Sie sprechen genau den wunden Punkt an, vor dem die Lan desregierung jetzt steht: Die Realschule hat zweifelsohne – übrigens haben Sie auch niemals etwas anderes gesagt – ein hohes Ansehen. Insofern frage ich mich, weshalb Sie die an gesprochene Studie jetzt kritisieren;
Sie haben jetzt das Problem, dass offensichtlich, was das El ternansehen und die Elternentscheidung betrifft, eine Konkur renz zwischen den Gemeinschaftsschulen und den Realschu len entsteht.
Der Minister hat die Zahlen zum Schulübergang auf Gemein schaftsschulen dargelegt. Demnach ist der Anteil der Kinder mit einer Empfehlung für den Besuch der Realschule leicht zurückgegangen. Der Anteil der Kinder mit einer Empfehlung für den Besuch des Gymnasiums ist deutlich zurückgegangen. Somit hat die Gemeinschaftsschule das Problem, dass diese immer mehr zu einer „Werkrealschule neuen Typs“ wird. Denn der Anteil der Kinder mit einer Empfehlung für den Be such der Werkrealschule steigt zunehmend.
Jetzt stehen Sie im Grunde genommen vor genau diesem Pro blem. Sie haben im Zusammenhang mit der Debatte über die Ganztagsschulen die Realschulen wiederum völlig außen vor gelassen. Ich spreche nicht von einem vollumfänglichen Fi nanzierungsprogramm; damit wir auch da Klartext reden. Dass Sie auch finanzielle Grenzen haben, ist logisch. Das möchten wir auch überhaupt nicht bezweifeln.
Aber wenn Sie die Realschulen auch bei diesem Punkt völlig außen vor lassen, dann bekommen dies die Bürgerinnen und Bürger vor Ort mit. Sie tun natürlich alles, was Ihnen möglich ist, um die Gemeinschaftsschule attraktiv zu machen. Dadurch verschärfen Sie die Situation vor Ort, meine Damen und Her ren. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Die Menschen fragen sich immer öfter: „Was will diese Lan desregierung?“ Die Menschen kommen dann zu dem Ergeb
nis: „Ja, klar, Sie wollen eine Schullandschaft zulasten einer gut funktionierenden Schulart umkrempeln.“
Wenn Sie die Situation befrieden möchten – gerade in Ihrem Interesse –, dann müssten Sie, Herr Minister – ein 70-%-Aus bauprogramm bis zum Jahr 2023 ist schon ein Wort; wenn Sie das sauber durchfinanzieren, dann ist dies natürlich ein Wort; dann tut sich in diesem Bereich auch etwas –, zumindest so fair sein, zu sagen, dass sich die nächsten Gesprächsrunden mit den kommunalen Landesverbänden darauf konzentrieren, einen finanziellen Korridor auch für den Ganztagsausbau der Realschulen zu ermöglichen, auch vor dem Hintergrund, dass Eltern von Schülern auf der Realschule zunehmend nach of fenen Ganztagsangeboten fragen. Auch diese Entwicklung bei den Realschulen muss man wahrnehmen. Da haben sich auch die Realschulen verändert.
Vor über zehn, 15 Jahren war die Bedarfslage natürlich eine völlig andere, Herr Minister. Sie verweisen jetzt immer wie der darauf, dass Baden-Württemberg im Ländervergleich oder gar im europäischen Vergleich angeblich Schlusslicht ist. Aber Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass sich das Eltern wahlverhalten, das Berufsleben der Eltern und der Bedarf nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf verändert haben. Die Bedarfslage hat sich verändert. Sie können doch die Be darfslage der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre über haupt nicht mit der Bedarfslage von heute vergleichen. Das ist ungerecht, Herr Minister.
Sie müssen ferner noch eines zur Kenntnis nehmen – auch das ist in Ihrem Beitrag ungerecht gewesen –: Bei diesem Punkt unterscheidet sich Baden-Württemberg von Frankreich oder den meisten anderen europäischen Ländern. Der Ministerprä sident weist jedes Mal zu Recht darauf hin, wie hoch der An teil der Ehrenamtlichen in Baden-Württemberg ist. Diese Zah len gab es früher auch; sie sind kein Verdienst dieser Regie rung. Aber der Ministerpräsident weist zu Recht darauf hin. Die Aufgabe, die die Ganztagsschulen in Frankreich seit den Siebzigerjahren, den Achtzigerjahren wahrnehmen, wurde bei uns in Baden-Württemberg vom Ehrenamt vorbildlich wahr genommen.
Meine Damen und Herren, die jungen Menschen, für die es nachmittags kein schulisches Angebot gab, hatten immer die Möglichkeit, sich in der kirchlichen Jugendarbeit einzubrin gen, in den Musikverein zu gehen, sich sportlich zu betätigen, sich im BUND zu beteiligen usw.
Das heißt, in Baden-Württemberg gab es eine Vielfalt von eh renamtlichen Angeboten, die es in anderen europäischen Län dern nicht gab. Das ist der Grund, warum es eine entsprechen de Notwendigkeit in der Vergangenheit nicht gab. Auch das, Herr Minister, gehört zur Ehrlichkeit der Analyse.
