Protokoll der Sitzung vom 06.11.2019

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Martin Rivoir SPD)

Im Sommer dieses Jahres trafen sich auf Einladung von Mi nisterpräsident Winfried Kretschmann einige Initiativen jun ger Menschen, auch aus dem Umfeld der „Fridays for Future“Bewegung, im Garten der Villa Reitzenstein,

(Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)

um darüber zu diskutieren, was sie bewegt, welche Wünsche sie haben, wie sie leben wollen, wofür sie kämpfen.

Das gemeinsame Programm begann mit einem Format, bei dem die jungen Gäste spontan eine Art Parlamentsantrag for mulierten, der zentral wichtige Anliegen und Forderungen in wenigen Minuten auf den Punkt bringen sollte. Das Publikum stimmte dann ab, ob es für oder gegen diesen Antrag war.

Der erste Antrag, der aus den Reihen der jungen Erwachse nen gestellt wurde, war wider Erwarten kein Antrag zum Kli maschutz; es war auch kein Antrag zum Verkehr und kein An trag zur Bildung. Es war ein Antrag zur Kultur. Die großen Kultureinrichtungen, so forderte eine junge Frau, insbesonde re die Theater- und Opernhäuser, sollten von der Politik noch weiter gestärkt werden, damit sie mit ihrem reichhaltigen und spannenden Programm die ganze Breite und Vielfalt der Ge sellschaft

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

und insbesondere die jüngeren Menschen noch besser anspre chen und erreichen können, als sie das bisher schon tun. Der Grund: Opern und Theater seien bedeutsame Orte für die sich wandelnde Gesellschaft. Dieser Antrag wurde von den Gäs ten im Park der Villa Reitzenstein einstimmig angenommen.

Meine Damen und Herren, die Jugend macht es uns vor. Spre chen wir über unser Zusammenleben heute und darüber, wie wir unsere Zukunft erfolgreich gestalten können,

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

dann sollten wir auch über die weitere Stärkung und Entwick lung unserer lebendigen Kunst- und Kulturlandschaft spre chen. Denn dass Baden-Württemberg heute in vielen Berei chen so erfolgreich ist, hängt auch damit zusammen, dass es ein reiches Kulturland ist und damit attraktiv ist für die Men schen, die hier leben.

Kunst und Kultur stark machen und davon als Gemeinschaft und als Standort profitieren, das gilt gerade auch hinsichtlich der großen Aufgaben, vor denen wir angesichts von Klima wandel, Mobilitätswende, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, aber auch technologischen Transformationen stehen.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der Filmemacher Alex ander Kluge, der gerade in einer wunderbaren Ausstellung in Ulm präsentiert wird, hat Künstler einmal als „Pilotfischchen“ bezeichnet, als geborene Navigatoren, ausgestattet mit beson deren Antennen für Strömungen und Turbulenzen, die in schwerer See den großen Fischen – er spricht von Haien – den Weg weisen. Das ist ein schönes, treffendes Bild für die au ßergewöhnlichen Sensibilisierungsqualitäten, die Kunst ha ben kann.

Mir ist aber noch ein anderer Aspekt wichtig. Künstlerinnen und Künstler sind darüber hinaus Magneten. Sie ziehen ande re Kreative an. Denn das Wesen der Kunst und der innere An trieb bestehen darin, dass Kunst Neues schafft, und zwar au tonom, frei, nicht zweckbestimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das ist das, was wir mit Kreativität und Innovation im ur sprünglichen Sinn meinen. Es geht, wie Robert Musil es ge nannt hat, darum, dem Wirklichkeitssinn den Möglichkeits sinn zur Seite zu stellen. Ebendiesen Möglichkeitssinn müs sen wir intensivieren, wenn wir uns mit den drängenden Fra gen unserer Zeit auseinandersetzen. Auch darum, meine Da men und Herren, ist die Debatte heute hier im Landtag so wichtig, weil wir die Anforderungen der Zeit nicht allein mit fachspezifischen Dingen lösen werden, sondern übergeordne te, interdisziplinäre Antworten brauchen.

