Protokoll der Sitzung vom 11.05.2016

Dennoch hat sich im ganzen Südwesten, möglich durch die Machtbegrenzung der einzelnen kleinen Herrschaften, ein Du alismus von Herrschaft und Landschaft, von Feudalismus und Kommunalismus herausgebildet – sichtbar auch in der ausge prägten kommunalen Selbstverwaltung im Südwesten. Gera de der Tübinger Vertrag kann als Beginn des Parlamentaris mus in Württemberg angesehen werden, denn ohne die Zu stimmung der Landschaft konnte der Herzog keine öffentli chen Aufgaben tätigen.

Es wurden grundlegende Freiheitsrechte gewährt, als da sind: Steuerbewilligungsrecht, Mitsprache über Krieg und Frieden, Freizügigkeit und Anspruch auf ordentliche Gerichtsverfah ren. Insbesondere Letzteres hatte ein großes Gewicht für die ganze Bevölkerung und konnte so die nächsten drei Jahrhun derte überdauern, galt doch der Tübinger Vertrag als wichtigs tes Staatsgrundgesetz des Landes.

Erst die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deut scher Nation durch Napoleon, durch dessen Siege in Europa, setzte eine Neuordnung der Staaten im Südwesten in Szene. Bei dieser „Flurbereinigung“ kam es 1806 zur Neugründung des Großherzogtums Baden und zur Arrondierung des nun Königreich gewordenen Württembergs durch vielfache Ein gliederung von kleinen Herrschaftsgebieten. Übrig blieben hier nur die beiden Fürstentümer Hohenzollern-Sigmaringen und Hohenzollern-Hechingen, die aber ihre Selbstständigkeit in der Revolution von 1848 an das Stammhaus in Preußen ab gegeben haben.

Um den Faden weiterzuspinnen, müssen die Bemühungen in den neu strukturierten Ländern Baden und Württemberg um die durch Verfassungen gestärkte parlamentarische Arbeit auf gezeigt werden. Baden bekam, allerdings noch von Großher zogs Gnaden, die freiheitlichste Verfassung in ihrer Zeit. Da mit begann die parlamentarische Entwicklung in Baden, die über die Landesgrenzen hinaus Aufmerksamkeit fand.

Allerdings konnte das den Kulturkampf zwischen dem libe ralen Staat und der auf ihre Rechte pochenden, restaurativ ein gestellten katholischen Kirche nicht verhindern, was auch die hitzigen Parlamentsreden, z. B. über den Examensstreit, be zeugen. Hiervon hat der Pfarrer und Dichter Heinrich Hans jakob aus dem Kinzigtal, durchaus kein Kirchenknecht, als Abgeordneter des Landtags ein beredtes Zeugnis abgelegt.

Und von Baden ging, angeregt durch die Februarrevolution in Frankreich sowie durch die Enttäuschung über das zerredete und zerstrittene Frankfurter Parlament, die 48er-Revolution aus, mit der Forderung nach Pressefreiheit, Gewissens- und Lehrfreiheit, Schwurgerichten, Volksbewaffnung und Aus gleich des Missverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. Verbunden mit den Namen Hecker und Struve war diese Re volution im Kleinen durchaus erfolgreich, im Ganzen blieb sie aber durch die Eingriffe fremder Militärmacht erfolglos. Aber sie setzte demokratische Standards und Bürgertugenden, die bis in unsere Zeit wirksam sind. Allerdings ließen sich auch in der Folge weitere Spannungen nicht verhindern, be dingt durch die Stadt-Land-Gegensätze, das Zensurwahlrecht und die konfessionellen Differenzen.

