Mut zur Wahrheit: Woran liegt es? Mangelnde Aufmerksam keit und Disziplinlosigkeit sind keine guten Bausteine für ei ne Berufsausbildung. Also müssen diese gelernt werden. In den Schulen muss mehr Aufmerksamkeit und Disziplin herr schen. Wir brauchen dazu neue pädagogische Konzepte. Ein einfaches „Weiter so!“ ist nicht möglich.
Es ist ein glücklicher Umstand, dass sich heute zwei Debat ten diesem Thema und damit einem Phänomen von verschie denen Seiten nähern.
Wir müssen uns über pädagogische Konzepte unterhalten und nicht über ein Verlängern des bisherigen Weges. Wir müssen den jungen Menschen in den Werkrealschulen Erfolgserleb nisse verschaffen können. Ich habe vorhin bereits den Projekt- und den Werkunterricht erwähnt – Werkunterricht, der für die Schüler interessant sein kann, in dem sinnvolle Projekte ent stehen wie z. B. Modelle, Modellflugzeuge, die dort gebaut werden können. Das motiviert schulmüde Schüler; die Schü ler wollen dann mehr über Fahrzeuge, Flugzeuge oder Ähn liches erfahren.
Der Kern des Anliegens der FDP/DVP, der Kern des Gesetz entwurfs, den Fortbestand einer Schule nicht von der Anzahl der Schüler in der Eingangsklasse abhängig zu machen, son dern von der durchschnittlichen Schülerzahl aller Klassen, ist grundsätzlich nicht falsch, ist grundsätzlich zu unterstützen. Aber das ist eine Hilfskonstruktion. Das Phänomen, dass Kin der von ihren Eltern an anderen Schulen – auch das wurde schon kurz angesprochen – angemeldet werden, um dann in vielen Fällen innerhalb der ersten zwei Jahre an dieser Schu le, beispielsweise am Gymnasium, wieder in die Haupt- und Werkrealschule zurückzukehren, ist doch der beste Beweis dafür, dass diese Schulart eigentlich besser ist als ihr Ruf.
Wir sollten hier positiv anknüpfen und diese Schulart weiter entwickeln, damit sie die Aufgabe erfüllen kann, die sie ein mal gehabt hat – als Haupt-Schule, als eigentliche Schule, die gut auf das Leben vorbereitet und weiten Teilen der Bevölke rung das gibt, was sie für ihren weiteren Lebensweg brauchen.
Unser Schulsystem ist vollkommen durchlässig mit den dua len Ausbildungssystemen und einem international anerkann ten Berufsschulwesen. Dies öffnet auch den Weg für ein Stu dium an Hochschulen für angewandte Wissenschaften oder an der Dualen Hochschule. Wenn wir dieses schlüssige Kon zept auch den ehrgeizigen Eltern wieder nahebringen, dann werden wir die Zukunft dieses Schulsystems sicherstellen – egal, unter welchem Namen. Insofern greift die Initiative der FDP/DVP deutlich zu kurz, da sie sich dem Kern des Prob lems nicht wirklich widmet.
Vielen herzlichen Dank. – Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Die SPD lehnt den vorliegenden Gesetzesvorschlag ab.
Er ist rückwärtsgewandt; er geht auf die Zeit vor 2011 zurück, obwohl man, Kollege Kern, genau weiß, dass es damals schon massive Probleme gab, was das Elternwahlverhalten angeht, dass damals schon die Hauptschulen unter Druck waren und dass zahlreiche Verbesserungsversuche Anfang der Zweitau senderjahre schlichtweg nicht gegriffen haben.
Ich kann aus meiner eigenen kommunalen Erfahrung erzäh len, dass wir in Mannheim 2009 die Hälfte aller Haupt- und Werkrealschulen in Mannheim haben schließen müssen, weil wir, die Kommunen, damals noch eine Infrastruktur für 6 000 Schülerinnen und Schüler vorgehalten hatten, es aber nur noch 3 300 gab. Das ist bis heute nicht anders geworden. Das El ternwahlverhalten zeigt, dass die Hauptschule hier nicht mehr das ausreichende Vertrauen hat.