Halten wir zunächst einmal fest, dass die Große Anfrage, die dieser Debatte zugrunde liegt, detailreich ausführt – wir ha ben es gehört –: „Baden-Württemberg hat ein sehr reiches, vielfältiges und qualitativ hochwertiges Kulturangebot“, das voller Dynamik ist. Das gilt sowohl für die Städte und Groß städte als auch für die ländlichen Räume. Es reicht von Kul tureinrichtungen, Festivals und Programmen mit internatio nalem Renommee bis hin zu Angeboten, die vor allem vor Ort wirken. Es reicht von Leuchtturmeinrichtungen bis zur rei chen Amateurszene, von E bis U – falls man das heute noch so sagen will –, von Programmen für Senioren bis zu Ange boten für Kinder, regional, interkulturell, vielfältig.

Viele Ministerien sind neben unserem Haus daran beteiligt. Für das partnerschaftliche Miteinander in diesem Bereich dan ke ich herzlich.

Frau Philippi hat schon gesagt, dass es dieses vielfältige und hochwertige kulturelle Angebot und das außerordentliche En gagement der Künstlerinnen und Künstler, der Mitarbeiterin nen und Mitarbeiter der Institutionen, aber auch von zahlrei chen Ehrenamtlichen zu würdigen, zu erhalten und weiterzu entwickeln gilt – dies auch deshalb, weil das Interesse der Bür gerinnen und Bürger daran groß ist.

Lassen Sie mich einige eindrucksvolle Zahlen nennen. Wir haben aktuell etwa 16 Millionen Besuche pro Jahr in den Mu seen unseres Landes. Damit sind alle Museen gemeint: staat lich, kommunal und privat. Wir haben rund vier Millionen Be suche in den öffentlich geförderten Theater- und Orchester veranstaltungen. Knapp eine Million Menschen in BadenWürttemberg sind in Musikvereinen organisiert, 330 000 sind Mitglieder in Chören. Wir haben ungefähr 12 000 Musiken sembles. Die zahllosen nicht in Verbänden organisierten Or chester und Chöre sind dabei noch nicht erfasst.

Entscheidend ist – die Zahlen zeigen es –: Kunst und Kultur sind kein Minderheitenprogramm; sie sind fester Bestandteil unserer bunten Gesellschaft, und zwar überall im Land, für alle Generationen, für Menschen von überall her.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Dementsprechend, lieber Herr Weinmann – weil dann doch so ein bisschen Dynamik in dem ganzen Laden drin ist –, ha ben sich auch die Gesamtausgaben des Landes für Kultur in den letzten Jahren deutlich erhöht: von rund 385 Millionen € im Jahr 2011 auf mehr als 500 Millionen € im Jahr 2019. Das ist eine Steigerung um 30 % innerhalb von acht Jahren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU sowie der Abg. Gabi Rolland SPD)

Damit erweist sich das Land ganz ohne Zweifel als verlässli cher Partner für die Kultur in Baden-Württemberg. Ich danke Ihnen allen, liebe Abgeordnete, herzlich für die Unterstützung.

Aber selbstverständlich finden auch Kunst und Kultur nicht im luftleeren Raum statt. Die Stichworte sind bekannt: Digi talisierung, Migration, Diskussionen über Identität und Hei mat, veränderte Publikumsstrukturen und Erwartungshaltun gen, neue künstlerische Sprachen und anderes mehr. Die Rah menbedingungen, die für den Kulturbereich gelten, stellen na türlich auch diesen vor neue Herausforderungen. Darum dür fen wir nicht nur das Bewährte bewahren, sondern müssen neue Wege erproben.

So haben wir im Juni 2018 gemeinsam mit Akteurinnen und Akteuren den Dialogprozess „Kulturpolitik für die Zukunft“ mit dem Ziel gestartet, im nächsten Sommer Handlungsemp fehlungen für Politik, Verwaltungen und Institutionen vorzu legen, um Kunst und Kultur in die Zukunft zu denken. Mehr als 1 000 Menschen haben sich bisher daran beteiligt. Das ist ein großartiger Erfolg. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, al len Beteiligten dafür ganz herzlich zu danken.

