Protokoll der Sitzung vom 27.03.2014

(Staatssekretär Ingo Rust: Unsinn! – Abg. Bärbl Mie lich GRÜNE: Sagen Sie mal!)

Ihre Vorgaben führen dazu, dass viele Projekte erst gar nicht entstehen können. Statt mit dem WTPG die Möglichkeit zu

schaffen, sozusagen 1 000 Blumen blühen zu lassen, ersticken Sie schon den Keimling im Anflug.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Herr Abg. Hinderer, wenn die Redezeit abgelaufen ist, kann keine Frage mehr zu gelassen werden; das steht in der Geschäftsordnung. Die Re dezeit des Herrn Abg. Rüeck war abgelaufen.

Jetzt spricht für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Lucha.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Ministerin, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums! Lie ber Kollege Rüeck, ich bin etwas konsterniert. Sie haben das Gesetz nicht gelesen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ich habe es sehr wohl gelesen, auch in der Kürze der Zeit!)

Zumindest haben Sie die Teile nicht gelesen, die Sie kriti siert haben. Ich bin nur konsterniert. Mehr sage ich nicht. Wir haben noch ein bisschen Luft.

Natürlich ist dieses Gesetz eine große Herausforderung, weil es – das ist nichts Neues – die Quadratur des Kreises versucht, weil es Ordnungsrecht, Leistungsrecht und Freiheitsrechte zu sammenbringen muss, weil Verbraucherschutz durch klare Spielregeln gegen Missbrauch, durch Beteiligung und Trans parenz in eine Gesetzesnorm gegossen wird und weil dieses Gesetz Zuständigkeiten vorsieht, aber trotzdem nicht regu liert.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Das ist eine große Kunst. Diese Teile haben Sie in dieser De tailliertheit nicht gelesen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Überreguliert!)

Die Frage der Überregulierung – –

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Scheint euch wichtig zu sein!)

Überhaupt nicht. Es ist eine konsequente Deregulierung vor gesehen. Sie sind der Erste, der, wenn in der nächsten Woche in der Zeitung ein Bild von einem handtellergroßen Dekubi tusgeschwür zu sehen ist,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU und Abg. Josef Frey GRÜNE: Was?)

dann fragt: „Wo war die Heimaufsicht? Wer hat danach ge schaut, ob diese alte Person richtig gepflegt wurde?“ Es ist doch klar, dass dann sofort gefragt wird: „Wer war dafür zu ständig?“

Wir haben also die Aufgabe – das ist die Besonderheit bei die sem Gesetz –, für Ordnung zu sorgen, wenn Menschen keine Eigenverantwortung mehr übernehmen können. Zugleich ha

ben wir die Aufgabe, Selbstbestimmung und Teilhabe zu or ganisieren.

Darum haben wir gemeinsam in einem langen Diskussions prozess das Modell in Eichstetten als Basis genommen. Es ist die Blaupause für neue Wohnformen im Alter in der ländli chen, in der städtischen Region. Die Einrichtungen sollen bür gerschaftlich getragen sein; bis zu zwölf Personen können in einer WG leben. Es gibt keine Restriktionen, die dazu führen würden, dass die Menschen etwas nicht umsetzen könnten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Sehr gut!)

Sie haben eine Heimmindestbauverordnung geschaffen, so dass wir von den Leuten bei jeder Diskussion – wir haben seit zwei Jahren entsprechende Termine wahrgenommen – gehört haben: „Das ist inklusionsschädlich.“ Diese Investitionsför derungen können die Menschen nicht umsetzen. Darüber müs sen wir uns einmal unterhalten.

Jetzt sage ich Ihnen praktisch: Was werden wir in der Anhö rung zum WTPG tatsächlich miteinander besprechen müssen? Wir werden in der Anhörung in der nächsten Woche ganz de zidiert auf die Deutungshoheit, auf die Träger der Einrichtun gen, auf die zwischen acht und zwölf liegende Zahl von Be wohnern und auf Wirtschaftlichkeitsfragen eingehen. Wir ha ben in der Anhörung ein breites Spektrum an Fachleuten. Wir werden uns das noch einmal anschauen. Ich glaube nicht, dass wir uns da um des Kaisers Bart streiten. Ich glaube, da gibt es Kompromissmöglichkeiten.

Aber ansonsten stelle ich fest: Wir haben im Altenhilfebereich mit Eichstetten ganz klar selbst organisierte Wohngemein schaften zum Basismodell erklärt. Wir haben andere WG-For men deutlich von Ordnungsmaßnahmen befreit. Wir haben im Bereich der Behindertenhilfe und der Psychiatrie Anbieter, bei denen die Wohnleistung von der Betreuungsleistung getrennt ist. Da haben wir überhaupt keine Restriktionen. Die anderen Anbieter können Betreuungseinheiten von bis zu sechs – – Das ist ein betreutes Wohnen, das es in Baden-Württemberg in dieser Intensität bis heute kaum gibt, weil die Kommunen nach der Auflösung des LWV nicht bereit waren, dies zu ver handeln. Das sind neue, individuelle Formen, die es heute noch gar nicht gibt.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Da ist doch gar nichts teuer. Was ist denn da teuer? Das ist doch ganz klar ein unregulierter Bereich.