Aber Ihr Vorschlag ist vor allem schädlich mit Blick auf die Steuerung, da hierdurch viele Schulstandorte aufrechterhal ten würden, die keine Perspektive haben. Damit würde eine große Planungsunsicherheit für die Kommunen entstehen, und es gäbe ein großes Risiko für Investitionsfehlsteuerungen.
Der Gesetzentwurf ist dazu noch schlichtweg verantwortungs los, weil sich der Mangel bei der Unterrichtsversorgung wei ter zuspitzen würde. – Nein, wenn man im Sekundarbereich mit dem Problem des Lehrkräftemangels zu tun hat, muss man starke Standorte bilden.
Die grün-rote Landesregierung hatte dagegen den Hauptschu len erstmals eine wirkliche Perspektive geboten und ihnen u. a. auch die Entwicklung zur Gemeinschaftsschule eröffnet. Dies haben viele Schulen genutzt, und die Gemeinschafts schulen haben sich mittlerweile zu bundesweit anerkannten Innovationszentren entwickelt, was die zahlreichen Schulprei se belegen. Schülerinnen und Schüler – gerade auch diejeni gen, die auf dem G-Niveau starten – werden individuell ge fördert und können sich kontinuierlich Stück für Stück nach oben arbeiten, anstatt früh aussortiert zu werden. Es sollte um genau diese positiven Entwicklungskurven gehen.
Auch die Realschulen können seit unserer Regierungszeit den Hauptschulabschluss anbieten, verbunden mit der Flexibili tät, sich bei guten Leistungen ebenfalls bis zur Mittleren Rei fe hocharbeiten zu können. Die GEW beurteilt dies als – Zi tat – „pädagogisch vorteilhaft und bildungsökonomisch effi zient“.
Wir haben den bestehenden Hauptschulen ebenfalls eine Per spektive zugesagt, solange diese in ausreichender Zahl Schü lerinnen und Schüler für sich gewinnen können. Eine Haupt schule, die aus eigener Kraft heraus Eltern überzeugt, kann weiter bestehen; dies lässt die aktuelle Regelung zu.
Übrigens wird auch das Thema „Wechsler auf die Hauptschu le“ diese Schulart nicht retten können. Die GEW hat im Sep
tember dieses Jahres ausgeführt, dass diese Anzahl gerade ein mal 1,34 % aller Schülerinnen und Schüler an den heutigen Hauptschulen ausmacht – Bezug auf das Schuljahr 2016/2017.
Kollegin Bogner-Unden hat es ausgeführt: Die Regelungen, die jetzt bestehen, lassen Ausnahmen zu, sofern ein entspre chender Bildungsabschluss nicht in zumutbarer Entfernung erreicht wird.
Nein, wir brauchen keine weiteren wachsweichen Formulie rungen, die positive Perspektiven vorgaukeln. Damit tun Sie weder den Schülerinnen und Schülern noch den Schulträgern noch den Lehrkräften einen Gefallen.
Betrachtet man die aktuelle Regelung und die möglichen Aus nahmen, und gleicht man diese mit dem FDP/DVP-Gesetz entwurf ab, wird klar, worum es der FDP/DVP und leider auch der CDU wirklich geht: pädagogisch nichts anderes als eine Bankrotterklärung.
Im Schulgesetz soll abgebildet werden, dass eine Schule nur für einen Zweck vorgehalten werden soll: die Abschulungs fälle anderer Schulen aufzunehmen.
Daraus wird kein Hehl gemacht; denn der Zulauf ist erst in höheren Klassen zu verzeichnen. Eltern und Kinder entschei den sich eben nicht bewusst für die Hauptschule, sondern be kommen diese als letzte Option, oftmals dann, wenn es wo anders leider nicht klappt. Sie, die FDP/DVP und die CDU, wollen nun die strukturellen Voraussetzungen schaffen, damit Kinder abgeschult werden können.