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der SPD sowie des Abg. Nico Weinmann FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, entscheidend ist aber, dass wir nicht nur miteinander reden, sondern erste Ergebnisse dieses Prozesses bereits jetzt umsetzen. Lassen Sie mich heute dazu drei Schwerpunktthemen nennen: erstens bessere Strukturen für die Kultur in den ländlichen Räumen, zweitens Stärkung und Vernetzung im Bereich kulturelle Bildung und damit Öff nung unserer Institutionen in die Gesellschaft hinein und drit tens Sanieren und Bauen für die Kunst von morgen und da mit für die Exzellenz unserer Kultureinrichtungen.

„Kunst und Kultur in den ländlichen Räumen“ ist eines unse rer zentralen Themen. Frau Philippi hat es auch schon ange sprochen. In diesem Sinn haben wir in den letzten Jahren u. a. das Sonderprogramm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wan del“ zusammen mit dem MLR vorangebracht, den Innovati onsfonds „Kultur im ganzen Land“ aufgesetzt, die Blasmusik über die Akademieneubauten unterstützt, die Förderung für Privattheater und soziokulturelle Zentren sowie die Chorlei terpauschale deutlich erhöht, ein Sonderprogramm für die di gitale Weiterentwicklung der Museen im ländlichen Raum aufgelegt, die Vermittlungsarbeit der Freilichtmuseen gestärkt und die Keltenkonzeption auf den Weg gebracht – um nur ei niges zu nennen.

Auch wenn wir eine starke Kulturszene in den ländlichen Räu men haben, wissen wir doch, dass die Arbeitsbedingungen dort nicht immer einfach sind, weil es teilweise an professio neller Unterstützung fehlt und auch die ehrenamtlich Enga

gierten aufgrund steigender Anforderungen mehr Beratungs bedarf haben. Diese Probleme aufgreifend haben wir kürzlich auf Wunsch der Kulturschaffenden gemeinsam mit der Kul turstiftung des Bundes das Pilotprojekt „Regionalmanager/ Regionalmanagerin Kultur“ initiiert, das sich vor allem an die Landkreise und an regionale Verbünde richtet. Es ist das ers te Projekt dieser Art in Deutschland und gilt auch für die an deren Länder im Bund als exemplarisch.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Ja, da kann man klatschen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Das Verfahren läuft. Uns liegen mehr Anträge vor als vom Bund und von uns erwartet. Wir werden diese Regionalmana ger als Schnittstellen zwischen Kultur und Verwaltung sowie als Berater und Begleiter vor Ort jetzt in sechs Landkreisen einrichten und die Ergebnisse dann auch hier weiter kommu nizieren.

Ein weiteres Thema im ländlichen Raum liegt mir am Herzen: Es geht um neue Räume für die Kunst. Wir werden dafür An fang 2020 das Programm „Freiräume“ auflegen. Mit 3 Milli onen € wollen wir Kulturinitiativen, Kommunen und Biblio theken im ländlichen Raum die Möglichkeit geben, Leerstän de oder auch Orte, die bereits existieren, zu kulturellen Be gegnungsorten weiterzuentwickeln. Auch das war ein Wunsch, der im Kulturdialog immer wieder geäußert wurde.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, kommen wir zum Schwerpunkt für die kommenden Jahre, zum Bereich „Kulturelle Bildung“. Der Regierungsentwurf des Haushalts enthält unsere Planun gen dafür, und ich hoffe sehr auf Ihre Unterstützung. Denn wir wollen die außerschulische kulturelle Bildung in BadenWürttemberg über nachhaltige Strukturen deutlich stärken und damit auch die Öffnung der Kultureinrichtungen für alle Tei le der Gesellschaft weiter vorantreiben.

