Zum anderen atmet die grün-rote Ganztagskonzeption keinen liberalen, keinen freiheitlichen Geist. Wenn der SPD-Vorsit zende ausruft: „So viel Rhythmisierung wie möglich“, dann heißt dies doch nichts anderes, als dass das grün-rote Ziel die verpflichtende Ganztagsschule für alle ist.
Wir Liberalen setzen dem das Motto entgegen: So viel Frei heit wie möglich. Denn das Wahlrecht der Eltern, ob sie ihr Kind für den halben oder den ganzen Tag in die Schule schi cken möchten, ist uns Liberalen ein hohes Gut,
das wir durch die grün-rote Politik gefährdet sehen. Die feh lende Wahlfreiheit wird voraussichtlich gerade in ländlich ge prägten Gebieten bzw. kleineren Gemeinden – doch keines wegs nur dort, wie aktuell das Beispiel Stuttgart zeigt – zu ei nem ernsten Problem werden, wo es vielleicht nur eine Grund schule gibt. Wird diese dann zur verpflichtenden Ganztags schule, z. B. weil es eine Mehrheit der Eltern wünscht oder weil es dafür die meisten Lehrerwochenstunden gibt? Was wird dann aus der Minderheit der Eltern?
Die grün-rote Vereinbarung mit den kommunalen Landesver bänden sieht vor, dass erst ab einer Gruppengröße von 29 Schülerinnen und Schülern eine weitere Gruppe aufgemacht werden kann. Zwar kann dies jahrgangsübergreifend erfolgen, doch das bedeutet stets ein pädagogisches Opfer, umso mehr, wenn sich gemäß dem Konzept der Rhythmisierung Unter richt und außerunterrichtliche Angebote, z. B. aus dem Be reich Sport, abwechseln sollen und somit auch nachmittags Unterricht stattfindet.
Rhythmisierung und ein offenes Ganztagsangebot, bei dem die Eltern die Kinder nur für den Vormittag anmelden können, lassen sich kaum organisatorisch miteinander verbinden. Im Zweifel wird eine Minderheit der Eltern, die ihre Kinder mög lichst viel bei sich zu Hause haben oder ihnen selbstständig ein Sport- oder Musikprogramm organisieren möchten, ins Hintertreffen geraten.
In der Gegenüberstellung zur grün-roten Ganztagskonzepti on wird noch einmal deutlich, warum der Gesetzentwurf der FDP/DVP-Landtagsfraktion ein freiheitlicher ist. Im Zentrum unseres Gesetzentwurfs steht die offene Ganztagsschule. Al le Schulträger sollen das Recht erhalten, eine offene Ganz tagsschule einzurichten, und zwar ohne dass es dazu der Zu stimmung der Schulbehörden bedarf. Damit erhalten die Kom munen eine Gestaltungsfreiheit, mit der sie die Wahlfreiheit der Eltern so gut wie möglich realisieren können. Die Einrich tung einer Ganztagsschule in gebundener Form bedarf darü ber hinaus der Zustimmung der obersten Schulbehörde. In bei den Fällen setzt der Beschluss eines Schulträgers ein entspre chendes Votum der Gesamtlehrerkonferenz und der Schulkon ferenz voraus.
In der ganz überwiegenden Zahl der Stellungnahmen, die im Rahmen der Anhörung abgegeben wurden, wird der FDP/ DVP-Gesetzentwurf begrüßt. Selbstverständlich gibt es auch
Kritik. So wurde uns vom Landessportverband, vom Landes jugendring und von der Arbeitsgemeinschaft Offene Jugend bildung zurückgemeldet, dass der Gesetzentwurf ohne die Rahmenvereinbarung zur Kooperation mit außerschulischen Partnern, insbesondere in den Bereichen Sport, Musik, Kul tur und Jugendarbeit, unvollständig sei. Diese Kritik ist aus unserer Sicht berechtigt. Allerdings sei hier angemerkt, dass wir bereits geraume Zeit vor der Einbringung des Gesetzent wurfs diese längst überfällige Rahmenvereinbarung in einer Aktuellen Debatte angemahnt hatten. So bleibt mir nur, dies als Gelegenheit zu nutzen, sie hiermit erneut einzufordern.