Die Demütigung oder der pädagogische Misserfolg dahinter ist Ihnen offensichtlich gleichgültig. Sie wollen dabei die Hauptschulen zu reinen Abschulungsaufnahmestätten degra dieren – eine Katastrophe.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Glauben Sie das eigentlich, was Sie da verzapfen? – Gegenruf des Abg. Thomas Blenke CDU: Ich glaube, er glaubt es wirklich! – Gegenruf des Abg. Sascha Binder SPD: Die Zahlen sprechen für sich!)
Der jetzige Absatz ist mir noch wichtig. – Ein falsches Signal ist dies auch mit Blick auf die Aufgabe der Hauptschulen. Las sen Sie uns lieber daran arbeiten, Schülerinnen und Schülern auf ihrer Schule eine Perspektive zu geben.
Realschulen mit Blick auf die größere Unterstützung im Um gang mit Heterogenität, eine echte Orientierungsstufe ohne Demütigung, ohne G-Klassen, Gemeinschaftsschulen mit ei ner besseren Ausstattung für Inklusion und Integration und Zeit für Coaching, Gymnasien mit mehr individueller Förde rung in allen Klassenstufen, Zeit für Entwicklung, eine echte Profilbildung in der Oberstufe – das wäre zukunftweisend. Ihr Ansatz dagegen führt zu Abschulung und Demütigung und ist mit der SPD nicht zu machen.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Andrea Schwarz GRÜNE – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: „Demü tigung“!)
Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes ist es mir wich tig, damit zu beginnen, was die Stärke der Haupt- und Werk realschulen ausmacht. Bei all den Debatten, die wir über die Schulart führen, muss uns das – was auch einen Eindruck über die Schulart vermittelt – schon auch wichtig sein. Die Haupt- und Werkrealschulen haben ihre Stärke, haben ihr Profil und geben Schülerinnen und Schülern ein wichtiges Umfeld, in dem sie entsprechend ihres Leistungsstands gefördert werden können.
Das gilt zum einen für die Stärkung der Basiskompetenzen der Schülerinnen und Schüler, aber zum anderen eben auch für die Vorbereitung auf einen Hauptschulabschluss oder ei nen Werkrealabschluss, mit dem die Schülerinnen und Schü ler ein weiteres Bildungsangebot wahrnehmen können oder einen sehr guten Übergang in einen Ausbildungsberuf erfah ren. Deshalb ist es überall dort, wo die Haupt- und Werkreal schulen anerkannte Arbeit leisten, wo sie mit den Schülerzah len überhaupt keine Probleme haben, so, dass die berufliche Orientierung sehr anerkannt wird, dass es meist eine Zusam menarbeit mit der regionalen Wirtschaft, gerade auch mit dem Handwerk, gibt und dies zur Profilierung der Schulart beiträgt. Das haben wir in dieser Legislaturperiode weiter gestärkt.
Ende letzten Jahres ist der Leitfaden „Berufliche Orientierung an der Haupt- und Werkrealschule“ vorgestellt worden. Er wird ständig um Praxisbeispiele, um Best-Practice-Beispiele erweitert, um es anderen Schulen zu ermöglichen, davon zu profitieren. Auch in regionalen Veranstaltungen findet dieser Erfahrungsaustausch statt.
Darüber hinaus wird das Projekt „Kooperation Berufsorien tierung – Praxistage“ erprobt. Wir knüpfen an die Werkstatt tage an, in denen Berufe durch die Arbeit in den Werkstätten der beruflichen Schulen kennengelernt werden können und ganz praktisch im Schulalltag ausprobiert werden kann, was diese Berufe ausmacht. Die Rückmeldungen der Gespräche bei den Werkstatttagen waren sehr ermutigend. Deshalb ge hen wir mit der „Kooperation Berufsorientierung – Praxista ge“ einen Schritt weiter.
Es ist so, dass das pädagogische Angebot der Haupt- und Werk realschulen insbesondere für die Schülerinnen und Schüler förderlich ist, die eine praktische Begabung haben und die mit lebensnahen Aufgaben besser zurechtkommen. Deshalb wer den die Haupt- und Werkrealschulen mit ihrer Verankerung
im Schulgesetz auch weiterhin dafür gebraucht, gerade diese Schülerinnen und Schüler weiter zu fördern.