Jetzt sage ich Ihnen noch etwas. Was macht das Gesetz aus? Das Gesetz sagt mir, was Heimaufsicht ist. Es gibt 44 Stadt- und Landkreise. 44 verschiedene Kulturen, Herrschaftskultu ren, die bis zu einer sehr unangemessen strengen Auslegung reichen, wollen wir nicht haben. Wir wollen eine Heimauf sicht, die begleitet. Wir wollen eine Heimaufsicht, bei der die Partnerschaft zwischen Gesellschaft, Anbieter und Betroffe nen lebt. Das macht dieses Gesetz möglich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das ist doch die entscheidende Größe dieses Gesetzes. Die ses Gesetz ist ein atmendes Gesetz. Das werden wir auch in unserer Pflegeenquetekommission feststellen.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das hatte von An fang an Asthma!)

Das hat überhaupt kein Asthma. Es gibt gute Asthmasprays, und die verkörpern wir, weil wir beteiligt sind.

Es ist deswegen ein atmendes Gesetz, weil wir immer darauf achten werden, dass wir nicht das Kind mit dem Bade aus schütten, weil tatsächlich der Schutz- und der Teilhabegedan ke paritätisch sind. Je mehr bürgerschaftlich getragene Ange bote wir machen – das in Eichstetten ist unsere Blaupause –, umso mehr werden wir sehen, dass wir gar kein strenges Aus legungsprozedere mehr brauchen.

Danke.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Reusch-Frey das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf für unterstützende Wohnfor men, Teilhabe und Pflege ist innovativ, sozial und zukunftwei send.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das neue Gesetz wird unser Bundesland Baden-Württemberg bei den Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf an die Spitzenposition bringen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Die Betroffenen können dann so wohnen und leben, wie sie wollen, denn wir eröffnen eine Vielzahl von bedarfsgerechten Wohnformen für die Menschen, die für die Bewältigung ih res Alltags Hilfe benötigen.

Neu ist das sogenannte selbstverantwortete gemeinschaftliche Wohnen in zwei Varianten – wir haben es von der Ministerin gehört –, neu ist die ambulant betreute Wohngemeinschaft, neu ist die kleine Form eines Pflegeheims für maximal 15 Per sonen, wofür wir eine Erprobungsregelung schaffen.

Damit kommen all die neu entstandenen Wohnformen endlich aus der Erprobungsphase des bisherigen Gesetzes heraus und können in einem sicheren, gesetzlich geregelten Rahmen wei tergeführt werden. Hier hat lange Zeit dringender Handlungs bedarf bestanden. Grüne und SPD haben das angepackt und auf die Reihe gebracht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir haben die Erfahrungen der verschiedenen Initiativen auf gegriffen. Mit vorbildlichem bürgerschaftlichem Engagement wurden bereits innovative Modelle realisiert, sei es die Pfle gewohngruppe „Adlergarten“ in Eichstetten oder seien es Ein richtungen des Vereins „Lichtblick“ in Ostfildern. Allen ge bührt Respekt vor ihrem Mut und Dank für ihr Engagement.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir nehmen mit die sem Gesetzentwurf nicht nur die Bedürfnisse der vielen Men schen auf, die nach einem Angebot zwischen dem Wohnen zu Hause und dem Pflegeheim suchen. Wir eröffnen die Umset

zung für Einrichtungen, die wohnortnah sind. Man kann es auf den Begriff „Kranke Beine, kurze Wege“ bringen.

Mit den neuen Wohnformen stärken wir Einrichtungen mit acht, zwölf oder 15 Plätzen. Gerade für den ländlichen Raum oder für das Wohnquartier in den Städten ist das eine gute Bot schaft, eine Botschaft, die wir in diesen Räumen brauchen.

Die ländlichen Gemeinden, die nicht das Potenzial für größe re Einrichtungen haben, werden von diesem Gesetz profitie ren. Gerade die kleineren Gemeinden im ländlichen Raum können für alte, gebrechliche und pflegebedürftige Personen ein Betreuungsangebot vor Ort schaffen. Das ist eine wirklich gute Chance.

Mit dieser Vielfalt wohnortnaher Angebote stärken wir auch die bestehenden sozialen Beziehungen der unterstützungsbe dürftigen Menschen. Das ist familienfreundlich und stabili siert die so wichtigen familiären und sozialen Beziehungen, weil nicht viel Zeit auf der Straße bleibt und keine großen Di stanzen zu weiter entfernten Großeinrichtungen zurückzule gen sind.