Protokoll der Sitzung vom 22.01.2014

Im Gegensatz dazu werden wir den Schulversuch, unter dem einige Schulen schon seit 45 Jahren gelaufen sind, beenden. Vor diesem Hintergrund kann man schon ungeniert von einem historischen Schritt sprechen. Städtetagspräsidentin Barbara Bosch nannte es gar einen Meilenstein in der Bildungspolitik. Selbst der Gemeindetagspräsident und Christdemokrat Roger Kehle hat festgestellt, dass die Einigung des Landes mit den kommunalen Landesverbänden mit der schwarz-gelben Vor gängerregierung nicht zustande gekommen wäre.

Wo Sie im Vagen bleiben, werden wir konkret. Vor allem ver bessern wir die Ausstattung der Schulen im Vergleich zur ak tuellen Situation deutlich. So hat beispielsweise eine Ganz tagsgruppe, die an vier Tagen je acht Stunden an der Schule ist, bislang acht zusätzliche Lehrerwochenstunden erhalten, und künftig werden es zwölf sein. Hier haben wir Tatsachen geschaffen, mit denen die Schulen rechnen können.

Es wird nach wie vor eine verbindliche Form und eine Wahl form geben. Die Schulen dürfen sich an drei oder vier Tagen für jeweils sieben oder acht Stunden als Ganztagsangebot ent scheiden. Pro genehmigter Gruppe gibt es eine Mindestgröße von 25 Kindern. Da diese Gruppen auch klassenübergreifend gebildet werden können, stellt dies gleichsam eine Stärkung des ländlichen Raums dar. Auch kleine Schulen wie meine ei gene werden so in die Lage versetzt, eine Ganztagsbetreuung anzubieten.

Frech – das kann man zusammenfassend sagen – ist die FDP/ DVP; das muss man ihr lassen. Jahrelang hat man von der FDP/DVP zum Thema Ganztagsschulen nichts gehört, schon gar nicht, dass sie etwas anderes wolle als die CDU.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Kaum in der Opposition, legt man aber mit großem Gebaren einen Gesetzentwurf vor, der vor allem eines suggerieren soll: Seht her, wir waren schon immer dafür, liberal, wie wir sind.

(Vereinzelt Beifall)

Das ist bequem, zumal diese Gesetzesinitiative keine grund legende Neuerung beinhaltet und mehr oder weniger elegant die Finanzierung ausklammert. Für die Schülerinnen und Schüler in diesem Land ist dies aber entschieden zu wenig. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Kultusminister Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! In dieser zweiten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP/ DVP möchte ich vorweg zunächst einmal konstatieren, dass es mich freut, dass inzwischen – das entnehme ich auch Ihren Wortmeldungen – alle Fraktionen dieses Hauses und damit al le politischen Parteien, die hier im Landtag von Baden-Würt temberg vertreten sind, grundsätzlich in dem Ziel einig sind, dass wir auch und gerade in Baden-Württemberg einen wei teren Ausbau der Ganztagsschulen dringend brauchen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, beim Thema Ganz tagsschulen ist dieses Land Baden-Württemberg – ich sage das sehr deutlich – aufgrund der Versäumnisse der CDU-ge führten Vorgängerregierungen, an denen die FDP/DVP in den 15 Jahren von 1996 bis 2011 beteiligt war, im bundesweiten Vergleich in einen Rückstand geraten. Jetzt haben wir einen ganz erheblichen Aufholbedarf.

Dabei darf Ganztagsschule nicht nur – das befürchte ich, wenn ich den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP/DVP lese – auf das Thema Betreuung und das Thema „Vereinbarkeit von Fa milie und Beruf“ reduziert werden. Es ist doch inzwischen in der Pädagogik, in der Wissenschaft völlig unumstritten, dass gerade im Bereich der Ganztagsschulen eine riesengroße Chance liegt, herkunftsbedingte Unterschiede bei den Kin dern und Jugendlichen besser aufzugreifen und mehr Bil dungsgerechtigkeit zu schaffen, wenn wir in Baden-Württem berg endlich erreichen, dass mehr Kinder ein Bildungsange bot im Ganztagsbereich bekommen können.