Da ist es ein positiver Aspekt, dass sich die Übergangszahlen auf die Haupt- und Werkrealschulen stabilisieren. Dies ge schieht zwar auf niedrigem Niveau, aber es ist eben kein Fakt, dass den Haupt- und Werkrealschulen weiterhin der Rücken gekehrt würde. Zum Schuljahr 2016/2017 betrug der Anteil der Übergänge auf die Hauptschulen und Werkrealschulen 5,9 %, 2017/2018 betrug der Anteil 5,7 %, und 2018/2019 ver zeichnen wir zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren wie der einen Zuwachs, wenn auch auf niedrigem Niveau, und zwar wieder auf 5,9 %, wie zwei Jahre zuvor. Das zeigt, dass die Arbeit dieser Schulen dort, wo die Standorte aufrechter halten sind, Anerkennung findet.
Natürlich spiegelt sich diese niedrigere Übergangszahl gegen über den zehn, 15 Jahren vorher auch in der Zahl der Stand orte wider. In Ihrem Gesetzentwurf, Herr Dr. Kern, wird die Zahl von 458 Hauptschulen genannt. Ich will eine Zahl hier in der Debatte erwähnen, die noch deutlicher macht, wie es um die Standortsituation steht, nämlich die Zahl der Standor te von Haupt- und Werkrealschulen mit fünften Klassen.
Vor 15 Jahren hatten wir 1 200 Hauptschulen und Werkreal schulen im Land Baden-Württemberg. Von der Schülerzahl und von dem Profil der Schulen her wurde es allenthalben so gesehen, dass dort eine Standortbereinigung hat erfolgen müs sen. Diese ist mit dem Werkrealschulprogramm vor zehn Jah ren auch vorgenommen worden. In dieser Entwicklung stan den im Schuljahr 2011/2012 noch 829 Haupt- und Werkreal schulen mit fünften Klassen zur Verfügung. 2014/2015 waren es noch 444 Haupt- und Werkrealschulen mit fünften Klas sen. Zum Schuljahr 2018/2019 – das ist die aktuellste Zahl; die statistische Auswertung für das laufende Schuljahr wird erst noch erfolgen – waren es noch 235 Standorte mit fünften Klassen.
Das ist eine Veränderung, die zum einen durch das Werkreal schulkonzept bewusst angegangen worden ist, dann aber auf Entwicklungen zurückzuführen ist, die der Wegfall der Ver bindlichkeit der Grundschulempfehlung und weitere schulpo litische Maßnahmen, die getroffen worden sind, nach sich ge zogen haben.
Die Schulen, die noch da sind, haben entsprechende Über gangszahlen auf die fünften Klassen. Aber es ist eben auch so, dass Schülerinnen und Schüler in den weiteren Schulklassen in die Hauptschulen wechseln. Ich finde nicht, dass es zu ver nachlässigen ist, wenn in den weiteren Schulklassen bis zur Klasse 9 in so großem Umfang Schülerinnen und Schüler in die Haupt- und Werkrealschulen wechseln. Das ist weder für die Lehrerinnen und Lehrer, die sie mit einem anderen schu lischen Angebot beschulen, noch für die Eltern noch für die Schülerinnen und Schüler eine leicht zu treffende Entschei dung. Da steckt ja auch viel hinter diesen Zahlen.
Während bei dem Jahrgang, der im Schuljahr 2011/2012 in die fünfte Klasse gekommen ist, bis zur Klassenstufe 9 nur 6,2 % der Schülerinnen und Schüler noch dazugekommen sind, sind bei dem Jahrgang, der im Schuljahr 2012/2013 in die fünfte Klasse gekommen ist, bis zur Klassenstufe 9 34,4 % der Schülerinnen und Schüler dazugekommen. Bei dem Jahr gang, der 2013/2014 in die fünfte Klasse gekommen ist, wa