Keine Kritik, aber doch eine Mahnung, sie im Zuge der Ganz tagsschulverankerung im Schulgesetz gleichermaßen zu be rücksichtigen, kam von der Arbeitsgemeinschaft Freier Schu len. Diese Mahnung ist vermutlich vor dem Hintergrund manch schlechter Erfahrung mit Grün-Rot zu verstehen. Des wegen möchte ich an dieser Stelle für die FDP/DVP klarstel len: Wenn die Ganztagsschule im Schulgesetz kommt, müs sen die freien Schulen gleichermaßen berücksichtigt werden.
Dies hätte bereits in die jüngsten Verhandlungen der Landes regierung mit den Privatschulverbänden einbezogen werden müssen. Das hätte aber vorausgesetzt, dass man diese auf Au genhöhe führt.
Dass ein freiheitlicher Gesetzentwurf nicht nur Freunde fin det, war nicht anders zu erwarten. So hat uns Frau Kollegin Boser von den Grünen bereits in der ersten Lesung vorgewor fen, wir hätten uns über die Ausgestaltung der Ganztagsschu le keine Gedanken gemacht. Diese Aussage, verehrte Frau Kollegin, zeigt – mit Verlaub –, dass man bei den Grünen et was Wesentliches nicht begriffen hat.
Wenn man wirklich liberal sein möchte und das auch etwas mehr als nur in homöopathischen Dosen, dann muss man der Versuchung widerstehen, den Menschen etwas vorzuschrei ben, selbst dann, Frau Boser, wenn man noch so sehr davon überzeugt ist, dass es das allein selig Machende ist. Die Men schen in unserem Land wissen selbst am besten, welche Schulform mit welchem Angebot für sie, auf ihre Lebenssitu ation passt.
Meine Damen und Herren von Grün-Rot, Sie alle haben, wie auch die CDU, in der ersten Lesung den Gesetzentwurf im Grundsatz begrüßt. Grüne und SPD nehmen für sich in An spruch, einen neuen Regierungsstil pflegen zu wollen, und ha ben mehrfach den Schulfrieden gefordert. Deshalb möchte ich abschließend einen weiteren Versuch unternehmen, Sie für ei ne gemeinsame konstruktive Arbeit am Thema Ganztagsschu le auf der Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfs zu ge winnen, indem ich aus der Stellungnahme der Landesvereini gung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände zitiere:
Neben den Gemeinschaftsschulen benötigen die anderen Schularten Rechtssicherheit, wenn es um die Errichtung von Ganztagsschulen geht. Damit kann auch dem Vorwurf der Bevorteilung der Gemeinschaftsschule im Vergleich zu den anderen Schularten wirkungsvoll begegnet wer den. Wir empfehlen der Landesregierung, die Initiative der FDP/DVP-Landtagsfraktion aufzugreifen und so ei nen ersten Schritt zu einem „Schulfrieden“ im Land zu gehen.
Besser, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann man es kaum formulieren.
Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Um es gleich an den Anfang zu stellen: Wir sind uns über den Ausbau der Ganztagsschu len im Grundsatz einig, um damit wichtige Ziele dieses Pro jekts Ganztagsschule zu verfolgen. Das eine Ziel ist eine bes sere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir brauchen zwei felsohne flexible Angebote gerade für junge Familien, und das trifft natürlich besonders den Bereich der Ganztagsschulen, denn dort kann man diese flexiblen Angebote zur Verfügung stellen. Das Zweite ist der pädagogische Ansatz, denn durch gute Ganztagsschulen kann eine intensivere pädagogische Förderung gelingen. Deswegen sind wir uns im Grundsatz ei nig.
Wir unterstützen darüber hinaus auch den Gesetzentwurf der FDP/DVP. Um es vorweg zu sagen, lieber Kollege Kern: Wir stimmen zu, weil wir diesen Gesetzentwurf als wichtiges Si gnal verstanden haben. Die früheren Oppositionsfraktionen von Rot und Grün haben in der letzten Legislaturperiode kaum eine Landtagsdebatte ausgelassen, um die damalige Landes regierung diesbezüglich zu treiben. In den letzten zweieinhalb Jahren hat sich da gar nichts getan. Jetzt haben wir eine Ver einbarung – auf die kommen wir gleich noch zu sprechen –, und vor diesem Hintergrund war dieser Gesetzentwurf wich tig. Deshalb unterstützen wir ihn, wenngleich dieser Gesetz entwurf durchaus auch kleine Mängel aufweist, die ich aber nur ganz kurz skizzieren möchte.