Da reicht es eben nicht, nur nach offenen Konzepten zu rufen, wie es die FDP/DVP tut. Da ist der Satz durchaus begründet – und zwar pädagogisch begründet –: Wir wollen grundsätz lich die Entscheidung über die Konzepte vor Ort belassen. Deswegen haben ja auch die kommunalen Landesverbände sehr erfreut darauf reagiert, wie unsere Konzeption die Offen heit auch für Entscheidungen vor Ort belässt. Aber auch die kommunalen Landesverbände wissen sehr wohl – und zwar durch die Äußerungen der Eltern und die bereits in der Praxis gesammelten Erfahrungen –, dass gerade die verstärkte Rhyth misierung, also das abwechselnde Einsetzen von Unterrichts elementen der Stundentafel und ergänzenden weiteren Ange boten, zu einem hohen pädagogischen Mehrwert führt.

Deswegen kann das Ziel von uns allen doch nur sein, die ge währte Freiheit vor Ort sinnvoll zu nutzen. Denn die Ressour cen, die die Landesregierung hierfür aufwendet, sind ganz er heblich, und wir brauchen dringend diesen wichtigen Schritt in der Entwicklung unserer Schullandschaft hin zu mehr Ganztagsschulen und damit hin zu mehr Bildungsgerechtig keit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, da bleibt der Gesetzentwurf der FDP/DVP weit hinter den Ansprüchen zurück, die ein Gesetzentwurf zum Ganztagsschulausbau braucht. Kollege Käppeler hat es gerade zitiert: Gerade auch für die kommunalen Landesver bände ist die in der vergangenen Woche getroffene Überein kunft ein erheblicher qualitativer Fortschritt, eine – Zitat Frau Bosch – „historische Übereinkunft“, die uns die Möglichkeit gibt, gute Ganztagsschulen in die Fläche des Landes BadenWürttemberg zu tragen.

Herr Kollege Kern, Sie haben auch die weiterführenden Schu len angesprochen, und Kollege Wacker hat die Zahlen ge nannt. Punkt 1 zur Aussage von Herrn Kollegen Wacker – auch das hat Kollege Käppeler erwähnt –: Ab wann ist denn in Baden-Württemberg eine Dynamik in den Ganztagsschul ausbau gekommen? Doch nicht ab einem Zeitpunkt, zu dem die CDU-geführte Landesregierung in irgendeiner Weise et was dafür getan hätte, sondern in einer Zeit, in der die Bun desregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, die rotgrüne Bundesregierung, Geldmittel zur Verfügung gestellt hat, die die Landesregierung schlicht und ergreifend in Anspruch nehmen musste, wenn sie nicht fahrlässig gegen die Interes sen der Bürger dieses Landes handeln wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Was das Thema Grundschulen angeht: Wir haben in Kürze si cherlich auch wieder finanzpolitische und haushaltspolitische Debatten in diesem Haus. Ich kann Ihnen als Kultusminister versichern: Mir wäre es am allerliebsten, bei allen Schulen, bei den Grundschulen und den weiterführenden Schulen, für einen intensiven Ganztagsschulausbau sorgen zu können. Aber wir müssen aufgrund der von mir angesprochenen Versäum nisse der Vergangenheit schlicht und einfach Prioritäten set zen.

Die Zahlen, die Sie, Herr Kollege Wacker, genannt haben, gin gen bisher weit an den Grundschulen vorbei. Von den ca. 2 400 Grundschulen sind derzeit nur 300 bis 400 Ganztags schulen. Dort ist der Anteil der Ganztagsschulen sehr gering, während bei den weiterführenden Schularten teilweise auch höhere Prozentsätze vorhanden sind.