Württemberg erlebte weder einen Kulturkampf noch eine Re volution. König Friedrich hatte auf das Gottesgnadentum ver zichtet und in einem ersten Schritt eine Verfassung vorgetra gen, die aber vom Parlament 1815 abgelehnt wurde. Die Aus einandersetzung darum hatte Aufsehen erregt, weil Friedrich mit einer modernen Verfassung und einem Einkammerparla ment die Gleichheit unter den Bürgern erreichen wollte. Da durch wies sie vergleichsweise starke liberale und demokra tische Strömungen auf, rief aber starken Widerstand unter den Ständen hervor.

Erst 1819 unter dem Sohn des ersten Königs kam es zur Ver abschiedung – allerdings unter Bildung von zwei Kammern, also Beibehalt der Ständerechte. Es hatten sich schon in vor napoleonischer Zeit ein bürgerliches Selbstbewusstsein und eine Partizipation am politischen Alltag herausgebildet, die zusammen mit der von der Verfassung gestärkten parlamen tarischen Arbeit einen relativ friedlichen Gang durch die Ge schichte zuließen.

Zwar hatte nach 1848 auch der Gedanke an eine Umbildung der Monarchie zur Republik Gefallen gefunden, aber es gab bis zum Ende des Ersten Weltkriegs keine andere Vorstellung als den König an der Spitze des Staates.

Auf den Hut kommt es nicht an. Dass gut und volkstüm lich regiert wird, ist die Hauptsache.

So äußerten sich Vertreter der Demokratischen Volkspartei.

Ich mache einen Sprung über die Reichsgründung, das Ende der Monarchie, die in Württemberg sogar noch 1918 den Übergang zur parlamentarisch gewählten Regierung ermög lichte, und über die beiden Weltkriege hinweg in die Mitte des letzten Jahrhunderts.

Die Nachkriegszeit war konfrontiert mit drei Staatsgebilden, die von den Alliierten so bestimmt wurden: Südbaden, Würt temberg-Hohenzollern und Württemberg-Baden. In Württem berg-Baden – einem Zusammenschluss gegen den Willen der Bevölkerung – kam am 30. Juni 1946 die Verfassunggebende Landesversammlung zusammen.

In der Südbadener Verfassung von 1947 bekamen die Partei en erstmals Verfassungsrang, und 1947 wurde auch in Würt temberg-Hohenzollern die Verfassung verabschiedet.

Trotz der Nachwirkungen des Krieges und der ungewohnten Länderaufteilung waren diese drei Länder durchaus politisch und ökonomisch funktionstüchtig. Schon bald aber wurde ein Gedanke aus den Zwanzigerjahren – damals schon gefördert von Theodor Heuss – wieder aufgegriffen, nämlich die Verei nigung dieser Länder in einem Südweststaat.

Konnte dies trotz der langen unterschiedlichen Geschichte, trotz aller Länderherrlichkeit und trotz kulturellem und poli tischem Eigensinn wirklich gelingen? Wenn wir den Bogen schlagen von dem liberalen und schon früh modernisierten und industrialisierten Nordbaden nach Südbaden mit starker katholischer und ländlicher Tradition, hin zum alemannischen Oberschwaben, das lange in Vorderösterreichisch-Habsburger Hand war, zu Hohenzollern, das durch Familienbande – ob wohl hier überwiegend katholisch stark – zum protestanti schen Preußen orientiert war, schließlich nach Altwürttem berg mit seinem zwar pietistischen, aber auch offen bürgerli

(Alterspräsident Dr. Heinrich Kuhn)

chen Einschlag mit dem fränkischen Einfluss in der nördli chen Weinregion, dann kommen sehr unterschiedliche Struk turen und Mentalitäten zum Vorschein.

Das zeigte sich in gewissem Sinn auch in den Auseinander setzungen bis zur Abstimmung im Dezember 1951. Dennoch votierte dann bei der Volksabstimmung eine große Mehrheit für die Vereinigung. Am 9. März 1952 konnte die Verfassung gebende Versammlung des neuen Landes zusammentreten, die dann nach einem Regierungswechsel am 11. November 1953 unter Mitwirkung aller vier demokratischen Parteien die Verfassung Baden-Württembergs verabschiedete. Auch der Widerstand der Altbadener endete bei einer speziellen Volks abstimmung im Juni 1970 in einem eindrucksvollen Bekennt nis zu Baden-Württemberg.