Das betrifft zum einen die Ressourcenberechnung, die sicher nicht exakt ist. Aber dies kann eine Oppositionsfraktion auch deshalb nicht leisten, weil diese Landesregierung immer noch kein schlüssiges Bedarfsdeckungskonzept für die Unterrichts versorgung der nächsten Jahre vorgelegt hat. Wenn keine Zah len der Landesregierung vorliegen, kann eine Oppositions fraktion auch keine seriösen Rechnungen anstellen.
Meine Damen und Herren, mit dem Blick zurück sage ich in aller Deutlichkeit für die CDU-Fraktion: Wir stehen, was den Ausbau der Ganztagsschulen betrifft, nicht bei null, sondern können hier bereits auf eine gute Bilanz verweisen. In den Jah ren von 2002 bis 2010, also über einen Zeitraum von neun Jahren, sind in Baden-Württemberg 1 115 neue Ganztagsschu len entstanden – öffentliche Ganztagsschulen; da sind die pri vaten nicht einbezogen.
Sie haben jetzt in dieser Vereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden einen Zeitraum von neun Jahren festgelegt. Sie bauen jetzt die Ganztagsschulen im Bereich der Grund schulen aus. Wenn man jetzt von den Grundschulen die Ganz tagsschulen abzieht, die bereits bestehen, sollen bis zum Jahr 2023 1 391 neue Ganztagsschulen entstehen.
Meine Damen und Herren, wenn man der Zahl der unter der früheren Landesregierung geschaffenen Ganztagsschulen die Zahl der Ganztagsschulen gegenüberstellt, die Sie jetzt neu entstehen lassen wollen, muss ich sagen: So großartig ist der Unterschied nicht. Ihr Ausbautempo unterscheidet sich also nicht wesentlich von dem Ausbautempo der früheren Landes regierung von CDU und FDP/DVP. Das muss man einfach einmal in aller Deutlichkeit sagen.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das war doch eine Pseudoganztags schule! Das ist doch lächerlich!)
Im Übrigen haben Sie jetzt eine Riesenchance. Sie fordern ein pädagogisches Konzept zur Antragstellung ein – das ist auch richtig und vernünftig –, und dabei haben Sie natürlich die Riesenchance, auf die Erfahrungen der bestehenden Ganztags schulen zurückzugreifen. Denn pädagogische Erkenntnisse fallen nicht vom Himmel, sondern man muss auf die Erfah rungen aufbauen, und das können Sie hier tun, weil wir hier, wie gesagt, nicht bei null stehen.
Herr Kollege Kern hat es zu Recht angesprochen: Wir müs sen am heutigen Tag auch kritische Fragen in Richtung Lan desregierung stellen, nämlich die Fragen, die auch nach der Vereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden offen geblieben sind. Zunächst: Wir begrüßen die Vereinbarung als einen zweifelsohne wichtigen Schritt in die richtige Richtung; das muss man auch deutlich sagen. Allerdings bemängeln wir schon, dass in keinem Satz Ihrer Vereinbarung die weiterfüh renden Schularten erwähnt wurden. Sie bauen die Grundschu len aus und erwähnen nicht einmal, dass auch die weiterfüh renden Schularten zumindest eine Perspektive erhalten sollen. Das treibt uns schon mit großer Sorge um; denn die jungen Menschen, die einen großen pädagogischen Förderbedarf ha ben, haben diesen auch ab der fünften Klasse.
Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ betrifft na türlich auch die Eltern der Kinder, die ab der fünften Klasse die weiterführenden Schularten besuchen. Das heißt, die Bri sanz dieses Themas ist die gleiche.