Wir haben uns im Sinne einer Priorisierung, die auch finanz- und haushaltspolitisch verantwortet werden kann, dafür ent schieden, das Augenmerk jetzt auf die Grundschulen zu le gen, was auch sehr gut nachvollziehbar ist. Diese Landesre gierung hat im vorschulischen Bereich für eine erhebliche Ausbaudynamik gerade im Bereich der U-3-Betreuung, aber auch in den Kindergärten und den Horten gesorgt. Die Kom munen haben und werden auch in Zukunft von der Landesre gierung so viel Geld für diese Zwecke bekommen wie noch nie in der Geschichte dieses Landes. Wir dürfen es nicht zu lassen, dass ab dem Eintritt in die erste Klasse der Grundschu le eine Betreuungslücke entsteht.

Deswegen spricht auch die Rolle Baden-Württembergs als wichtiger Wirtschaftsstandort dafür, dass wir gerade auch im Ganztagsbereich jetzt eine erhebliche Ausbaudynamik bekom men. Alle Industrie- und alle Wirtschaftsverbände, auch der Handwerkskammertag, haben die in der vergangenen Woche erzielte Einigung sehr begrüßt und unterstützen die Landes regierung auf ihrem Weg des weiteren Ausbaus der Ganztags schulen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das, was Sie als Offenheit bezeichnen, würde ich doch ein Stück weit auch als Beliebigkeit bezeichnen. Denn wenn Sie ohne eine Entscheidung über die pädagogische Konzeption Ressourcen zur Verfügung stellen wollen, setzen Sie auch fal sche Anreize. Wir müssen doch als Landesregierung, aber auch als politische Parteien deutlich machen, dass die Ganz tagsschule nicht nur ein Betreuungsthema sein kann, sondern

dass die Ganztagsschule, auch was die qualitative Entwick lung der Grundschulen angeht, ein wichtiger Schritt sein muss.

Die Grundschule war – das wissen wir aus vielen Gesprächen mit Leuten aus der Praxis – in der Vergangenheit ein wenig ins bildungspolitische Abseits geraten. Die Grundschule klagt zu Recht darüber, dass sie hinsichtlich Ressourcenausstattung, Stundentafel und ergänzender Angebote in den letzten Jahren – und zwar nicht erst seit 2011 – zunehmend ins Abseits ge raten ist.

Aus meiner Sicht ist deswegen der Ganztagsausbau gerade an den Grundschulen die riesengroße Chance, im Bereich der Qualität und damit im Bereich der Chancen der Kinder und Jugendlichen im Land einen wichtigen Schritt nach vorn zu machen.

Wenn wir die zusätzlichen Ressourcen an den Grundschulen für den Ausbau zu Ganztagsschulen richtig einsetzen, können wir dort im Bereich der Stütz- und Förderangebote ganz ent scheidende Verbesserungen erzielen und auch einen ganz wichtigen Schritt dahin tun, dass eine Ganztagsschule nicht nur ein wichtiger Ort des sozialen Lernens, der sozialen Kom petenz ist, sondern auch ein wichtiger Ort zur Verbesserung der Lernchancen aller Kinder. Deswegen müssen die Grund schulen mit erheblicher Dynamik zu Ganztagsschulen ausge baut werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, im Gesetzentwurf der FDP/ DVP wird auf die Frage nach den Ressourcen – das hat über haupt nichts mit einem Bedarfsdeckungskonzept im Hinblick auf die weiteren bildungspolitischen Fragen zu tun – eine un genügende Antwort gegeben. Das betrifft z. B. die Betreuung während des Mittagessens. Da sind falsche Zahlen verwendet worden.