Nehmen Sie hier keine Schwarz-Weiß-Malerei vor. Sie wer den sich daran messen lassen müssen, ob dieses Konzept so angenommen wird.
Deswegen ein allerletzter Satz: Eine Umfrage – Sie haben ja mit Umfragen ein bisschen Probleme, aber vielleicht akzep tieren Sie diese Umfrage – der Zeitschrift „Eltern“ vom Ap ril 2013 ergab: 87 % der Eltern wünschen sich ein flächende ckendes, jedoch ein nicht verbindliches Angebot an Ganztags schulen. Von den 87 % bezeichnen sich 91 % der Befragten als Wähler der Grünen. Diese Umfrage, die Sie, Frau Boser, sicher kennen, ist interessant. Das heißt, das Thema Wahlfrei heit – da möchte ich dem Kollegen Dr. Kern beispringen – ist der entscheidende Messpunkt in Ihrem Konzept, und deshalb werden wir genau darauf schauen, ob sich dieses auch tatsäch lich verwirklichen lässt.
Frau Präsidentin! Wir können es uns in Baden-Württemberg nicht erlauben, Kinder zurück zulassen. Wir haben gestern hier über das Thema Wirtschaft diskutiert, wir diskutieren über das Thema Fachkräftemangel. Wir brauchen daher Angebote, die möglichst alle Kinder er reichen. Was mich an Ihrer Debatte immer wieder ärgert, ist, dass Sie sich keine Gedanken darüber machen, was Bildungs forscher und Expertenkommissionen empfehlen.
Der Bericht zur Ganztagsschule, der im vergangenen Jahr he rauskam, hat klar ausgesagt: Wir erreichen mit unserem Ganz tagsangebot nicht die richtigen Kinder und zu wenige Kinder. Wir brauchen daher rhythmisierte Angebote, die ein großes Maß dessen übernehmen, wofür in der Gesellschaft, in Eltern häusern – und da meine ich alle Elternhäuser, nicht nur die so zial schwachen; wir können über Wohlstandsverwahrlosung und über alles reden – ein großer Bedarf vorhanden ist, damit Kinder gut gefördert werden, und zwar von Anfang an.
Wenn wir den Ausbau der Ganztagsangebote oder der Klein kindbetreuung voranbringen wollen, ist die logische Konse quenz, in den Grundschulen den nächsten Schritt zu machen. Den machen wir, und da werden wir diese Angebote auch mit einem flexiblen Wahlverhalten belegen.
Aber aus der Erfahrung vor Ort – wenn man Schulen besucht, sieht man es – ist es so: Eltern wählen attraktive Angebote. Eltern wählen Angebote, an denen Vereine beteiligt sind und bei denen eine Rhythmisierung vorhanden ist, und Eltern wäh len viel weniger Betreuungsangebote wie die, die Sie von der CDU und der FDP/DVP präferieren. Das heißt, wir erreichen mit der von Ihnen präferierten Lösung viel weniger Kinder als mit gebundenen Angeboten.
Wenn man davon spricht, dass bei uns in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren Vereine Aufgaben der Schulen übernommen haben, ist das vielleicht Ihre Ansicht. Wir haben ein tolles Vereinswesen in Baden-Württemberg, aber auch die Vereine erreichen nicht alle Kinder. Es gibt genügend Kinder, die Unterstützung in den Schulen brauchen, damit sie am En
de ein gutes Bildungsergebnis erlangen können. Dafür setzen wir uns ein. Ein gutes rhythmisiertes und gebundenes Ange bot ist wichtig, um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen.
Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen: Schauen Sie sich einmal die Empfehlungen der Expertenkommission an, set zen Sie sich einmal fachlich damit auseinander, und Sie wer den sehen, dass, wenn man gute Angebote vor Ort einsetzt, die Attraktivität steigt, dass die Eltern diese Angebote auch entsprechend wählen und dass man ein Stück zur Bildungs gerechtigkeit beitragen kann. Aber, wie gesagt – ich habe das vor hin schon einmal festgestellt –: Bildungsgerechtigkeit spielt nicht in jeder Partei eine Rolle,
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Diese Geschichtsklitterung können wir Grün-Rot natürlich nicht durchgehen lassen, denn Sie tun ja gerade so, als ob die Ganztagsschule eine grün-rote Erfin dung wäre und es in diesem Bereich vorher in Baden-Würt temberg gar nichts gegeben hätte.
Jetzt darf ich Ihnen einmal eine Zahl nennen – auch wenn Ih nen das jetzt nicht gefällt –: Bis zum Regierungswechsel wa ren 25 % aller Schulen in Baden-Württemberg Ganztagsschu len. Das lassen Sie unter den Tisch fallen; dabei ist das eine ganz entscheidende und wichtige Zahl.
Ich frage mich, warum Sie das noch nicht wissen. – Die ent scheidende Frage ist doch: Offene Ganztagsschule als Ange bot oder als verpflichtende Ganztagsschule? Das ist doch die entscheidende Frage, die wir hier diskutieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wir geben doch die Antwort!)
Deshalb bleibt es dabei, und man kann das klar offenlegen: Im grün-roten Konzept steht die verpflichtende Ganztagsschu le im Mittelpunkt.