Zur Erinnerung sei gesagt: Die Verfassung von 1819 war von Königs Gnaden. Jetzt hat der Volkssouverän die Grundlagen für die Arbeit von Parlament und Regierung geschaffen. Da bei konnte sich auch durch die nachfolgenden Verfassungsän derungen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive herausbilden, das die Entscheidungs- und Kon trollrechte des Parlaments stärkte. In den neuen Grenzen – po litische Kultur braucht angebbare Grenzen räumlicher, zeitli cher und sozialer Natur – hatte sich ein Zusammengehörig keitsgefühl gebildet, das über regionale Eigenheiten, Religi on und Standesunterschiede hinaus zu einem Wirgefühl in Ba den-Württemberg geführt hat. Dies möchte ich mit einem Zi tat aus der Rede des Alterspräsidenten von 2001, Herrn Kurz, untermauern:

Die Bürgerinnen und Bürger suchen Heimat innerhalb ei nes staatlichen Gebildes, das noch transparent genug ist und durch Kultur, Tradition, landesgeschichtliche Bedeut samkeiten und Landschaft eine sinnstiftende Identifikati on vermittelt, die Gemeinschaft erlebbar macht und De mokratie nachvollziehbar erscheinen lässt.

Als 1940 Geborener habe ich noch die Sirenen im Ohr und die Bilder von Zerstörung vor Augen. Aber im Gemüt lebt die Erinnerung an den Aufschwung. Darin ist auch die Diskussi on über die Neubildung des Südweststaats eingeschlossen. Als zwar noch junge Schüler waren wir durchaus daran beteiligt und waren hocherfreut über deren erfolgreichen Ausgang.

Diese Bemühungen sind für mich verbunden mit den Namen Theodor Heuss, Carlo Schmid, Reinhold Maier, Gebhard Mül ler und Leo Wohleb, um nur die wichtigsten frühen Repräsen tanten zu nennen. Ihr denkerisches und handelndes Vorbild hat uns den Weg gewiesen in ein neues Bewusstsein von Staat lichkeit, von Demokratie, vom Ringen um Gemeinsamkeit zum Wohle des Ganzen.

In diesem Sinn wünsche ich dem neuen Landtag in der 16. Le gislaturperiode ein gutes Gelingen. Gott segne unser Tun und Lassen.

(Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Nach § 3 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Landtags wer den die Geschäfte, solange der Landtag nichts anderes be schließt, nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des vorangegangenen Landtags geführt. Die Fraktionen haben

sich darauf geeinigt, dass der 16. Landtag die Bestimmungen der Geschäftsordnung des 15. Landtags vorläufig weiter an wendet. Ein Exemplar dieser Geschäftsordnung mit Anlage 1 – Offenlegungsregeln –, Anlage 2 – Richtlinien für die Frage stunde – und Anlage 3 – Richtlinien für die Regierungsbefra gung – sowie weiteren wichtigen Regelungen liegt auf Ihren Tischen.

Die Fraktionen sind weiter übereingekommen, die Geschäfts ordnung noch in einigen Punkten – bezüglich der Zahl der Präsidiumsmitglieder, der Schriftführerinnen und Schriftfüh rer sowie der Zahl der Mitglieder des Notparlaments und der Redezeit bei den Aktuellen Debatten – zu modifizieren. Der interfraktionell abgestimmte Vorschlag zu diesen Modifizie rungen liegt Ihnen vor (Anlage 1).

Wer der vorläufigen Übernahme der modifizierten Geschäfts ordnung zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenprobe! – Enthaltungen? – Eine Enthaltung. Da mit haben Sie der vorläufigen Übernahme der modifizierten Geschäftsordnung zugestimmt. Ich bedanke mich.