Kulturelle Bildung verfolgt das Ziel, den Zugang zu Kunst und Kultur allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zu ermöglichen und über künstlerische Erfahrung Persönlich keit zu bilden. Sie richtet sich bei Weitem nicht mehr nur an Kinder und Jugendliche, sondern an Menschen aller Alters gruppen. Für viele Institutionen und Kulturakteure stellen sich in diesem Umfeld ganz neue Möglichkeiten. Wir wollen da her im kommenden Jahr das Kompetenzzentrum „Kulturelle Bildung und Vermittlung“ einrichten, um hier alle Förderpro gramme im Bereich der außerschulischen kulturellen Bildung zu koordinieren und abzustimmen, Beratungs- und Qualifizie rungsleistung zur Verfügung zu stellen und die Erfahrungen mit der Forschung und den bundesweiten Initiativen zurück zubinden.

Wir werden bei diesem so wichtigen Thema mit dem Kompe tenzzentrum „Kulturelle Bildung“ einen großen Schritt nach vorn gehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Kommen wir zum dritten Punkt. Blicken wir in die Zukunft, dann spielen Bau- und Sanierungsvorhaben eine entscheiden

de Rolle. Denn auch für unsere Spitzeneinrichtungen kann Ex zellenz nur gesichert werden, wenn die richtigen Räume für Kunst und Kultur zur Verfügung stehen, und wir können auch nur dann ein neues Publikum gewinnen.

Aktuell bauen wir – das heißt natürlich genau genommen: das Finanzministerium – an verschiedenen Stellen im Land für Kultur. Ich nenne beispielsweise die John Cranko Schule in Stuttgart, die Württembergische Landesbibliothek, die Kunst halle Karlsruhe. Auch für das Badische Landesmuseum ist jetzt im Haushalt eine Planungsrate vorgesehen.

Dazu kommen unsere beiden Großprojekte. Das Badische Staatstheater soll ab 2020 umfassend saniert und erweitert werden. Ziel ist ein offenes Haus, das den Publikumswün schen und den Anforderungen nach Barrierefreiheit, Nachhal tigkeit, ordentlichen Arbeitsplatzbedingungen und Brand schutz in allen Bereichen entspricht. Hier wie auch in Stutt gart werden die Kosten hälftig zwischen Land und Stadt ge tragen.

Wir haben es eben gehört: Noch komplexer, da das Vorhaben umfangreicher ist, stellt sich die Situation an den Württem bergischen Staatstheatern in Stuttgart dar. Auch hier spielen Fragen von technischer Ausstattung, Brandschutz, Arbeits schutz, aber auch von künstlerischen Möglichkeiten und städ tebaulichen Entwicklungen eine Rolle. Dabei geht es erstens um die Sanierung des eigentlichen Operngebäudes, das auch vom Stuttgarter Ballett genutzt wird. Es geht zweitens um ei nen umfassenden Neubau des Kulissen- und Werkstattgebäu des, in dem etwa 1 400 Menschen arbeiten. Es geht um Mo dernisierung im Verwaltungsbau und um eine Interimsspiel stätte plus Interimswerkstätten, die den Betrieb übergangswei se für mindestens fünf Jahre sicherstellen müssen.

Ziel ist es, dieses herausragende Opern- und Ballettgebäude im Herzen der Landeshauptstadt Stuttgart für die kommenden Jahrzehnte zukunftsfähig zu machen. Ich kann Sie beruhigen: Die Phalanx der grünen Beteiligten an diesem Projekt ist voll kommen im Zeitplan.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Martin Rivoir SPD: Oh, oh, oh!)

Gestern Abend wurden dem Verwaltungsrat – Sie haben es ge sagt, lieber Herr Rivoir – erste Kostenberechnungen vorge stellt. Es ist ja klar, dass man, wenn es so kurzfristig kommt, nicht allem sofort folgen kann. Ich möchte korrigieren: Die 1 Milliarde € kommen nur dann zustande, wenn Sie das Inte rimsgebäude mit einrechnen.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Nein!)