was man gern hätte. Umgekehrt könn te ich sagen: Ihnen kann man an Fakten und Argumenten vor legen, was man will; Sie ändern Ihre Meinung trotzdem nicht.
Ob dieses Gesetz nun so angelegt war, dass es ein „großer Hit“ werden sollte, wage ich ebenfalls zu bezweifeln. Ich weiß aber ganz sicher, dass die von Ihnen durchgesetzte Verkürzung der Sperrzeit meilenweit von einem großen Hit und von entspre chenden Ergebnissen entfernt ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 1. März 2010 ist das Alkoholverkaufsverbotsgesetz in Kraft getreten. Kern der Regelung, die, wie Sie sagten, mit einer breiten Mehrheit hier im Haus verabschiedet worden ist, war, dass für sämtliche Ver kaufsstellen durch das Gesetz über die Ladenöffnung ein auf die Zeit zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr beschränktes Al koholverkaufsverbot vorgesehen wurde. Impuls für den sei nerzeitigen Erlass – so habe ich es jedenfalls damals wahrge nommen, und das ist auch meine Intention gewesen und hat mich dazu bewogen, diesem Gesetz zuzustimmen – war, dass sich zahlreiche Tankstellen im Land Baden-Württemberg zu Treffpunkten entwickelt hatten – umgangssprachlich: zum „Vorglühen“, aber auch zu Event-Treffpunkten. Kollege Blen ke hat dies ausgeführt.
Weil Sie das Thema Lärmbelästigung angesprochen und ge sagt haben, dies sei doch gar nicht so dramatisch, getankt wer de nachts doch nach wie vor an diesen Tankstellen, möchte ich entgegnen: Das ist schon ein Unterschied. Ich behaupte, es ist ein Unterschied, ob dort getankt wird, ob ein- und aus gestiegen wird – auch das verursacht Lärm, zweifelsohne –, oder ob dort zusätzlich bis zu Hunderte von Menschen durch an- und abfahrende Fahrzeuge, durch den Aufenthalt im Frei en, durch übermäßigen Alkoholkonsum Lärm verursachen. Ich würde Ihnen raten, einfach einmal an einer der von den Einsatzschwerpunkten übrig gebliebenen sechs Tankstellen einige nächtliche Stunden zu verbringen. Dann wissen Sie nämlich, von welchen Quellen tatsächlich Lärm ausgeht, und machen Erfahrungen damit, wie Ihr Schlaf gestört wird.
Fakt ist jedenfalls: Die Zahlen zur Verringerung wurden ge nannt. Wenn von damals 69 Tankstellen, die die nächtlichen Schwerpunkte für die jeweiligen Einsatzstellen der Polizei ge wesen sind – natürlich überwiegend am Wochenende –, jetzt nur noch sechs übrig geblieben sind, dann ist dies, finde ich, ein Erfolg, der sich auf das zurückführen lässt, was wir sei nerzeit auf den Weg gebracht haben.
Das heißt nichts anderes, als dass die Polizei tatsächlich mehr Zeit für andere Aufgaben hat, dass keine Lärmbelästi gung – jedenfalls nicht im früheren Ausmaß – im Umfeld
dieser Tankstellen mehr stattfindet, dass die Menschen ihre Nachtruhe haben. Es bedeutet, dass an diesen Orten keine Belästigung anderer Menschen mehr stattfindet; die Kunden wollen nur noch im wahrsten Sinn des Wortes tanken; sie wollen nämlich Sprit für ihr Auto tanken. Dies bedeutet auch, dass wir dort keine Straftaten und keine Gewalttaten mehr feststellen konnten.
Sie haben recht – das bestreite ich gar nicht –: Einen Zusam menhang mit rückläufigen Kriminalitätsraten können wir, solange es um Zahlen geht, die insgesamt im Einsatzbereich feststellbar sind, nicht nachweisen. Denn natürlich hat die Kriminalstatistik gar keine entsprechende Aussagekraft. In der Kriminalstatistik ist nämlich nicht aufgeführt, wo eine Tat stattfindet, ob dies etwa an einer Tankstelle oder in einer Gaststätte der Fall ist. Wir wissen dies zwar; aber eine sol che Information erscheint eben nicht in der Kriminalstatis tik.
Befürchtungen, die seinerzeit geäußert worden sind und de ren Eintreten heute tatsächlich Anlass gäbe, darüber nachzu denken, ob dieses Gesetz wirklich Sinn macht – etwa, dass die Regelungen umgangen würden, dass ein sogenannter Gas senverkauf im Umfeld dieser „Event-Orte“ stattfindet –, ha ben sich ebenfalls nicht bewahrheitet. Wir können feststellen: Nur an zwei dieser übrig gebliebenen Einsatzschwerpunkte ist festzustellen, dass das Gesetz in der beschriebenen Weise umgangen wird. Im einen Fall ist der Ort eine Dönerbude und im anderen Fall eine Szenekneipe. Aber die Belästigungen tre ten längst nicht in dem Ausmaß auf, wie es früher an den Tankstellen der Fall war.