Gemäß § 3 Absatz 4 der Geschäftsordnung muss zunächst die Beschlussfähigkeit des Landtags festgestellt werden. Ich bit te Frau Abg. Häffner, den Namensaufruf vom Rednerpult aus vorzunehmen.

Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie sich bei Aufruf Ihres Namens kurz und antworten mit „Hier“ oder „Ja“.

Frau Abg. Häffner, bitte führen Sie den Namensaufruf durch und beginnen mit dem Buchstaben A.

(Namensaufruf)

Meine Damen und Herren, der Namensaufruf hat ergeben, dass 143 Abgeordnete anwesend sind. Der Landtag ist also beschlussfähig – und vollständig.

Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Wahl der Präsidentin/des Präsidenten

Als Wahlkommission für die Wahl der Präsidentin/des Präsi denten und der stellvertretenden Präsidentin/des stellvertre tenden Präsidenten berufe ich nach § 4 Absatz 3 der Ge schäftsordnung des Landtags die Damen und Herren Abg. Dr. Friedrich Bullinger, Sabine Kurtz, Andrea Lindlohr, Georg Nelius, Stefan Räpple, Dr. Patrick Rapp und Alexander Schoch.

Sie sind als Wahlkommission für den Ablauf der anschließen den Wahl zuständig. Soweit ich gehört habe, sind Sie in Ihre Ämter eingeführt. Das heißt, ich brauche jetzt nichts Zusätz liches zu sagen.

Ich bitte nun um Vorschläge für die Wahl der Präsidentin/des Präsidenten.

Das Wort erhält Herr Fraktionsvorsitzender Schwarz.

Herr Präsident! Namens der Landtagsfraktion GRÜNE schlage ich die Kollegin Muh terem Aras für das Amt der Landtagspräsidentin vor.

Sie haben den Vor schlag gehört. Werden weitere Vorschläge für das Amt der Prä sidentin/des Präsidenten gemacht? – Dies ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, nach § 4 Absatz 2 der Geschäfts ordnung wird die Präsidentin in geheimer Wahl gewählt. Um dieser Vorschrift nachzukommen, darf ich Sie bitten, die bei den Telefonzellen auf der rechten und linken Seite des Plenar saals als Wahlkabinen zu benutzen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ein Mitglied der Wahlkommission – ich schlage hierfür Frau Abg. Lindlohr vor – nimmt vom Rednerpult aus den Namens aufruf vor, der in § 97 a der Geschäftsordnung vorgeschrie ben ist. Die aufgerufenen Abgeordneten bitte ich, sich zur rechten oder linken Seite des Plenarsaals zu begeben, wo Mit glieder der Wahlkommission die Stimmzettel und Wahlum schläge ausgeben, damit in den jeweils zwei dort vorhande nen Telefonzellen gewählt werden kann.

Bitte beachten Sie dabei Folgendes: Es gilt von der Mitte aus bzw. von meiner Seite aus betrachtet folgende Aufteilung: Die aufgerufenen Abgeordneten der Fraktionen der FDP/DVP, der CDU und der AfD begeben sich auf die von mir aus gesehen rechte Seite. Die Abgeordneten der Grünen und der SPD ge hen zur von mir aus gesehen linken Seite.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Auf beiden Seiten wird in einer Liste von zwei Mitgliedern der Wahlkommission jeweils festgehalten, wer den Stimmzet tel und den Wahlumschlag entgegengenommen hat.

Füllen Sie bitte den Stimmzettel in einer der Wahlkabinen aus, indem Sie bei dem Wahlvorschlag Ihre Stimmabgabe – also „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ – vermerken. Da Sie an den Wahlvorschlag der Fraktion GRÜNE nicht gebunden sind, können Sie in der untersten Zeile auch einen eigenen Wahl vorschlag eintragen; fügen Sie dann aber bitte kein Kreuz mehr hinzu.

(Unruhe – Zurufe: Pst!)