Deswegen ist es, glaube ich, richtig, dass wir auf der Basis der in der vergangenen Woche mit den kommunalen Landesver bänden getroffenen Vereinbarung jetzt einen Gesetzentwurf erarbeiten, der dafür sorgen wird, dass die Grundschulen in Baden-Württemberg in viel stärkerer Dynamik als in der Ver gangenheit zu Ganztagsschulen ausgebaut werden. Gleichzei tig – ich darf Ihnen entsprechende Ängste nehmen – werden die weiterführenden Schulen zukünftig die Möglichkeit ha ben, verstärkt zu einem Ganztagsangebot überzugehen. Die Gemeinschaftsschulen gehen diesen Weg bereits.

Wir haben keinen Grund, den Ausbau der weiterführenden Schulen zu Ganztagsschulen in irgendeiner Weise als unwich tig anzusehen und infrage zu stellen. Auch die weiterführen den Schulen werden vom Ganztagsausbau profitieren. Wir, die Landesregierung, werden damit sehr verantwortlich um gehen. Aber wir müssen, auch aus haushaltspolitischen Grün den, zunächst die Priorität auf die Grundschulen legen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es würde mich freu en, wenn wir über den in Kürze im Landtag vorliegenden Ge setzentwurf konstruktiv und im Interesse der Kinder und Ju gendlichen dieses Landes diskutieren würden.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Dr. Kern das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Herr Käppeler, Sie haben jetzt wie auch schon im Bildungsausschuss behauptet, in unserem Ge setzentwurf würden keine konkreten Zahlen stehen. Hätten Sie nur auf die zweite Seite unseres Gesetzentwurfs geschaut, dann hätten Sie dort lesen können – Zitat –:

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Er kann nicht lesen!)

Gleichwohl werden hierfür etwa 800 Deputate benötigt, verbunden mit Kosten von bis zu 40 Millionen € brutto.

Sie können ja sagen, dass Sie diese Zahlen nicht glauben. Aber behaupten Sie doch nicht, im Gesetzentwurf würden keine Zahlen stehen. Hätten Sie ihn gelesen, müssten Sie es eigent lich besser wissen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Seiten zahlen zählen nicht!)

Minister Stoch hat die Vereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden als Quantensprung bezeichnet. Herr Minis ter Stoch, ich weiß zwar, was Sie damit ausdrücken wollten, aber ich darf Ihnen verraten: Der Quantensprung ist physika lisch die kleinstmögliche Bewegung.

Alle meine Vorredner von den unterschiedlichen Fraktionen haben gesagt, dass ihnen die Wahlfreiheit wichtig wäre. Auch dazu hat sich der Minister geäußert; er sprach von einer ge wissen Beliebigkeit, die unser Gesetzentwurf atmen würde. Herr Minister, für uns ist dezentrale Verantwortung das Ge genteil von Beliebigkeit. Vielmehr ist es ein urliberales Prin zip, die Verantwortung nicht zentral beim Kultusministerium anzusiedeln, sondern sie den Menschen zu übertragen, denn diese wissen am besten, wie sie ihr Leben, die Bildung und die Betreuung ihrer Kinder unter einen Hut bekommen. Da für sollten wir die Voraussetzung schaffen.

Unser Gesetzentwurf atmet diesen freiheitlichen Geist und ist ein guter Rahmen. Sie sprechen oft vom Schulfrieden. Hier hätten Sie ein weiteres Mal – wie schon beim Thema Inklusi on – die Möglichkeit, zu beweisen, dass es Ihnen mit diesem Angebot tatsächlich ernst ist. Unsere Hände sind ausgestreckt. Das waren sie auch immer. Sie können heute mit Ihrem Ab stimmungsverhalten zeigen, wie ernst es Ihnen mit dem Schul frieden in unserem Land tatsächlich ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wacker das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! In Kürze drei Bemerkungen: Zunächst ein mal, Herr Kultusminister, bin ich schon etwas erfreut, dass Sie Ihren früheren Vorwurf der Versäumnisse zumindest et was relativiert haben. Sie haben zumindest davon gesprochen, dass im Bereich der weiterführenden Schulen früher ein an

derer Ganztagsschulausbau stattgefunden habe als im Bereich der Grundschulen.