Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich räume ein: Es ist immer ein bisschen schwierig, in der Abfolge der voraus gegangenen Debattenbeiträge nochmals einen Schlusspunkt zu setzen, der der Thematik wirklich angemessen ist.
Ich will das trotzdem versuchen, auch mit Blick auf die Zu hörerinnen und Zuhörer, die nach wie vor hier sind. Wir wol len als Parlament schon den Eindruck vermitteln, dass wir uns
in einer so historischen Entwicklung auch wirklich ernsthaft mit der Zukunft Europas auseinandersetzen.
Seit 1. Februar ist es traurige Realität: Das Vereinigte König reich gehört nicht mehr zur Europäischen Union. Ich halte den Brexit weiter – wie viele in diesem Haus – für einen histori schen Fehler.
Und trotzdem müssen wir jetzt nach vorn blicken. Das ma chen wir ganz praktisch mit der heutigen zweiten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Brexit-Übergangsgesetzes.
Das machen wir aber auch ansonsten. Mein Haus und ich ha ben den Landtag während des gesamten Austrittsprozesses umfassend über die Brexit-Folgenabschätzung der Landesre gierung informiert. Ich will die heutige Debatte nutzen, auch unsere künftige Linie ganz transparent zu machen.
Ab März sollen die Verhandlungen zum künftigen Verhältnis zwischen der EU und den Briten beginnen. Es werden schwie rige Verhandlungen in einem äußerst kurzen Zeitraum. Wir hätten uns gewünscht, dass wir mehr Zeit zur Verfügung ha ben. Boris Johnson hat in dieser Woche verkündet, dass Groß britannien ein umfassendes Freihandelsabkommen nach dem kanadischen Vorbild – Kollege Schweickert hat darauf hinge wiesen – CETA anstrebt. EU-Chefverhandler Michel Barnier hat am Montag demgegenüber den Kommissionsvorschlag für das neue Verhandlungsmandat des Rates vorgestellt. Ziel der Europäischen Union ist ein umfassendes und ausgewogenes Assoziierungsabkommen. Die Zusammenarbeit soll sich u. a. auf die Strafverfolgung und Strafjustiz, die Außenpolitik, die Sicherheit und die Verteidigung erstrecken.
Bei den Handelsbeziehungen lautet das europäische Angebot an Großbritannien kurz gesagt: null Zölle und null Quoten auf Waren,
Erstens: gleiche Wettbewerbsbedingungen, Wettbewerbsbe dingungen, die sicherstellen, dass die künftige Beziehung auf offenem und fairem Wettbewerb basiert. Auch Sozial-, Steu er- und Umweltstandards der EU dürfen nicht unterlaufen werden.
Zweitens: eine Einigung – auch das ist heute mehrfach ange klungen – über die Fischereirechte; das klingt für uns im Süd westen einfacher, als es ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Weg die Verhand lungen zwischen London und Brüssel auch immer einschla gen, die deutschen Länder werden die Brexit-Verhandlungen vor allem über den Bundesrat eng begleiten. Denn die Länder sind auch betroffen. Deshalb müssen sie an diesen Verhand lungen auch beteiligt werden.
Sie sagten klar, dass Großbritannien die EU-Gerichtsbarkeit auch für sich anerkennen soll. Ist das nicht eine Perversion von einem freien Land, dass in Brüssel die Illusion herrscht, dass sich ein Volk, das sich quasi endlich in Freiheit entlassen hat, weiterhin irgendeiner Gerichtsbarkeit
Ist das nicht irgendwie eine Illusion? Wenn die EU das for dert, ist das nicht quasi präventiv gegen einen möglichen er folgreichen Ausgang?
Aber wer künftig mit der Europäischen Union in bestimmten Fragen zusammenarbeiten möchte, wer künftig auch von Vor teilen dieser Europäischen Union profitieren möchte, der muss eben auch bereit sein, ein gewisses Reglement zu respektie ren. Rosinenpickerei wird es nicht geben.
