Es ist eine Diffamierung der Lehrer und Erzieher, es ist eine Blindheit gegenüber den Bedürfnissen derjenigen Kinder, die dort besser gefördert werden können als auf einer Regelschu le, und es ist eine Missachtung des Wahlrechts der Eltern, die sich dann nicht mehr für die besonderen Fördermöglichkei ten einer Sonderschule entscheiden können. Kurz: Das ist grü ne Bevormundungspolitik auf dem Rücken der Schwächsten in unserem Land, und das ist unverantwortlich.
Es ist umso unverantwortlicher angesichts der Kosten der In klusion. Wir alle wissen, dass Inklusion teuer ist. Gelingende Inklusion, die Sie ja in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben, braucht auch entsprechende Ressourcen: Investitionen an den Schulen, Schulassistenten, vor allem aber Sonderpäd agogen mit ihren besonderen Kompetenzen. Davon gehen al le Fachleute aus, die Vertreter der Lehrerinnen und Lehrer und auch Sie, Herr Minister, und zwar zu Recht.
Mit 4 000 Deputaten haben Sie den Bedarf für die Inklusion beziffert. Doch schon fällt Ihnen der eigene Koalitionspartner in den Rücken. Im April hieß es, dieser Ansatz sei zu hoch, da müsse noch einmal nachgerechnet werden. Herr Poreski, ich danke Ihnen, dass Sie Ihre Auffassung noch einmal bestätigt haben, die Vorstellungen des Kultusministeriums seien total überzogen, 200 Stellen seien Ihres Erachtens genug. Hier schließt sich dann der Kreis. Denn der Gedanke der Grünen ist: Wenn wir die Sonderschulen schließen, können alle bis lang dort beschäftigten Lehrerinnen und Lehrer an die Regel schulen wechseln. Inklusion wird wie durch ein Wunder res sourcenneutral. Das ist die schöne grüne Welt.
Leider hat sie mit der Realität wenig zu tun. Alle wissen, dass es so nicht funktionieren wird, erstens weil für manche Kin der weiterhin die Sonderschule die bestmögliche Förderung bieten wird, zweitens weil die dezentrale Beschulung an Re gelschulen eben doch teurer ist, wenn man das jetzige Niveau
der Förderung erhalten will – das wollen wir –, und drittens weil die Förderquoten in allen Bundesländern stetig steigen. Es gehen mehr Kinder auf Regelschulen, aber die Schülerzahl an den Sonderschulen sinkt trotzdem nur wenig. Hier wird zu rechtgebogen, was nicht funktionieren kann.
Da ist es kein Zufall, dass die Grünen jetzt mit einer weiteren Idee vorgeprescht sind. Sie haben vorgeschlagen, dass die Schulämter zukünftig über den Einsatz der Schulassistenten entscheiden sollen. Schulassistenten sind Helfer, die von den Kommunen über die Eingliederungshilfe bezahlt werden. Da zu weiß man: Beim laufenden Schulversuch zur Inklusion ist der Grundsatzstreit zwischen Land und Kommunen, wer für welche Kosten aufkommen muss, weiterhin ungelöst.
Besonders strittig sind dabei die extrem steigenden Kosten für die Schulassistenten. Sind deren Aufgaben kommunale Sache oder Landessache? Oder geht es eben um sonderpädagogische Aufgaben, für die die Lehrer und damit das Land zuständig sein müssen?
Wie praktisch wäre es da, wenn zukünftig die Schulämter, al so das Land, gleich für die Kommunen mitentscheiden könn ten? Das wäre in der Tat praktisch. Weil es den Grünen jetzt dämmert, dass Inklusion teuer werden könnte, sollen nun die Kommunen die Lasten über die Eingliederungshilfe tragen.
Herr Minister, ich beneide Sie nicht. Ich beneide Sie nicht da rum, unter diesen Bedingungen Inklusion verantwortlich um setzen zu müssen.
Trotzdem kann ich Sie und die gesamte Landesregierung nicht aus Ihrer Pflicht entlassen. Sie alle sind dafür verantwortlich, die Inklusion an unseren Schulen voranzubringen, das hohe Niveau der Förderung nicht aufs Spiel zu setzen und dafür die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Dabei haben Sie un sere Unterstützung. Aber machen Sie es ehrlich. Sagen Sie, was geht und was nicht geht. Die Kinder und Eltern brauchen eine Lösung, die Schulen und die Lehrer brauchen Verläss lichkeit und Unterstützung bei Ihrer Arbeit, und die Kommu nen brauchen ein echtes Angebot, damit es mit der Inklusion endlich vorangeht. Wir warten schon zu lange. Handeln Sie endlich!
Der Herr Ministerpräsident hat auf dem Grünen-Parteitag ge sagt: „Wir, die Grünen, sind für Kinder und Kröten da.“ Herr Minister, machen Sie sich zum Anwalt der Kinder.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ernsthafte Anliegen erfordern eine seriöse Debatte.
Dafür ist Ihr Antrag, Frau Dr. Stolz, keine Grundlage. War um? Er bezieht sich auf ein Autorenpapier der Sprecherinnen und Sprecher der LAG Behindertenpolitik meiner Partei. Die ses Papier ist weder Beschlusslage der LAG noch der Frakti on noch der Partei.