Was wir leider feststellen – an dieser Stelle finden wir leider keinen Konsens zwischen der CDU, den Regierungsfraktio nen und der Landesregierung –, ist die Tatsache, dass Sie da mit die Privilegierung der Gemeinschaftsschule zementieren, meine Damen und Herren. Denn die Gemeinschaftsschule ist eine privilegierte Schulart. Sie ist die einzige Schulart – bei den Grundschulen wird sich das jetzt ändern –, die einen Rechtsanspruch auf Einrichtung eines Ganztagsschulbetriebs hat, während die anderen Schularten, sprich die Realschulen, dazu nicht einmal die Chance bekommen.
Im Übrigen, meine Damen und Herren, darf ich auf eine ak tuelle Umfrage von Infratest dimap hinweisen, in der die Bür gerinnen und Bürger Baden-Württembergs befragt wurden, wie sie das Ansehen der Gemeinschaftsschule bewerten. Die
Gemeinschaftsschule hat ein sehr gutes bis gutes Ansehen bei 44 % der befragten Bürgerinnen und Bürger Baden-Württem bergs, und die Realschule hat ein sehr gutes bis gutes Anse hen bei 86 % der befragten Bürgerinnen und Bürger BadenWürttembergs. Da ignorieren Sie einfach die Realschule, mei ne Damen und Herren. Das entlarvt Ihre Ideologie.
(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Zuruf des Abg. Da niel Andreas Lede Abal GRÜNE)
Als Letztes – ich hebe mir noch einiges für die zweite Runde auf – darf ich zitieren aus der Pressemitteilung des Kultusmi nisteriums, bezogen auf die Vereinbarung:
Über die Finanzierung und Bereitstellung der notwendi gen Ressourcen durch das Land wird im Rahmen der je weiligen Haushaltsaufstellungsverfahren entschieden. Dabei ist auch die weitere Konkretisierung der im Koali tionsvertrag des Bundes zugesagten Entlastung der Län der in diesem Bereich zu berücksichtigen.
Zum einen warten Sie immer noch auf die Unterstützung des Bundes. Sie konnten sich ja bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin nicht durchsetzen.
Außerdem kann von einer seriösen Finanzierung überhaupt nicht die Rede sein. Lieber Herr Kollege Fulst-Blei, ich darf Ihnen zurufen: Dieses Programm ist nicht durchfinanziert.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben über den Gesetzentwurf im Plenum und auch im Ausschuss bereits ausführlich gespro chen. Ich will aber noch einmal zusammenfassen, warum wir, die Fraktion GRÜNE, dem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden.
Unserer Ansicht nach fehlen dem Gesetzentwurf wesentliche Elemente der Ausgestaltung, beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob ein pädagogisches Konzept vorliegen muss oder ob sich die Ganztagsschule laut Ihrer Definition dem liberalen, freiheitlichen Charakter entsprechend auf ein reines Betreu ungskonzept beziehen soll. Es bleibt offen, wie die finanziel le Ausgestaltung der Schulen gewährleistet werden soll, in welcher Form Kooperationspartner in den Schulen mit einge bunden werden sollen. Ein weiterer Kritikpunkt, der in der Anhörung vorgebracht wurde, war, welcher zeitliche Umfang der Ganztagsschule am Ende im Gesetz verankert werden soll. Wir teilen diese Kritik. Dies sind Punkte, die wir für wesent lich halten und die in einem Ganztagsschulgesetz mit aufge führt sein sollen.
Diese Rahmenbedingungen zu Qualität und Ausgestaltung der Ganztagsschule sind unserer Ansicht nach erforderlich. Sie haben davon gesprochen, wir würden damit in unserer grünen
Ideologie gefangen sein, immer bestimmte Vorschriften und Bestimmungen mit auf den Weg zu geben. Es gibt dazu eine Studie, die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen, StEG, die letztes Jahr veröffentlicht wurde. Diese trifft die klare Aussage – ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten zitie ren –:
Zur Etablierung von gezielten Strategien individueller Förderung ist ein Ganztagsbetrieb zu entwickeln, der die erweiterten Lerngelegenheiten integriert und mit dem Fachunterricht verbindet; Ganztagsangebote dürfen nicht nur neben dem Unterricht herlaufen.