Das ist einsichtig, was Sie sa gen; klar. Das ist die Position der EU. Aber wieso soll das nur eine Lex Großbritannien sein? Wir haben Freihandelsabkom
men der EU mit Norwegen, mit der Schweiz, mit Kanada, mit zig anderen Ländern, und da ist diese Klausel, dass sich die se Länder einer EU-Gerichtsbarkeit unterwerfen sollen, nicht enthalten. Wieso gerade jetzt mit Großbritannien? Ist das nicht, wie ich gesagt habe, absoluter Backstop, was die EU macht, dass es nicht so kommen kann?
Ich möch te wiederholen: Ich halte es für nachvollziehbar und richtig und ich unterstütze diese Position von Barnier, dass wir jetzt natürlich nach vorn schauen, dass wir natürlich über künftige Handelsbeziehungen diskutieren. Aber diese Verhandlungen werden sehr genau und aufmerksam beobachtet. Wir dürfen deswegen im Verhältnis zu Großbritannien jetzt nicht andere Rahmenbedingungen schaffen als mit anderen europäischen Ländern. Deswegen ist das, was ich genannt habe, für mich das Mindestmaß dessen, was Großbritannien akzeptieren muss, um in solche künftigen Handelsbeziehungen eintreten zu können.
Im EU-Ausschuss des Bundesrats stimmen wir gerade einen Antrag ab, der die Länderinteressen zum künftigen Verhältnis zusammenfasst. Das heißt, wir Baden-Württemberger wollen hier auch eine aktive Rolle spielen und sind in alter Tradition aktiv dabei.
Während die Verhandlungen laufen, wird sich für die Bürge rinnen und Bürger ebenso wie für die Wirtschaft zunächst ge fühlt nicht viel ändern. Anders wird es Ende des Jahres zum 31. Dezember. Dann wird sich vermutlich sehr vieles ändern, vor allem falls bis dahin kein Assoziierungsabkommen ver einbart werden konnte. Noch ist wegen des äußerst knappen Zeitrahmens die Gefahr eines ungeregelten Verhältnisses nach Silvester 2020 nicht gebannt. Das sollten wir nicht ausblen den. Die Kürze der Zeit birgt hier erhebliche Risiken, was die ses künftige Abkommen und was das Gelingen angeht. Aber ein solches Szenario kann man dann am besten als No-TradeDeal-Verhältnis bezeichnen. Es könnte aber auch über den Handel hinaus weitere Bereiche betreffen.
Nach Auffassung der Landesregierung ist es deswegen wich tig, dass sich alle Betroffenen weiter auf den möglichen Worst Case vorbereiten. Die EU und die Bundesregierung haben ei ne umfangreiche Notfallgesetzgebung erlassen, um sich auf ein ungeregeltes Verhältnis vorzubereiten. Wir müssen uns jetzt gewissermaßen in Parallelüberlegungen auf diesen Tag X vorbereiten.
Auch die Landesregierung hat sich vorbereitet. Dazu zählt das Brexit-Übergangsgesetz, dessen Änderung heute Gegenstand dieser zweiten Lesung ist. Die Änderung schafft Rechtssicher heit sowie Rechtsklarheit für Bürgerinnen und Bürger. Die heutige Debatte zeigt: Baden-Württemberg hat großes Inter esse an vertrauensvollen Beziehungen und einem engen Aus tausch mit Großbritannien, insbesondere bei der Innen- und Sicherheitspolitik sowie mit Blick auf die zukünftigen Wirt schaftsbeziehungen und Fragen der Wissenschaftspolitik. Wir sollten niemals den Blick für die Fragen der wissenschaftli chen Zusammenarbeit mit Großbritannien verlieren. Die Han delsbeziehungen sind wichtig, aber die Kooperationen im Be reich Wissenschaft und Hochschule gerade mit Großbritanni en sind in gleicher Weise von großer Bedeutung.
Der Dialog mit Wirtschaft und Verbänden gehört für uns da zu. Kollege Schweickert, Kollegin Hoffmeister-Kraut hat erst zu Beginn der Woche wieder mit den Spitzen der baden-würt tembergischen Kammern und Wirtschaftsverbände gespro chen. Wir sind hier und insbesondere auch das Wirtschaftsmi nisterium ist hier in einem ständigen Dialog, um immer recht zeitig auf die neuen Entwicklungen vorbereitet zu sein.