Noch etwas will ich gern sagen – Kollege Sakellariou hat es bereits angedeutet –: Die mit dem Gesetz verfolgte Absicht war auch, dem Thema „Schutz vor alkoholbedingten Gesund heitsgefahren“ Raum zu geben. Woran misst man einen etwa igen Erfolg? Das ist schwierig; denn man kann dies nicht un bedingt an nackten, fixen Zahlen festmachen. Wir haben ein mal versucht, zu eruieren, ob im Umfeld dieser Tankstellen vermehrt Krankenhausbehandlungen infolge übermäßigen Al koholkonsums stattgefunden haben und ob die entsprechen den Zahlen nun zurückgegangen sind. Einen solchen Rück gang kann ich nicht vermelden. Aber das heißt noch lange nicht, dass das Gesetz diesbezüglich gar keine Auswirkungen hatte. Denn wir wissen heutzutage, dass durch mehr Sensibi lisierung für dieses Thema die Bereitschaft zugenommen hat, Menschen, die deutlich zu viel Alkohol konsumiert haben, ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Früher war dies eher selten der Fall. Deshalb kann man in dieser Frage keine belastbaren Zahlen vorlegen.
Ich bin aber der Auffassung: Allein die Tatsache, dass die Menschen, die im Umfeld von solchen Tankstellen wohnen, eine wesentliche Entlastung erfahren haben, spricht aus fach licher Sicht dafür, an dieser Regelung festzuhalten. Die Fra ge, ob wir in Nuancen noch Ergänzungen einbringen wollen – ich nenne als Beispiel Regelungen bezüglich des Alkohol verkaufs an Automaten oder eines entsprechenden Garagen verkaufs bzw. zu Alkoholbringdiensten –, werden wir, wie es Kollege Sckerl angedeutet hat, nun sehr sachlich und nüch tern angehen und entsprechende Anregungen in die Arbeits gruppe einspeisen, um dann ein entsprechendes Gesamtkon zept vorzulegen.
Unser Fazit ist jedenfalls – um das Stichwort Arbeitsgruppe aufzugreifen –: Wir haben mit dieser Regelung mehr lebens werten Raum im Umfeld von Tankstellen erreicht. Deshalb möchten wir auch keine Änderungen mehr vornehmen.
Ich habe mich noch recht zeitig gemeldet. – Herr Minister, wenn Sie jetzt auch den Grund betonen, dass der Nachtschlaf von Anwohnern ge schützt wird – das halte ich übrigens auch für ein gutes Ziel –, begeben Sie sich dann aber nicht zwangsläufig auf den Weg, dass wir auch fragen müssen, was wir tun, wenn der Nacht schlaf von Anwohnern tagelang durch legale Stadtfeste ge stört wird? Begibt man sich dann nicht zwangsläufig auf die sen Weg? Wir tauschen im Grunde genommen die Ratio die ser Vorschrift ein bisschen aus. Aber dann kann man nicht ein fach sagen, wir hätten nur mit Tankstellen ein Problem; viel leicht haben wir damit auch das geringste. Denn Tankstellen werden erfahrungsgemäß nur dort gebaut, wo auch Lärm ist; an anderen Stellen dürften sie gar nicht stehen.
Herr Kollege Goll, wir haben in unserem Land doch die Situation – ich denke, darüber freu en wir uns alle –, dass das Thema „Feste feiern“ schon auch eine Rolle spielt, dass damit Traditionen verbunden sind und dass die Menschen dann durchaus bereit sind, an ein, zwei, drei Tagen bestimmte Festivitäten – Volksfeste wurden ge nannt, Schützenfeste, Sportfeste meinetwegen – zu akzeptie ren und zu tolerieren. Das gehört zu dieser Gesellschaft nun einmal dazu. Eine dauerhafte, jedes Wochenende stattfinden de Belästigung
wird aber eben nicht mehr akzeptiert. Deshalb kommt es da rauf an, dass wir bei diesem Thema – wie übrigens bei ande ren Themen auch – einen breiten gesellschaftlichen Konsens dazu hinbekommen, was akzeptiert wird und was an der ei nen oder anderen Stelle auch zugemutet werden kann, im Um kehrschluss aber auch, was nicht mehr akzeptiert wird und nicht mehr zugemutet werden kann.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD sowie der Abg. Thomas Blenke und Karl-Wilhelm Röhm CDU)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses, Drucksache 15/4056. Der Innenaus schuss schlägt Ihnen vor, von der Mitteilung der Landesregie rung Kenntnis zu nehmen. – Sie stimmen zu.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Fi nanzen und Wirtschaft zu der Mitteilung der Landesre gierung vom 28. Juni 2013 – Bericht der Landesregierung zu einem Beschluss des Landtags; hier: Denkschrift 2010 des Rechnungshofs zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh rung des Landes Baden-Württemberg – Beitrag Nr. 18: Förderung kommunaler Straßenbauvorhaben – Drucksa chen 15/3700, 15/4044