Dennoch behaupten Sie in Ihrem Antrag durchgehend, es sei ein Papier der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Das ist unseri ös, und Sie wissen es natürlich besser.
Ihre ganze Rede folgte einem Muster: Sie malen den Teufel an die Wand, um ihn anschließend genüsslich auszutreiben. Das hat mit Aufklärung nichts zu tun.
Falls Sie meinen Beiträgen in der Vergangenheit zugehört ha ben, dann kennen Sie auch unsere differenzierte Position. Die se hat nichts mit der Karikatur zu tun, die Sie hier präsentiert haben. Unsere Position haben wir in der vergangenen Woche in der Fraktion ausführlich besprochen und beschlossen. Das können Sie nachlesen. Auf dieser Grundlage können wir hier im Haus gern diskutieren.
Ich gebe zu: Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion ist eine echte Herausforderung. Denn eines wissen wir im Grunde alle: Am schwierigsten in einer emoti onal aufgeladenen Debatte ist es immer, sich in den jeweils anderen hineinzuversetzen und seine Motive zu akzeptieren, ohne deswegen zwingend seine Schlussfolgerung zu teilen.
Lassen Sie mich das an einigen Eckpunkten verdeutlichen. Sonderschulen für Kinder und Jugendliche mit Behinderun gen sind keine Inklusion, sie bezwecken allerdings Integrati on. Das ist in Anbetracht unserer Geschichte eine enorme Leistung. Das Sonderschulsystem in Deutschland hat das his torische Verdienst, das Recht auf Bildung für viele Menschen verwirklicht zu haben, die vorher als nicht bildungsfähig gal ten. Es ist für viele Eltern eine Errungenschaft, die sie zu Recht wertschätzen. Die Sonderschulen wie auch die vielen engagierten Sonderpädagogen im Land haben jede Anerken nung verdient.
Es gehört aber auch dazu, dass das Sonderschulsystem viele junge Menschen ausgegrenzt hat. Die Sprecherinnen und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen sind alle schwerbehindert. Kei ner von ihnen hat eine Sonderschule besucht. Zumindest von einem LAG-Sprecher weiß ich aber, dass er nur mit massiver Hilfe seiner Eltern den Zwang zum Besuch einer Sonderschu
le abwehren konnte, die ihm nicht einmal den Hauptschulab schluss ermöglicht hätte. Er hat das Abitur gemacht, hat stu diert und ist erfolgreich im Beruf. Dies darf aber eines nicht verdecken: Menschen mit Behinderungen tragen durch Aus grenzungserfahrungen oft Verletzungen mit sich herum, die wir als Außenstehende nur wahrnehmen, wenn wir uns für sie und ihre Geschichte interessieren.
Wirklich weiter kommen wir deshalb nur, wenn wir beiden Seiten den Respekt zollen, der ihnen zusteht, wenn wir uns bemühen, die jeweils andere Position und die dahinterliegen den Verletzlichkeiten nachzuvollziehen. Dies bedeutet nicht – wie bereits gesagt –, dass wir deshalb immer auch ihre Schlussfolgerungen übernehmen müssen. Das Sonderschul system ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. Es ist aber nicht das Ende der Geschichte, sondern eine wichtige Zwischen etappe auf dem Weg zur Inklusion.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte, die offizielle Mo nitoringstelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon vention, hat im Jahr 2011 Eckpunkte für ein inklusives Bil dungssystem in der Primarstufe und in den Sekundarstufen I und II vorgestellt. Die Kultusministerkonferenz hat dazu noch 2011 einen Beschluss gefasst; es waren auch ein paar schwar ze Kultusminister dabei.
So steht es inhaltlich übrigens auch in unserem Landtagswahl programm von 2011 und in unserem Koalitionsvertrag.
Die Transformation des Sonderschulsystems wird schrittwei se über ein verbindliches Wunsch- und Wahlrecht der Eltern führen. Das geht in beide Richtungen. Sie wissen, dass das auch meine und unsere Position ist. Auch die Sonderschulen werden sich dabei nach der Empfehlung der Kultusminister konferenz – da sind also auch wieder Ihre Leute mit dabei – inklusiv öffnen und somit zu besonderen Regelschulen wer den können, selbstverständlich mit der erforderlichen Assis tenz, mit den sonderpädagogischen Spezialangeboten. Für die se Ressourcen setzen wir uns ein, übrigens ausdrücklich auch die Sprecherinnen und Sprecher der LAG Behindertenpolitik.
Wenn Inklusion so umgesetzt wird, wie wir uns das vorstel len, wird die inklusive Regelschule schon in zehn bis 15 Jah ren die prägende Normalität sein. Viele der hoch qualifizier ten Sonderpädagogen sind heute schon in der Lage, inklusiv zu arbeiten. Immer mehr tun es ja auch. Wir brauchen sie im Regelschulsystem. Wir brauchen die Ressourcen. Wir brau chen ihre Weiterqualifizierung für die Inklusion. Aber wir brauchen sicher nicht den platten Schlagabtausch in einer Schwarz-Weiß-Logik,
sondern eine verständnisvolle Debatte aller, denen das Wohl von Kindern mit Behinderungen am Herzen liegt. Darum geht es uns.
Stolz, Entschuldigung –, über gute Konzepte zur Inklusion lässt sich trefflich streiten. Voraussetzung ist allerdings, dass man welche hat. Genau hier kranken auch die Attacken der CDU.